Sprachliche Geschlechtergerechtigkeit

Begonnen von Homer, 2015-05-03, 11:07:15

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Kilian

Ad Rollenstereotype durch Sprache verstärken/ihnen entgegenwirken durch Sprache:

Zitat von: Homer in 2015-06-13, 18:43:04Das sind Effekte, die es gibt, die man aber nicht durch dirigistische Eingriffe in das Sprachsystem beseitigt.

Aber man kann ihnen durch einen bewussten Sprachgebrauch entgegenwirken, und um nichts anderes geht es Vervecken und Stefanowitsch. Behaupte ich mal.

Kilian

#46
Zu den möglicherweise beleidigten Linguistinnen:

Zitat von: Homer in 2015-06-13, 18:43:04Wobei sich in diesem Fall die Unsicherheit eher zugunsten der Linguistinnen auswirkt, die nicht sicher davon ausgehen können, dass sie beleidigt worden sind.

Inwiefern ist das ein Vorteil für die Linguistinnen? ??? Ich sähe das eher als Nachteil: Möglicherweise beleidigt worden zu sein und noch nicht einmal zu wissen, ob man wirklich gemeint war. Wie fies.

Kilian

#47
Zitat von: Homer in 2015-06-14, 15:51:45Ich verstehe immer weniger, worauf Du hinauswillst.

Ich versuche hier zu zeigen, dass deine Kritik an Verveckens Studie und Stefanowitschs Bericht darüber weitgehend unberechtigt ist.

ZitatEs ist hingegen ein Dogma der feministischen Linguistik, dass sie grundsätzlich problematisch sind. Das kannst du nicht bestreiten.

Doch. Das ist kein Dogma, sondern eine These der feministischen Linguistik. Luise Pusch zum Beispiel bemüht sich z.B. in Das Deutsche als Männersprache darum, sie argumentativ zu belegen. Was meinst du mit "grundsätzlich"? Ich glaube auch nicht, dass alle, die sich als feministische Linguist/inn/en bezeichnen, die starke These vertreten, dass ausnahmslos jede Verwendung des generischen Maskulinums problematisch ist. Ich vertrete diese starke These jedenfalls nicht.

ZitatUnd wo wäre sonst die Notwendigkeit, auf Drängen der entsprechenden Lobby ein Monstrum wie die flächendeckend (also kontextunabhängig) gegenderte StVO zu erschaffen, also einen Text an zahlreichen Stellen umzuschreiben, bei dem Missverständnisse schon qua Textsorte (Gesetze gelten immer für alle Geschlechter, sofern nicht Geschlecht deren Thema ist, und alle Frauen wissen das) vollkommen ausgeschlossen sind?

Die Notwendigkeit mag sich z.B. aus dem Wunsch nach einer konsistenten sprachlichen Gestaltung von juristischen Dokumenten speisen, einfache Regeln befolgend, statt für jeden Zusammenhang - zugespitzt gesagt - ein Gutachten einzuholen, ob Gendern erforderlich ist oder nicht.

Sag bitte nicht, dass Gesetzestexte Meisterwerke sprachlicher Schönheit sind, die durch das Gendern verdorben werden! :D

ZitatWürde mich freuen, wenn es so wäre. Dann würden sie sich allerdings weit von dem entsprechenden feministischen Dogma entfernen.

Mit anderen Worten, du siehst ein, dass du eine Strohfrau angegriffen hast? ;D

Kilian

Zitat von: Homer in 2015-06-14, 15:51:45Die wissenschaftliche Methodik in den eher sprachsystematischen Bereichen der Sprachwissenschaft, die nicht an der Grenze zu den Sozialwissenschaften stehen, ist eine andere. Wie auch in der Literaturwissenschaft spielen dort "empirische" Studien mit Probanden, Statistik usw. fast keine Rolle, weil sie schlicht nichts zur Erkenntnis in diesen Feldern beitragen könnten. Zählen und Messen spielen bei der sauberen Kategorienbildung eben keine große Rolle.

Ich bin ein großer Fan von sauberer Kategorienbildung, aber sie reicht halt nicht aus, um fundierte Aussagen über die tatsächlichen Auswirkungen eines bestimmten Sprachgebrauchs zu treffen.

Kilian

#49
Zitat von: Homer in 2015-06-14, 15:51:45
Zitat von: Kilian in 2015-06-13, 11:11:40
Es geht um männliche vs. "geschlechtergerechte" Formen. Wo steht, dass die untersuchten männlichen Formen generisch sein sollten?

Überall, hier z.B.: "Soweit bestätigt das Experiment aus linguistischer Perspektive auf eine sehr interessante Weise den semantischen Effekt des generischen Maskulinums – dies wird offensichtlich als ,,männlich" interpretiert" (KK). Das ist das Thema der Studie, wie kommst Du darauf, das zu bestreiten? Die eine Gruppe der Kinder wird nach "geschlechtergerecht" bezeichneten Berufen gefragt, die andere nach "männlich" bezeichneten. In der Sache ist mit den Berufen in beiden Fällen dasselbe gemeint, Frauen wie Männer können sie ausüben, nur die sprachliche Bezeichnung ist verschieden. Die dahinterstehende Frage, inwieweit sich auch Mädchen vom Maskulinum angesprochen fühlen, ist nichts anderes als die nach dem generischen Maskulinum, auch wenn vielleicht dieser Terminus mangels sprachwissenschaftlicher Kenntnisse von den Psychologen nicht verwendet wird (in der Pressemitteilung kommt er nicht vor).

Sehe ich ein. Dann ist die Beimischung von lexikalisch sexusmarkierten Personenbezeichnungen wie Geschäftsmänner und Feuerwehrmänner wohl tatsächlich als Fehler der Studie zu sehen.

Kilian

Zitat von: Homer in 2015-06-14, 15:51:45
Zitat von: Kilian in 2015-06-13, 11:11:40
Denn entweder klärt der weitere Verlauf des Gesprächs oder Nachdenken über den Zusammenhang, welchen Geschlechts die gemeinten Personen sind. In dem Fall besteht aber immer noch eine lokale Ambiguität – eben jene Sekundenbruchteile verzögerter Reaktion, die in psycholinguistischen Experimenten gemessen werden, bzw. das Warten auf die zusätzliche Information.

Daran ist nichts schlimm, s.o.

Naja, es ist im Sinne der Gleichstellung ungünstig, s.o.

Wortklaux

Zitat von: Homer in 2015-06-14, 21:26:38
Die Frage verstehe ich nicht.
Du meinst meine Frage nach dem Vernunftbegriff in "2. Jetzt im Ernst: Niemand wird vernünftigerweise bestreiten wollen, dass Männer und Frauen grundsätzlich gleich starke kognitive Kompetenzen haben.".
Es ist durchaus eine ernstgemeinte Frage. Ich frage mich, warum es vernünftig ist, das nicht bestreiten zu wollen: Gibt es wissenschaftliche, politische oder andere Gründe dafür? Für andere Kompetenzen (z.B. emotionale, körperliche etc.) gilt das ja nicht unbedingt. Warum ist es also unvernünftig, eine solche Ungleichheit auch für kognitive Fähigkeiten zu postulieren? Wäre es z.B. politisch unklug, das zu tun, oder gibt es zwingende wissenschaftliche Argumente, oder gibt es eine dem ,,gesunden Menschenverstand" (was auch immer das sei) unmittelbar einsichtige Tatsache?

Kilian

Zitat von: Homer in 2015-06-14, 15:51:45
Zitat von: Kilian in 2015-06-13, 11:11:40
Z.B.: "Ich werde mich mit meinen Anwälten besprechen."

Auch wenn das generisch gemeint war, stellt die Gesprächspartnerin sich jetzt möglicherweise ein rein männliches Team vor. Du kannst natürlich sagen, dass dieses im Kontext von sprachlicher Kommunikation auftretende Phänomen lediglich ein Symptom der gesellschaftlichen Verhältnisse ist. Aber die Studie von Vervecken legt nahe, dass dieses Symptom wiederum dazu beiträgt, das Übel zu verstärken, weil, wenn Frauen sich immer nur Männer in einem Beruf vorstellen, sie womöglich davon abkommen, sich für diesen Beruf zu entscheiden.

Ich wundere mich immer wieder von neuem darüber, wie wenig Feministinnen von Frauen halten. Frauen ergreifen bestimmte Berufe eventuell weniger, weil sie im generischen Maskulinum der Berufsbezeichnung "nur" mitgemeint sind?

Was hat das Vertreten solcher Thesen damit zu tun, wenig von Frauen zu halten?

ZitatIch möchte wissen, ob dieser Effekt, auch nur als Rollenstereotype verstärkend, irgendwie messbar ist.

Es gibt natürlich einen Unterschied zwischen kurzfristigen "Priming"-Effekten, die sich in solchen psychologischen Studien leicht messen lassen, und langfristigen Effekten, bei denen ein solcher Nachweis sehr schwierig wäre. Natürlich glaube ich nicht, dass gegenderte Personenbezeichnungen der einzige Faktor sind, der z.B. Geschlechtsungleichgewichte im Berufsleben stabilisiert. Aber es scheint mir schon plausibel, dass Sprachgebrauch einer von mehreren guten Ansatzpunkten ist, um hier langfristig etwas zu verbessern. Auch dadurch, dass er nicht nur auf der Sachebene, sondern auch auf der Selbstkundgabeebene/Appellseite von Äußerungen Auswirkungen hat.

Ein Ansatz zu einer Diskussion über mögliche langfristige Effekte gegenderter Personenbezeichnungen findet sich hier: http://www.sprachlog.de/2015/06/09/geschlechtergerechte-sprache-und-lebensentscheidungen/#comment-1464669

Kilian

Zitat von: Homer in 2015-06-14, 15:51:45Aber ich will nicht unnötig unfair sein: Da die Fragestellung hier den Bereich verlässt, in dem die Frage allein ist, ob es sich bei der feministischen Linguistik um gute Wissenschaft handelt (Antwort: nein, es handelt sich, zumindest in der radikalen Form, entweder um grotesk schlechte Wissenschaft oder um gar keine), und in die Frage übergeht, wie wir gesellschaftlich miteinander umgehen wollen

Um genau diese Frage ging es m.E. eigentlich von Anfang an, hier angesichts bestimmter Erkenntnisse aus der Psychologie.

Kilian

Zitat von: Homer in 2015-06-14, 15:51:45
Zitat von: Kilian in 2015-06-13, 11:11:40
Z.B.: "Ich werde mich mit meinen Anwälten besprechen."

Auch wenn das generisch gemeint war, stellt die Gesprächspartnerin sich jetzt möglicherweise ein rein männliches Team vor. Du kannst natürlich sagen, dass dieses im Kontext von sprachlicher Kommunikation auftretende Phänomen lediglich ein Symptom der gesellschaftlichen Verhältnisse ist. Aber die Studie von Vervecken legt nahe, dass dieses Symptom wiederum dazu beiträgt, das Übel zu verstärken, weil, wenn Frauen sich immer nur Männer in einem Beruf vorstellen, sie womöglich davon abkommen, sich für diesen Beruf zu entscheiden.

Wenn der obige Satz generisch gemeint war und von der Rezipientin als generisch verstanden wurde, stellt sie sich eben gerade keine Männer vor, sondern abstrahiert völlig vom Geschlecht und denkt nur an "Leute", die den Anwaltsberuf ausüben. Wenn es generisch gemeint war, die Frau es aber nicht so versteht, dann müssen spezifische persönliche oder im Kontext liegende Gründe vorhanden sein, warum die Frau den Begriff "Anwälte" gegen die Intention des Sprechers geschlechtlich auflädt. Das ist ein in der Kommunikation unerwünschter Effekt, aber auch nichts um jeden Preis Vermeidenswertes. Es wird von der Hörerin eine vom Sprecher nicht intendierte Konnotation aktiviert, na und? Das passiert in jeder normalen Unterhaltung dauernd. Dein Beispielsatz ist aber sicher kein politischer oder kommunikativer Hochrisikosatz, Fettnäpfchengefahr sehr gering. Solange der Sprecher keine Gründe kennt, die es bei seiner besonderen Rezipientin ratsam erscheinen lassen zu gendern, drückt der obige Satz das Gemeinte einfach besser (nämlich geschlechtsneutral) und kürzer aus als der gegenderte.

Aber nehmen wir den Satz in "geschlechtergerechter" Sprache: "Ich werde mich mit meinen Anwältinnen und Anwälten besprechen." Im besten Fall begreift die Rezipientin die Doppelnennung einfach als Variante des generischen Maskulinums, obwohl sie das eigentlich nicht ist. Denn die überflüssige doppelte geschlechtliche Markierung kann auch stutzig machen: "Wozu muss ich wissen, dass der Sprecher anwaltlichen Beistand von Männern und Frauen hat. Welches Signal sendet er damit aus?" Wahrscheinlich gar keins, aber in solchen Fällen entsteht jetzt regelmäßig (durch die Markierung bedingt) eine Kognitionslücke, die gewiss nicht kleiner ist als die im Einzelfall auftretende beim generischen Maskulinum. Wobei mir diese Lücke genau so egal ist wie die andere. Beim Kommunizieren gibt es halt hin und wieder was zu denken.

Joah, das sind ein paar recht subjektive ("besser", "mir egal") Argumente für das generische Maskulinum. Das Argument dagegen, das ich genannt habe, wird davon nicht berührt, oder habe ich was verpasst?

Kilian

Zitat von: Homer in 2015-06-14, 15:51:45
Zitat von: Kilian in 2015-06-13, 11:11:40
Natürlich kann sich das mit Meta-Motiven verbinden, z.B. 1) eine Position zu beziehen für geschlechtergerechte Sprache, was auch andere dazu ermutigen soll ("seht her, ich mache mit bei diesen Spiel, tut es mir gleich"), 2) sich als "Ally" profilieren ("seht her, ich mache mit bei diesem Spiel, ich bin toll") usw.

Das halte ich auch für einen interessanten Aspekt, wie Du weißt. Weißt Du, ob dazu schon mal jemand was geschrieben hat?

Da fällt mir jetzt nur ein kritischer Essay zu einem verwandten Thema, nämlich "Privilegiengeständniskultur", ein, der mir mal untergekommen ist: https://andrea366.wordpress.com/2013/08/14/the-problem-with-privilege-by-andrea-smith/

Kilian

Zitat von: Homer in 2015-06-14, 20:21:14
Die Sprachwissenschaft, die ich meine und die für die Frage nach den Leistungen des generischen Maskulinums zuständig ist, "designt" aus guten Gründen keine "Experimente", sondern wertet Corpora aus. Man kann schon irgendwo auf den ersten Seiten in Saussures Cours nachlesen, dass bei Fragen des Sprachsystems keine psychologischen Überlegungen weiterhelfen.

Dass du der Psycholinguistik jede Zuständigkeit für die Frage nach den Leistungen des generischen Maskulinums absprichst, finde ich ganz schön krass. Wie in aller Welt kommst du denn zu dem Statement?

Das mit Saussure interessiert mich. Kannst du genauer sagen, welche Passagen du meinst?

Kilian

Zitat von: Homer in 2015-06-14, 20:21:14
Zitat von: Kilian in 2015-06-11, 20:18:58
Weil, dass der Sprachgebrauch (das Vokabular ist eher der langue zuzuordnen, oder?) die Wahrnehmung der Wirklichkeit bei denen mitprägt, hat die Studie ja gezeigt.

Glaubt sie vielleicht gezeigt zu haben, hat sie aber nicht. Ich habe sie jetzt online einsehen können. Sie ist linguistisch völlig unbedarft. Außer der Differenzierung in "pair forms" und "generic masculine forms" findet keine weitere sprachwissenschaftliche Grundlegung oder Differenzierung statt. Auch wird nicht diskutiert – was ich unbedingt erwartet hätte –, was die Abstraktionsleistung, die bei der Wahrnehmung des generischen Maskulinums zu erbringen ist, in dem Alter, in dem die Kinder sind, in Relation zu ihren altersgemäßen Abstraktionsfähigkeiten bedeutet und ob da nicht erhebliche Unterschiede zwischen 6- und 12-Jährigen bestehen. So kommt eigentlich nur heraus, dass die Ergebnisse differieren, je nachdem ob man versucht, die Kinder eine Abstraktion vollziehen zu lassen, die sie nur unvollkommen leisten können, oder ob man altersgerecht überexplizit wird. Das ist kein völlig uninteressantes Ergebnis, aber überhaupt keine Bestätigung für irgendeine These der feministischen Linguistik, wie das KK haben will. Ich habe also keine Kinder als Sprecher abgewertet, sondern nur die Verallgemeinerungsfähigkeit der Studie bezweifelt.

Noch einmal: Die Studie hat gezeigt, dass Sprachgebrauch bei 6-12-Jährigen Kindern die Wahrnehmung der Wirklichkeit (zumindest kurzfristig) mitprägt. Wo ist da die unzulässige Verallgemeinerung, die du behauptest? Und selbst wenn das bei Erwachsenen nicht funktionieren sollte, warum sollte sich die Welt nicht dadurch ändern können, dass Kinder sie anders wahrnehmen?

Ad "irgendeine These der feministischen Linguistik, wie KK [du meinst: AS] das haben will": AS erwähnt den Begriff "feministische Linguistik" nicht, da müsstest du jetzt schon konkreter werden.

Kilian

Zitat von: Homer in 2015-06-14, 20:21:14Es wird lediglich die Vermutung ausgesprochen, dass das Verwenden von "pair forms" gegenüber Kindern dieser Altersstufe das Selbstvertrauen insbesondere von Mädchen, männliche Berufe ergreifen zu können, künftig steigern könnte. Das ist ein eigenartiger Gedanke. Warum kommt man nicht auf das viel näher Liegende? Nicht ein niedrigeres Selbstvertrauen wird durch Gendern gesteigert, sondern das bereits vorhandene höhere Selbstvertrauen wird altersgerecht nur durch die expliziteren und damit verständlicheren Formen voll aktiviert. Effektiv kommt das auf dasselbe hinaus, gewiss, aber man braucht dann nicht die a priori unwahrscheinliche These, dass mit Sprache die Welt zu ändern ist.

Ist nicht auch das "volle Aktivieren" durch Verwenden bestimmter Formen eine Art und Weise, die Welt durch einen bestimmten Sprachgebrauch zu ändern?

Kilian

Zitat von: Homer in 2015-06-14, 20:21:14
Zitat von: Kilian in 2015-06-11, 20:18:58
Bei der Euphemismus-Tretmühle geht es um negativ konnotierte Begriffe, was hat das mit unserem Thema hier zu tun?

Eine ganze Menge. Da wir hier nicht über semantische, sondern über morphosemantische Fragen sprechen, könnte man auch einen neuen Terminus erfinden, aber wozu? Der Mechanismus ist derselbe: Man kann vermuten, dass etwa nominalisierte Formen wie Studierende mit der Zeit dazu neigen werden, wiederum eher männlich belegt zu werden: "Die Frage ist, ob die Pluralformen der nominalisierten Adjektive und der Pronomen wirklich so sexusneutral sind, wie sie scheinen. Es gibt Anzeichen dafür, dass es eine verstärkte Tendenz gibt, solche Pluralformen einseitig auf die maskulinen Singulare zu beziehen, die sowohl sexusindifferent als auch sexusspezifisch verwendet werden kön‐ nen" (Peter Gallmann, 2014).

Das ist ein wirklich interessanter Gedanke. Schade, dass Gallmann verschweigt, was das für Anzeichen sind.

ZitatDa aber die Euphemismus-Tretmühle, egal, wie Du sie definierst, auf jeden Fall im Lexikon wirkt, und hier klar ist, dass negative gesellschaftliche Verhältnisse gezielte Spracheingriffe, die zu ihrer Veränderung beitragen sollen, mühelos überleben, ist nicht einzusehen, warum es beim generischen Maskulinum andersherum sein soll.

Dass gesellschaftliche Verhältnisse sich selten oder nie durch Änderungen im Sprachgebrauch allein ändern, glaube ich auch. Dass die Euphemismus-Tretmühle diese Unmöglichkeit beweise, wie du implizierst, stimmt allerdings nicht: sie ist ein sehr spezifisches Phänomen. Daraus, dass das Ersetzen von negativ konnotierten Wörtern in allen Kontexten durch andere Wörter das Problem nicht löst, folgt nicht, dass z.B. das overte Differenzieren zwischen rein männlichen und beliebiggeschlechtlichen Personenkreisen kein Problem löst.