"ward", "wurde" und der Konjunktiv II

Begonnen von Ly, 2005-06-01, 22:15:32

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Ly

Wie allseits bekannt sein dürfte, ist die heutige Vergangenheitsform des Verbs "werden" "wurde".

Dazu gibt es einen absolut regelmäßigen Konjunktiv, nämlich "würde".

Weiterhin ist bekannt, dass das Pretäritum dieses Verbs vor ein paar hundert Jahren (eher weniger) noch "ward" hieß. Nun meine Frage: War damals der Konjunktiv auch regelmäßig? Wenn ja, hieß es damit "wärde" statt "würde?"

(Wenn nicht, wäre es immer noch eine schöne Stärkungsidee.)
It isn't always how you look. Look at me. I'm handsome like anything, and I haven't got anybody to marry me yet.

caru

meines wissens existieren "wurd(e)" und "ward" schon wenigstens 500 jahre lang nebeneinander ("ward" wird bis in die heutige zeit verwendet, wenn der kontext eine hohe sprachebene erfordert).

ebenso wie von stehen "stund" und "stand". welche der beiden formen länger hält, scheint also nicht vom vokal abzuhängen.

einen konjunktiv "wärd(e)" habe ich noch nie gesehen. die grimms haben ihn auch nicht im wörterbuch. also sehr unwahrscheinlich, daß es den je gegeben hat. jedoch kein grund, ihn nicht zu benutzen.
(\___/)
(>´x´<)
('.')__('.')

Nijntje - de echte nederlandse konijn

Ly

Zitat von: caru in 2005-06-01, 22:24:21
meines wissens existieren "wurd(e)" und "ward" schon wenigstens 500 jahre lang nebeneinander ("ward" wird bis in die heutige zeit verwendet, wenn der kontext eine hohe sprachebene erfordert).

In der Umgangssprache doch aber nicht, oder?
Zitat
ebenso wie von stehen "stund" und "stand". welche der beiden formen länger hält, scheint also nicht vom vokal abzuhängen.

Oder hub und hob, etc. Aber auch hier gibt es eine Form die die Umgangssprache bevorzugt und eine andere, fast ausgestorbene.

Zitat
einen konjunktiv "wärd(e)" habe ich noch nie gesehen. die grimms haben ihn auch nicht im wörterbuch. also sehr unwahrscheinlich, daß es den je gegeben hat. jedoch kein grund, ihn nicht zu benutzen.

werden - ward - wärde - geworden.

Das wäse wunderschön, wärden wir diese Formen einführen. :D
It isn't always how you look. Look at me. I'm handsome like anything, and I haven't got anybody to marry me yet.

MrMagoo

#3
Zitat von: Ly in 2005-06-01, 22:15:32
Wie allseits bekannt sein dürfte, ist die heutige Vergangenheitsform des Verbs "werden" "wurde".

Dazu gibt es einen absolut regelmäßigen Konjunktiv, nämlich "würde".

Weiterhin ist bekannt, dass das Pretäritum dieses Verbs vor ein paar hundert Jahren (eher weniger) noch "ward" hieß. Nun meine Frage: War damals der Konjunktiv auch regelmäßig? Wenn ja, hieß es damit "wärde" statt "würde?"

(Wenn nicht, wäre es immer noch eine schöne Stärkungsidee.)

Da hast Du Dir aber ein besonders übles Verb herausgefischt...  ;D

Bis zum Ende des Mittelhochdeutschen war bei den starken Verben der Singular und der Plural durch eine zusätzliche Ablautstufe getrennt, d.h. die starken Verben (z.B. "reiten"/"helfen")) hatten nicht nur die üblichen 3 Ablautstufen

Infinitiv reiten, Präteritum ritt, Partizip2 geritten
Infinitiv helfen, Präteritum half, Partizip2 geholfen

sondern es gab einen weiteren Vokalwechsel im Präteritum (z.B. mhd. "rîten" (=reiten) und "helfen"):

Inf: rîten, Prät.Sg. reit/ Prät.Pl. ritten, Partizip2 geritten
Inf: helfen, Prät.Sg. half/ Prät.Pl. hulfen, Partizip2 geholfen.

Zum Neuhochdeutschen hin ist dieser Vokalwechsel bei den Verben ausgeglichen worden - das konnte in verschiedene Richtungen passieren:
Entweder wurde der Stammvokal des Singulars an den Plural angeglichen (wie bei "reiten": ich ritt/ wir ritten), oder der Stammvokal des Plurals wurde an den Singular angeglichen (wie bei "helfen": ich half/ wir halfen).

Der Konjunktiv wurde ursprünglich von den Pluralformen abgeleitet - wenn möglich, dann mit Umlaut. Somit ist die Form "hülfe" die ursprünglich richtige Form. Analog zu den einheitlichen Präteritumvokalen ist aber manchmal auch ein neuer Konjunktiv gebildet worden ("ich hälfe", weil das a auch in den Plural drang: wir halfen), in einigen Fällen ist die ursprüngliche Form aber auch ganz weggefallen (z.B. "ich zöge" -> eigentlich richtig wäre: "ich züge").

Das Präteritum von "werden" ist eine besondere Form: Eigentlich müßte das Präteritum "ward" lauten, oder - mit Vokalausgleich zum Plural - "wurd". (Der Konjunktiv ist ganz regelmäßig von der Pluralform mit "u" gebildet). Zusätzlich hat "wurd" aber ein "-e" angehängt, das aus frühneuhochdeutscher Zeit stammt: In dieser Zeit gab es häufig "verschlimmbesserte" Formen: ich sahe, ich warfe, ich floge, etc., die aber später wieder weggefallen sind. Nur "wurde" hat als einziges Verb diese Endung noch bis heute.

Da "wurde" gegenüber "ward" vorherrschend wurde, wäre ein Konjunktiv "wärde" ziemlich schwierig abzuleiten gewesen und da "ward" heute nur noch poetisch gebraucht wird, hat sich "würde" als einzige Form durchsetzen können.


Zu stehen:
Woher das "a" im Präteritum stammt, wäre interessant herauszufinden.
Der eigentliche Präteritumvokal ist "u", sowohl im Singular als auch im Plural (mhd: ich stuont/ wir stuonden), daher die Konjunktivform "ich stünde".
"Ich stände" ist von den neueren Formen mit "a" im Präteritum abgeleitet.


Wenn also der Vokal des Konjunktivs nicht mit dem des Präteritums Indikativ übereinstimmt, dann ist es meist der alte Pluralvokal des Präteritums.
Wâ mag ich mich nu vinden? wâ mac ich mich nu suochen, wâ? nu bin ich hie und bin ouch dâ und enbin doch weder dâ noch hie. wer wart ouch sus verirret ie? wer wart ie sus zerteilet mê?
(Gottfried von Straßburg)

MrMagoo

#4
Übrigens: Um euch mal die Vokalvielfalt eines mittelhochdeutschen Verbs zu zeigen, konjugiere ich mal "helfen" durch:

Infinitiv: helfen

Präsens ---------- Präteritum ---------- Konjunktiv2

ich hilfe ----------- ich half -------------- ich hülfe
dû hilfest --------- dû hülfe ------------ dû hülfest
er hilfet ----------- er half --------------- er hülfe
wir helfen -------- wir hulfen ----------- wir hülfen
ir helfet ----------- ir hulfet -------------- ir hülfet
si helfent --------- si hulfen ------------- si hülfen

Partizip2: geholfen

a = Präteritum Singular
e = Infinitiv, Präsens Plural
i = Präsens Singular
o = Partizip2
u = Präteritum Plural
ü = 2. Ps. Sg. Präteritum, Konjunktiv Präteritum

(Nur das ä und das ö fehlen  ;D)
Wâ mag ich mich nu vinden? wâ mac ich mich nu suochen, wâ? nu bin ich hie und bin ouch dâ und enbin doch weder dâ noch hie. wer wart ouch sus verirret ie? wer wart ie sus zerteilet mê?
(Gottfried von Straßburg)

Ly

Zitat von: MrMagoo in 2005-06-02, 18:33:56
Übrigens: Um euch mal die Vokalvielfalt eines mittelhochdeutschen Verbs zu zeigen, konjugiere ich mal "helfen" durch:

Infinitiv: helfen

Präsens ---------- Präteritum ---------- Konjunktiv2

ich hilfe ----------- ich half -------------- ich hülfe
dû hilfest --------- dû hülfe ------------ dû hülfest
er hilfet ----------- er half --------------- er hülfe
wir helfen -------- wir hulfen ----------- wir hülfen
ir helfet ----------- ir hulfet -------------- ir hülfet
si helfent --------- si hulfen ------------- si hülfen

Partizip2: geholfen

a = Präteritum Singular
e = Infinitiv, Präsens Plural
i = Präsens Singular
o = Partizip2
u = Präteritum Plural
ü = 2. Ps. Sg. Präteritum, Konjunktiv Präteritum

(Nur das ä und das ö fehlen  ;D)

Wunderhübsch. Vor allem die -ent-Endung. ;D
It isn't always how you look. Look at me. I'm handsome like anything, and I haven't got anybody to marry me yet.

MrMagoo

Zitat von: Ly in 2005-06-02, 22:28:10
Wunderhübsch. Vor allem die -ent-Endung. ;D

Immer etwas besonderes für diejenigen, die Latein hatten, nicht wahr?!  ;D ;D
Wâ mag ich mich nu vinden? wâ mac ich mich nu suochen, wâ? nu bin ich hie und bin ouch dâ und enbin doch weder dâ noch hie. wer wart ouch sus verirret ie? wer wart ie sus zerteilet mê?
(Gottfried von Straßburg)

Ly

Zitat von: MrMagoo in 2005-06-02, 23:29:51
Zitat von: Ly in 2005-06-02, 22:28:10
Wunderhübsch. Vor allem die -ent-Endung. ;D

Immer etwas besonderes für diejenigen, die Latein hatten, nicht wahr?!  ;D ;D

Hab' ich nicht. Aber ch finde Latein toll. ;D

Sie sind ist auch sowas, oder?

sim, sis, sit, simus, sitis, sint...
It isn't always how you look. Look at me. I'm handsome like anything, and I haven't got anybody to marry me yet.

MrMagoo

Zitat von: Ly in 2005-06-03, 14:28:52
Zitat von: MrMagoo in 2005-06-02, 23:29:51
Zitat von: Ly in 2005-06-02, 22:28:10
Wunderhübsch. Vor allem die -ent-Endung. ;D

Immer etwas besonderes für diejenigen, die Latein hatten, nicht wahr?!  ;D ;D

Hab' ich nicht. Aber ch finde Latein toll. ;D

Sie sind ist auch sowas, oder?

sim, sis, sit, simus, sitis, sint...

Ich hatte auch kein Latein (auf der Realschule gab's das nicht, sonst hätt ich's sicher genommen).

Und ja, "sind" ist im Deutschen die einzige Form, in der die alte "-ent"-Endung erhalten ist - sie ist hier zudem in die 1. Ps. Pl. geschwappt: "wir sind", denn eigentlich müßte es "wir sein" heißen - und das wiederum gibt's noch in den süddeutschen Dialekten ("mir sein, san, ...").

Unglaublich, welch Formenvielfalt sich das Deutsche noch immer bewahrt.  ;D
Wâ mag ich mich nu vinden? wâ mac ich mich nu suochen, wâ? nu bin ich hie und bin ouch dâ und enbin doch weder dâ noch hie. wer wart ouch sus verirret ie? wer wart ie sus zerteilet mê?
(Gottfried von Straßburg)

gehabt gehabt

Faellt ein schwaebisches Ehepaar in eine Gletschespalte. Nach einiger Zeit kommt ein Rettungshubschrauber und ein Sanitaeter ruft per Megafon: "Hier ist das Rote Kreuz". Ruft die Frau zurueck: "Mir habent scho gegebe".


Ich bin mir aber nicht sicher, ob es tatsaechlich sokonjugoren wird. Ist jemand des schwaebischen maechtig und kanns mir durchkonjugieren?

Ly

#10
Zitat von: gehabt gehabt in 2005-06-04, 08:13:15
Faellt ein schwaebisches Ehepaar in eine Gletschespalte. Nach einiger Zeit kommt ein Rettungshubschrauber und ein Sanitaeter ruft per Megafon: "Hier ist das Rote Kreuz". Ruft die Frau zurueck: "Mir habent scho gegebe".


Ich bin mir aber nicht sicher, ob es tatsaechlich sokonjugoren wird. Ist jemand des schwaebischen maechtig und kanns mir durchkonjugieren?

Meinst du jetzt haben oder sein? ;D

Sein:
i ben (oder be, aber die Form ist am aussterben. So schön Englisch ;D)
(du) bisch (Das du wird meistens weggelassen)
der/die/des isch
mir sen(d)
ihr sen(d)
die sen(d)

Haben:
i han (ich meine, das hätte es auf mittelhochdeutsch auch so gegeben)
du hasch
der/die/des hat
mir hen(d)
ihr hen(d)
die hen(d)

Da ist wieder unsere schöne -ent-Endung, aber leider nur regional verbreitet.
It isn't always how you look. Look at me. I'm handsome like anything, and I haven't got anybody to marry me yet.

Gert

Zitat von: MrMagoo in 2005-06-02, 18:33:56
Übrigens: Um euch mal die Vokalvielfalt eines mittelhochdeutschen Verbs zu zeigen, konjugiere ich mal "helfen" durch:

Infinitiv: helfen

Präsens ---------- Präteritum ---------- Konjunktiv2

ich hilfe ----------- ich half -------------- ich hülfe
dû hilfest --------- dû hülfe ------------ dû hülfest
er hilfet ----------- er half --------------- er hülfe
wir helfen -------- wir hulfen ----------- wir hülfen
ir helfet ----------- ir hulfet -------------- ir hülfet
si helfent --------- si hulfen ------------- si hülfen

Partizip2: geholfen

a = Präteritum Singular
e = Infinitiv, Präsens Plural
i = Präsens Singular
o = Partizip2
u = Präteritum Plural
ü = 2. Ps. Sg. Präteritum, Konjunktiv Präteritum

(Nur das ä und das ö fehlen  ;D)

Was? Ich hilfe dir gerne dabei, es herauszufunden. Oder wie? Also bitte, das geht ja wohl jetzt nicht. Tut mir leid, wenn ich da nicht richtig durchblicke. Zugegeben, helfen ist schwer im Konjunktiv, aber bitte, kann das jemand aufklären, etwas näher am Sprachgefühl dran...

Kilian

#12
Nur die Ruhe, das ist Mittelhochdeutsch - nicht, was man heute noch beherrschen müsste. :)