Unbestimmtes "es" als Subjekt im Passivsatz

Begonnen von Wortklauber, 2013-01-22, 18:20:35

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Wortklauber

Vielleicht bin ich es ja auch, der deine Unterscheidung zwischen Metasprache und Objektsprache nicht recht versteht.

Den ursprünglichen aktivischen Satz, nämlich:

Die beiden großen Kuchen in je vier Stücke und die beiden kleinen in je drei Stücke erzeugt vierzehn gleich große Stücke.

verstehe ich als eine Verkürzung von

Die beiden großen Kuchen in je vier Stücke geteilt und die beiden kleinen in je drei Stücke geteilt, diese Handlung erzeugt vierzehn gleich große Stücke.

Wobei auf der linken Seite das logische Subjekt die Handlung und auf der rechten das Objekt die tatsächlichen Kuchenstücke sind. Da es eine Handlung ist, steht der Aktivsatz im Singular. Da es mehrere Kuchenstücke sind, steht der Passivsatz im Plural.

Homer

Jetzt isses klar, danke! Dann hat das mit Rechenoperationen und Metasprache usw. nichts zu tun, sondern hier wird mit dem Messer geteilt. Wie klares, normales Deutsch kommt mir der verkürzte Satz zwar nicht wirklich vor; aber wenn man einmal verstanden hat, daß alles, was links von erzeugt steht, ein Vorgang sein soll, und zwar nur einer, ist alles regulär: Vorgang erzeugt Kuchenstücke, Kuchenstücke werden durch Vorgang erzeugt. Alles rein objektsprachlich.

Homer

P.S.: Was man an solchen Sätzen schön sehen kann, ist, daß von Pluralformen gebildete Satzglieder nicht unbedingt gleichzusetzen sind mit pluralischen Satzgliedern. In salopperer Sprache kann man sicher Sätze bilden wie Mehr Personenkontrollen ist auch keine Lösung (= Die Einführung von mehr ...).

Wortklauber

Zitat von: Homer in 2013-01-30, 16:15:33
P.S.: Was man an solchen Sätzen schön sehen kann, ist, daß von Pluralformen gebildete Satzglieder nicht unbedingt gleichzusetzen sind mit pluralischen Satzgliedern. In salopperer Sprache kann man sicher Sätze bilden wie Mehr Personenkontrollen ist auch keine Lösung (= Die Einführung von mehr ...).

Ja, gutes Beispiel. Es stellt sich (ebenso wie bei dem Kuchen übrigens) dann auch die Frage, in welchem Fall das Satzglied eigentlich steht.

Um auf den Kuchensatz zurückzukommen: Ich hatte schon absichtlich den Plural für beide Komponenten der linken Seite genommen, denn wenn man dort eine oder beide Komponenten im Singular stehen, muss man sich entscheiden:

"Den linken Kuchen in drei und den rechten Kuchen in zwei Stücke ergibt fünf gleichgroße Stücke."

oder

"Der linke Kuchen in drei und der rechte Kuchen in zwei Stücke ergibt fünf gleichgroße Stücke."

Dementsprechend:

"Einen größeren Konzertsaal ist wohl auch keine Lösung."

(... zu planen/bauen)

Immerhin eine mögliche Formulierung, finde ich. Aber wenn man sagt

"Ein größerer Konzertsaal ist wohl auch keine Lösung."

ist der Saal aus seiner Subjektposition wohl nicht zu vertreiben.

Krümelmonster

Also Leute, bei mir wäre der Kuchen längst aufgefressen! *mnjam*

Homer

Zitat von: Wortklauber in 2013-01-30, 16:49:10
"Einen größeren Konzertsaal ist wohl auch keine Lösung."

(... zu planen/bauen)

Immerhin eine mögliche Formulierung, finde ich.

Wir schweifen weit ab vom "es", aber die Sache ist interessant.
Es fällt mir persönlich etwas leichter, einen als Nominativ interpretierbaren Plural als Subjekt zu einem singularischen Verb zu akzeptieren als einen manifesten Akkusativ. Dein Beispiel würde ich daher um so bereitwilliger als normal ansehen, je eindeutiger das "zu planen/bauen" aus dem vorangehenden Text ergänzt werden kann. Und dann würde ich "einen größeren Konzertsaal" nicht als Subjekt, sondern als Objekt zu dem als Subjekt zu ergänzenden Infinitiv auffassen.
Vielleicht wäre aber die Subjekt-Interpretation sogar zu retten, wenn man "einen größeren Konzertsaal" als Zitat ansieht: A: Ich schlage einen größeren Konzertsaal vor. – B: (Dein Vorschlag) "einen größeren Konzertsaal" ist auch keine Lösung. Da sind wir wieder ganz dicht an der Metasprache, in der alle syntaktischen Beschränkungen für die Besetzung von Satzgliedern aufgehoben sind: "Nimmt" ist eine finite Verbform. – "Schnell" ist leicht gesagt. – Ich finde "zum Teufel mit dir!" beleidigend.

Wortklauber

... ja, und auch die semantischen Beschränkungen.

Was fällt dir ein, zu behaupten, ich habe "laut" durch die Bibliothek gerufen? Ganz im Gegenteil! Ich war so wütend über die Gespräche, die am anderen Ende des Lesesaales geführt wurden, dass ich "leise" gerufen habe. Kannst ja die Leute dort fragen. Ich habe es deutlich genug gerufen, dass man es überall unmissverständlich vernommen haben muss.

Kilian

Zitat von: Wortklauber in 2013-01-30, 07:06:39Nicht die Analogie, sondern ihre Gänze habe ich bestritten. Und zwar deshalb, weil in deinem Beispiel zwar "das Ergebnis" analog zu dem "die Rechnung" in meinem Beispiel steht, aber in meinem Fall eine Ergänzung von irgend etwas notwendig, in deinem Fall aber nur möglich und nicht notwendig ist.

Verstehe ich immer noch nicht.

Welche Ergänzung meinst du? "das Ergebnis" bzw. "die Rechnung"?

Sagst du also, dass "vier wird von zwei plus zwei ergeben" geht, "zwei plus zwei ergibt vier" aber nicht?

Nee, oder?

Wortklauber

Zitat von: Kilian in 2013-02-05, 23:33:07
Zitat von: Wortklauber in 2013-01-30, 07:06:39Nicht die Analogie, sondern ihre Gänze habe ich bestritten. Und zwar deshalb, weil in deinem Beispiel zwar "das Ergebnis" analog zu dem "die Rechnung" in meinem Beispiel steht, aber in meinem Fall eine Ergänzung von irgend etwas notwendig, in deinem Fall aber nur möglich und nicht notwendig ist.

Verstehe ich immer noch nicht.

Welche Ergänzung meinst du? "das Ergebnis" bzw. "die Rechnung"?

Sagst du also, dass "vier wird von zwei plus zwei ergeben" geht, "zwei plus zwei ergibt vier" aber nicht?

Nee, oder?
Nein, ganz im Gegenteil.

Offensichtlich habe ich mich nicht klar ausgedrocken.

Wir gingen aus von dem Satz "zwei plus zwei ergibt/ergeben vier" und "vier wird/werden von zwei plus zwei ergeben".

Meine Behauptung ist, dass es im ersten Fall eher "zwei plus zwei ergibt vier", im zweiten "vier werden von zwei plus zwei ergeben" heißen sesülle.

Meine Begründung ist, dass man bei "zwei plus zwei ergibt vier" ein grammatisches Subjekt nicht findet und deshalb eines ergänzen muss (z.B. "die Rechnung"), um zu entscheiden, ob man das Verb in den Singular oder Plural setzt. Bei "vier werden von zwei plus zwei ergeben" ist hingegen ein grammatisches Subjekt, nämlich "vier", im Satz enthalten.

Dein Argument, wenn ich es richtig verstehe, ist, dass man auch bei "vier wird/werden von zwei plus zwei ergeben" ein Subjekt (z.B. "das Ergebnis") ergänzen könne, und dass diese Ergänzung "ganz analog" zu meiner Ergänzung "die Rechnung" sei.

"Dein Fall" ist also die Ergänzung von "das Ergebnis", "mein Fall" die Ergänzung von "die Rechnung".

Mein Einwand besteht nun darin, dass "dein Fall", also die Ergänzung von "das Ergebnis" in "vier wird/werden von zwei plus zwei ergeben", zwar eine Möglichkeit ist, aber nicht auf einer Notwendigkeit, etwas zu ergänzen, beruhe, da der Satz auch ohne Ergänzung ein Subjekt hat, nämlich "vier". Hingegen beruht "mein Fall", also die Ergänzung von "die Rechnung" in "zwei plus zwei ergibt/ergeben vier", auf einer Notwendigkeit, irgend etwas zu ergänzen, da in diesem Satz weder die erste oder zweite "zwei" noch beide zusammen das grammatische Subjekt bilden können, denn die Zahlen als solche ergeben überhaupt nichts. Insofern sind zwar die Ergänzungen "das Ergebnis" und "die Rechnung" analog, aber die Fälle insgesamt sind nicht ganz analog, da im ersten ("deinem") Fall eine Ergänzung nur möglich, im zweiten ("meinem") aber notwendig ist.

Es geht mir dabei insbesondere um die Semantik von "ergeben". "Ergeben" ist ein Vorgang (im Gegensatz zu "sind" in "zwei und zwei sind vier", was einen Zustand beschreibt), und der Vorgang kann nur von einer Handlung ("die Rechnung") ausgelöst werden. Das Ergebnis dieses Vorgangs, also das, was "ergeben wird", ist aber eine Sache oder ein Zustand. Demnach kann eine Zahl oder eine Menge von Dingen zwar das Subjekt von "ergeben werden" sein, aber nicht von "ergeben".

Kilian

Jetzt habe ich dein Argument endlich verstanden.

zwei plus zwei scheint mir allerdings eher eine Metonymie als eine Ellipse zu sein – dass da also die zu ergänzende Rechnung den Numerus bestimmt, scheint mir wenig plausibel.

Wie dem auch sei, mein Haupteinwand war ja, dass sowohl zwei plus zwei als auch vier auch unabhängig davon, was das Prädikat verlangt, Singular sein können, zumindest klingen die einschlägigen Sätze für mich einwandfrei. Und oft einwandfreier als die Alternative, vergleiche nur einmal vier ist das Ergebnis von zwei plus zwei mit ?vier sind das Ergebnis von zwei plus zwei.

Wortklauber

Zitat von: Kilian in 2013-02-17, 02:25:34
vergleiche nur einmal vier ist das Ergebnis von zwei plus zwei mit ?vier sind das Ergebnis von zwei plus zwei.

Höchst merkwürdig, ja. Das hängt aber anscheinend nicht von der Frage ab, ob wir ,,vier" als Singular oder Plural auffassen, denn im Fall eindeutiger Pluralwörter ist hier ebenfalls eher der Singular richtig:

Vier Tonnen ist das Ergebnis von von zwei Tonnen plus zwei Tonnen.

Vier Tonnen ist mehr als zwei Tonnen.

Dennoch: Soviel Sand können wir niemals mit unserem Auto transportieren! Das sind vier Tonnen!

(Ich denke in keinem der Fälle an Regentonnen, sondern an die Gewichtseinheit.)

Wortklauber

Über eine generellere Verwendung singulärer Mehrzahlen und pluräler Einzahlen sollte man im Neutschen vielleicht auch einmal nachdenken. Ich denke da an etwas ähnliches wie das Zählen von pluralen Tanten im Lateinischen:

unae litterae ein Brief
binae litterae zwei Briefe

Wenn zum Beispiel die einen Leute zum einen Eingang und die anderen Leute zum anderen Eingang hereinkommen, sind im Endeffekt zweie Leute in Haus, aber wenn die einen Leute in den ersten Stock und die anderen Leute in den zweiten Stock gehen, sind zwar auch im Haus zweie Leute, aber in jedem Stockwerk nur jeweils einee (sprich: eine-e) Leute. Oder wenn jemand zwei Skatblätter und einen Satz Doppelkopfkarten im Gepäck hat, hat er eben dreie Spielkarten mit (und zwar nicht dreierlei, sondern nur zweierlei Karten, nämlich zweie Skatkarten und einee Doppelkopfkarten).

Gewissermaßen umgekehrt verhält sich das Problem, wenn man von Musikstücken für einee Spieler spräche, da in dem Fall nicht von einem Ensemble die Rede ist, sondern von vielen 'Ensembles', die aber nur je einen Spieler enthalten. Von Musikstücken für einen Spieler zu sprechen, wäre zwar standarddeutsch, aber eben doch nicht korrekt, weil die Musikstücke ja keineswegs nur für einen einzigen Spieler komponiert sind.

Atze

Ja nee, is klaa!
Vier Bier und acht Korn bitte, anders is nich auszuhalten.

Kilian

Zitat von: Wortklauber in 2013-02-17, 10:26:00
Zitat von: Kilian in 2013-02-17, 02:25:34
vergleiche nur einmal vier ist das Ergebnis von zwei plus zwei mit ?vier sind das Ergebnis von zwei plus zwei.

Höchst merkwürdig, ja. Das hängt aber anscheinend nicht von der Frage ab, ob wir ,,vier" als Singular oder Plural auffassen, denn im Fall eindeutiger Pluralwörter ist hier ebenfalls eher der Singular richtig:

Vier Tonnen ist das Ergebnis von von zwei Tonnen plus zwei Tonnen.

Vier Tonnen ist mehr als zwei Tonnen.

Dennoch: Soviel Sand können wir niemals mit unserem Auto transportieren! Das sind vier Tonnen!

In den ersten beiden Fällen scheint Vier Tonnen im syntaktischen Kontext tatsächlich als Singular zu fungieren. Vergleiche mal mit diesem Satz: Sein "höchstens drei Leute" war etwas optimistisch. Auch hier haben wir eine pluralische Nominalphrase, die aber nicht als solche in den Satzzusammenhang einfließt, sondern als Zitat. Vom einen wird sie in das andere durch eine Konstruktion verwandelt, die an den Anführungszeichen sichtbar wird. Bei vier Tonnen scheint mir eine ähnliche Konstruktion am Werk, die allerdings keine Satzzeichen hat. Sie verwandelt die pluralische Nominalphrase in eine singularische Mengenangabe. Warum es im dritten Satz nicht möglich ist, diese Konstruktion anzuwenden, ist mir allerdings noch schleierhaft.

Wortklauber

Wenn wir uns mal wieder auf die kreativere Sprachebene begeben, können wir ja folgende Sätze ins neutsche Passiv setzen:

Der Mann wiegt 80 Kilo.
80 Kilo wird/werden (ist/sind) von dem Mann gewogen.

Die Rennbahn ist 100 Meter lang.
100 Meter wird/werden (ist/sind) von der Rennbahn lang gewesen.

Die Sendung dauert 55 Minuten.
55 Minuten wird/werden (ist/sind) von der Sendung geduren.

Die Packung kostet vier Euro.
Vier Euro wird/werden (ist/sind) von der Packung gekosten.

36 Euro Lohn entspricht/entsprechen 4 Arbeitsstunden.
4 Arbeitsstunden bekommt/bekommen von 36 Euro Lohn entsprochen.

Sind hier nun die Singular- oder die Pluralformen anner gebracht?