Gesellschaft zur Stärkung der Verben

Öffentliche Bretter => Sprache => Thema gestartet von: leppom in 2005-03-08, 16:27:42

Titel: Wer kennt sich aus? (Biblisches Thema)
Beitrag von: leppom in 2005-03-08, 16:27:42
In Römer 6, Verse 2 und 8 steht das Verb:
"apethanomen" (wörtlich: wegsterben).
Das Gramma für dieses Verb lautet: "V_2Aor Act Ind 1 Pl".
Und in Kolosser 3, Vers 5 steht das Verb:
"nekrosate" (wörtlich:ertotet).
Das Gramma für dieses Verb lautet: "V_2Aor Act Imp 2 Pl".
Bei beiden Verben komme ich mit dem Gramma: "Act" nicht zurecht.
"Act" ist doch der Hinweis auf eine aktive Tätigkeit der Person(en).
Wer von Euch kennt sich da aus?
Titel: Re:Wer kennt sich aus? (Biblisches Thema)
Beitrag von: caru in 2005-03-08, 19:10:37
Die grammatischen Angaben sind ganz richtig.

nekroô "töten" ist ein aktives, transitives Verb: ich töte jemanden, oder jemand tötet mich.

apothnêsko "sterben" mit dem Aorist apethanon ist ein aktives, intransitives Verb - wie das -sk- im Präsens anzeigt, bedeutet es den Übergang von einem Zustand in den anderen.

Es kann einen schon verwirren, daß Verben, die so etwas Passives beschreiben wie das Sterben (man stirbt ja meistens nicht, weil man will, sondern weil man muß) in vielen Sprachen aktiv sind. Im Lateinischen ist es ja auch anders, da heißt "ich sterbe" morior.

Hast du eine Muttersprache, wo es anders ist - wo nur wirkliche aktive Handlungen mit aktiven Verben dargestellt werden?
Titel: Re:Wer kennt sich aus? (Biblisches Thema)
Beitrag von: amarillo in 2005-03-08, 19:42:27
Es fällt mir sehr schwer zu sagen, ob "sterben" ein passiver oder ein aktiver Vorgang ist, ob das Wollen und das Müssen hier eine Erklärung näher bringen?

Wachsen, werden, gedeihen etc. sind für mich Verben gleichen zwitterhaften Ausdrucks. Seltsamerweise bilden wir die vollendete Gegenwart dieser Verben mit "sein", ein Umstand, der an ein Passiv gemahnen könnte. Aber wir tun das auch mit vielen Verben der Bewegung, und hier läßt sich ja kein Passiv unterstellen.
Titel: Re:Wer kennt sich aus? (Biblisches Thema)
Beitrag von: leppom (Reakt.) in 2005-03-08, 20:22:02
Danke Caru & Amarillo, betrachtet man die vollständige Wortliste im Neuen Testament, kann einem die Verbform "aktiv" in Beziehung zu "sterben" und "töten" wirklich Rätsel aufgeben. Vorallem dann, wenn es in den Parallelstellen um "gehen", "essen", "trinken", also bekannte Verben geht. Auch an diesen Stellen wird selbiges Gramma verwendet.
Da es in der Bibel aber grundsätzlich zwei handelnde Seiten (Gott & Mensch) gibt, möchte ich die Frage nach dem Handelnden ("Act") vorerst hinten anstellen. Paulus der Schreiber beider Briefe (Römer & Kolosser) schreibt das vorbeschriebene Wort (hier Kolosser 6, Vers 5: "nekrosate" im "Imp". Heißt es dann: "ertötet habend" oder "ertötet haben" oder noch anders? Denn dieses Wort steht am Satzanfang des 5. Verses als Aufforderung (Act!) an die Gläubigen in Kollosä. Wie würdet Ihr dieses Wort -wenn auch umständlich- übersetzen?
Titel: Re:Wer kennt sich aus? (Biblisches Thema)
Beitrag von: caru in 2005-03-08, 20:29:52
Ich als einigermaßen brauchbarer Gräzist, ohne jede theologische Ausbildung, verstehe den Satz zunächst einfach so, wie ihn (wahrscheinlich) ein heidnischer Grieche verstanden hätte:

"Tötet darum die Teile, die zur Erde gehören: Hurerei, Unreinheit, Leidenschaft, böse Begierde..." usw.

nekroô ist im klassischen Griechisch nicht sehr gebräuchlich, aber es kommt doch von nekros "tot" und heißt nichts weiter als "töten".
Titel: Re:Wer kennt sich aus? (Biblisches Thema)
Beitrag von: leppom in 2005-03-08, 20:40:43
Mir fällt es auch schwer zu bestimmen, ob "Sterben" ein passiver oder ein aktiver Vorgang ist. Einerseits ist Sterben der Höhepunkt körperlicher Schwäche; der Tot tritt ein. Das ist der Übergang von einem Zustand in den anderen, wie Caru es beschreibt. Tatsächlich steht im Hebräischen auch nicht "... wenn ihr (Adam & Eva) von der Frucht dieses Baumes eßt, werdet ihr sterben" sondern es steht geschrieben: "... ihr werdet sterbend sterben" eben, bis die äußerste Schwachheit des Körpers eintritt und der Mensch stirbt bzw. erstirbt. Armarillo, Dein Hinweis mit dem Willen eines Menschen bringt mich weiter. Der Wille scheint in dieser Hinsicht von Bedeutung zu sein; insbesondere für "Act" im Gramma.
Titel: Re:Wer kennt sich aus? (Biblisches Thema)
Beitrag von: leppom in 2005-03-08, 20:57:32
Caru, könnte man die betreffende Zeitform: "Imp" auch übersetzen, indem die Handlung "töten" in der Vergangenheit begonnen hat und in der Gegenwart noch andauert bzw. die Handlung fortdauernd (unbefristet) anhält?
Titel: Re:Wer kennt sich aus? (Biblisches Thema)
Beitrag von: caru in 2005-03-08, 21:14:47
Nach klassischem griechischem Gebrauch kann man das nicht, im Gegenteil: der Imperativ Aorist wird gerade für die Aufforderung benutzt, mit einer Handlung erst anzufangen.

Paulus fordert die Gemeindemitglieder ja auf, ihr Leben von Grund auf zu ändern; das läßt sich aus Vers 7 und 8 gut erkennen, glaube ich.
Titel: Re:Wer kennt sich aus? (Biblisches Thema)
Beitrag von: leppom in 2005-03-08, 21:36:48
Caru, dass macht Sinn was Du sagst; auch im Hinblick auf das Wort: "apothesthe" (ablegen). Es steht auch im "2Aor (Mid) Imp".
Trotzdem klingt: "töten" nach Präsens und nicht nach Imperfekt; oder?
Worin hätte denn für einen klassischen Griechen sonst eine Unterscheidung bestanden? Wie müßte man sich das vorstellen? Hast Du als Gräzist noch einen anderen Hinweis?
Titel: Re:Wer kennt sich aus? (Biblisches Thema)
Beitrag von: caru in 2005-03-08, 21:56:33
Nein, nein! Nicht Imperfekt! Imperativ!!!

Dieselbe Verbalform kann ja nicht gleichzeitig Aorist und Imperfekt sein - das sind beides Zeiten. Der Imperativ dagegen ist ein Modus, und zwar die Befehlsform.

Bei apethanomen steht ja auch "Aor Ind", das heißt Aorist Indikativ - und der Indikativ ist auch ein Modus: die normale Aussageform.

Ein Imperativ ist, genau genommen, weder Präsens noch Vergangenheit noch Zukunft - es ist ja von einer Handlung die Rede, die erst passieren soll - und man weiß noch nicht, ob sie wirklich passieren wird, nur der Sprecher will, daß sie passiert.

Imperativformen gibt es im Griechischen auch nur für das Präsens (das ist die allgemeinste Form des Befehls) und für den Aorist (der hat den ingressiven Aspekt - er betont, daß die Handlung erst beginnen soll).
Deutlicher ist der Unterschied bei verneinten Imperativen:

mê thorybeite! "Lärmt nicht!" (die Angesprochenen haben schon eine Zeitlang Lärm gemacht und sollen jetzt damit aufhören)

mê thorybêsate! "Fangt nicht an zu lärmen!" (die Angesprochenen machen bisher noch keinen Lärm, aber sie sollen jetzt nicht damit anfangen)
Titel: Re:Wer kennt sich aus? (Biblisches Thema)
Beitrag von: leppom in 2005-03-08, 22:00:42
Vielen Dank für Deine Hinweise Caru! Das hilft mir weiter.
Titel: Re:Wer kennt sich aus? (Biblisches Thema)
Beitrag von: gehabt gehabt in 2005-03-08, 23:21:23
Zitat von: caru in 2005-03-08, 21:14:47
Nach klassischem griechischem Gebrauch kann man das nicht, im Gegenteil: der Imperativ Aorist wird gerade für die Aufforderung benutzt, mit einer Handlung erst anzufangen.

Paulus fordert die Gemeindemitglieder ja auf, ihr Leben von Grund auf zu ändern; das läßt sich aus Vers 7 und 8 gut erkennen, glaube ich.

man wird geboren, man lebt, man stirbt

(im Deutschen jedenfalls, im Spanischen und anderen romanischen Sprachen ist das Geborenwerden aktivisch: yo nazco).

Ich glaub im Deutschen schwingt mit, dass man fuer seine Geburt nichts kann, aber das Leben und den Tod aktiv erlebt oder bestimmt.

Heute ist es ja  so, dass man damit rechnen muss auf einer Intensivstation zu sterben, nicht weil alles seine Zeit hat, sondern weil jemand mehr oder weniger explizit den Stecker zieht. In so einem Falle koennte man in der Strbeanzeige schreiben: "Gestern wurde unsere liebe Oma im Stadtkrankenhaus gestorben."
Titel: Re:Wer kennt sich aus? (Biblisches Thema)
Beitrag von: leppom in 2005-03-09, 13:40:45
Gehabt, Gehabt, man könnte auch sagen: "man zeugt, man gebiert, man lebt, man stirbt"; Sagt man: "man wird gezeugt, man wird geboren, man wird gelebt, man wird gestorben, man wird begraben", sind lediglich die ersten beiden und das letzte Element nachvollziehbar; alle Elemente befinden sich aber im "aktiva". Es ist doch wie bei einem Baum, den ich pflanze. Wächst und gedeiht er, kann man tatsächlich beides, "aktiva" und "passiva" darin finden. Eigentlich suche ich nur nach einer für mich plausiblen Erklärung über die Gedankenwelt und die Vorstellungen der damaligen Erdenbürger, um schließlich auch biblische Hintergründe besser verstehen zu lernen. Interessant ist auch, dass es im Hebräischen nur ein Wort für Zeugung und Geburt gibt. Der Hebräer konnte so nicht wie der Grieche zwischen zwei Worten, zwei Bezeichnungen unterscheiden. Da liegt in der Zeugung vielleicht der "aktive" Anteil und im Geborenwerden, der "passive"? Erst die Aufteilung in zwei Worte macht uns stutzig, oder?
Titel: Re:Wer kennt sich aus? (Biblisches Thema)
Beitrag von: leppom in 2005-03-09, 18:44:29
Gehabt Gehabt, noch eins ist mir in diesem Zusammenhang aufgefallen: Im hebräischen Grundtext liegt [im Gegensatz zum hellenischen] auch zwischen Sterben (passiva) und Ertoten (aktiva) kein Unterschied vor. Erst im hellenischen Grundtext wird deutlich, dass Ersterben vorwiegend den Fleischesleib und seine Möglichkeiten betrifft, während das Ertoten inhaltlich mehr auf die mit dem Ertoten verbundenen Trennungen vom Gesetz, der Sünde, vom Kosmos und den darin Wohnenden, ebenso auch der Seele vom Fleischesleib hinweist. Sterben betrifft also den Leibes eines Menschen und das Ertoten hingegen ist eine Sache des Geistes eines gläubigen Menschen. Die größten Verständnisprobleme entstehen in der Beurteilung von "aktiva" und "passiva" demnach am ehesten, wenn aus einem Verb wie im Hebräischen (Grundsprache) z.B. wie später im Hellenischen (Folgesprache) ein oder mehrere Verben (Schöpfungen) hervorgehen. Wie siehst Du das?
Titel: Re:Wer kennt sich aus? (Biblisches Thema)
Beitrag von: gehabt gehabt in 2005-03-10, 10:41:36
Ich habe bzgl. dem Passiv von sterben und seinem (und anderer Verben) Kausativ einen neuen Kaden gesponnen (Unter Neue Ideen).


Unser Philosophielehrer auf dem Gymnasium hat die These vertreten, Descartes habe zwar "Cogito ergo sum" gesagt, wollte aber letztlich auf ein "Cogitor ergo sum" hinaus. ( ich werde durch Gott gedacht).

Montaigne hat gesagt: Philosophieren heisst sterben lernen.
Sterben ist also fuer Montaigne etwas sehr Aktives gewesen und nichts was einen schliesslich ereilt.

Frage in den Raum gestellt:

warum gibt es zwei Formen des Perfekts (mit sein und haben)?

Warum sagt man: "er hat gelebt" aber: "er ist gestorben"



Titel: Re:Wer kennt sich aus? (Biblisches Thema)
Beitrag von: leppom in 2005-03-10, 13:19:07
Gehabt Gehabt, an allem scheint ein Funken Wahrheit zu haften. Der philosophische Gedanke Montaignes gibt sehr zu denken. Sterben kann man nicht Erlernen sondern Lernen. Wüsste ein Neugeborenes Kind vom Sterben würde es wünschen nicht geboren zu sein. So sind die Tage des Menschen auch dafür da, dass er in dieser Zeit lernt, dass er wieder sterben muss und deshalb auch sorgsam mit jeder Stunde, jedem Augenblick seines Lebens haushaltet. Wüsste der Mensch wo er war, ehe er geboren und wüsste er was nach seinem Tode geschieht, würde er noch viel mehr wissen was Sterben wirklich heißt. Da wir alle größtenteils mit Schrecken an den Tag und die Stunde denken, können wir so vermutlich auch nichts Rechtes darüber lernen. Wie viel Aktivismus (bei Montaigne unzweifelhaft vorhanden) wird doch einem Menschen dabei abverlangt. Deshalb gerät die Masse der Menschen auch in dieser Hinsicht immer mehr in Passivität. Sie will darüber nichts lernen.
Wie Du sicherlich festgestellt hast, halte ich die Bibel für glaubwürdig, ja als die zuverlässigste Quelle, die mir in all diesen Fragen erste und letzte Antwort gibt. Und so glaube ich auch, dass es gewiss seinen göttlichen Sinn und auch seine göttliche Ordnung hat, dass der Mensch vorerst in einem vergänglichen Leibe wohnt und damit der Vergänglichkeit unterworfen ist. Warum? Um zu lernen! Im Gegensatz dazu ist der Geist eines jeden Menschen unvergänglich, unsterblich. Mit diesen beiden Gegensätzen sieht sich der Mensch zeitlebens konfrontiert; bewusst oder unbewusst, ob er will oder nicht. Einerseits weiß er um Unvergänglichkeit, dass weiß er intuitiv in seinem Geist und gleichzeitig stellt er fest, dass er aber in einem vergänglichen, sterblichen Leibe wohnt, ja darin gefangen ist. Montaigne hat gelernt an dem was er sah und lernte damit aktiv zu rechnen, dass er wie alle anderen, sterben muss. Indem war er mutig und vielen seiner Mitmenschen weit voraus. Aber war es letztendlich doch nicht mehr als Einfügen in unendliche Gesetze dieses Kosmos. Montaigne wusste nicht woher er kam und wohin er ging. Er hat zwar mit dem Sterben gerechnet und dennoch war wegen seiner falschen Rechenformel auch das Ergebnis falsch. Was hat er wirklich gelernt? Nicht das, was doch alle wissen, nur nicht darüber reden?
Titel: Re:Wer kennt sich aus? (Biblisches Thema)
Beitrag von: leppom in 2005-03-10, 17:38:31
Hallo Caru, Du hast am 8. März u.a. geschrieben: "... für den Aorist (der hat den ingressiven Aspekt - er betont, daß die Handlung erst beginnen soll)". Bitte schau mal in Johannes 6, Vers 49. Dort steht das Wort: "apethanon"; dass Gramma lautet: "V_2Aor Act Ind 3 Pl". Wenn Du schreibst, dass der Aorist betont, dass die Handlung erst beginnen soll, dann komme ich an dieser u.a. Stellen nicht weiter. Wie hier im Text wird doch ein abgeschlossener Sachverhalt aus der Erinnerung (ca. 400 Jahre), also aus längst vergangenen Zeiten beschrieben. Habe ich einen Gedankenfehler?
Titel: Re:Wer kennt sich aus? (Biblisches Thema)
Beitrag von: gehabt gehabt in 2005-03-10, 21:13:26
Wo wir gerade beim Griechen sind, dass ich zwar nicht beherrsche, (aber wie unser Dozent im pholosophischen proseminar sagte: mit 100 griechischen Woerten kann man fast alles verstehen): Leppom stelle ich mir eher leicht und schlank vor, wenn ichs vorwaerts, nicht hingegen wenn ich den Namen rueckwaerts lese. Ist das beabsichtigt?
Titel: Re:Wer kennt sich aus? (Biblisches Thema)
Beitrag von: leppom in 2005-03-10, 21:57:25
Oh...Gehabt Gehabt, jetzt bin ich entlavt! Nein nein, die Rückversion entstand mal aus Verlegenheit über ein merkfähiges Passwort. Mein Spiegel verrät mir unterdessen, das ich mehr leppom als moppel bin.