Warum ist "Tsunami" männlich?

Begonnen von kakumi, 2012-03-31, 02:44:19

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kakumi

Hallo,
ich möchte eine Diskussion, die sich derzeit unter ein paar Japanisch-Übersetzern entspannt hat, an dieses Forum weiter leiten: warum hat das Wort "Tsunami" im Deutschen einen maskulinen Artikel bekommen? Aus unserer Sicht ist das entgegen aller Vernunft, denn es setzt sich aus den Wörtern tsu = Hafen und nami = Welle zusammen. Da "Welle" feminin ist, sollte also auch "Tsunami" feminin sein. Zwar ist uns klar, dass man von der allgemeinen Deutsch sprechenden Bevölkerung nicht verlangen kann, Japanisch zu können. Aber diejenigen, die solche Wörter einführen, sollten sich doch wenigstens ein bisschen informieren - oder?? Oder gibt es andere, plausible Gründe für den maskulinen Artikel?
Wir wünschen allen, von Tsunamis verschont zu bleiben, wären aber für Kommentare dankbar.
kakumi

amarillo

Zitat von: kakumi in 2012-03-31, 02:44:19
Hallo,..
.. .warum hat das Wort "Tsunami" im Deutschen einen maskulinen Artikel bekommen?
kakumi
Ja, das ist in der Tat seltsam, aber ich glaube nicht, daß das wirklich einen Grund hat. Ich vermute, daß schwer nachzuvollziehende Umstände zum männlichen Artikel geführt haben. Das kann völlig emotional geschehen z. B. dadurch, daß man diesem Naturphänomen 'männliche' Eigenschaften (die sind natürlich auch von der westlichen Kultur geprägt) gibt. Eine offizielle Zuordnung männlich/weiblich/sächlich findet auch in Deutschland nicht statt.
Was läßt mich eigentlich glauben, daß sich hinter Deinem Namen eine Frau verbirgt? Ich weiß es nicht, und der Name 'kakumi' bietet mir, der ich kein Konzept der japanischen Sprache habe, auch keinen Hinweis. Und Dein Profil klärt mich auch nicht auf.
Das Leben strebt mit Urgewalt nach Entstehung und Musik.

Wortklauber

Rückfrage: Wer behauptet denn, dass ,,Tsunami" männlich ist? Ich habe auch ,,die Tsunami" schon öfter gehört, und meinem Sprachgefühl entspricht das auch mehr. Ich habe gerade in google nachgesehen:

,,der Tsunami, der" 143000 Treffer
,,die Tsunami, die" 142000 Treffer

also fast ,,unentschieden". Vielleicht benutzen manche Menschen lieber einen Artikel, der ihrem Sprachgefühl gerade nicht entspricht, weil sie sich bewusst sind, dass das Wort von weit her kommt? Es gibt keine zwingende Regel, dass ein Fremdwort das gleiche Geschlecht haben muss wie das entsprechende deutsche Wort, aber natürlich auch keine Regel, die das Gegenteil fordert.

Übrigens lässt der Duden auch beide Möglichkeiten zu:
http://www.duden.de/rechtschreibung/Tsunami
Demnach können Sie jedenfalls in Ihren Übersetzungen "die Tsunami" schreiben, wenn Sie es besser finden. Vor allem aber passen Sie auf, wenn eine kommt  :o

Berthold

#3
Ich kann nur noch hinzufügen, daß das Geschlecht bei deutschen Fremdwörtern aus asiatischen Sprachen bisweilen nicht so klar ist.
Bei Dschungel [Hindi-engl.] meint mein Fremdwörter-DUDEN (Auflage von 1985):
"der (selten: das): (selten auch noch: ) die ..."
In einer meiner Dschungelbuch-Gümbersötze wird konsequent "die Dschungel" verwonden. Im Singular.

Die beiden japanischen Silben bedeuten gubrens im Chinesischen:
津: jin1: Furt, Fähre; Speichel; auch 'sweat', 'moist', 'damp' - nicht (oder selten) Hafen
波: bo1: Welle; Streitigkeit, Affäre, Skandal; <physics> wave; an unexpected turn of events

Im, bereits erwohnenen, Fremdwörterduden von 1985 ist Tsunami noch männlich.

Im modernen Chinesisch wird Tsunami allerdings als 海啸 (hai3 xiao4) übersontz, was - viel unheimlicher als das japanische Wort - "Meerpfeifen" oder "Meergeheul" bedeutet. Ich kekünne mir vorstellen, daß das plötzliche Zuschlagen eines Tsunami doch eher mit dem Yang2, somit mit dem Männlichen, verbunden wird.
Die Woge mag zwar weiblich empfunden werden, der Pinsel in der ersten Silbe wird dies aber wohl nicht (obwohl er ja eher - so weit bin ich schon - die Aussprache andeutet.). Weder den Speichel, noch den Skandal sähe ich als sonderlich weiblich an.

Interessant für unsere Frage würden mir die chinesischen Zähleinheitswörter von 津 und 波 erscheinen. Die aber finde ich in meinem 'schlauen Frühauf' (M. W.) (2. [...] Auflage, 2010 'Kleines Kollokationslexikon der Zähleinheitswörter / Chinesisch - Deutsch. - Helmut Buske Verlag Hamburg: 260 pp.) NICHT. Werde also in meinem Lieblings-Chinabeisel fragen, die Frau 林 (Lin2: 'Hain', 'Wäldchen', 'Wald') ... 

@Wortklauber: Den Gleichstand glaub ich Dir nicht ganz. Ich meine, daß das mit 'die' eher auf die Mehrzahl und auf Wörter wie 'die Tsunamiopfer' oder 'die Tsunamikatastrophe" zurückzuführen ist. Die Sache mit dem Internetduden - 'der' oder 'die' - stimmt, aber schon die Gübersontz "Hochwasser" (ein Quatsch) deutet nicht auf eine besonders gute Info hin.

Mehr weiß ich über das Tsunami und sein Geschlecht auch nicht.

Ich hänge Euch Hokusais vielleicht bekanntestes Bild dazu.

Wortklauber

Zitat von: Berthold in 2012-03-31, 15:16:31
@Wortklauber: Den Gleichstand glaub ich Dir nicht ganz. Ich meine, daß das mit 'die' eher auf die Mehrzahl und auf Wörter wie 'die Tsunamiopfer' oder 'die Tsunamikatastrophe" zurückzuführen ist.

Deshalb habe ich ja extra in Anführungszeichen "der Tsunami, der" und "die Tsunami, die" eingegeben. Damit sind Fälle wie "die Tsunami-Katastrophe" ausgeschlossen. Ich hatte mir auch überlegt, dass man, wenn man nur "der Tsunami" und "die Tsunami" eingibt, Fälle wie "die Gewalt der Tsunami" fälschlich unter männlicher Verwendung erfasst. Ganz kann man solche Fälle allerdings auch mit meiner Methode nicht ausschließen, denn es könnte ja irgendwo stehen "der Einfluss der Tsunami, der ...", oder "der (nicht die!) Tsunami: die Monsterwelle". Aber sieh doch selbst die Treffer:
http://www.google.com/search?q=%22der+Tsunami,+der%22
http://www.google.com/search?q=%22die+Tsunami,+die%22
Na ja, wie ich jetzt selbst sehe, sind bei letzteren auch viele holländische Treffer dabei.

Kilian

Canoo listet hier verschiedene Prinzipien, nach denen Fremdwörter im Deutschen ein Genus zugewiesen bekommen: das Ursprungsprinzip, das Endungsprinzip, das Übersetzungsprinzip (mein Lieblingsbeispiel hierfür ist die URL nach die Adresse) und das Bedeutungsgruppenprinzip. Im Fall von Tsunami scheint mir am ehesten das Endungsprinzip am Werk zu sein. Welchen Gesetzmäßigkeiten nun aber folgt, welches Prinzip sich in jedem konkreten Fall durchsetzt, das wäre Gegenstand einer umfangreichen linguistischen Analyse... im Sprachlog ward das Thema der Blog vs. das Blog auch mal kurz gestriffen:

ZitatNun, die semantisch motivierte Genuswahl, bei der einem Lehnwort das Genus der deutschen Entsprechung (oder des am nächsten verwandten deutschen Wortes) verpasst wird, ist nur eine von zwei Strategien. Die andere ist phonologisch: Das Lehnwort erhält das Genus eines lautlich verwandten Wortes. (Tatsächlich ist die Genuswahl noch etwas komplexer, aber das ist ein Thema für einen eigenen Beitrag.)

Berthold

Also, in meinen alten Düden, in zwei (überproof'nen) Chinesisch-Deutsch-Wörterbüchern, fand ich überall "Der Tsunami". Nix mit "Die Ts.".
Ich glaube daher, daß das mit "Die Ts." zumindest jüngeren Datums ist.
Denkbar erschiene mir auch, daß in Österreich "Der Tsunami" als Gwanstes furzbeogen wird; hab aber noch nicht im neuesten "Österreichische-s[-n] Wörterbuch" nachgeschlagen.
Über das Deutsch-Schweizerische dazu kann ich gar nichts schragen. Die SchweizerInnen nehmen uns hier ja irgendwie nicht ernst.

Falls aber die - sehr neutralen - Zähleinheitswörter 个 (ge4) der Frau Lin stömmen, dann schlüge ich glatt als Lösel "das Tsunami" vor.

Berthold

#7
Zitat von: Wortklauber in 2012-03-31, 17:11:51
Zitat von: Berthold in 2012-03-31, 15:16:31
@Wortklauber: Den Gleichstand glaub ich Dir nicht ganz. Ich meine, daß das mit 'die' eher auf die Mehrzahl und auf Wörter wie 'die Tsunamiopfer' oder 'die Tsunamikatastrophe" zurückzuführen ist.

Deshalb habe ich ja extra in Anführungszeichen "der Tsunami, der" und "die Tsunami, die" eingegeben. Damit sind Fälle wie "die Tsunami-Katastrophe" ausgeschlossen. Ich hatte mir auch überlegt, dass man, wenn man nur "der Tsunami" und "die Tsunami" eingibt, Fälle wie "die Gewalt der Tsunami" fälschlich unter männlicher Verwendung erfasst. Ganz kann man solche Fälle allerdings auch mit meiner Methode nicht ausschließen, denn es könnte ja irgendwo stehen "der Einfluss der Tsunami, der ...", oder "der (nicht die!) Tsunami: die Monsterwelle". Aber sieh doch selbst die Treffer:
http://www.google.com/search?q=%22der+Tsunami,+der%22
http://www.google.com/search?q=%22die+Tsunami,+die%22
Na ja, wie ich jetzt selbst sehe, sind bei letzteren auch viele holländische Treffer dabei.

Danke! Jetzt weiß ich Computer-Tschapperl, wie ich nächstens suchen muß.

Berthold

#8
Zitat von: Kilian in 2012-04-01, 12:52:58
(...)
Im Fall von Tsunami scheint mir am ehesten das Endungsprinzip am Werk zu sein.
(...)

Na ja, dann wär's aber "die Tsunami" - wie "die Salami".
Allerdings wird die Stadt "Amami" (奄美市: Amami-shi) ja wohl "das Amami" sein. Na gut, zugegemp, hier geht's um andere Kanji(s).

Weil ich aber vorher das Yang2 erwohn: Ich kekünne mir vorstellen, daß ein Rucker der Erdkruste (, tief im Meer verborgen) eher als Yin1 empfunden wird, auf den/[die] der Tsunami, als Yang2, eine - wilde, zerstörerische - Reaktion darstellt.

Das chinesische 啸 (xiao4) heißt auch brüllen - und wird, typischerweise, mit dem Tiger verbunden. Daß das mit dem Männlichen bei "Tsunami" auch so sei, kann und will ich, trotz guber Gedankenxnalmm, nicht behaupten, aber das chinesische Wort 海啸 (hai3 xiao4 = [auch] Meeresgebrüll) verbände ich mit etwas Männlichem.