Ich las gerade in der Starkverbliste "transgepiroren" als Partizip von transpirieren. Da hat jemand nicht aufgepasst. Ich hoffe, klarmachen zu können, warum das so nicht sein kann, auch bei aller Freiheit nicht.
Das ge- ist im Englischen ganz verschwunden, die Bayern sprechen nur noch ein k- (das könnte man genauer ausführen... wann die was sprechen, wann es ganz wegfällt). MrMagoo wird uns sicher auch sagen können, wie diese Vorsilbe früher aussah. Ich vermute, sie hatte einen Vollvokal, also etwa gi-. Sowas ähnliches habe ich mal gilêzan. Punctum saliens: Diese Silbe wurde phonetisch abgestuft, geschwächt. Sie hat heute nur noch ein Schwa als Vokal, und das ist absolut unbetonbar. Partizipien mit ge- beginnen also immer mit einer unbetonten Silbe.
Und das ist schlecht. Bei längeren Wörtern wird ein nebenbetonter Fuß gebaut, wenn dafür Platz ist ("Automation" etc.). Ich kenne kein Wort im Deutschen, dass mit zwei unbetonten Silben anfängt. Es ist in jedem Fall besser und immer möglich, diesen metrischen Fuß zu dort haben. Und mit der Nebenbetonung ist das Problem wieder gelöst.
Universell gesprochen gibt es Sprachen mit Wörtern, deren erste drei Silben un-, un- und hauptbetont sind, aber eben nur mit Hauptbetonungen, nie un-, un- und nebenbetont (soweit ich weiß; das ist wieder so eine Theorie für die ich momentan weder die Quelle noch einen einleuchtenden Beweis nennen kann. Nehmt es als Kuriosum hin; glaubt es oder glaubt es nicht; untersucht und/oder diskutiert es, wenn ihr wollt; wir brauchen es nicht weiter.). Für das Deutsche sind zwei unbetonte Silben am Wortanfang tabu.
Wir können schnell feststellen, dass eine vorhandene, untrennbare Vorsilbe das ge- blockiert wie in verlaufen vs. gelaufen. Das ist eine Regel, die man als Deutschlernender braucht. Mit noch ein paar Regeln schafft man es nun, zu lernen, warum es nicht "getranspiriert", nicht "gepunktiert", aber "gesehen" und "gearbeitet" heißt.
Die Verallgemeinerung all dieser regeln ist aber ebenso simpel wie konsistent: ge- steht immer dann vor dem Verbstamm (abzüglich alles trennbaren wie z.B. "vor-" in "vorstell-", aber nicht des untrennbaren wie etwa "ver-" in "verstell-"), wenn es dort stehen darf. Das ist genau dann der Fall, wenn dieser Stamm mit der hauptbetonten Silbe beginnt.
Kurzum, eine unbetonte Silbe ist am Wortanfang nur möglich, wenn direkt danach die Hauptbetonung kommt. Weil wir viel zusammensetzen, wird das Ganze noch etwas komplizierter. Das kann ich im Moment nicht alles überblicken.
Die Nebenbetonung auf "trans" in "transpiriert" erlaubt kein "ge-", wohl aber die Hauptbetonung auf "ar" in "ge-arbeitet". "gepunktiert" begänne mit zwei unbetonten Silben, ist daher kein gültiges Wort. Ebenso ist "gepiroren" bei abtrennbarem "trans" nicht möglich.
Die Regel noch einmal: Das Partizip ist gekennzeichnet durch das Präfix "ge-" direkt vor dem Verbalstamm, welches aber nur dann auch wirklich auftaucht, wenn es direkt vor der Hauptbetonung steht.
Man könnte jetzt über "transpigeroren" nachdenken, da das "ge-" ja vor die Hauptbetonung soll. Aber das mit dem "soll" stimmt so nicht. Es "soll" einzig und allein vor den Verbalstamm. Wenn danach nicht die Hauptbetonung käme, dann ist das nicht erfüllbar, und das "ge-" verzichtet. Es hat also eine sehr wichtige Funktion, ist aber erstens sehr unbeweglich und zweitens so schwach, dass es sich an eine Hauptbetonung anlehnen muss. Und die kriegt es nur sehr selten, meistens eben bei guten, einheimischen, einsilbigen Verbalstämmen wie "seh-". Und da wird auch verständlich, warum es im Englischen ganz abgetreten ist: Es war einfach zu schwach.
Ich denke, es sprengt den Rahmen des Verben Stärkens, wenn man die rhythmische Struktur des Deutschen verändern will. Man könnte nur dem "ge-" per Vollvokal zur Betonbarkeit verhelfen, dann könnte man "GIpunkTIERT" mit Nebenbetonung auf "gi" sagen. Aber wieso diese Silbe überstrapazieren, wenn sie von einem trennbaren Verbpartikel ohnehin "verdrängt" wird? Es bleibt bei "transpiroren", und "transgepiroren" müsste spätestens nach dem Lesen dieser Zeilen in eurer aller Ohren komisch klingen.
Hallo Arnymenos!
Ein Lob der Ausführlichkeit!
Kann man bei "transpirieren" nicht eine Ausnahme machen? Wäre es nicht schön, wenn es
"transpiporen" oder "transporen"
hieße, wenn also irgendwie "Poren" drin vorkämen?
Sprachliche Grüße
Der Versucher
P.S.: Ich glaube, wir alle hier hielten uns einstmals für die Erfinder des Verbenstärkens (weil du in einem andern Thread, glaube ich, mal davon sprachst). Eine alte "geheime" Liste besitzt wohl jeder...
gilt die Konjugationsregel eigentlich auch fuer die Woerter
stieren und gieren, und wie konjugiert man, wenn ja, gaeren?
schwach: transpiriert (nicht getranspiriert, transgepiriert)
stark: transpiroren (nicht transgepiroren, getranspiroren)
Hier bin ich natürlich für die starke Form.
Die Regel mit dem ge- gilt immer; sie hat mit Morphologie kaum etwas zu tun, sondern nur mit Phonetik (ge- ist eine reduzierte Silbe und damit unbetonbar) und Metrik (kein Wort beginnt zwiefach unbetont). Das ist ein Beispiel dafür, was ich meine, wenn ich davon spreche, dass Verbstärkung nicht beliebig ist, sondern sich im Großen und Ganzen an die deutsche Sprache hält.
Also ganz regelmäßig und stark:
stieren - stor - gestoren
gieren kollidiert mit gären, da hat gehabt gehbat Recht gehabt gehabt, als er das gesagt gehabt hat. Wer hat einen Vorschlag? Meiner wäre gieren - gar - gegaren, aber das ist mir zu nahe an garen. Man könnte auch gären auf gur - geguren ûswîchen lân. Und was ist dann mit garen? Irgendwie wollen die alle auf ein Präteritum gor hinaus.
Ich piriere trans
ich piror trans
ich pir"ore trans
transpriroren
Zitat von: gehabt gehabt in 2005-02-18, 13:07:19
transpriroren
Ist das Absicht oder vertippt?
Der Rest ist gut und richtig.
Ich glaube, das Problem ist, dass unfeste Partikelverben immer auf dem Präfix, transpirieren aber nicht auf trans betont wird. Das führt zu dem Problem im Partizip II - also mache ich das Verb lieber wieder ganz untrennbar.
Des Versuchers Vorschlag mit den Poren gefällt mir. Was haltet ihr von folgender Version?
transpirieren, transpipar, transpipäre, transpiporen
Das sieht ja fast nach Reduplikation aus... aber wie unterscheiden wir das dann von transpipieren? Bzw. warum ist es NUR im Präsens NICHT P statt R?
Solange es das Verb transpipieren nicht gibt, sehe ich darin kein Problem.
Das erklärt sich volksetymologisch: Natürlich hat Arnymenos recht, es hieß bis zur Mitte des 17. Jahrhunderts "transpiroren", aber nach einem Streit zwischen den Nürnberger Pegnitzschäfern ("transpiroren ist richtig!") und dem Weimarer Palmenorden ("transpiporen!") intrigor bei der Abstimmung innerhalb der Pegnitzschäfer einer der Genossen. Da die Mitglieder Decknamen und Masken trugen, waren sie nicht zu erkennen, jedenfalls gab die eine Stimme den Ausschlag für "transpiporen", das der Palmenorden bevurzog (?), weil es die Bevölkerung favorisor. Es lœch den Leuten schlichtweg mehr ein. Dem Volksmund eine Chance! (Als den Intriganten vermot man übrigens Harsdörffer, der in beiden Gruppen Mitglied war, aber gelonchen wurde ein anderer, dessen Name mir jetzt leider entschlopfen ist.)
Genau. Wusstest du das nicht, Arnymenos? ;) :P
Zitat von: Arnymenos in 2005-02-17, 20:13:05
Das ge- ist im Englischen ganz verschwunden, die Bayern sprechen nur noch ein k- (das könnte man genauer ausführen... wann die was sprechen, wann es ganz wegfällt). MrMagoo wird uns sicher auch sagen können, wie diese Vorsilbe früher aussah. Ich vermute, sie hatte einen Vollvokal, also etwa gi-. Sowas ähnliches habe ich mal gilêzan. Punctum saliens: Diese Silbe wurde phonetisch abgestuft, geschwächt. Sie hat heute nur noch ein Schwa als Vokal, und das ist absolut unbetonbar. Partizipien mit ge- beginnen also immer mit einer unbetonten Silbe.
Ja, das ist richtig - die Silbe hatte vorher den Vollvokal i: "
gi-"
Daß mir da aber jetzt keine Mißverständnisse aufkommen - nur zur Verdeutlichung:
Betont war sie auch mit Vollvokal nicht!
Bei der Silbe wurde der Vokal "i" zum Schwa "e" geschwächt und zwar gerade deshalb,
weil sie unbetont war.
ZitatUnd das ist schlecht. Bei längeren Wörtern wird ein nebenbetonter Fuß gebaut, wenn dafür Platz ist ("Automation" etc.). Ich kenne kein Wort im Deutschen, dass mit zwei unbetonten Silben anfängt. Es ist in jedem Fall besser und immer möglich, diesen metrischen Fuß zu dort haben. Und mit der Nebenbetonung ist das Problem wieder gelöst.
Universell gesprochen gibt es Sprachen mit Wörtern, deren erste drei Silben un-, un- und hauptbetont sind, aber eben nur mit Hauptbetonungen, nie un-, un- und nebenbetont (soweit ich weiß; das ist wieder so eine Theorie für die ich momentan weder die Quelle noch einen einleuchtenden Beweis nennen kann. Nehmt es als Kuriosum hin; glaubt es oder glaubt es nicht; untersucht und/oder diskutiert es, wenn ihr wollt; wir brauchen es nicht weiter.). Für das Deutsche sind zwei unbetonte Silben am Wortanfang tabu.
Grund: Das Deutsche (eigentlich sämtliche germanische Sprachen) hat "Initialbetonung", d.h. daß generell die erste Silbe die Betonung trägt.
Ausnahmen sind Fremdwörter aus vornehmlich nichtgermanischen Sprachen und Wörter mit unbetonten Präfixen wie z.B. "ge-". Die Erklärung hierzu hast Du, Arnymenos ja bereits geliefert. ;)
Zitat von: Arnymenos in 2005-02-18, 14:46:38
Zitat von: gehabt gehabt in 2005-02-18, 13:07:19
transpriroren
Ist das Absicht oder vertippt?
Der Rest ist gut und richtig.
vertippt, wie so oft
Zitat von: Arnymenos in 2005-02-18, 14:46:38
Zitat von: gehabt gehabt in 2005-02-18, 13:07:19
transpriroren
Der Rest ist gut und richtig.[/color]
Also doch "richtig". Dann sind dem Linguisten diese Kategorien
letztendlich nicht so fremd?
Zitat von: Arnymenos in 2005-02-17, 20:13:05
Und das ist schlecht. Bei längeren Wörtern wird ein nebenbetonter Fuß gebaut, wenn dafür Platz ist ("Automation" etc.). Ich kenne kein Wort im Deutschen, dass mit zwei unbetonten Silben anfängt. Es ist in jedem Fall besser und immer möglich, diesen metrischen Fuß zu dort haben. Und mit der Nebenbetonung ist das Problem wieder gelöst.
...
Für das Deutsche sind zwei unbetonte Silben am Wortanfang tabu.
Hmm, wie sieht's denn dann mit "Lokomotive" aus?
Die betonte Silbe ist "ti", alle anderen sind unbetont.
Jaja, es ist ein Fremdwort - aber: 3 unbetonte Silben, denen eine betonte folgt? Das hätte zwischenzeitlich doch mal ausgeglichen werden müssen...
Demnach würde auch "ge+ 2 unbetonte Silben" nicht so fremd klingen, wie Du vielleicht annimmst.
ZitatWir können schnell feststellen, dass eine vorhandene, untrennbare Vorsilbe das ge- blockiert wie in verlaufen vs. gelaufen. Das ist eine Regel, die man als Deutschlernender braucht. Mit noch ein paar Regeln schafft man es nun, zu lernen, warum es nicht "getranspiriert", nicht "gepunktiert", aber "gesehen" und "gearbeitet" heißt.
Nun, diese Regel interessöre mich jetzt mal...
ZitatDie Verallgemeinerung all dieser regeln ist aber ebenso simpel wie konsistent: ge- steht immer dann vor dem Verbstamm (abzüglich alles trennbaren wie z.B. "vor-" in "vorstell-", aber nicht des untrennbaren wie etwa "ver-" in "verstell-"), wenn es dort stehen darf. Das ist genau dann der Fall, wenn dieser Stamm mit der hauptbetonten Silbe beginnt.
Was ist denn dann mit "ge
verlich"? *hahaha*
(Sorry, aber ich konnte grad nicht anders... :-[ :-[ :-[)
Schnell zurück zum Thema:
ZitatDie Nebenbetonung auf "trans" in "transpiriert" erlaubt kein "ge-", wohl aber die Hauptbetonung auf "ar" in "ge-arbeitet". "gepunktiert" begänne mit zwei unbetonten Silben, ist daher kein gültiges Wort.
Na, hier weiß ich nicht so recht - das Fehlen des "ge-" bei Verben, die auf -ieren enden hat womöglich andere Gründe.
Ich möchte auf das recht nah verwandte Niederländische verweisen:
--> Das Niederländische hat, wie das Hochdeutsche, nicht aber wie das Englische und dem ihm noch näher verwandten Niederdeutschen die Vorsilbe "ge-" im Partizip behalten - und zwar
auch bei den Verben, die auf -ieren enden!
Im Niederländischen heißt es demnach
telefoneren - getelefoneerd
studeren - gestudeerd
konserveren - gekonserveerd
parkeren - geparkeerd und auch
transpereren - getranspereerd
Daß das Verb also nicht mit einer Hauptbetonung beginnt, wird wohl weniger ausschlaggebend gewesen sein; ich vermute eher, daß "ge- oder nicht ge-" (ums mal mit Shakespeare zu sagen) einfach eine Grammatisierungsfrage ist bzw. war.
Zitat... nur sehr selten, meistens eben bei guten, einheimischen, einsilbigen Verbalstämmen wie "seh-". Und da wird auch verständlich, warum es im Englischen ganz abgetreten ist: Es war einfach zu schwach.
Dann wäre es aber sicher auch im Deutschen schon längst verlorengegangen...
genieren
genor
genoren
genoere
ich komme noch mal auf transpirieren zurueck. Selbst wenn eine getrennte Form moeglich waere (aufgrund einer weisen Ausnahmeregelung zB). Hiesse es dann eigentlich
ich por trans?
Ich spor tran?
oder
Ich spor trans?
Ich toeppe ja auf das letztere.
Woerter, die auf der 3. und ff Silbe betont werden: wie schon festgestellt bei unbetonten Praefixen: unterscheiden, aber auch bei einigen Namen: Ludwigshafen
Lokomotive ist in der Tat ein merkwuerdiges Wort, eigentlich muesste es ja heissen "Das Lokomobil" oder "das Lokomotiv". Die Loesung des raetsels ist, dass das Wort aus dem Englischen Locomotive entlehnt wurde. Das e hat man dann als weibliche Endung interpretiert. Nachdem Motiv dann weiblich wurde, hat man es dann wohl so betont, wie man den Plural von Motiv betont.
Frage: warum heisst es eigentlich Direkt'orin Profess'orin
aber Mi'nisterin ?
hier ein paar Beispiele bei denen es sich nicht lediglich um Praefixe handelt:
andert'halb
zweifels'ohne
Zitat von: gehabt gehabt in 2005-02-21, 10:35:22
Lokomotive ist in der Tat ein merkwuerdiges Wort, eigentlich muesste es ja heissen "Das Lokomobil" oder "das Lokomotiv". Die Loesung des raetsels ist, dass das Wort aus dem Englischen Locomotive entlehnt wurde. Das e hat man dann als weibliche Endung interpretiert. Nachdem Motiv dann weiblich wurde, hat man es dann wohl so betont, wie man den Plural von Motiv betont.
Das ist, was ich meine - nach germanischem Muster wird die Betonung oft auf die Stammsilbe verschoben, die sehr oft die erste Silbe ist. Dies ist im Englischen passiert, wo es 'motive heißt. In romanischen Sprachen liegt die Betonung meist auf der vorletzten Silbe, die Betonung Mo'tiv ist sicher von mo'tivus erhalten.
Ich nehme an, daß "Motiv" (noch) nicht wirklich heimisch im Deutschen ist, da es genug Ausweichausdrücke gibt wie Anlaß, Beweggrund oder Absicht.
Dasselbe wahrscheinlich bei Lokomo'tive, wo als Ausweichmöglichkeiten Zug oder Eisenbahn da wären. Hinzu kommt sicher, daß es eine Eisenbahn ja erst seit gut 200 Jahren gibt. Lokomo'tive würde, wenn es den Ausdruck denn schon länger gäbe, sicher die Betonung auf 'Lokomotive festgelegt haben.
Interessant sind einige Abweichungen wie le'bendig oder Ho'lunder, welche bis ins Mittelhochdeutsche tatsächlich 'lebendig und 'Holunder betont wurden.
Weiß jemand, wieso hier die Nebensilben den Hauptton angenommen haben?
ZitatFrage: warum heisst es eigentlich Direkt'orin Profess'orin
aber Mi'nisterin ?
Hier liegt's sicher an der schwachen, deutschen Endsilbe -er, die üblicherweise unbetont bleibt. Die Hauptbetonung Mi'nister nach romanischem Vorbild.
Professor/in, Doktor/in hingegen haben den Vollvokal 'o' in der Endsilbe und verschieben die Betonung - wieder nach romanischer Art - auf die vorletzte Silbe.
Anders sähe es aus, wenn es "Ministor" hieße...
Bei Doktor und Professor scheint sich das "o" weiter abzuschwächen, vielleicht nimmt später die weibliche Form auch die Betonung nach Ministerin an: Pro'fessorin, 'Doktorin (letzteres klingt meinen Ohren nach gar nicht mal so verkehrt ;D ).
Es ist inder Tat erstaunlich, wie wenig Ausnahmen es gibt:
zu Holunder kommt Wacholder
Schnee´wittchen Dorn'roeschen Weiss'roeckchen, aber 'Rotkaeppchen
andere Namen: Pader'born, Moenchen'gladbach
mundartlich hoert man Buerger'meister und Fastel'ovend
Dann ist es erstaunlich, dass man sagt Nibe'lungen. War das im Mittelalter anfangsbetont?
Wenn man in Haydns Schoepfung das lebendig auf der 2. Silbe betont, klingt es aus dem Rhythmus geraten:
"Und Gott schuf den Menschen nach seinem Ebenbilde.
Nach dem Ebenbilde Gottes schuf er ihn. Mann und
Weib erschuf er sie. Den Atem des Lebens hauchte er
in sein Angesicht, und der Mensch wurde zur
lebendigen Seele."
Ich nehme an, man hat 'lebendig teilweise bis ins Ende des 18. Jhds gesagt
noch einige Ausnahme der Betonung:
Forelle (das scheint ein sehr "germanisches" Wort zu sein obwohl es frz oder lateinisch klingt)
Hornisse
Perlmutt
(das muesste es schon fast sein, denn Petersile, Paradies, Marketenderin etc sind fremden Ursprungs).
Dann gibt es aber nich eine ganze reihe von Woertern, die auf -ei enden: Schweinerei, Molkerei etc. Ich nehme an, die Endung -ei ist nicht deutschen Ursprungs sondern eher welsch, wie Cafeteria. oder?
Bei der Betonung von Namen scheint es liberaler zugegangen zu sein: Kriem'hilde aber 'Kriemhild.
Die Schweizer scheinen konsequenter als wir in der initialbetonung auch fremder Woerter zu sein. eine Freundin von mir, die sich nicht zurueckhalten kann, wenn es drum geht, leute zu "ver"appeln" hat mal in einem Schweizer Cafe "Einen 'Kchakchau" bestellt", weil sie dachte, so wuerden die Schweizer es aussprechen. Als die Kellnerin (sagt man in der Schweiz eigentlich immer noch Saaltochter?) das Getraenk brachte, sagte sie mit einem kaum zurueckgehaltenen Laecheln: " Da ist Ihr 'Schokcholat".
Einige Fremdwoerter haben es zumindestens in der Umgangssprache auch in Deutschland zu einer Initialbetonung gebracht.
Im 'B"urro 'Kaffee trinken und 'Billard spielen (manchm,al hoert man gar 'Kaffe).
Zitat von: gehabt gehabt in 2005-02-22, 07:44:43
...
andere Namen: Pader'born ...
Ich bin erstaunt!!! :D
Normalerweise weiß das keiner, der nicht zumindest aus dem Kreise kommt...
Man hört sonst eigentlich immer nur die falsche Betonung 'Paderborn.
Erinnert ihr euch noch an das Gezerre um die "Vulkan-Werft"? Da wurde in den Nachrichten immer auf der 1. Silbe betonen, dabei heißt es doch Vul'kan. Und es gibt sogar Betonungen, die die Bedeutung anzeigen: Der Schwimmstil heißt 'Delphin, der Meeresbewohner heißt Del'phin.
Ich hoffe, ich habe die Apostrophe richtig benotzen.
oder heisst der Schwimmstil 'dolphin (mit englischer Aussprache) und das Viech Del'phin oder Del'fin ?
Beides wird gleich geschrieben (Delphin), aber verschieden betonen.
die jiddische entsprechung zu lebendig ist übrigens 'lebedik.
und die 'nibelungen sollte man immer anfangsbetonen, schon allein wegen wagner. wer "der ring des nibe'lungen" sagt, hat noch nie eine der vier opern gehört.
Wenn sie mal im Kopf sitzt, will sie da nicht mehr so schnell weg, die Sache mit den Betonungen.
Anapästische Wörter sind im Deutschen auch:
vulkani'sieren (siehe meine Bemerkung weiter oben)
Ziga'retten
Telefon hat sogar drei Möglichkeiten der Betonung:
Tele'fon
'Telefon
Tällefon (in Baden geläufig; erste und letzte Silbe betont, die ersten zwei werden ganz schnell amalgamoren)
"Motor" wird auf der 1. Silbe betonen (-unen, -anen?), bei "motori'sieren" sind die ersten drei unbetont. (In Baden ist auch beim Substantiv die Betonung hinten).
Klar, urdeutsch sind sie alle nicht. Aber was ist mit -
allen Wörtern, die mit
über-
hinter-
unter-
beginnen?
Da sind viele Anapäste dabei. (Hinter'fragen, unter'scheiden...)
Bei Wörtern, die mit "ober-" beginnen, hingegen kaum. (Oberhalb, oberflächlich...)
Man kann auch Satzanfänge anapästisch aussprechen, obwohl das erste Wort eigentlich anders ausgesprochen wird, z. B. "Keine Fehler darf man machen." Man zieht die beiden zu einem Wort zusammen und lässt die eigentlich betunene (?) erste Silbe von "keine" unbetanen (?), zugunsten der "Fehler".
Interessant:
die "Unter'haltung" ist Anapäst,
der "Unterhalt" ist Daktylus.
Einen Text "über'setzen" ist Anapäst,
Zu einer Insel "übersetzen" ist Daktylus. (Witzig: "Zur Insel gegen'über 'übersetzen." Anapäst und Daktylus direkt aufeinanderfolgend.)
Soviel erst mal dazu
Euer dilettierender Versucher
Zitat von: versucher in 2005-02-23, 00:52:32Interessant:
die "Unter'haltung" ist Anapäst,
der "Unterhalt" ist Daktylus.
Einen Text "über'setzen" ist Anapäst,
Zu einer Insel "übersetzen" ist Daktylus. (Witzig: "Zur Insel gegen'über 'übersetzen." Anapäst und Daktylus direkt aufeinanderfolgend.)
Partikelverben mit
über-,
unter-,
hinter-,
durch-,
um- und
wieder- können sowohl fest als auch unfest sein, woraus sich auch diese Betonungs- und Bedeutungsunterschiede ergeben, z.B. auch bei
um'gehen - um'ging..., aber
'umgehen - ging 'um.... Entsprechend:
übergehen, unterstellen, durchfahren, wiederholen.
Da gibt es so viel, was ich sagen möchte... aber ich erinnere mich mit Schrecken zurück, als ich wochenlang in meinem Zimmerhockte und versuchte, die deutsche Wortbetonung zu verstehen. Ich habe schließlich eine lange Arbeit darüber geschrieben, die mein Dozent ganz gut fand, und in der ich über alles, was bisher gesagt worden ist, sogar noch ein Stück hinaus gegangen bin. Kurz gesagt, ich war mir am Ende sicher, mehr über die Regeln der deutschen Wortbetonung zu wissen als jede Grammatik. Und ich habe bis zum Schluss gegen die Aussage gekämpft, man müsse zu jedem Wort die Betonung mitlernen, denn es gibt ja Regeln, und so viele... so entsetzlich viele... und so viele Ausnahme, die sich wieder mit Regeln erfassen lassen... und hunderte Versuche, all das zu erklären...
Ich habe damals an einem Punkt, wo ich guten Gewissens diese Arbeit schreiben konnte, aufgegeben.
Wer will, kann "German Word Stress in OT" von Caroline Féry lesen (als pdf, aber irgendwas ist da kaputt... das hier müsste es aber sein (http://www.sfb632.uni-potsdam.de/homes/fery/pdf/phonologie/Kapitel%205%20Die%20prosodische%20Struktur%20der%20Woerter.pdf)), das ist eine der neueste Zusammenfassungen, die ich dann für meine Arbeit nochmal zusammengekorzen habe. Wer will, kann auch das mal lesen 8)
Ich kann eine neue Erfindung meines Semantikprofs proklamieren: Die doppelte ge--Präfigierung.
In der Funktionentheorie ist ein gewisser Moses Schönfinkel von Bedeutung, der Anfang des letzten Jahrhunderts gezeigt hat, dass mehrstellige Funktionen in serielle einstellige Funktionen äquivalent umwandeln lassen (Der Ausgabewert nach Eingabe des ersten Argumentes ist eben wieder eine Funktion). Zu seinen Ehren nennt man eine derartige Umwandlung einer Funktion Schönfinkelisierung, kurzum, man schönfinkelt sie, oder: sie wird ... ja, was jetzt?
Es müsste geschönfinkelt heißten, und das steht auch im Skript meines Profs (sicher nicht immer, aber meistens). Obwohl keiner sagt, er finkele etwas schön, so hört man doch sehr häufig, etwas werde schöngefinkelt. Heute konnte sich mein Prof gar nicht entscheiden, und sagte insgesamt vier Mal
GESCHÖNGEFINKELT
Eine etwas schwerfällige doppelte Markierung des Partizips, aber das ließe sich doch generalisieren: geblaugemacht, gebaugespart, geniedergemacht, Getransport georen...
Zitat von: Arnymenos in 2005-02-24, 15:00:54Wer will, kann "German Word Stress in OT" von Caroline Féry lesen (als pdf, aber irgendwas ist da kaputt... das hier müsste es aber sein (http://www.sfb632.uni-potsdam.de/homes/fery/pdf/phonologie/Kapitel%205%20Die%20prosodische%20Struktur%20der%20Woerter.pdf)), das ist eine der neueste Zusammenfassungen, die ich dann für meine Arbeit nochmal zusammengekorzen habe. Wer will, kann auch das mal lesen 8)
Stressig! *g*
ZitatEine etwas schwerfällige doppelte Markierung des Partizips, aber das ließe sich doch generalisieren: geblaugemacht, gebaugespart, geniedergemacht, Getransport georen...
Das erinnert mich an die rheinische Verlaufsform bei mehrteiligen Prädikaten: "am blau am machen", "am rum am laufen".
Gerade fiel mir auf, dass man 'willkürlich sagt, aber auch unwill'kürlich (als würde man den Unwill küren). Fiel mir eben gerade so auf, witzig, dass der Beton-Faden wieder aktuell ist, wenn auch aus anderen Gründen (hä, was für'n Beton!?).
"Ich bin die Kuh am Schwanz am raus am Ziehen dranne!" ;D
willkürlich und unwillkürlich sind überhaupt interessante Wörter - keine genauen Gegensatzpaare, erinner an Wallküren... ::)
Es gibt die Willkür, aber nicht die Unwillkür. Was sagt man eigentlich stattdessen? Und ein Verb existiert dazu auch nicht.
Außerdem:
(un)weigerlich
(un)wirsch
Die Wörter ohne die Klammern gibt es gar nicht. Vielleicht kann man sie einführen?
Die Willkürherrschaft ist ein Amazonenstaat, in dem die Willküren herrschen.
Mehr davon: http://oberlehrer.org/ka.html
flätig sei der mensch,
wirsch und gestüm! :D
Großod ist toll! Über die Reichsgroßodien habe ich auf der Kunstgeschichteexkursion nach Wien mal referoren.
Ich kann jetzt verkünden, dass in dem Skript, das ich gerade lese (http://www2.sfs.nphil.uni-tuebingen.de/%7Earnim10/Lehre/SS06/Semantik1/logTypen.pdf), schöngefinkelt verwandt wird, was mir auch am sympathischsten ist. Noch sympathischer wäre nur schöngefulnken, in der auch die Funktion anklingt, um die es bei dieser Tätigkeit ja geht.
Zitat von: Kilian in 2006-07-31, 18:45:08
Ich kann jetzt proklamieren, dass in dem Skript, das ich gerade lese (http://www2.sfs.nphil.uni-tuebingen.de/%7Earnim10/Lehre/SS06/Semantik1/logTypen.pdf), schöngefinkelt verwandt wird, was mir auch am sympathischsten ist. Noch sympathischer wäre nur schöngefulnken, in der auch die Funktion anklingt, um die es bei dieser Tätigkeit ja geht.
... bei aller finkelei, wie schön auch immer, seien aber das neunte und zehnte gebot der gimpel niemals vergessen: ;)
Du sollst nicht rückwärts finkeln!
Du sollst nicht vorwärts finkeln!
... ansonsten aber gilt nach wie vor der satz: "Ich finkele, also bin ich!" (wie hieße das denn eigentlich auf latein?) ...
Fringillas capio ergo sum.
da sollte man dann doch ein denominales verb kreieren, wie fringillare oder so. oder medial, fringillari?