GSV – Sektion Hibernia

Begonnen von Homer, 2010-09-02, 23:46:09

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Homer

Eigelnt wewull ich euer molgst von lateinischem Klugschiß verschonen, aber ich kämpfe mich gerade durch einen Grammatiker des 7. Jahrhunderts, einen irren Iren (vermult), in dem man fulg einen lateinischen Urahnen der GSV erblicken kekünne, nalm den hier: http://de.wikipedia.org/wiki/Virgilius_Maro_Grammaticus. Amarillo ermornt mich gegen meine schamhaften Bedenken, die eine oder andere Lesefrucht den geniegenen Sozii zum besten zu geben, weshalben ich hier einen neuen Faden eronff, auf daß die weniger dem Latein zugeniegenen sich fürderhin der Anstur dieses Ortes entschlagen kekünnen. Ich werde hier gemült vor mich hinbloggen, wie's die Lektüre gerade so mit sich bringt. Vielleicht habt ihr ja auch euren Senf dazuzugeben.

Teil I folgt in Kürze.

Homer

#1
I. Ein Antonym:

Erst mal der lateinische Text (die Ochtograffi ist der Gewohn bedürftig, da unklassisch, wie vielleicht der eine oder andere Kenner bemerken wird):
Motantur vero sensus per has subfigurationes duplicem ob causam: vel propter distructionem vel propter aedificationem. Destruuntur quidem cum dicas dissipo vel discredo; illud ad sepis distructionem, hoc ad incredulitatem respicit. Aedificantur autem cum dicis consipo et concredo; quod enim illic distruxisti, hic reedificas.

Übersatz:
"Die Bedeutungen ändern sich durch diese Bildungen aus zwei Gründen: entweder weil abgebaut wird oder weil aufgebaut wird. Abgebaut wird, wenn man sagt dissipo (ich zerstreue) oder discredo (ich glaube nicht); ersteres bezieht sich auf den Abbau eines Zauns (sepes), letzteres auf das Mißtrauen. Aufgebaut wird, wenn man sagt consipo und concredo ("ich vertraue [an]"); was man nämlich dort abgebaut hat, baut man hier wieder auf."

Dissipare, discredere und concredere gibt es, nicht aber consipare. Das bildet Virgilius frohl analog unter der (sicher wissenlt) falschen Annahme, daß in -sip- das Wort für "Zaun" stecke, dissipare deshalb eigelnt "einen Zaun abreißen" bedeute und consipare also "einen Zaun aufbauen".

II. Virgilius entneint illustris "berühmt":

cum dicis impius, peior pio est, cum autem dicis impiger et inlustris, melior est pigro et clarior lustri (hoc est ignobili).

"Wenn man von einem impius (Unfrommen) spricht, ist der schlechter als ein Frommer, wenn man aber von einem impiger (Tatkräftigen) und inlustris Berühmten) spricht, ist der besser als ein piger (Fauler) und berühmter als ein lustris (das heißt ein Unbekannter)."

Überflüssig zu sagen, daß das Präfix in- in illustris nicht "un-" bedeutet und daß es lustris nicht gibt.

Kilian

Vortrefflich, ich höre posthume Ehrenmitgliedschaftsglocken läuten! Mehr! :D

Homer

III. Willkiesende Umdut einer Verbform:

In libro Falangis, cuiusdam Lacedaemonici viri, lectum est scripsero, quod ad primae coniugationis verbum pertinere a nonnullis putatum est, quia scilicet temporis futuri coniunctionem modi indicativi temporis praesentis loco scriptor inposuit, dicens: Haec vobis, amici, quasi populi mei filiis diligenter emando et scripsero. Neque enim credendum est doctum virum, aiunt, cum copulativam coniunctionem interposuerit, non duo praesentia verba conafecisse. Unde et multi nostrorum maxime Gallorum hoc verbum primae coniugationis esse opinantur, ut dicant sepe scripseravi et scripserabo ac scripserare et cetera.

"Im Buch eines gewissen Falanx aus Sparta steht scripsero, von dem manche annehmen, daß es zu einem Verbum der ersten Konjugation gehört, weil ja der Autor ein Futur (II), mit einer Konjunktion angebunden, an die Stelle eines Indikativ Präsens setzt, wenn er sagt: "Euch, meine Freunde, die ihr sozusagen die Söhne meines Volkes seid, übermittle (emando) ich dies ausführlich und werde es geschrieben haben (scripsero)." Es ist nämlich kaum anzunehmen, daß ein gebildeter Mann – so argumentieren sie –, da er doch eine kopulative Konjunktion dazwischengesetzt hat, nicht zwei Verben im Präsens gebildsucht hat (conafecisse). Daher meinen viele, vor allem von unseren geschätzten Galliern, dies sei ein Verbum der ersten Konjugation, so daß sie oft sagen scripseravi (ich schriebte), scripserabo (ich werde schrieben), scripserare (zu schrieben) usw."

Das alles ist selbstredend frei erstunken: Falanx aus Sparta, sein Zitat, die Dut der 1. Sg. Fut. II scripsero als Präsens mitsamt der Rückzucht der relsten Formen und sogar die Form conafecisse in Virgiliens eigenem Latein (soll wohl ein Zusammensotz aus conari "versuchen" und fecisse "gemacht haben" sein).

Ku

Wau, Klasse,

das ist die Gelegenheit, mein völlig verrostetes Latein aufzubügeln.
   

Homer

#5
Das Latein, das wir haben, ist rätselhaft genug? Dann seht euch mal das hier an:

IV. Die Lehre von den 12 Lateinen:

Latinitatis autem genera sunt XII, quorum unum usitatum fitur, quo scripturas Latini omnes atramentantur. Ut autem duumdecim generum experimentum habeas, unius licet nominis monstrabimus exemplo.
In usitata enim Latinitate ignis I. habetur, qui sua omnia ignit natura.
II. quoquihabin, qui sic declinatur: genitivo quoquihabis, dativo quoquihabi, accusativo -bin (veru superpossito), vocativo -bin (breve), ablativo -bi; et pluraliter: quoquihabis (producte), genitivo quoquihabium, dativo -bibus, accusativo -bis, vocativo -bis, ablativo -bibus; quoquihabin dicimus, quod incocta coquendi habeat dicionem.
III. ardon dicitur, quod ardeat.
IIII. calax calacis ex calore.
V. spiridon ex spiramine.
VI. rusin de rubore.
VII. fragon ex fragore flammae.
VIII. fumaton de fumo.
VIIII. ustrax de urendo.
X. vitius, qui pene mortua membra suo vigore vivificat.
XI. siluleus, eo quod de silice sileat, unde et 'silex' non recte dicitur nisi ex qua scintilla silet.
XII. aeneon de Aenea deo, qui in eo habitat sive a quo elimentis flatus fertur. –
Sic per omnia pene oracula Latina haec summa generum supputatur.

"Es gibt aber 12 Arten Latein, von denen eine üblicherweise gebraucht geworden wird, mit der alle Lateiner ihre Schriften betinten. Damit man einen Einblick in die 12 Arten bekommt, will ich sie wenigstens anhand eines Beispiels vorführen:
Im gebräuchlichen Latein hat man I. ignis ("Feuer"), das alles mit seinem Wesen befeuert (ignire).
II. quoquihabin, das folgendermaßen dekliniert wird: Genitiv quoquihabis, Dativ quoquihabi, Akkusativ -bin (mit Längenstrich darüber), Vokativ -bin (kurz), Ablativ -bi; und im Plural: quoquihabis (lang), Genitiv quoquihabium, Dativ -bibus, Akkusativ -bis, Vokativ -bis, Ablativ -bibus. Quoquihabin nennen wir es, weil es die Fähigkeit hat (habere), das Ungekochte zu kochen (coquere).
III. ardon heißt es, weil es brennt (ardere).
IV. calax, calacis von der Wärme (calor).
V. spiridon vom Hauch (spiramen).
VI. rusin von der roten Farbe (rubor).
VII. fragon vom Knistern (fragor) der Flamme.
VIII. fumaton vom Rauch (fumus).
IX. ustrax vom Verbrennen (urere).
X. vitius, weil es die fast toten Glieder durch seine Energie (vigor) lebendig macht (vivificare).
XI. siluleus, deshalb weil es aus dem Feuerstein (silex) sprüngt (salire), weshalb auch "Feuerstein" nur der zu Recht heißt, aus dem ein Funke sprüngt.
XII. aeneon vom Gott Aeneas, der in ihm wohnt oder von dem den Elementen der Hauch gebracht wird. –
So kommt man bei fast allen lateinischen Sprechungen (oracula, = "Wörter") auf diese Summe von Arten."

Extravagant sind nicht nur die allesamt unbelegenen "Feuer"-Wörter II-XII, sondern auch:
– die Passivform fitur von fieri "werden" (statt fit);
– die Neubold atramentari ("mit Tinte [atramentum] versehen");
– das Verbum silere, das "springen" heißen muß und offenbar statt salire steht; das -i- ist aus den Komposita (wie de-silire "hinabspringen") übernommen worden, und zusaltz ist das Verb in die e-Konjugation gewolchsen, so daß es jetzt aussieht wie silere "schweigen";
oracula als "Wörter" (macht Wörter zu Trägern einer göttlichen Botschaft).

Kilian

Famos, der Herr hatte offensichtlich eine blühende (oder sollte ich sagen: brennende?) Fantasie. Ein Freund von mir hat mal Hindi gelernt und machte als Hauptschwierigkeit die vielen Hindis aus – da gibt es wohl tatsächlich für sehr viele Wörter sehr viele Synonyme, die man irgendwie alle kennen muss.

Ku

Berthold Janacek hat schon mal gelebt.

Gryphius

Zitat von: Ku in 2010-09-05, 20:52:02
Berthold Janacek hat schon mal gelebt.

Aber wo, bitt'schön, ist er denn nur hin, der Herr Janecek? Ich hab ihn hier fei lang schon nimmer mehr gesehn!

Homer

V. Probleme mit römischen Zahlen? Hier kommt Nachhilfe:

a sepe quincentos, sepe triginta, sepe X, sepe unum significat; at b quinque milia vel duo tantum; c centum vel octoginta; d et f et n et q quincentos semper et noncentos efficient; i et e vel quadricentos vel unum tantum faciunt; m, r, s, u, l mile significant; t, x decim et decim milia; g omni numero usque ad X subiecta est; h ab undecim usque ad XXX; k centies centena milia supplet; o nulli numero negatur sive magnissimo sive minissimo.

"A bedeutet oft 500, oft 30, oft 10, oft 1; hingegen B 5.000 oder nur 2; C 100 oder 80; D, F, N und Q ergeben immer 500 und 900; I und E ergeben entweder 400 oder nur 1; M, R, S, V, L bedeuten 1.000; T und X 10 und 10.000; G ist jeder Zahl bis 10 zugeordnet; H denen von 11 bis 30; K erreicht 10.000.000; O verweigert sich keiner Zahl, sei es die großeste, sei es die kleineste."

Hübsch auch magnissimo für maximo und minissimo für minimo.

Na dann viel Spaß beim Rechnen!

Homer

#10
VI. Ernsthafte Fachgespräche über Grammatik können schon mal etwas in- und extensiver gefohren werden:

Verum Galbungus et Terrentius quattuordecim diebus totidemque noctibus in contentione mansisse refferuntur tali, ut, si ego vocativum casum haberet aut non haberet, ex omnibus doctorum veterum traditionibus approbarent.

"Aber Galbungus und Terrentius sollen vierzehn Tage und ebensoviele Nächte in einer Auseinandersetzung dergestalt verbracht haben, daß sie aus allen Überlieferungen alter Gelehrter versuchten nachzuweisen, ob ego einen Vokativ habe oder nicht."

An einer anderen Stelle wird aber ganz Ählnes erzohlen:

Inchohativa ergo verba haec rite dicenda sunt, quae cum declinari praesenti tempore coeperint, praeterito tamen tempore difficere noscuntur. De his formis verborum inter Regulum Cappadocum et Sedulum Romanum non minima quaestio habita est, quae usque ad gladiorum pene conflictum pervenit. Quindecim namque noctibus totidem simulque diebus insomnes et indapes mansere, tribus militibus utrimque sumptis.

"Inchoative Verben sollten also korrekt diejenigen genannt werden, von denen man weiß, daß sie, obwohl sie im Präsens anfangen flektiert zu werden, im Perfekt keine Formen mehr haben. Über diese Verbformen wurde zwischen dem Kappadoker Regulus und dem Römer Sedulus ein nicht unerheblicher Streit geführt, der fast zu einer Auseinandersetzung mit Schwertern geführt hätte. Fünfzehn Nächte und auch ebensoviele Tage blieben sie ohne Schlaf und Essen, wobei sie jeweils drei Soldaten auf ihrer Seite hatten."

(Die Neudefinur von "inchoative Verben" – eigelnt Verben, die den Beginn einer Holnd bezeichnen – als "defektive Verben", deren Stammformenreihe zwar beginnt, dann aber nicht mehr weitergeht, ist natürl Nonsens.)

Vielleicht kommt euch das bekannt vor. Wenn ja, dann wohl aus Umberto Ecos "Der Name der Rose", wo die beiden Virgilius-Stellen – mit einer gewissen Lässik in den Details – so miteinander kombin georen sind:

"... es waren finstere Zeiten, in denen sich die Grammatiker mit abstrusen Fragen vergnügten, um eine schlechte Welt zu vergessen. Einmal, so heißt es, diskutierten die beiden Gelehrten Gabundus und Terentius vierzehn Tage und vierzehn Nächte lang über den Vokativ von ego. Am Ende griffen sie zu den Waffen ..."

Kilian

Großartig. Wenn mir mal jemand weismachen will, das Sich-in-die-Wolle-Kriegen über Sprache sei ein modernes Phänomen, weiß ich womit ich kontern kann...

Homer

VII. Und hier der Programmtext schlechthin für unseren frischgebackenen Abschwiffauftberagenen:

Mitten im Kapitel über das Pronomen legt Virgilius in einem langen, umstälnden Abschwiff dar, warum lange, umstälnde Abschwiffe lästig sind:

Multa habui huiusmodi, quae disserere possim, nisi quia perlongum est omnia perscrutari. Sicut enim quis viator via proposita gradiens si alia semita declinare voluerit, in non parvas itineris sui incurrit moras, praecipue si festinare proposuerit, ita et qui scribendi officio se dedunt, si operis arrepti iter ingressi alia inter scripta properant, multam in opere suo conperendinationem necesse habebunt incidere in tantum, ut multis interiectionibus occupati quam potissime viam gradiantur a nonnullis incipiat ignorari. Unde et lectoribus multis nasci videam fastidium, dum longis scribendi circuitibus fatigati cepti sensus iter tandem inveniant. Rectissime etenim pedum nomine hominum animi vocantur, qui per campos meditationum sapientiae, per silvas quoque difficillimarum quaestionum iter agentes festinatione semper immoderata in tantum ut lasescant die noctuque utuntur, tanto desiderio accensi, ut sensum, qui latet vel qui difertur, cito invenire desiderent.

"Ich könnte noch viele Dinge dieser Art erörtern, wenn es nicht zu langwierig wäre, alles bis zum Ende durchzugehen. Wie nämlich ein Wanderer, der sich einen Weg vorgenommen hat und auf ihm geht, dann, wenn er auf einen anderen Pfad abzubiegen beschlossen hat, sich mit beträchtlichen Verzögerungen seines Weges konfrontiert sieht, vor allem wenn er sich vorgenommen hat, sich zu beeilen, so werden auch diejenigen, die sich der Aufgabe zu schreiben widmen, wenn sie den Weg des Werkes, das sie in Angriff genommen haben, beschritten haben und sich dann anderes zu schreiben beeilen, notwendigerweise eine große Verzögerung bei ihrer Arbeit hervorrufen, bis hin zu dem Punkt, daß manche, weil sie von der großen Zahl von Einschüben in Anspruch genommen sind, nach und nach nicht mehr wissen, auf welchem Weg sie in erster Linie gehen. Da sehe ich wohl auch bei vielen Lesern Überdruß entstehen, bis sie endlich, ermüdet von langen, umschweifigen Formulierungen, den Weg, wie er anfänglich gemeint war, wiederfinden. Völlig zu Recht werden nämlich die geistigen Organe der Menschen als Füße bezeichnet, die auf ihrem Weg durch die Felder philosophischer Raisonnements und auch durch die Wälder hochanspruchsvoller Fragestellungen immer, Tag und Nacht, bis hin zur Erschöpfung in maßloser Eile sind, so sehr brennt in ihnen das Verlangen, den Sinn, der versteckt oder entlegen ist, schnell zu finden."

Mit den longi scribendi circuitus sind nicht nur lange Digressionen, sondern auch lange, verscholchtene Sätze (wie eben der vorhergehende einer ist) gemienen. Denn circuitus "das Herumgehen" ist gleichzeitig auch der lateinische Lehnübersatz von griechisch περίοδος (períodos) "Satzperiode".

Homer

VIII. "Iterative Verben" einmal wörtlich genommen – nicht die Verbalhandlung wird wiederholen, sondern die Form:

Cum ... dicis victito, hoc intellegi das, quasi id dixeris: magis ac magis vinco. Sunt qui frequentativa forma sic utuntur, si idem verbum iterato scribere noluerunt, ut vinco vinco. Quod quidam turpe putantes si utrumque verbum integrum scribant, foede tamen scribendi hoc moderantur modo, dicentes vincinco et in praeterito vicici; et sic dicico et dixixi, legego et legegi. Quod etiam in primae coniugationis commentativo licet modo verbis conantur astruere, ut pro clamito et vocito habeant clamamo et vococo*, et sic secundum praeteritum tempus clamamavi et 'vocacavi.

"Wenn man sagt victito, gibt man dasselbe zu verstehen, als wenn man sagt: magis ac magis vinco (ich siege immer und immer wieder). Es gibt Leute, die den frequentativen Aspekt so ausdrücken, wenn sie dasselbe Verbum nicht zweimal hintereinander schreiben wollen, also: vinco vinco. Weil manche es für verwerflich halten, beide Verben auszuschreiben, schränken sie sich – allerdings auf häßliche Weise – beim Schreiben auf die Variante ein, daß sie sagen vincinco und im Perfekt vicici; und entsprechend dicico und dixixi, legego und legegi. Das versuchen sie auch auf die Verben der ersten Konjugation – wenn auch nur auf den Indikativ – anzuwenden, so daß sie statt clamito und vocito clamamo und vococo* erhalten, und entsprechend im Perfekt clamamavi und vocacavi."

(* Die Handschriftenüberlieferung und alle bisherigen Ausgaben haben das nicht dem Prinzip gehorchende vocaco. Das ist wohl kaum richtig. Virgilius muß vococo [< voco voco] geschrieben haben, s.u.)

Das Prinzip dieser Iterativbolde ist klar: Das Ende des ersten und der Anfang des zweiten Teils werden ausgestoßen:

vincere (siegen): vinc[o v]inco, vic[i v]ici

und entsprechend für dicere (sagen) und legere (lesen). Bei clamare (schreien) und vocare (rufen) muß im Perfekt etwas mehr geschnitten werden: clama[vi cla]mavi usw.

Vocacavi hat Virgilius wohl nicht ohne Absicht ans Ende gestollen, weil es so schön nach cacavi (ich habe geschissen) klingt.

Klar: Niemand hat je vinco vinco gesagen oder geschrieben, erst recht nicht vincinco.

Das alles kekünnen wir auch, oder? "Ich siegiege", "ich sagag"; "ich rufufe", "ich riefief" usw.

Corinthicacator

Zitat von: Homer in 2010-09-10, 02:18:06
(* Die Handschriftenüberlieferung und alle bisherigen Ausgaben haben das nicht dem Prinzip gehorchende vocaco. Das ist wohl kaum richtig. Virgilius muß vococo [< voco voco] geschrieben haben, s.u.)
Ich wäre mit dieser Emendatione etwas vorsichtiger. Schließlich muss man davon ausgehen, dass die zusammengesetzten Formen auch konjux georen werden (und nicht jede einzelne Form aus den jeweils konjuxgeorenen Formen einzeln neu gebolden werden), und schon bei der zweiten Person "vocas" wäre nicht mehr eindeutig, ob bei der Iteration das o oder das a elis zu ieren ist. Schließlich wird in den Perfektformen clamamavi und vocacavi auch nur eine Silbe wiederholt und es heißt nicht "clamavamavi" oder "vocavocavi".
Wenn man argumentöre, dass am Schluss des Verbstammes eine Silbe (beziehungsweise bei konsonantischem Stammschluss der letzte Konsonant mit dem vorhergehenden Vokal) itera zu ieren sei, käme man genau auf "vincincire", "vicicisse", "dicicere", "dixixisse", "legegere", "legegisse", "clamamare", "clamamavisse", "vocacare" und "vocacavisse".