Ich stolperte gestern über einen Satz in einem Buch von Michael Ende, der mich dazu brachte, stundenlang nachzudenken.
"Wolle mich nun entlassen, Königin."
Der Sprecher sagt der Königin, sie soll ihn entlassen wollen... aber ist "wolle" der korrekte Imperativ? Wenn nein, was ist der korrekte Imperativ von "wollen"? Gibt es den überhaupt?
Wenn nein, führen wir doch einen ein ;D
Ich finde, Imperative sollten auch durchsetzbar sein. Und da stößt man bei vielen Verben schnell an die Grenzen der Verständlichkeit. Wollen als aus dem Präteritum zurückgebildetes Verb stellt uns da vor ein noch größeres Problem. Das wäre ja fast wie ein Imperativ Präteritum!
Aber ausgehend vom heutigen Infinitiv hat Michael Ende das bestmögliche herausgeholt. Die Form fällt schon auf, weil der Sprecher nun sicherlich seine Entlassung fordern kann, aber zu fordern, dass die Königin ihn entlassen will? Das könnte er niemals durchsetzen.
Vielleicht liegt das auch an einem grundlegenden Bedeutungsunterschied zwischen Vollverben und Hilfsverben. Mit "habe!" könnte man ja problemlos einen Imperativ des Perfekts und mit "werde!" einen der Zukunft bilden. An dieser Stelle sieht (unsere?) Sprache eben keine sinnvolle Befehlsbildung vor.
Was, wenn dich ein Gesetz zwingt, etwas zu wollen? Die Gedanken sind frei.
Was, wenn dich ein anderes Gesetz zwingt, gestern dein Zimmer aufgeräumt zu haben? Hast du aber nicht, da mag Strafe drohen soviel gewollt wird.
...und bis ich zurückkomme, habe Dein Zimmer aufgeräumt, sonst setzt es was!
Dann kommst Du zurück, und bevor Du das Zimmer öffnest und ohne dem Zuständigen noch eine Chance, Versäumtes nachzuholen, zu lassen, sprichst Du wieder: Habe aufgeräumt!
Dein Satz findet ja schon vorher statt. Da hast Du mit dem Perfekt völlig Recht: Es geht. Oder kriege ich jetzt auch noch einen lupenreinen Vergangenheits-Imperativ (wo die gewollte Handlung schon vorbei ist)?
Na, wir wollen mal nicht gleich das Raum-Zeit-Kontinuum ins Wanken bringen.
"Sei gestern bloß brav gewesen", sagte die Mutter zu ihrem Filius, der gern mal die eine oder andere Zeitreise unternahm.
Neue Zeitreise:
Wollt mal wieder den Faden des Fadens aufnehmen!
Zitat von: Ly in 2005-04-15, 16:21:37
Ich stolperte gestern über einen Satz in einem Buch von Michael Ende, der mich dazu brachte, stundenlang nachzudenken.
"Wolle mich nun entlassen, Königin."
Der Sprecher sagt der Königin, sie soll ihn entlassen wollen... aber ist "wolle" der korrekte Imperativ? Wenn nein, was ist der korrekte Imperativ von "wollen"? Gibt es den überhaupt?
Ob es den Imperativ von "wollen" gibt oder nicht, weiß ich nicht.
In diesem Beispiel habe ich allerdings meine Bedenken, ob es sich tatsächlich um den Imperativ handelt. Wem steht es zu, der Königin etwas zu befehlen, erst recht ihren eigenen Willen.
Ich tippe eher darauf, dass es sich hier bei "wolle" um einen suggestiven Gebrauch des Konjunktiv I handelt. Der Sprecher will der Königin nahe legen, ihn zu entlassen, traut sich allerdings nicht, sie direkt zu fragen. Denn auch das schickt sich nicht.
Aber ein Imperativ von wollen?
Hm... da muss ich wohl noch ein wenig drüber nachgrübeln.
Normalerweise behilft man sich bei der Imperativbildung der Hilfslösung Ind. Präs. + Anrede + wohl
Zitat"Wollt Ihr mich nun wohl entlassen."
Aber das wäre wohl zu vermessen.
doch, doch, "wolle" ist ein imperativ von wollen. und hat eine lange tradition als höfliche umschreibung von imperativen, besonders wenn diese an königInnen und göttinnen/er gerochten sind.
ähnlich: "geruhe mich nun zu entlassen, königin."
geruhen - gerah - gerähe - gerohen
Da war mir diese Tradition wohl einfach nur nicht bekannt.
Ich war zum Glück auch noch nicht in der Situation, einem König oder einer Königin etwas befehlen zu müssen.
Entschuldige meine Unkenntnis, ich muss mich wohl noch ein bisschen mit Hofetikette auseinander setzen. Nur für den Fall der Fälle.
Aber irgendwie kämme mir "will" als Imperativ logischer vor, weil ja bei regelmäßigen Verben der Imperativ auch der 1. Person enspricht... ("spiele! tanze! falle!")
Stimmt. Sprachlich logisch wäre es schon.
"Will mich nun mal entlassen." klingt allerdings auch ein wenig merkwürdig.
Daher iere ich weiterhin zur Hilfslösung mit wohl tend. Auch wenn sie ein bisschen überheblich klingt.
Aber ist es nicht sowieso überheblich, jemandem einen Willen aufzuzwingen?
in neueren zeiten hat man ja dann auch die 3. person plural für die majestäten benutzt, und nicht so ein archaisches "du, königin".
"eure majestät wollen bitte den kaffeelöffel nicht als schreibgerät benutzen."
"hoheit geruhen dero unmut tunlichst nicht durch einwerfen von fenstern kundzutun."
Ich bezog mich da auch auf das ursprüngliche Beispiel, in dem die Königin völlig politisch unkorrekt geduzt wird.
Vielleicht kam die formelle Anrede Herrn Ende zu gestolzen daher.
Zitat von: Arnymenos in 2005-04-15, 17:19:07Was, wenn dich ein anderes Gesetz zwingt, gestern dein Zimmer aufgeräumt zu haben? Hast du aber nicht, da mag Strafe drohen soviel gewollt wird.
Stimmt. ;D
ZitatVielleicht kam die formelle Anrede Herrn Ende zu gestolzen daher.
Also ich habe das schon öfters gelesen dass Autoritätspersonen mit "du" angeredet wurden... vllt. kam der pluralis majestatis erst später auf?
herrn endes gestalten bewagen sich wohl in märchenhafter vorzeit, wenn nicht außerhalb aller zeit - da darf man auch die königin duzen.
ZitatAlso ich habe das schon öfters gelesen dass Autoritätspersonen mit "du" angeredet wurden... vllt. kam der pluralis majestatis erst später auf?
Das Duzen von Autoritätspersonen kann man immer noch bei der Anrede von Bürgermeistern beobachten (eher hören).
Das "Berliner Du":
Herr Wowereit, kommst du mal?
Dagegen das "Hamburger Sie":
Ole, ich hab' das was für Sie.
Zitat von: caru in 2005-04-15, 21:11:56
herrn endes gestalten bewagen sich wohl in märchenhafter vorzeit, wenn nicht außerhalb aller zeit - da darf man auch die königin duzen.
Nun, Darth Vader wurde auf Englisch ja auch mit "thou" (= du) angeredet ;D
"What is thy bidding, master?"
Der Pluralis majestatis ist wie auch das Siezen eine mehr oder minder zufällige Schrulle des Deutschen - eigentlich nicht verwunderlich, dass er z.B. in einer Fantasy-Welt fehlen sollte.
Wolle mich nun entlassen! ist m.E. eine Verhöflichung oder Abschwächung von Entlasse mich nun!. Der direkte Imperativ schien wohl gegenüber der Königin nicht angemessen und wurde daher durch etwas ersetzt, das zwar formal Imperativ ist - aber jemandem zu befehlen, etwas zu wollen, ergibt ja keinen Sinn. Also ist es wohl entweder zu verstehen als
1) eine höfliche Verschleierung des Befehls Entlasse mich nun! oder als
2) eine Abschwächung des Befehls zu einer Bitte.
Vielleicht schu Ende sich das aus dem Französischen ab: Veuillez consulter votre fournisseur d'accès. Interessanterweise gewinne ich beim Googlen den Eindruck, dass Franz-Muttersprachler häufig statt des Infinitivs (im Beispiel consulter) den bei Verben auf -er gleich lautenden Imperativ (consultez) an veuillez anschließen. Einerseits dem Gleichklang geschuldet (Anglophone verwechseln andauernd it's und its, wir das und dass), andererseits vielleicht auch wegen des imperativischen Sinnes dieser Höflichkeitsform.
Will (wolle?), was immer Du magst, mein Freund, noch geschieht das, was mich gut deucht!
Irgendwie geht das schon mit dem "Wollen-Imperativ"; ich weiß nur nicht, welche die korrekte Form ist.
Veuillez n'importe que vous convienne...
wolle ist die korrekte Form - steht sogar im Wahrig. Wolle dich mit dieser Autorität nicht in die Wolle kriegen! ;D
Ach Mensch, jetzt bin ich enttäuscht. ;D
Zitat von: Arnymenos in 2005-04-15, 17:19:07
Ich finde, Imperative sollten auch durchsetzbar sein. Und da stößt man bei vielen Verben schnell an die Grenzen der Verständlichkeit. Wollen als aus dem Präteritum zurückgebildetes Verb stellt uns da vor ein noch größeres Problem. Das wäre ja fast wie ein Imperativ Präteritum!
Na, nicht so schnell...
"wollen" ist
kein aus dem Präteritum zurückgebildetes Verb - sondern ein aus dem Konjunktiv, noch genauer: aus dem
Optativ gebildetes Verb und besitzt einen Imperativ, nämlich
wolle!.
Dieser wird jedoch, wie Du bereits erwähntest, allein aus logischen Gründen kaum angewandt - wann wird man denn schon gezwungen, etwas zu wollen?! Ich schätze, daß kommt nur alle Jubeljahre einmal vor... daher kann man sicher auch
will! als Nebenform durchgehen lassen... ;)
Daß Imperative auch von den Präterito-Präsentien geformt werden, beweist das Verb
wissen dessen Imperativ
wisse! lautet.
mein pullover ist wollen - auf dem schildchen am kragen steht "100% wolle". wenn ich ihn nun anziehe, kleide ich mich dann in wolle oder in wollen? er ist nur aus einerlei wolle, nämlich schafwolle, also wohl in wolle. nun ist er aber wollen, und wenn ich mich in ihn kleide, kleide ich mich in wollen. wie kann er wolle und wollen zugleich sein?
und was ich nie verstanden habe: WOVON soll ich 100% wollen? ::)
Zitat von: Ly in 2005-04-15, 16:21:37
Ich stolperte gestern über einen Satz in einem Buch von Michael Ende, der mich dazu brachte, stundenlang nachzudenken.
"Wolle mich nun entlassen, Königin."
Der Sprecher sagt der Königin, sie soll ihn entlassen wollen... aber ist "wolle" der korrekte Imperativ? Wenn nein, was ist der korrekte Imperativ von "wollen"? Gibt es den überhaupt?
Wenn nein, führen wir doch einen ein ;D
In Tschechisch gibt es durchaus ein Imperativ von "wollen".
Z.B.: Dein Gegenüber fordert dich auf etwas zu machen, was du aber unter keinen Umständen machen willst.
Dann sagst du zu ihm: "Bitte, will es nicht von mir!" oder "Wolle es nicht von mir!"
Weil es dafür in der deutschen Sprache keine Form gibt, weiß ich nicht, wie man das richtig schreiben würde.
Eine typische Situation wäre z. B. wenn dich dein Freund oder Kollege zu einer Falschaussage
gegen deinen Bekannten, Freund oder Kollegen zwingt.
Du willst aber so etwas nicht machen, weil du moralische Bedenken hast.
Deine Antwort: "Bitte, will es nicht von mir!" (Du sollst es nicht von mir wollen).
Wie weiter oben gesagt, ich denke schon, dass es die Form wolle[i/] gibt. Sie ist halt eher unüblich.