In Gogols Fragment "Rom", übersetzt von Josef Hahn, las ich soeben:
Die Aufmerksamkeit der Menge nahm ein Draufgänger gefangen, der auf haushohen Stelzen einherging und riskierte, jeden Augenblick herabgeschleudert zu werden und sich auf dem Pflaster zu Tode zu fallen.
Hat noch jemand Belege für ein reflexives fallen?
Mir war dies bisher völlig unbekannt.
vielleicht eine analogiebuld zu "sich zu tode stürzen"?
nachdem "fallen" eigentlich keine aktivität des subjekts andeutet, hat die reflexive verwendung zunächst mal wenig sinn.
Wenn man SICH aber zu Tode stürzt, dann tut man das normalerweise vorsätzlich.
Hier geht es aber darum, dass die Gefahr besteht, dass der Stelzenläufer durch einen Unfall ums Leben kommt. Schon allein dies macht mir das Reflexive, das ja - soweit ich weiß - für gewöhnlich eine gewollte* Handlung ausdrückt, für mich sehr unglücklich.
*Ich habe mich geschnitten, weil ich etwas schneiden wollte. Dass ich dann selbst zwischen das Messer und das eigentlich zu Schneidende geraten bin, ist dabei nebensächlich.
Warum sollte man sich nicht zu Tode fallen können, wenn man sich doch auch zu Tode trinken oder fixen kann. Auch hier würde ich den Betroffenen keine gewollte Handlung unterstellen, sondern höchstens grobe Fahrlässigkeit.
Dass der Säufer trinkt, kann man aber nicht als Unfall bezeichnen.
Der daraus resultierende Tod ist zwar nicht gewollt, aber eine Folge dessen, was er nicht unabsichtlich gemacht hat.
Wenn ich mich schneide, dann passiert das ja auch nicht, weil ich mir eine Wunde zufügen will. Das Schneiden selbst ist aber gewollt.
Wer sich zu Tode stürzt, stürzt aber aus eigenem Antrieb.
Vielleicht wollte er ja auch nur stürzen, um sich einen Arm zu brechen.
Zitat von: VerbOrg in 2006-09-10, 21:03:53
Der daraus resultierende Tod ist zwar nicht gewollt, aber eine Folge dessen, was er nicht unabsichtlich gemacht hat.
Das gilt analog auch für den Stelzenläufer. Auch er nimmt billigend in Kauf, zu Tode zu kommen, ob bewusst oder unbewusst, sei dahingestellt. Und in diesem Bereich halte ich die Grenzen zwischen Unfall und grober Fahrlässigkeit für fliessend.
Davon mal abgesehen las ich mehrfach in der Zeitung, dass sich Bergsteiger und Freeclimber bei ihren Aktivitäten zu Tode stürzten. Auch das war bestimmt keine Absicht.
Der Stelzenläufer nimmt aber keinen Tod in Kauf, weil er sich willentlich STÜRZT. Stürzen will er ja gerade nicht.
Er könnte sich höchstens zu Tode stelzen, weil er BEIM Stelzen laufen zu Tode kommt.
Wenn es nur um Möglichkeiten aus dem allgemeinen Sprachgebrauch geht, "fallen" reflexiv zu verwenden, dann finden sich verschiedene. Zunächst einmal im unpersönlichen Gebrauch:
Auf dieser Matte fällt es sich besonders weich.
Im persönlichen Gebrauch findet man wohl häufiger als das akkusativische Reflexivpronomen das dativische:
Er fällt sich selbst auf den Wecker.
Sie fallen sich gegenseitig ins Wort.
Das Brautpaar fällt sich in die Arme.
Falls beim Judo (wo das Fallen bis zum Exzess geübt wird) Preise für die besten Fälle vergeben würden, hätte unser Meister sich schon längst eine goldene Nase gefallen.
Nach Newtons Gravitationstheorie fällt nicht der Apfel auf die Erdoberfläche, sondern der Apfel und die Erde fallen sich gegenseitig auf ihre Oberflächen.
Aber auch akkusativisch scheint mir die Verwendung möglich zu sein:
Der Vorhang fällt sich von allein in die richtige Position.
Der obige Judomeister hätte sich unter den selben Bedingungen reich gefallen.
Zitat von: Agricola in 2006-09-11, 17:17:10Er fällt sich selbst auf den Wecker.
Ziemlich übertragener Sprachgebrauch, wie ich finde.
ZitatSie fallen sich gegenseitig ins Wort.
Das Brautpaar fällt sich in die Arme.
Wenn man so will, fällt man hier nicht sich, sondern einander.
ZitatFalls beim Judo (wo das Fallen bis zum Exzess geübt wird) Preise für die besten Fälle vergeben würden, hätte unser Meister sich schon längst eine goldene Nase gefallen.
Klingt plausibel.
ZitatNach Newtons Gravitationstheorie fällt nicht der Apfel auf die Erdoberfläche, sondern der Apfel und die Erde fallen sich gegenseitig auf ihre Oberflächen.
Sie fallen wieder nicht SICH, sondern SICH GEGENSEITIG, also einander entgegen.
ZitatDer Vorhang fällt sich von allein in die richtige Position.
Hier finde ich das "sich" völlig überflüssig. Der Vorhang fällt halt so, wie er soll. Ich kann mir nicht vorstellen, dass ein unbelebter Gegenstand wie ein Vorhang "sich" fällt.
ZitatDer obige Judomeister hätte sich unter den selben Bedingungen reich gefallen.
Wie schon oben gesagt: sehr plausibel.
Ich habe zwar noch nicht live gesehen, wie Judomeister sich fallen, dafür können sich andere daran ergötzen.
Ich werde mich höchstens hin und wieder fallen lassen - von wem eigentlich?
Der Unterschied zwischen reflexivem Gebrauch (ich fühle mich krank) und wechselseitiger Geltung des Reflexivpronomens (die beiden mögen sich) ist zwar in gewissen Fällen ganz offensichtlich, aber er gibt Fälle, wo die Grenzen verschwimmen.
"Das Volk ist sich seiner selbst bewusst." Wer genau ist sich hier wessen bewusst? Auf jeden Fall liegt das Bewusstsein bei einzelnen, aber es bezieht sich auf alle, unter Einschluss ihrer selbst. Also reflexiv oder wechselseitig?
"Die Menge lag sich in den Armen." Natürlich ich dir und Fritz Torsten, aber darum geht es ja bei dieser Aussage nicht.
Ebenso im Fall der Gravitation: "Die Körper ziehen sich an." Ja, gegenseitig, aber im Grunde zieht nicht nur der eine Körper den anderen an sich heran, sondern auch sich an den anderen. Also ist es doch eher so, dass sich das Paar auf der Paar fallen lässt und nicht einer auf den anderen und umgekehrt.
Die Gegenseitigkeit ist eben auch eine Form der Reflexivität, nämlich die Beziehung eines Paars auf sich selber.
Die Sache mit dem Vorhang: - Ja, das "sich" hat keine wichtige Funktion im Hinblick auf den sachlichen Vorgang, aber es ist eine Frage der Perspektive. Wenn ein Vorhangproduzent die Vorteile seines Produktes anpreisen will, möchte er vermitteln, dass es die Eigenschaft des Vorhangs selber ist, seine richtige Lage anzunehmen, und eben nicht zufällig geschieht. Also das "sich", um den Vorgang als aktiven darzustellen.
Zitat von: Agricola in 2006-09-11, 19:11:46"Die Menge lag sich in den Armen." Natürlich ich dir und Fritz Torsten, aber darum geht es ja bei dieser Aussage nicht.
Das geht ja nicht. So lange Arme gibt's ja nicht! ;D
Zitat"Das Volk ist sich seiner selbst bewusst." Wer genau ist sich hier wessen bewusst? Auf jeden Fall liegt das Bewusstsein bei einzelnen, aber es bezieht sich auf alle, unter Einschluss ihrer selbst. Also reflexiv oder wechselseitig?
Für mich ist das eindeutig reflexiv.
Das Volk ist hier ein Ganzes. Die einzelnen Individuen, aus denen es sich zusammensetzt, treten in den Hintergrund. Sozusagen ist es ein kollektives Bewusstsein.
Paare, die sich in den Armen liegen sind dabei für mich zunächst einmal zwei Individuen, die diese Ganzheit zwar anstreben, die Gegenseitigkeit des in den Armen Liegens ist allerdings - so wie ich das sehe - von Bedeutung.
Zitat"Die Körper ziehen sich an." Ja, gegenseitig, aber im Grunde zieht nicht nur der eine Körper den anderen an sich heran, sondern auch sich an den anderen. Also ist es doch eher so, dass sich das Paar auf der Paar fallen lässt und nicht einer auf den anderen und umgekehrt.
Die Körper mögen sich zwar auch an den anderen heranziehen, aber das ist für mich eher wieder eine Gegen- oder Wechselseitigkeit.
Übrigens: Mein Körper zieht sich auch an, und das jeden Morgen aufs Neue. Und ganz ohne Gegenseitigkeit seitens der Klamotten. ::)
Zitat von: VerbOrg in 2006-09-11, 19:23:21
Übrigens: Mein Körper zieht sich auch an, und das jeden Morgen aufs Neue. Und ganz ohne Gegenseitigkeit seitens der Klamotten. ::)
Dein Körper zieht sich ungefähr so selbst an wie die Paare sich umarmen. Zieh Dir mal Deine Handschuhe an und beobachte, wer da wen anzieht.
Ich probier das jetzt nicht aus. Dazu ist es mir zu warm. Aber:
Meine eine Hand (= Teil meines Körpers) nimmt einen Handschuh in sich. Die andere (ebenfalls Teil meines Körpers) fährt - ohne sich, wenn auch selbst - in den Handschuh hinein und nimmt dann - gleichwohl bereits im Handschuh steckend - den anderen Handschuh in sich, woraufhin dann die zweite Hand in diesen fährt.
Gut, damit hat mein Körper nicht sich sondern die Handschuhe angezogen, aber was beweist das schon?
Ich finde, zumindest meine Erklur des anzüglichen Vorgangs ist mir sehr gut gelungen. :D
Zitat von: VerbOrg in 2006-09-11, 19:52:39
Ich probier das jetzt nicht aus. Dazu ist es mir zu warm. Aber:
Meine eine Hand (= Teil meines Körpers) nimmt einen Handschuh in sich. Die andere (ebenfalls Teil meines Körpers) fährt - ohne sich, wenn auch selbst - in den Handschuh hinein und nimmt dann - gleichwohl bereits im Handschuh steckend - den anderen Handschuh in sich, woraufhin dann die zweite Hand in diesen fährt.
Gut, damit hat mein Körper nicht sich sondern die Handschuhe angezogen, aber was beweist das schon?
Ich finde, zumindest meine Erklur des anzüglichen Vorgangs ist mir sehr gut gelungen. :D
Aber welche Hand zieht, wenn die linke Hand den Handschuh ankriegt?
Na ja, die rechte zieht und die linke schiebt. Was aber egal ist, weil ja sowohl die linke als auch die rechte Hand als Teile desselben Körpers zählen.
Und es zieht ja nicht die eine Hand die andere an, sondern mein Körper (zu dem beide Hände zählen) sich selbst, auch wenn er eher den Handschuh zieht.
Und außerdem bezweifle ich, dass es der Körper ist, der sich anzieht. (Hab' ich auch noch nie gehört, dass jemand gesagt hätte: Warte mal, mein Körper muss sich noch anziehen!) Es ist also eher der Geist, der dem Körper etwas anziehen lässt.
Im übrigen haben sich gerade meine beiden Hände gegenseitig gewaschen. Und jetzt muss mein Geist meinen Körper beeilen, damit mein innerer Schweinehund meinen guten Geist nicht verzettelt, so dass mein Mund nachher meine Hände für die verspätete Fertigstellung meines Manuskripts entschuldigen muss.
Zitat von: Agricola in 2006-09-11, 20:15:45
Und außerdem bezweifle ich, dass es der Körper ist, der sich anzieht. (Hab' ich auch noch nie gehört, dass jemand gesagt hätte: Warte mal, mein Körper muss sich noch anziehen!) Es ist also eher der Geist, der dem Körper etwas anziehen lässt.
Aber wohnt der Geist nicht auch im Körper?
Der Körper ist doch nichts anderes als die Physische Seinsheit des "Ich". Und du hast bestimmt schon gehört, dass jemand sug: "Ich muss mich noch schnell anziehen." Die Ausführung übernimmt dann - wenn auch gesteuert vom Geist - der Körper selbst. Und der ist es ja auch, der dann angekleidet ist. Oder hast du schon mal einen bekleideten Geist gesehen?
Reflexivität wird ja soviseau überall anders hand gehabt.
Jag lär mig svenska heißt wörtlich übersetzt
Ich lerne mir Schwedisch;
anders ausgedrückt auch:
Ich lehre mich Schwedisch.
Dabei lehrt einen doch normalerweise der Lehrer - wenn man's nicht gerade im Selbststudium betreibt.
Wenn die Spanier aufwachen, dann gibt's dafür das reflexive Verb
despertarse. Erweckt man sich wirklich selbst aus dem Schlaf?
Um mal wieder zu "fallen" zurückzukommen:
Ich kann mir nicht vorstellen, dass sich ein Stelzenläufer fällt wie ein Judomeister, zumindest nicht in aller Öffentlichkeit. Ob er sich beim Üben seiner Kunst hin und wieder fällt, um (sich) später beim Ausüben derselben nicht zu Tode zu fallen, weiß ich nicht.
Zitat von: VerbOrg in 2006-09-11, 20:43:21
Zitat von: Agricola in 2006-09-11, 20:15:45
Und außerdem bezweifle ich, dass es der Körper ist, der sich anzieht. (Hab' ich auch noch nie gehört, dass jemand gesagt hätte: Warte mal, mein Körper muss sich noch anziehen!) Es ist also eher der Geist, der dem Körper etwas anziehen lässt.
Aber wohnt der Geist nicht auch im Körper?
Ja, so wie ich in meiner Wohnung (vielleicht, aber auf die genaue Wohnensweise möchte ich mich lieber nicht festlegen).
Zitat von: VerbOrg in 2006-09-11, 20:43:21
Der Körper ist doch nichts anderes als die Physische Seinsheit des "Ich". Und du hast bestimmt schon gehört, dass jemand sug: "Ich muss mich noch schnell anziehen." Die Ausführung übernimmt dann - wenn auch gesteuert vom Geist - der Körper selbst. Und der ist es ja auch, der dann angekleidet ist. Oder hast du schon mal einen bekleideten Geist gesehen?
Nein, deshalb meine ich ja auch, dass man sich nicht wirklich selbst anzieht, wenn man die Sache so streng sieht, dass sich auch Paare nicht umarmen können. Man begibt sich ja auch mit dem Fahrrad irgendwo hin, während sich das Fahrrad überhaupt nicht irgendwo hinbegeben kann, im übrigen das Fahrrad nicht Teil von einem ist und man sich dennoch ohne das Fahrrad vielleicht gar nicht dahin begeben könnte. Dennoch ist der Satzteil "mit dem Fahrrad" hier optional.
Zitat von: VerbOrg in 2006-09-11, 20:43:21
Reflexivität wird ja soviseau überall anders hand gehabt.
Jag lär mig svenska heißt wörtlich übersetzt Ich lerne mir Schwedisch;
anders ausgedrückt auch: Ich lehre mich Schwedisch.
Dabei lehrt einen doch normalerweise der Lehrer - wenn man's nicht gerade im Selbststudium betreibt.
Wenn die Spanier aufwachen, dann gibt's dafür das reflexive Verb despertarse. Erweckt man sich wirklich selbst aus dem Schlaf?
Die Sprache ist voll von so unlogischem Zeug. Schließlich kann auch jemand, der überhaupt nichts kann, immer noch gesehen werden, obwohl er doch eigentlich überhaupt nicht gesehen werden können können dürfte, wenn er doch überhaupt nichts kann.
Zitat von: VerbOrg in 2006-09-11, 20:43:21
Um mal wieder zu "fallen" zurückzukommen:
Ich kann mir nicht vorstellen, dass sich ein Stelzenläufer fällt wie ein Judomeister, zumindest nicht in aller Öffentlichkeit. Ob er sich beim Üben seiner Kunst hin und wieder fällt, um (sich) später beim Ausüben derselben nicht zu Tode zu fallen, weiß ich nicht.
Er fällt sich ja auch genau so wenig wie der Säufer sich säuft; und dennoch kommt es vor, dass letzterer sich tot säuft.
Zitat von: VerbOrg in 2006-09-11, 20:43:21
Jag lär mig svenska heißt wörtlich übersetzt Ich lerne mir Schwedisch;
anders ausgedrückt auch: Ich lehre mich Schwedisch.
Dabei lehrt einen doch normalerweise der Lehrer - wenn man's nicht gerade im Selbststudium betreibt.
ich glaub, ich muß dir mal ein bisserl österreichisch lernen :D
Zitat von: caru in 2006-09-11, 22:18:06
ich glaub, ich muß dir mal ein bisserl österreichisch lernen :D
Solang du dich dabei spielst...
Dieses 'sich spielen' im Wiener Raum ist etwas Liebes.
I) Spätestens bei einer Redeub in der Volksschule oder (allerspätestens) in der 'Haupt' oder Unterstufe 'Ginasium' erfahren die SchülerInnen, daß dabei etwas nicht normgerecht sei:
F: ... und dann hamma sich gespie(d)lt ... ('l postdentale', bzw. velarisiertes l)
Lehrerin: Nein Franzi, das heißt 'Dann haben wir uns, Entschuldigung, Dann haben WIR gespielt! - Ihr seid ja keine Schauspieler, die sich selber spielen.
II) Noch bedruhchler als "Komm mir nicht damit!" klingt "Nääd schbüü di debbad, Oida!" Hauptbetun auf 'Nääd', Nebenbetun auf 'dèbbad'. Auch die Anurnd im Satz ist hübsch.