warum ist Sprache komplex?

Begonnen von gehabt gehabt, 2004-12-29, 23:03:42

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Kilian

??? Warum denn so aggressiv, amarillo? Ob Arnymenos für "ein absolut gleichbedeutendes und gleichverwendbares Wort" nun den Begriff echtes Synonym definiert oder irgendeinen anderen, ist doch nicht wichtig, solange er es deutlich macht. Und es hat auch keinen Einfluss auf den Wahrheitsgehalt der These, die er hier dargestellt hat. Es ist nur eine Benennungsfrage.

gehabt gehabt

Dass alle Sprachen gleich komplex sind, ist leicht dahingesagt, aber ich glaube es erstens nicht und zweitens schuldet derjenige, der solch eine These aufstellt, den Beweis.

Auch dass in der deutschen Sprache kein uebrfluessiges Wort ist, glaube ich nicht. Mir wuerde zwar das Herz bluten, aber sonst passoere nichts wenn man 20% unbenutzte Woerter aus dem Grimmschen Woerterbuch rausnimmt.

Auch bezueglich der Lautvielfalt steht der Beweis aus.

Warum hat man sich eigentlich Esperanto ausgedacht, wenn Mandarin genau so einfach ist.


amarillo

Erster Ordnungsruf? Akzeptoren!

Eher verschlucke ich einen Hammer, als daß ich mich entschuldige.

Aber natürlich hast Du recht, soll doch jeder so definieren, wie es ihm Spaß macht und er es für seine Thesen braucht. Solange es in der Linguistik bleibt, ist es wahrlich harmlos. Ich stelle mir das nur gerade für die Justitia vor - bonne nuit, messieurs!

Ich hatte es an anderer Stelle bereits zitoren: wenn die Realität nicht zur These paßt, muß man sich halt die Realität vom Hals schaffen. Und sei es per definitionem

Wenn das die Zukunft wissenschaftlichen Arbeitens ist, dann wird es für mich allerhöchste Zeit, meinen Abschied einzureichen. Ich lebe nämlich bislang noch in der Wahnvorstellung, daß die "Sophia" nichts anderem, als dem Wahren verpflichtet ist.  Aber vielleicht stimmt meine Definition des "Wahren" ja nicht.


Das Leben strebt mit Urgewalt nach Entstehung und Musik.

gehabt gehabt

Wenn man pingelig ist, so ist nicht einmal "Hund" zu "Hund" synonym, weil es fuer mich ein anarchistischer Retriever ist und fuer meinen Nachbarn ein hysterischer Dackel.

amarillo

Ich danke Dir, gehabt haben.

Und, Geschichte gelesen?
Das Leben strebt mit Urgewalt nach Entstehung und Musik.

Kilian

Zitat von: amarillo in 2005-02-12, 09:16:10Erster Ordnungsruf? Akzeptoren!

Nö, kein Ordnungsruf. Ich verstehe nur schlicht und einfach nicht, warum dich Arnymenos' Ausführungen derart unwissenschaftlich und unsinnig dünken, dass du ihn so angreifst. Er betrachtet die Komplexitätsfrage halt in einem hier neuen Licht, und, wie ich finde, plausibel. Es geht dir doch wohl nicht um die Frage, wie weit man den Begriff Synonym fassen soll, oder? Davon bleibt die Realität nämlich unbeeinflusst, es ist nur - eine - Sprachregelung!

Zitat von: gehabt gehabt in 2005-02-12, 09:09:36Warum hat man sich eigentlich Esperanto ausgedacht, wenn Mandarin genau so einfach ist.

Ich glaube, ihr redet aneinander vorbei. Arnymenos meinte, dass jede Sprache gleich mächtig sei und gleich viel ausdrücken könne, nicht den Schwierigkeitsgrad. Habe ich Recht?

Eine Sache, Arnymenos, interessiert mich gerade besonders:

Zitat von: Arnymenos in 2005-02-11, 15:21:45Jeder Mensch hat den gleichen Sprachapparat. Nach meiner Lieblingstheorie, der Optimalitaetstheorie, kann man auch gar nicht sinnvoll aussagen, dass eine Sprache "phonetisch komplizierter" sei als eine andere.

Kannst du das genauer erklären?

amarillo

Zitat von: Kilian in 2005-02-12, 09:50:46
Es geht dir doch wohl nicht um die Frage, wie weit man den Begriff Synonym fassen soll, oder? Davon bleibt die Realität nämlich unbeeinflusst, es ist nur - eine - Sprachregelung!

Doch doch, darum geht es. Eine Sprachregelung, die dem zu Nutzen ist, der sich ihrer - für seine Zwecke - zu bedienen weiß.

Mir fällt dazu eine amerikanische Filmschmonzette ein. Hier ging es darum, in unberührter Natur eine Aluminiumhütte zu errichten. Auf die Einwände der Anwohner hin, daß dies doch gewaltige Umweltschäden mit sich brächte, wurden erst einmal die Begriffe "Umwelt und "Schaden" neu definiert.
Und siehe da, am Schluß stellte sich heraus, daß es für die Natur eigentlich nichts Besseres und Gesünderes gibt, als Aluminiumhütten.

Total überspitzt, ich weiß.
Das Leben strebt mit Urgewalt nach Entstehung und Musik.

Kilian

Allerdings überspitzt, und meilenweit von dem Fall hier entfernt. Arnymenos hat hinreichend deutlich gemacht, dass er nur sagen wollte, nach der von ihm dargestellten Theorie gebe es im Muttersprachlexikon keine zwei in jedem Kontext frei austauschbaren Wörter. Alles, was du ihm vorwirfst, ist also der Missbrauch des Wortes Synonym dafür? Siehst du darin einen Manipulationsversuch wie in dem Film?

amarillo

Ich habe alles gesagt.

Mein Synonymwörterbuch werde ich zum Altpapier geben, denn muttersprachlich kann ich ohnehin nichts daraus lernen, und darüber hinaus glaube ich sofort wieder den Physikern, die nachgewiesen haben, daß Maikäfer nicht fliegen können. Sollte mir eins der Viecher über den Weg flattern, werde ich "fliegen" neu definieren.
Das Leben strebt mit Urgewalt nach Entstehung und Musik.

amarillo

#54
Mir fällt noch etwas ein, das ich loswerden muß.

In den frühen 60er Jahren nahm unsere Schulklasse am Preisausschreiben eines Schülerkalenders teil. Die Fragen orientierten sich an den Unterrichtsfächern. In der Rubrik Biologie lautete die Frage, welches Lebewesen denn des aufrechten Ganges mächtig sei. Natürlich sollten wir zu dem Ergebnis kommen, daß dies allein dem Menschen vorbehalten sei. Wir schrieben aber Mensch und Pinguin hin.
Die Antwort kam auch postwendend, da man sich wohl Sorgen um unser Weltbild machte. Pinguin war natürlich total falsch, da sich diese Tier "in erster Linie schwimmend durchs Leben" kämpft. Daß das Pinguinmännchen während der Brutphase wochenlang aufrecht stehend an Land verbringt, wurde nicht erwähnt, fiel wahrscheinlich unter Folklore, zumindest paßte es nicht in die vorgegebene These.

Eventuell habe ich damals einen Hau davongetragen; jedenfalls erinnere ich mich, daß ich vor Wut hätte aus der Haut fahren können.

Eine Theorie, die ich momentan nicht widerlegen kann, ist nicht a priori richtig.  Eine These, die zu entkräften man mich aber per definitionem jeglichen Werkzeugs beraubt, kommt mir mehr als verdächtig vor. Nein, eigentlich nicht die arme These, sondern die Werkzeugklauer.

Jetzt habe ich fertig.
Das Leben strebt mit Urgewalt nach Entstehung und Musik.

Kilian

Du verdrehst Arnymenos' Aussagen.

ZitatMein Synonymwörterbuch werde ich zum Altpapier geben, denn muttersprachlich kann ich ohnehin nichts daraus lernen

Hat er gar nicht behauptet. Er sug nur, du werdest darin keine zwei Wörter finden, die in jedem Kontext beliebig austauschbar sind.

ZitatEine These, die zu entkräften man mich aber per definitionem jeglichen Werkzeugs beraubt, kommt mir mehr als verdächtig vor. Nein, eigentlich nicht die arme These, sondern die Werkzeugklauer.

Ist das Wort Synonym in der von dir gebrauchten, weniger strengen Bedeutung ein unentbehrliches Werkzeug für dich, um ggf. die These zu widerlegen? Oder wessen hat er dich sonst beraubt? (Allerdings hat er dich des Wortes gar nicht beraubt.)

Arnymenos

Jetzt hatte ich so einen schoenen Beitrag geschrieben und wegen Autologout war der dann weg...*seufz* Also nochmal von vorn

Zu den Synonymen: Mit der Definition wollen manche Linguisten etwas erklaeren. Soweit ganz sinnvoll, ich fand's nciht schlecht, aber wir brauchen das hier nicht. Amarillo, Du darfst den Begriff Synonym behalten, und ich gebe Dir auch eine nicht bindende Annaeherungsbeschreibung dazu: Zwei Begriffe sind Synonym, wenn sich ihre Bedeutungen soweit ueberlagern, dass man unter ihnen waehlen kann, wobei gegebenenfalls und unter bestimmten Kontexten der eine dem anderen vorzuziehen ist. Die andere Definition brauche ich nicht so dringend.

Ich moechte mich auch entschuldigen. Bei Diskussionen ueber Sprache verfalle ich schnell in Uebereifer.


Dann will ich mal die Aussagen klar voneinander trennen.

Erstens: Sprachen sind gleich maechtig im Ausdruck.

Es wurde im dunkelsten Teil unserer Vergangenheit zwar versucht, schon vorher bestehende Aussagen wie "Das Deutsche ist fuer die Wissenschaft besser geeignet als andere Sprachen" zu verifizieren, mit sehr fraglichem Erfolg. Es laesst sich zwar auf Irisch schlecht ueber Quantenphysik diskutieren, aber das liegt mitnichten in der Ausdruckskraft; es fehlen einfach die Woerter. Die Grosseltern unserer Vorfahren werden ihre Enkel fuer die Verwendung der Begriffe "murus" und "fenestra" im neuen Hausbau schief angesehen haben, aber der bestaendigen Aufnahme neuer Begriffe verdanken wir unseren heutigen Wortschatz. Das Neuerfinden ist oftmals schwieriger und missverstaendlicher als das Uebernehmen. Man koennte ja auch von mehreren Reitern im Blaettererfenster sprechen, von Verweisen und von Faeden (das hab' ich heir schon zweimal geschrieben). Aber in jeder Sprache kann man unter Zuhilfenahme meist englischer Fachwoerter ueber Quanten reden. An mangelnder Komplexitaet scheitert es nicht.


Zweitens: Phonologische Unterschiede.

Die beiden Prinzipien der Optimalitaetstheorie sind Faulheit (technisch "Markiertheit") und der Wunsch nach Ausdruck. Ganz einfach formluliert: Warum schreien, wenn man doch nicht besser verstanden wird? Jeder Laut ist aufwaendig, aber jeder Laut bringt auch neue Moeglichkeiten, Woerter zu unterscheiden. Ein Beispiel: Das "ue" ist die gerundete Version des "i". Lippenrundung ist nun schwieriger als Nicht-Lippenrundung, deswegen erwartet man, dass eine Sprache ein "ue" nur dann hat, wenn sie auch ein "i" hat. Denn sonst wuerde sie fuer den "hohen vorderen Vokal" ja die einfachere Variante, naemlich das ungerundete "i" waehlen. Und das bestaetigen die Sprachen der Welt sehr schoen.
Kurzum, bei jedem Laut muss eine Sprache sich entscheiden: Reinnehmen zur Steigerung der Ausdruckskraft oder einsparen? Das Lautinventar ist damit ein Kompromiss aus den beiden gegenspielenden Kraeften.
So sparen sich viele Sprachen das schwierige "ch". Andere haben nur eine Variante davon, und uns mag es schwierig erscheinen, einen "ach"-Laut hinter einem "i" zu sprechen. Dafuer unterscheiden wir "ich"- und "ach"-Laut, sie sind nicht austauschbar, aber einen Bedeutungsunterschied kodieren sie auch nicht. Zum Beispiel im Irischen (das ich gerade lerne, daher die Beispiele) sind die beiden Laute bedeutungsunterscheidend. Was ist nun schwieriger, was nuetzlicher? Alles hat seine Vor- und Nachteile.


Drittens: Morphologie und Syntax.

Ganz krass ist der Unterschied zwischen isolierenden und agglutinierenden Sprachen. Isolierende machen alles mit Einzelwoertern, agglutienierende und flektierende bauen Funtionen in die Woerter ein. Im Englischen sagt man "to my brother", im Deutschen reicht "meinem Bruder" (ein Wort gespart, dafuer hat man diese leidige Flexion), im Quechua (in Peru) passt das in ein Wort, ebenso wie "wegen meines ehrenwerten Bruders". Zur Begruessung sagt man dort "Rimaykullayki", was soviel bedeutet wie "ich spreche hoeflich zu dir"/"I am talking politely to you". Was ist nun komplizierter? Ein Riesensatz oder ein Riesenwort?

Es gibt hier schon einen gewaltigen Unterschied, aber nur im Zweitspracherwerb. Da lernt man naemlich isolierende Sprachen viel einfacher. Die ersten Lektionen Japanisch sind total einfach, alles geh ueber die Satzstellung und Partikel mit klaren Bedeutungen, aber dann erweist sich, dass man "haette weggehen koennen muessen" ein Wort ist. An der Stelle habe ich das Lernen aufgegeben.
Das Englische ist auf den ersten Blick auch sehr einfach. Aber dann gibt es Saetze wie "what I saw was a bird", die der Linguist "pseudo-cleft" nennt. Da zeigt das Englische sein wahres Gesicht, wenn man ein wenig an der starren Satzstellung veraendern will. Im Deutschen nehmen wir dafuer Kasuesse doch gerne in Kauf. Waehrend das Hochdeutsche zum Perfekt an Stelle des Imperfekts und zur Verregelmaessigung tendiert, steht die GSV fuer das Gegenteil. Und im Irischen raet man den Lernenden, alles mit "sein + Verbalsubstaniv" zu konstruieren, weil man dann nur die Formen des Hilfsverbs lernen muss, und nicht die Verbalflexion. Zum Lernen allemal leichter, aber nach diesem leichten Einstieg wird's happig. Deswegen vermute ich ja auch, dass man es sich in jeder Sprache so kompliziert machen kann, wie man will. Die Moeglichkeiten sind gegeben.

Das war jetzt die stark gekuerzte Fassung meines vorhin verschuett gegangenen Textes. Noch mal eine Entschuldigung an alle, denen ich auf den Schlips trat. Ich freue mich auf die Diskussion. Ich habe viele Gegenstandpunkte unter den Tisch fallen lassen, und die duerft ihr gerne vorstellen; ich rede sie euch nicht aus, sondern lerne daraus.

Kilian

Zitat von: Arnymenos in 2005-02-12, 13:00:32deswegen erwartet man, dass eine Sprache ein "ue" nur dann hat, wenn sie auch ein "i" hat. Denn sonst wuerde sie fuer den "hohen vorderen Vokal" ja die einfachere Variante, naemlich das ungerundete "i" waehlen. Und das bestaetigen die Sprachen der Welt sehr schoen.

Aber kann man dann nicht trotzdem sinnvoll aussagen, z.B. eine Sprache, die das i und das ü hat, sei in dieser Beziehung phonetisch komplexer als eine Sprache, die nur das i hat?

Arnymenos

Zitat von: Kilian in 2005-02-12, 13:35:58
Aber kann man dann nicht trotzdem sinnvoll aussagen, z.B. eine Sprache, die das i und das ü hat, sei in dieser Beziehung phonetisch komplexer als eine Sprache, die nur das i hat?

Ja, kann man.

Sprich mal "schwimmen". "sch", "w" und "m" sind gerundet, da sagt so mancher in schneller Umgangssprache schonmal "schwuemmen". Oder versuche, das "i" ganz deutlich auszusprechen.
Was ich damit sagen will: Sprachen, die das "ue" nicht vom "i" unterscheiden, kriegen es ueber eine Hintertuer eventuell doch wieder rein, und dann muss man die Verteilungsregel (wie zwischen "ich" und "ach") lernen. Diese Regeln machen die an sich einfach aussehenden Sprachen dann doch wieder schwierig.

Phonemisch kann eine Sprache viel einfacher sein als eine andere. Zum Beispiel ist das "ch" ein Phonem, das aber zwei "Allophone" hat. Also kein phonemischer, sondern ein phonetischer Unterschied. Zwischen den Phonemen und dem, was man wirklich spricht, vermitteln die Ausspracheregeln. Was eine Sprache am Inventar spart, kann sich ueber komplexe Regeln durchaus raechen.

Deswegen finde ich es so schwierig, die Komplexitaet zweier Sprachen zu vergleichen.

gehabt gehabt

Fuer mich sind folgende Woerter immer gleich bedeutend

Samstag  Sonnabend
ausgezeichnet   hervorragend

(als Adjektive nicht als
Partizipien: hol mal die Heckenschere ich muss ein paar hervorragende Zeige abschneiden, der mit dem Nobelpreis ausgezeichnete Wissenschaftler)