So, liebe Kinder, ich möchte euch jetzt von Zeit zu Zeit Märchen erzählen, die ihr bestimmt noch nicht gehört habt. Sie sind zwar furchtbar langweilig, aber ihr werdet danach um so besser schlafen.
Erst wollte ich sie in gestorkener Form erzählen. Aber die Sprache der Märchen ist selbst schon sehr sehr stark und da stärkt es sich kläglich. Wenn ihr mir nicht glaubt, versucht es selber einmal. So ergab es sich, dass ich die Märchen in Schwachdeutsch erzähle.
Und noch was Kleingedrucktes: Es kann sein, dass mir jemand zuhört und meint, er hätte die gleiche Idee schon vor mir gehabt. Falls ich seiner früheren Idee zu nahe gekommen bin, war das nicht beabsichtigt. Ich iere nicht plagi.
Ich sehe, ihr sitzt schon zu meinen Füßen, habt große Augen und offene Münder, wie sich das für Kinder gehört, die Märchen anhören. Gruselt euch ruhig ein wenig, das gehört dazu.
Gleich geht's los.
Und hier ist das erste Märchen:
Einem reichen Manne wurde seine Frau krank, und als sie fühlte, dass ihr Ende herankam, rief sie ihr einziges Töchterlein zu sich ans Bett und sprach: ,,Liebes Kind, bleibe fromm und gut, so wird dir der liebe Gott immer beistehen, und ich will vom Himmel auf dich herabblicken und will um dich sein." Darauf tat sie die Augen zu und verschied. Das Mädchen ging jeden Tag hinaus zu dem Grabe der Mutter und weinte und blieb fromm und gut. Als der Winter kam, deckte der Schnee ein weißes Tüchlein auf das Grab, und als die Sonne im Frühjahr es wieder herabgezogen hatte, nahm sich der Mann eine andere Frau.
Die Frau hatte zwei Töchter mit ins Haus gebracht, die schön und voll von Angesicht waren, aber garstig und schwarz von Herzen. Da ging eine schlimme Zeit für das arme Stiefkind an. ,,Soll die dumme Gans bei uns in der Stube sitzen?" sprachen sie, "wer Brot essen will, muss es verdienen; hinaus mit der Küchenmagd!" Sie nahmen ihm seine schönen Kleider weg, zogen ihm einen grauen, alten Kittel an, gaben ihm hölzerne Schuhe und führten es in die Küche. Da musste es vom Morgen bis Abend schwere Arbeit tun, früh vor Tag aufstehen, Wasser tragen, Feuer anmachen, kochen und waschen. Abends, wenn es sich müde gearbeitet hatte, kam es in kein Bett, sondern musste sich neben den Herd in die Asche legen. Und weil es darum immer staubig und schmutzig aussah, nannten sie es Aschenputtel.
Es begab sich aber, dass der König ein Fest anstellte, das drei Tage dauern sollte, und wozu alle schönen Jungfrauen (aber nur solche) im Lande eingeladen wurden, damit sich sein Sohn eine Braut aussuchen möchte. Die zwei Stiefschwestern, als sie das hörten, waren sehr traurig.
Aschenputtel aber ging hin und war die einzige, weil sie bisher immer was anderes zu tun hatte. Dem Königsohn gefiel sie und er hob sie in den Wagen, um mit ihr auf seines Vaters Schloss zu fahren und Hochzeit zu feiern.
Und kein Mensch weiß warum, aber als sie durchs Tor fuhren, da steppten oben die Tauben und riefen:
,,Rucke di gu-hu, rucke di gu-hu. Kein Blut ist im SchuhSchuhSchuhSchuh-hu.
Der Schuh-hu, der ist nicht zu klein, die rechte Braut, die führt er heim. Yeah, yeah!"
Und das ist der Grund, warum heute noch so viele Tauben vergiftet werden.
So, liebe Kinder, ihr schlaft ja schon vor lauter Langeweile.
Aber nehmt euch künftig ein Beispiel an dem netten jungen Königssohn, der das Aschenputtel höflich in den Wagen hob, anstatt es einfach hineinzuschmeißen. Vielleicht werdet ihr ja auch einmal Gelegenheit haben, einer Jungfrau in euer Automobil zu helfen, obwohl ich das für sehr unwahrscheinlich halte. Aber wenn sich die Gelegenheit ergibt, dann macht es wie der nette junge Königsohn.
Und bald erzähle ich euch ein noch langweiligeres Märchen.
Rührend ;D
Und hier, liebe Kinder, ist das zweite Märchen:
Vorzeiten war ein König und eine Königin, die sprachen jeden Tag: ,,Ach, wenn wir doch ein Kind hätten!" und kriegten immer keins. Da trug sich zu, als die Königin einmal im Bade saß, dass der schöne junge Pferdeknecht zu ihr stieg und sprach: ,,Dein Wunsch wird erfüllt werden; ehe ein Jahr vergeht, wirst du ein Kind bekommen." Was der schöne junge Pferdeknecht gesagt hatte, das geschah, und die Königin bekam ein Mädchen, das war so schön, dass sich der König vor Freude nicht zu lassen wusste, denn er dachte, es wäre von ihm. Er stellte ein großes Fest an und lud nicht bloß seine Verwandten, Freunde und Bekannten, sondern auch die weisen Frauen dazu ein, damit sie dem Kinde hold und gewogen waren. Es waren ihrer dreizehn in seinem Reiche; weil er aber nur zwölf goldene Teller hatte, von welchen sie essen sollten, so musste eine von ihnen daheim bleiben. Das Fest ward mit aller Pracht gefeiert, und als es zu Ende war, beschenkten die weisen Frauen das Kind mit ihren Wundergaben; die eine mit Tugend, die andere mit Schönheit, die dritte mit Reichtum, und so mit allem, was auf der Welt zu wünschen ist. Als elf ihre Sprüche eben getan hatten, trat plötzlich die dreizehnte herein. Sie wollte sich dafür rächen, dass sie nicht eingeladen war, und ohne jemand zu grüßen oder nur anzusehen, rief sie mit lauter Stimme: ,,Jeder soll wissen, dass das Kind nicht vom König ist, sondern vom schönen jungen Pferdeknecht!" Und ohne ein Wort weiter zu sprechen, kehrte sie sich um und verließ den Saal. Alle waren erschrocken, dem König traten die Augen aus den Höhlen wie einer Garnele zur Paarungszeit und die Königin versank eigenem Wunsch gemäß zehn Klafter tief unter die Erde. Da trat die zwölfte hervor, die ihren Wunsch noch übrig hatte, und weil sie den bösen Spruch nicht aufheben, sondern ihn nur mildern konnte, so sagte sie: ,,Das soll aber auch jeder gleich wieder vergessen."
Und die Erschrockenen dachten bei sich: "Was war nur mit mir, wessen erschrak ich gerade?" Der König brachte seine Augen wieder auf Parkposition. Die Königin drückte auf den Knopf '1. Etage, Festsaal', erschien wieder vor Ort und hatte nun selber vergessen, von wem das Kind war.
Der König und die Königin lebten glücklich bis an ihr Lebensende und kriegten immer kein weiteres Kind. Denn der schöne junge Pferdeknecht flatterte wie ein Schmetterling von Königshof zu Königshof und war hinreichend beschäftigt.
Das Königskind aber wuchs heran, war schön, sittsam, freundlich und verständig, dass es jedermann, der es ansah, lieb haben musste. Und kein Mensch weiß warum, aber als es fünfzehn Jahre wurde, fing es an zu gähnen und gähnte den ganzen Tag. Und wenn es nicht gestorben ist, dann gähnt es noch heute.
So, liebe Kinder, ihr schlaft ja schon vor lauter Langeweile.
Aber nehmt euch ein Beispiel an dem schönen jungen Pferdeknecht, der älteren Herren hilft, wenn es dort mal nicht so klappt. Auch ihr werdet gelegentlich in die Situation kommen, zu Königinnen ins Bad zu steigen, um dem Gatten etwas nachzuhelfen.
Und bald erzähle ich euch ein noch langweiligeres Märchen.
Zitat von: Ku in 2007-04-15, 21:31:56
Ich sehe, ihr sitzt schon zu meinen Füßen, habt große Augen und offene Münder, wie sich das für Kinder gehört, die Märchen anhören. Gruselt euch ruhig ein wenig, das gehört dazu.
Gleich geht's los.
Wir sitzen zu Deinen Füßen und hängen mit gekreuzten Beinen an Deinen Lippen.
Das mit den großen Augen erinnert mich noch an einen Freund, der bei jeder passenden Gelegenheit diesen Vergleich anzustellen nicht unterlassen kann: Männerfüße müssen wie Kinderaugen sein: groß, schwarz und feucht.
Lieber Ku!
Dann darf ich Dir als Märchenerzähler folgendes chinesisches ku zuteilen/anhängen:
庫
ku4: Schatzhaus, Lagerhaus.
Die chinesische Europazeitung (ou1 zhou1 ri4 bao4) indt dieses ku4 auch als erste Silbe des Familiennnamens unseres Bundeskanzlers verw - obwohl der Alfred gar nicht Kusenpauer heißt.
Und hier, liebe Kinder, ist das dritte Märchen:
In alten Zeiten lebte ein König, dessen Tochter war blond. Nahe bei dem Schlosse lag ein großer, dunkler Wald, und in dem Walde unter einer alten Linde war eine Quelle. Wenn nun der Tag sehr heiß war, ging die Königstochter hinaus in den Wald und setzte sich an den Rand der kühlen Quelle, nahm eine goldene Kugel, warf sie in die Höhe und fing sie wieder. Das war ihr liebstes Spielwerk; sie war, wie gesagt, blond.
Nun trug es sich einmal zu, dass die goldene Kugel der Königstochter nicht in ihr Händchen fiel, das sie in die Höhe gehalten hatte, sondern vorbei auf die Erde schlug und geradezu ins Wasser hineinrollte. Die blonde Königstochter folgte ihr mit den Augen nach, aber die Kugel verschwand, und die Quelle war tief, so tief, dass man keinen Grund sah. Da fing sie an zu weinen und weinte immer lauter, was, wie man weiß, eine der wesentlichsten Ausdrucksformen blonder Königstöchter ist. Und wie sie so klagte, rief ihr jemand zu: ,,Was ist dir, blonde Königstochter?" Sie sah sich um, woher die Stimme kam, da erblickte sie einen Frosch, der seinen Kopf aus dem Wasser streckte. ,,Ich weine über meine goldene Kugel, die mir in die Quelle hinab gefallen ist." - ,,Sei still und weine nicht", antwortete der Frosch, ,,ich kann wohl Rat schaffen; aber was gibst du mir, wenn ich dein Spielwerk wieder heraufhole?" ,,Was du haben willst, lieber Frosch", sagte sie, ,,meine Kleider, meine Perlen und Edelsteine, auch noch die goldene Krone, die ich beim Spielen immer trage." Der Frosch antwortete: ,,Deine Kleider (obwohl das interessant wäre), deine Perlen und Edelsteine und deine goldene Krone, die mag ich nicht. Du sollst mich gegen eine Wand schmeißen".
Ach ja", sagte sie, ,,ich verspreche dir alles, was du willst, wenn du mir nur die Kugel wiederbringst."
Der Frosch, als er die Zusage erhalten hatte, tauchte seinen Kopf unter, sank hinab, und über ein Weilchen war er wieder heraufgerudert, hatte die Kugel im Maul und warf sie ins Gras. Die Königstochter war voll Freude, als sie ihr schönes Spielwerk wieder erblickte. ,,Schmeiß", sprach der Frosch, ,,mich jetzt gegen eine Wand!"
Aber die blonde Königstochter dachte bei sich: "Mutter hat mir erzählt, dass Vater auch erst ein ekliger Frosch war, doch als sie ihn geküsst hatte, wurde aus ihm ein stattlicher Prinz und sie heirateten und wurden glücklich. Warum will dieser Frosch, dass ich ihn gegen eine Wand schmeiße? Wenn ich das tue, heiratet er vielleicht die Wand und wird mit ihr glücklich." Sie war, wie gesagt, blond. Und sie hob den Frosch auf ihre Hand und ehe er es sich versah, küsste sie ihn. "Nein!" rief der Frosch, aber es war schon zu spät, denn plitsch platsch hatte sich die blonde Königstochter in einen blonden Frosch verwandelt.
So, liebe Kinder, ihr schlaft ja schon vor lauter Langeweile.
Aber nehmt euch künftig ein Beispiel an dem netten Frosch. Auch ihr könntet einmal in die Situation geraten, blonden Königstöchtern goldene Kugeln aus tiefen Quellen heraufzuholen, wenn sie versprechen, euch dafür an Wände zu schmeißen.
Und bald erzähle ich euch ein noch langweiligeres Märchen.
Ach ja . . . solcherart Entspannendes gibt es viel zu selten auf der Welt. Besser als Fahrstuhlmusik, Taiji und heiße Schokolade zusammen und dabei noch - etwas Dialektik zur Abendstund - zumindest ebenso unterhaltsam, wie es langweilt.
Was kommt wohl als nächstes? Der gestiefelt Kater? Noch ein Märchen, Papa Ku, ich will noch nicht schlafen!
Und hier ist schon das vierte Märchen:
Es war einmal ein Prinz, der wollte eine Prinzessin heiraten. Aber das sollte eine wirkliche Prinzessin sein. Da reiste er in der ganzen Welt herum, um eine solche zu finden, aber überall fehlte etwas. Prinzessinnen gab es genug, aber ob es wirkliche Prinzessinnen waren, konnte er nie herausfinden. Immer war da etwas, was nicht ganz in Ordnung war. Da kam er wieder nach Hause und war ganz traurig, denn er wollte doch gern eine wirkliche Prinzessin haben.
Eines Abends zog ein furchtbares Wetter auf; es blitzte und donnerte, der Regen stürzte herab, und es war ganz entsetzlich. Da klopfte es an das Stadttor, und der alte König ging hin, um aufzumachen.
Es war eine Prinzessin, die draußen vor dem Tor stand. Aber wie sah sie vom Regen und dem bösen Wetter aus! Das Wasser lief ihr von den Haaren und Kleidern herab, lief in die Schnäbel der Schuhe hinein und zum Absatz wieder hinaus. Sie sagte, dass sie eine wirkliche Prinzessin wäre.
,Ja, das werden wir schon erfahren!' dachte die alte Königin, aber sie sagte nichts, ging in die Schlafkammer hinein, nahm alles Bettzeug ab und legte eine Erbse auf den Boden der Bettstelle. Dann nahm sie zwanzig Matratzen, legte sie auf die Erbse und dann noch zwanzig Eiderdaunendecken oben auf die Matratzen.
Hier sollte nun die Prinzessin die ganze Nacht über liegen. Am Morgen wurde sie gefragt, wie sie geschlafen hätte.
"Oh, prima", sagte die Prinzessin. "Ich habe allerdings nicht gewusst, wie ich da oben rauf kommen soll und deshalb hab ich auf dem Boden geschlafen. Aber euer Frühstück hier, das ist echt Scheiße. Bei uns gibt es morgens immer Biberschwanzbutter und Safrangelee."
Daran konnte man sehen, dass sie eine wirkliche Prinzessin war, da es bei ihr zu Hause immer Biberschwanzbutter und Safrangelee zum Frühstück gab. So feinschmeckig konnte niemand sein außer einer echten Prinzessin.
Da nahm sie der Prinz zur Frau, denn nun wusste er, dass er eine wirkliche Prinzessin gefunden hatte. Und die Erbse kam auf den Müll.
So, liebe Kinder, ihr schlaft ja schon vor lauter Langeweile.
Aber nehmt euch künftig ein Beispiel an dem netten alten König, der trotz des Dreckwetters ans Stadttor ging und aufmachte. Auch ihr könntet einmal in die Situation geraten, dass wirkliche, wenn auch klatschnasse Prinzessinnen an eure Stadttore klopfen.
Und bald erzähle ich euch ein noch langweiligeres Märchen.
Und jetzt, liebe Kinder, erzähle ich euch schon das fünfte Märchen:
Es war einmal eine kleine, süße Dirne, die hatte jedermann lieb, der sie nur ansah, am allerliebsten aber ihre Großmutter; die wusste gar nicht, was sie alles dem Kinde geben sollte. Einmal schenkte sie ihm ein Käppchen von rotem Sammet, und weil ihm das so wohl stand und es nichts anderes mehr tragen wollte, hieß es nur das Rotkäppchen.
Eines Tages sprach seine Mutter zu ihm: "Komm, Rotkäppchen, da hast du einen Beutel Extasy, eine Flasche Fusel und eine Stange Zigaretten, bring das der Großmutter hinaus, sie braucht das Zeug. Mach dich auf, bevor es heiß wird, und wenn du hinauskommst, so geh hübsch sittsam und lauf nicht vom Wege ab, sonst fällst du und zerbrichst das Glas und die Großmutter hat nichts. Und wenn du in ihre Stube kommst, so vergiss nicht guten Morgen zu sagen, und guck nicht erst in allen Ecken herum." "Ich will schon alles gut machen", sagte Rotkäppchen zur Mutter und gab ihr die Hand darauf.
Die Großmutter aber wohnte draußen im Wald, eine halbe Stunde vom Dorf. Wie nun Rotkäppchen in den Wald kam, begegnete ihm der Wolf. "Guten Tag, Rotkäppchen", sprach er. - "Schönen Dank, Wolf." -"Wo hinaus so früh, Rotkäppchen?" - "Zur Großmutter." - "Was trägst du unter der Schürze?" "Kuchen und Wein; gestern haben wir gebacken, da soll sich die kranke und schwache Großmutter etwas zugute tun und sich damit stärken." - "Na, dann bis zum nächsten Mal", sagte der Wolf und ging seiner Wege. Aber er dachte bei sich: "Traurig. So ein junges, zartes Ding, und lügt schon so perfekt. Klar bringt sie der Alten wieder das Zeug."
Als Rotkäppchen bei dem Haus der Großmutter angelangt war und in die Stube trat, kam es ihm so seltsam darin vor, dass es dachte: "Ei, du mein Gott, was sind das für Geräusche?" Es rief: "Guten Morgen!" bekam aber keine Antwort. Darauf ging es zum Bett und zog die Vorhänge zurück; da lag die Großmutter mit dem Jäger. "Ei, Großmutter", fragte Rotkäppchen, "Was hast du für rote Ohren?
Ei, Großmutter, was hast du für einen schnellen Atem? Ei, Großmutter, warum sagst du dauern 'Ja'?"
"Verdammt noch mal!" keuchte die Großmutter, "ihr sollt doch vorher anrufen, wenn ihr mir was bringt!"
So, liebe Kinder, ihr schlaft ja schon vor lauter Langeweile.
Aber nehmt euch künftig ein Beispiel an dem netten jungen Jäger, der sich gerade älteren Damen gegenüber sittsam verhält und ihnen gelegentlich mit seiner Flinte behilflich ist. Auch ihr werdet bestimmt einmal Gelegenheit haben, einer alten Dame auf die andere Straßenseite zu helfen, wo sie gar nicht hin wollte.
Und bald erzähle ich euch ein noch langweiligeres Märchen.
Und hier ist das sechste Märchen:
Es war einmal ein Müller, der war arm, aber er hatte eine schöne Tochter. Nun traf es sich, dass er mit dem König zu sprechen kam, und um sich ein Ansehen zu geben, sagte er zu ihm: ,,Ich habe eine Tochter, die kann Stroh zu Gold spinnen." Der König sprach zum Müller: ,,Das ist eine Kunst, die mir wohlgefällt; wenn deine Tochter so geschickt ist, wie du sagst, so bring sie morgen in mein Schloss, da will ich sie auf die Probe stellen." Als nun das Mädchen zu ihm gebracht ward, führte er es in eine Kammer, die ganz voll Stroh lag, gab ihr Rad und Haspel und sprach: ,,Jetzt mache dich an die Arbeit, und wenn du diese Nacht durch bis morgen früh dieses Stroh nicht zu Gold versponnen hast, so musst du sterben!" Darauf schloss er die Kammer selbst zu, und sie blieb allein darin.
Da saß nun die arme Müllerstochter und wusste um ihr Leben keinen Rat; sie verstand gar nichts davon, wie man Stroh zu Gold spinnen konnte, und ihre Angst ward immer größer, dass sie endlich zu weinen anfing. Da ging auf einmal die Tür auf, und ein kleines Männchen trat herein und sprach: ,,Guten Abend, Jungfer Müllerin, mein Name ist Rumpelstilzchen. Ach Schei ....."
So, liebe Kinder, ihr schlaft ja schon vor lauter Langeweile.
Aber nehmt euch künftig ein Beispiel an dem netten kleinen Männchen, das sich gerade Damen gegenüber sittsam verhält und sich bei der ersten Begegnung vorstellt, wie es sich gehört. Auch ihr werdet bestimmt einmal Gelegenheit haben, arme Müllerstöchter zu fragen, ob ihr ihr beim Spinnen von Stroh zu Gold behilflich sein könnt.
Und bald erzähle ich euch ein noch langweiligeres Märchen.
Und hier ist das siebte Märchen:
Es war einmal mitten im Winter, und die Schneeflocken fielen wie Federn vom Himmel herab, da saß eine Königin an einem Fenster, das einen Rahmen von schwarzem Ebenholz hatte, und nähte. Und als sie so nähte und nach dem Schnee aufblickte, stach sie sich mit der Nadel in den Finger, und es fielen drei Tropfen Blut in den Schnee. Und weil das Rote im weißen Schnee so schön aussah, dachte sie bei sich: "Hätt' ich ein Kind so weiß wie Schnee, so rot wie Blut und so schwarz wie das Holz an dem Rahmen'." Bald darauf bekam sie ein Töchterlein, das war so weiß wie Schnee, so rot wie Blut und so schwarzhaarig wie Ebenholz, und wurde darum das Schneewittchen genannt. Und als das Kind auf der Welt war, starb die Königin.
Über ein Jahr nahm sich der König eine andere Gemahlin. Es war eine schöne Frau, aber sie war stolz und übermütig und konnte nicht leiden, dass sie an Schönheit von jemand sollte übertroffen werden. Sie hatte einen wunderbaren Spiegel, wenn sie vor den trat und sich darin beschaute, sprach sie:
"Spieglein, Spieglein an der Wand,
Wer ist die Schönste im ganzen Land?"
Und der Spiegel antwortete:
"Frau Königin, Ihr seid die Schönste im Land."
Da war sie zufrieden, denn sie wusste nicht, dass der Spiegel diesen Satz nur sagte, weil das vom Hersteller so programmiert worden war.
Schneewittchen aber wuchs heran und wurde immer schöner, und als es sieben Jahre alt war, war es so schön wie der klare Tag, und schöner als die Königin selbst. Als diese einmal ihren Spiegel fragte:
"Spieglein, Spieglein an der Wand,
Wer ist die Schönste im ganzen Land?"
so antwortete er:
"Frau Königin, Ihr seid die Schönste im Land."
Schneewittchen aber wuchs weiter heran und wurde immer noch schöner, und als es siebzehn Jahre alt war, war es noch schöner als der klare Tag, und noch schöner als die Königin selbst. Als diese wieder einmal ihren Spiegel fragte:
"Spieglein, Spieglein an der Wand,
Wer ist die Schönste im ganzen Land?"
da wurde er schwarz und es erschien in Flammenschrift der Text: ,,System Error To Text (#) 1", und der Spiegel verstummte.
Da erschrak die Königin und ward gelb und grün vor Zorn, weil sie merkte, dass der Spiegel sie jahrelang falsch informiert hatte. Sie rief einen Jäger und sprach: "Bring den Spiegel hinaus in den Wald und zerschmettere ihn, ich will ihn nicht mehr vor meinen Augen sehen."
Der Jäger gehorchte und trug den kaputtenen Spiegel hinaus. Dann reparierte er den Spiegel und änderte das Programm, so dass es jetzt sagte: "Schneewittchen, Ihr seid die Schönste im ganzen Land" und schenkte Schneewittchen den Spiegel.
So, liebe Kinder, ihr schlaft ja schon vor lauter Langeweile.
Aber nehmt euch künftig ein Beispiel an dem netten jungen Jäger, der sich gerade älteren Damen gegenüber sittsam verhält und ihnen gelegentlich kaputtene Spiegel aus Wohnungen trägt. Auch ihr werdet bestimmt einmal älteren Damen begegnen, die nicht mehr die Schönsten im Land sind und deswegen Spiegel fortwerfen wollen.
Und bald erzähle ich euch ein noch langweiligeres Märchen.
Und jetzt, liebe Kinder, erzähle ich euch das achte Märchen:
Es war einmal eine alte Geiß, die hatte sieben junge Geißlein, und hatte sie lieb, wie eine Mutter ihre Kinder lieb hat. Eines Tages wollte sie in den Wald gehen und Futter holen, da rief sie alle sieben herbei und sprach: "Liebe Kinder, ich will hinaus in den Wald, seid auf der Hut vor dem Wolf! Wenn er hereinkommt, frisst er euch alle mit Haut und Haar. Der Bösewicht verstellt sich oft, aber an der rauen Stimme und an seinen schwarzen Füßen werdet ihr ihn schon erkennen." Die Geißlein sagten: " Liebe Mutter, wir wollen uns schon in acht nehmen, du kannst ohne Sorge fortgehen." Da meckerte die Alte (!) und machte sich getrost auf den Weg.
Es dauerte nicht lange, so klopfte jemand an die Haustür und rief: "Macht auf, ihr lieben Kinder, eure Mutter ist da und hat jedem von euch etwas mitgebracht!" Aber die Geißlein hörten an der rauen Stimme, dass es der Wolf war. "Wir machen nicht auf", riefen sie, "du bist unsere Mutter nicht, die hat eine feine und liebliche Stimme; aber deine Stimme ist rau, du bist der Wolf!"
Da ging der Wolf fort zu einem Krämer und kaufte ein großes Stück Kreide, die aß er und machte damit seine Stimme fein. Dann kam er zurück, klopfte an die Haustür und rief: "Macht auf, ihr lieben Kinder, eure Mutter ist da und hat jedem von euch etwas mitgebracht." Aber der Wolf hatte seine schwarze Pfote in das Fenster gelegt, das sahen die Kinder und riefen: "Wir machen nicht auf, unsere Mutter hat keinen schwarzen Fuß wie du; du bist der Wolf."
Da lief der Wolf zu einem Bäcker und sprach: "Ich habe mich an Fuß gestoßen, streich mir Teig darüber!" Und als ihm der Bäcker die Pfote bestrichen hatte, lief er zum Müller und sprach: "Streu' mir weißes Mehl auf meine Pfote!" Der Müller dachte: "Der Wolf will einen betrügen", und weigerte sich, aber der Wolf sprach: "Wenn du es nicht tust, so fresse ich dich!" Da fürchtete sich der Müller und machte ihm die Pfote weiß. Nun ging der Bösewicht zum dritten Mal zu der Haustür, klopfte an und sprach: "Macht mir auf, Kinder, euer liebes Mütterchen ist heimgekommen und hat jedem von euch etwas aus dem Walde mitgebracht." Die Geißerchen riefen: "Zeig uns erst deinen Fuß, damit wir wissen, dass du unser liebes Mütterchen bist." Da legte er die Pfote ins Fenster, und sie lachten und riefen: "Das ist kein Geißenfuß! Das ist ein Wolfsfuß mit Teig und Mehl darüber! Du bist nicht unser liebes Mütterlein".
Da lief der Wolf zu einem Chirurgen und sprach: "Tausch mir meine Pfote gegen einen Geißenfuß aus!" Der Chirurg besah sich den Wolf und dachte, der sieht aus wie ein Kassenpatient und die Kasse übernimmt so was nicht. Also sagte er zum Wolf: "Wenn du bar bezahlst, kannst du einen Geißenfuß bekommen". "Na, gut", sprach der Wolf, der Kassenpatient war. Und nachdem der Wolf bar bezahlt hatte, tauschte der Chirurg die Wolfspfote gegen einen Geißenfuß aus. Nun humpelte der Bösewicht zum vierten Mal zu der Haustür, klopfte an und sprach: "Macht mir auf, Kinder, euer liebes Mütterchen ist heimgekommen und hat jedem von euch etwas besonders Schönes aus dem Wald mitgebracht." Die Geißen riefen: "Zeig uns erst deinen Fuß, damit wir wissen, dass du unser liebes Mütterlein bist." Da legte der Wolf den Geißenfuß ins Fenster. Aber die Geißen lachten und lachten und lachten und riefen: "Unser liebes Mütterlein hat einen Schlüssel und kann selber aufmachen. Außerdem ist unser liebes Mütterlein längst zu Hause. Du bist nicht unser liebes Mütterlein."
Da stieß der Wolf einen Fluch aus, der in das Buch der Rekorde aufgenommen zu werden versprach, ließ sich taufen und wurde Vegetarier.
So, liebe Kinder, ihr schlaft ja schon vor lauter Langeweile.
Aber nehmt euch künftig ein Beispiel an dem netten Chirurgen, der verbrecherischen Wölfen gegenüber grundsätzlich misstrauisch ist, vor allem, wenn sie Leistungen verlangen, die die Kasse nicht ersetzt. Ihr werdet zwar kaum Gelegenheit haben, Wölfen zu fremden Füßen zu verhelfen, aber wenn doch, denkt an den Chirurgen.
Und bald erzähle ich euch ein noch langweiligeres Märchen.
Da gehen mir als Arzt doch das Herz und die Beine auf ;D
Und hier ist das neunte Märchen
Es war einmal ein Fischer und seine Frau, die wohnten zusammen in einer kleinen Fischerhütte, dicht an der See, und der Fischer ging alle Tage hin und angelte.
So saß er auch einmal mit seiner Angel und sah immer in das klare Wasser hinein.
Da ging die Angel auf den Grund, tief hinunter, und als er sie heraufholte, da holte er einen großen Butt heraus. Da sagte der Butt zu ihm: ,,Hör mal, Fischer, ich bitte dich, lass mich leben, ich bin gar kein richtiger Butt, ich bin ein verwünschter Prinz. Was hilft es dir, wenn du mich totmachst? Ich würde dir doch nicht recht schmecken; setz mich wieder ins Wasser und lass mich schwimmen!" ,,Nun", sagte der Mann, ,,du brauchst nicht so viele Worte zu machen; einen Butt, der sprechen kann, werde ich doch wohl schwimmen lassen." Damit setzte er ihn wieder in das klare Wasser; da ging der Butt auf den Grund und ließ einen langen Streifen Blut hinter sich. Da stand der Fischer auf und ging zu seiner Frau in die kleine Hütte.
,,Mann", sagte die Frau, ,,hast du heute nichts gefangen?" ,,Nein", sagte der Mann, ,,ich fing einen Butt, der sagte, er wäre ein verwunschener Prinz, da hab ich ihn wieder schwimmen lassen." ,,Wie, verwunschener Prinz?" sagte die Frau. ,,Von wem wurde er verwunschen?" "Das habe ich ihn nicht gefragt", sagte der Mann. "Lieber Gott!", rief die Frau, "so was will man doch wissen, wenn man gerade einen Verwunschenen geangelt hat! Geh noch mal hin und ruf ihn! Sag ihm, wir wollen wissen, von wem er verwunschen worden ist." ,,Ach", sagte der Mann, ,,was soll ich da noch mal hingehen?" ,,I", sagte die Frau, ,,du hattest ihn doch gefangen und hast ihn wieder schwimmen lassen, er erzählt es dir gewiss. Geh gleich hin!" Der Mann wollte noch nicht recht, wollte aber auch seiner Frau, die sehr zickig werden konnte, nicht zuwiderhandeln und ging hin an die See.
Als er dorthin kam, war die See ganz grün und gelb und gar nicht mehr so klar. So stellte er sich hin und sagte:
,,Manntje, Manntje, Timpe Te,
Buttje, Buttje in der See,
mine Fru, de Ilsebill,
will nich so, as ik wol will."
Da kam der Butt angeschwommen und sagte: ,,Na, was will sie denn?" ,,Ach", sagte der Mann, ,,ich hab dich doch gefangen gehabt. Nun sagt meine Frau, ich hätte dich doch fragen sollen, von wem du verwunschen worden bist. Sie will das wissen und wenn sie es nicht erfährt, kann sie sehr zickig werden."
,,Geh nur hin", sagte der Butt, ,,sie weiß es schon."
Da ging der Mann hin, und seine Frau nahm ihn bei der Hand und sagte zu ihm: ,,Komm nur herein, sieh, nun weiß ich doch, von wem der Butt verwunschen worden ist." ,,Ja", sagte der Mann, ,,so soll es bleiben; nun wollen wir recht vergnügt leben." ,,Das wollen wir uns bedenken", sagte die Frau. Dann aßen sie etwas und gingen zu Bett.
So ging das wohl nun acht oder vierzehn Tage; da sagte die Frau: ,,Höre, Mann, der Butt hätte uns auch wohl erzählen können, weshalb er verwunschen worden ist. Geh hin zum Butt, er soll uns erzählen, weshalb er verwunschen worden ist!" ,,Ach, das geht uns doch gar nichts an." ,,I was", sagte die Frau, ,,geh du nur hin, der Butt kann uns das schon erzählen!" ,,Nein, Frau", sagte der Mann, ,,der Butt hat uns erst erzählt, wer ihn verwunschen hat; ich mag nun nicht gleich wiederkommen, den Butt könnte das verdrießen." ,,Geh doch", sagte die Frau, ,,er kann das recht gut und tut es auch gern; geh du nur hin!"
Dem Mann war sein Herz so schwer, und er wollte nicht; er sagte zu sich selber: ,,Das ist nicht recht" - aber ging doch hin.
Als er an die See kam, war das Wasser ganz violett und dunkelblau und grau und dick und gar nicht mehr so grün und gelb; doch war es noch still. Da stellte er sich nun hin und sagte:
,,Manntje, Manntje, Timpe Te,
Buttje, Buttje in der See,
mine Fru, de Ilsebill,
will nich so, as ik wol will."
,,Na, was will sie denn?" sagte der Butt. ,,Ach", sagte der Mann halb bedrückt, ,,sie will jetzt wissen, weswegen du verwunschen worden bist."
,,Geh nur hin, sie weiß es schon", sagte der Butt.
Da ging der Mann hin und seine Frau saß mit leerem Blick vor der Türe auf einer Bank und ihr standen dauerhaft die Haare zu Berge. ,,Frau, was ist mit dir?", fragte der Fischer. Aber die Frau schüttelte nur, so gut es ging, den Kopf und sprach fürderhin nie mehr ein einziges Wort.
Da lebte der Fischer glücklich und zufrieden. Und immer, wenn er zum Angeln ging, kam der Butt heraufgeschwommen und sie plauderten ein wenig.
So, liebe Kinder, ihr schlaft ja schon vor lauter Langeweile.
Aber nehmt euch künftig ein Beispiel an dem netten verwunschenen Butt, der Frauen jeden Wunsch erfüllt und Männern den Wunsch, dass die Frauen ihnen geschwätztechnisch nicht mehr auf den Keks gehen. Vielleicht werdet ihr ja auch einmal Gelegenheit haben, als Verwunschener anderen deren Wünsche zu erfüllen. Dann macht es wie der nette Butt und streut eure Erfüllungen etwas.
Und morgen erzähle ich euch das letzte langweilige Märchen.
Genibutt!
So, liebe Kinder, jetzt erzähle ich euch das letzte langweilige Märchen
Vor einem großen Walde wohnte ein armer Holzhacker mit seiner Frau und seinen zwei Kindern: das Bübchen hieß Hänsel und das Mädchen Gretel. Er hatte wenig zu beißen und zu brechen, und einmal, als große Teuerung ins Land kam, konnte er auch das tägliche Brot nicht mehr schaffen. Wie er sich nun abends im Bett Gedanken machte und sich vor Sorgen herumwälzte, seufzte er und sprach zu seiner Frau: "Was soll aus uns werden? Wie können wir unsere armen Kinder ernähren, da wir für uns selbst nichts mehr haben?" - "Weißt du was, Mann", antwortete die Frau, "wir wollen morgen in aller Frühe die Kinder hinaus in den Wald führen, wo er am dicksten ist, da machen wir ihnen ein Feuer an und geben jedem noch ein Stückchen Brot, dann gehen wir an unsere Arbeit und lassen sie allein. Sie finden den Weg nicht wieder nach Haus, und wir sind sie los." - "Nein, Frau", sagte der Mann, "das tue ich nicht; wie sollt' ich's übers Herz bringen, meine Kinder im Walde allein zu lassen? Die wilden Tiere würden bald kommen und sie zerreißen." - "Oh, du Narr"' sagte sie, "dann müssen wir alle vier Hungers sterben, du kannst nun gleich die Bretter für die Särge hobeln", und ließ ihm keine Ruhe, bis er einwilligte. "Aber die armen Kinder dauern mich doch", sagte der Mann.
Die zwei Kinder hatten vor Hunger auch nicht einschlafen können und hatten gehört, was die Stiefmutter zum Vater gesagt hatte. Gretel weinte bittere Tränen und sprach zu Hänsel, "Nun ist's um uns geschehen." - "Still, Gretel", sprach Hänsel, "gräme dich nicht, ich will uns schon helfen." Und als die Alten eingeschlafen waren, stand er auf, zog sein Röcklein an, machte die Untertür auf und schlich sich hinaus. Da schien der Mond ganz hell, und die weißen Kieselsteine, die vor dem Hause lagen, glänzten wie lauter Batzen. Hänsel bückte sich und steckte so viele in sein Rocktäschlein, als nur hinein wollten. Dann ging er wie der zurück, sprach zu Gretel: "Sei getrost, liebes Schwesterchen, und schlaf' nur ruhig ein, Gott wird uns nicht verlassen", und legte sich wieder in sein Bett.
Als der Tag anbrach, noch ehe die Sonne aufgegangen war, kam schon die Frau und weckte die beiden Kinder. "Steht auf, ihr Faulenzer, wir wollen in den Wald gehen und Holz holen!" Dann gab sie jedem ein Stückchen Brot und sprach: "Da habt ihr etwas für den Mittag, aber esst's nicht vorher auf, weiter kriegt ihr nichts." Gretel nahm das Brot unter die Schürze, weil Hänsel die Steine in der Tasche hatte. Danach machten sie sich alle zusammen auf den Weg nach dem Walde. Als sie ein Weilchen gegangen waren, stand Hänsel still und guckte nach dem Haus zurück und tat das wieder und immer wieder, Der Vater sprach: "Hänsel, was guckst du da und bleibst zurück? Hab' acht und vergiss deine Beine nicht."
"Ach, Vater", sagte Hänsel, "ich sehe nach meinem weißen Kätzchen, das sitzt oben auf dem Dache und will mir Ade sagen." Die Frau sprach: "Narr, das ist dein Kätzchen nicht, das ist die Morgensonne, die auf den Schornstein scheint." Hänsel aber hatte nicht nach dem Kätzchen gesehen, sondern immer einen von den blanken Kieselsteinen aus seiner Tasche auf den Weg geworfen.
Als sie mitten in den Wald gekommen waren, sprach der Vater: "Nun sammelt Holz, ihr Kinder, ich will ein Feuer anmachen, damit ihr nicht friert." Hänsel und Gretel trugen Reisig zusammen, einen kleinen Berg hoch. Das Reisig ward angezündet, und als die Flamme recht hoch brannte, sagte die Frau'. "Nun legt euch ans Feuer, Kinder, und ruht euch aus, wir gehen in den Wald und hauen Holz. Wenn wir fertig sind, kommen wir und holen euch ab."
Hänsel und Gretel saßen am Feuer, und als der Mittag kam, aß jedes sein Stücklein Brot. Und weil sie die Schläge der Holzaxt hörten, so glaubten sie, ihr Vater wäre in der Nähe. Es war aber nicht die Holzaxt, es war ein Ast, den er an einen dürren Baum gebunden hatte und den der Wind hin und her schlug. Und als sie so lange gesessen hatten, fielen ihnen die Augen vor Müdigkeit zu, und sie schliefen fest ein. Als sie endlich erwachten, war es schon finstere Nacht. Gretel fing an zu weinen und sprach: "Wie sollen wir nun aus dem Walde kommen?" Hänsel aber tröstete sie: "Wart' nur ein Weilchen, bis der Mond aufgegangen ist, dann wollen wir den Weg schon finden." Und als der volle Mond heraufgestiegen war, nahm Hänsel sein Schwesterchen an der Hand und ging den Kieselsteinen nach; die schimmerten wie neugeschlagene Batzen und zeigten ihnen den Weg.
Da begegneten ihnen der Wolf und der Bär, und Gretel fing an zu weinen und fürchtete, die wilden Tiere möchten sie zerreißen. Aber die bösen Tiere machten keine Anstalten dazu. Und Hänsel fragte den Wolf: "Warum zerreißt ihr uns nicht, sind wir euch nicht fett genug?" Da antwortete der Wolf: "Wir können nicht mehr. Wir sind viel zu satt, weil wir eben erst eure Eltern gefressen haben."
Und der Bär rülpste, dass die Erde erzitterte und sich die Kieselsteine in lauter Perlen und Edelsteine verwandelten.
Da holte Gretel tief Luft, um am Weinen zu fangen, aber Hänsel knallte ihr eine und sprach: "Jetzt reichts mit dem ewigen Geflenne. Sammel die Klunker auf, damit wir bis an unser Lebensende glücklich und zufrieden leben."
Und so geschah es.
So, liebe Kinder, ihr schlaft ja schon vor lauter Langeweile.
Aber nehmt euch künftig ein Beispiel an dem netten Wolf, der Kindern gegenüber immer offen die Wahrheit sagt, auch wenn er nach Lage der Dinge vermuten sollte, dass die Wahrheit von den Kindern womöglich nicht vollinhaltlich als positiv aufgenommen zu werden geeignet ist. Auch ihr könntet einmal in die Situation kommen, jemanden gefressen zu haben und anschließend dessen Kindern zu begegnen. Dann macht es wie der nette Wolf.
Oder, falls ihr nicht so feinfühlig seid, macht es wenigstens wie der nette Bär.
Und jetzt habe ich euch das letzte langweilige Märchen erzählt.
Schlaft wohl.
oooch, es ist doch noch gar nicht spät.
Wie wärs mit Hase und Igel?
Wenn Du nicht weiter erzählst, schick ich Dir Michael Myers und der nagelt Dich mit einem grossen Küchenmesser von Zwilling durchs rechte Auge an den linken Türrahmen ! Willst Du das ?
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Aber nur weil ihr es seid: ich erzähle euch jetzt noch das Märchen vom Hasen und dem Igel
Es war an einem Sonntagmorgen im Herbst, gerade als der Buchweizen blühte; die Sonne war am Himmel aufgegangen, und der Wind strich warm über die Stoppeln, die Lerchen sangen hoch in der Luft, und die Bienen summten im Buchweizen. Die Leute gingen in ihrem Sonntagsstaat zur Kirche, und alle Geschöpfe waren vergnügt, auch der Igel.
Er stand vor seiner Tür, hatte die Arme verschränkt, er guckte in den Morgenwind hinaus und trällerte ein kleines Liedchen vor sich hin, so gut und so schlecht wie am Sonntagmorgen ein Igel eben zu singen pflegt. Während er nun so vor sich hinsang, fiel ihm plötzlich ein, er könnte doch, während seine Frau die Kinder wusch und ankleidete, ein bisschen im Feld spazieren gehen und nachsehen, wie die Steckrüben standen. Die Steckrüben waren ganz nah bei seinem Haus, und er pflegte sie mit seiner Familie zu essen, darum sah er sie auch als die seinigen an.
Gedacht, getan. Er schloss die Haustür hinter sich und schlug den Weg zum Feld ein. Er war noch nicht sehr weit und wollte gerade um den Schlehenbusch herum, der vor dem Feld stand, als er den Hasen erblickte, der in ähnlichen Geschäften ausgegangen war, nämlich um seinen Kohl zu besehen. Als der Igel den Hasen sah, wünschte er ihm freundlich einen guten Morgen. Der Hase aber, der auf seine Weise ein vornehmer Herr war und hochfahrend noch dazu, antwortete gar nicht auf des Igels Gruß, sondern sagte mit höhnischer Miene: »Wie kommt es, dass du hier schon so am frühen Morgen im Feld herumläufst?«
»Ich gehe spazieren«, sagte der Igel.
»Spazieren?« lachte der Hase. »Du könntest deine Beine schon zu besseren Dingen gebrauchen.«
Diese Antwort verdross den Igel sehr. Alles kann er vertragen, aber auf seine Beine lässt er nichts kommen, gerade weil sie von Natur aus krumm sind.
»Du bildest dir wohl ein, du könntest mit deinen Beinen mehr ausrichten?« sagte er.
»Das will ich meinen«, sagte der Hase.
»Nun, das kommt auf einen Versuch an«, meinte der Igel. »Ich wette, wenn wir um die Wette laufen, ich lauf schneller als du.«
»Du – mit deinen krummen Beinen?« sagte der Hase. »Das ist ja zum Lachen. Aber wenn du so große Lust hast – was gilt die Wette?«
»Einen Golddukaten und eine Flasche Branntwein«, sagte der Igel.
»Angenommen«, sagte der Hase, »schlag ein, und dann kann es gleich losgehen.«
»Nein, so große Eile hat es nicht«, meinte der Igel, »ich hab' noch gar nichts gegessen; erst will ich nach Hause gehen und ein bisschen was frühstücken. In einer Stunde bin ich wieder hier.«
Damit ging er, und der Hase war es zufrieden. Unterwegs aber dachte der Igel bei sich: »Der Hase verlässt sich auf seine langen Beine, aber ich will ihn schon kriegen. Er ist zwar ein vornehmer Herr, aber doch ein dummer Kerl, und das soll er bezahlen.«
Als er nun nach Hause kam, sagte er zu seiner Frau: »Frau, zieh dich rasch an, du musst mit mir ins Feld hinaus.«
»Was gibt es denn?« fragte die Frau.
»Ich habe mit dem Hasen um einen Golddukaten und eine Flasche Branntwein gewettet, dass ich mit ihm um die Wette laufen will. Und da sollst du dabei sein.«
»O mein Gott, Mann«, begann die Frau loszuschreien, »hast du denn ganz den Verstand verloren? Wie willst du mit dem Hasen um die Wette laufen?«
»Halt das Maul, Weib«, sagte der Igel, »das ist meine Sache. Misch dich nicht in Männer-geschäfte! Marsch, zieh dich an und komm mit!« Was sollte also die Frau des Igels tun? Sie musste gehorchen, ob sie wollte oder nicht.
Als sie miteinander unterwegs waren, sprach der Igel zu seiner Frau: »Nun pass auf, was ich dir sage. Dort auf dem langen Acker will ich unseren Wettlauf machen. Der Hase läuft in einer Furche, und ich in der anderen, und dort oben fangen wir an. Du hast nun weiter nichts zu tun, als dass du dich hier unten in die Furche stellst, und wenn der Hase in sei-ner Furche daherkommt, so rufst du ihm entgegen: »Ich bin schon da!«
Der Hase indessen war auf die gleiche Idee gekommen, weil er sich sagte: "Wer bin ich denn, dass ich mit einem Igel um die Wette laufe. Ich werde meine Frau anweisen, sich unten am Acker aufzustellen und wenn der Igel dann schließlich ankommt, soll sie sagen: 'Ich bin natürlich schon da'. So kann ich gemütlich eine Möhre rauchen, während der Igel sich beim Laufen abmüht."
Igel und Hase trafen sich oben am Acker. »Kann es losgehen?« fragte der Hase.
»Jawohl«, erwiderte der Igel.
»Dann nur zu.« Damit stellte sich jeder in seine Furche. Der Hase zählte: »Eins, zwei, drei«, und los ging er wie ein Sturmwind den Acker hinunter. Aber nach drei Sätzen schlug er einen Haken, versteckte sich und rauchte seine Möhre. Der Igel lief ebenfalls nur drei Schritte, dann duckte er sich in die Furche hinein und blieb ruhig sitzen.
Unten am Acker aber warteten Frau Hase und Frau Igel. Und wenn sie nicht gestorben sind, dann warten sie noch heute.
Die Lehre aus dieser Geschichte aber ist, dass es gut ist, wenn einer heiratet, dass er sich eine Frau von seinem Stand nimmt, die geradeso aussieht wie er. Wer also ein Hase ist, der muss darauf achten, dass auch seine Frau ein Hase ist. Wer ein Igel ist, der muss darauf sehen, dass auch seine Frau ein Igel ist. Und wer ein Ferkel ... und so weiter.
So, liebe Kinder, ihr schlaft ja schon vor lauter Langeweile.
Aber nehmt euch künftig ein Beispiel an der netten Frau des Hasen, die den Anweisungen ihres Mannes folgt, ohne auch nur ein Wort zu sprechen. Auch ihr könntet einmal in die Situation kommen, dass euer Lebenspartner betrügerische Machenschaften vorhat. Schreit ihn dann nicht auch noch an, wie es die Frau des Igels getan hat, er braucht jetzt Ruhe.
Und wenn ihr versprecht, euch regelmäßig Zähne und Schuhe zu putzen, erzähle ich euch vielleicht noch ein weiteres langweiliges Märchen.
Das hat ja wunderbar geklappt. Lag das jetzt an meinem kindlichen Quengeln, an Stollentrolls Drohung oder an Amarillos Fangeschrei?
Es lag natürlich an allem.
Wenn ihr euch freut, freut mich das auch.
Zitat von: Ku in 2007-04-25, 21:52:07
Wenn ihr euch freut, freut mich das auch.
Das freut uns ;D
Und, liebe Kinder, da habe ich noch ein Märchen gefunden:
Ein König hatte eine Tochter, die war über alle Maßen schön, aber dabei so stolz und übermütig, dass ihr kein Freier gut genug war. Sie wies einen nach dem andern ab und trieb noch dazu Spott mit ihnen. Einmal ließ der König ein großes Fest anstellen und lud dazu aus der Nähe und Ferne die heiratslustigen Männer ein. Sie wurden alle in eine Reihe nach Rang und Stand geordnet: erst kamen die Könige, dann die Herzöge, die Fürsten, Grafen und Freiherren, zuletzt die Edelleute. Nun wurde die Königstochter durch die Reihen geführt, aber an jedem hatte sie etwas auszusetzen. Der eine war ihr zu dick: "Das Weinfass!" sprach sie. Der andere zu lang: "Lang und schwank hat keinen Gang!" Der dritte zu kurz: "Kurz und dick hat kein Geschick!" Der vierte zu blass: "Der bleiche Tod!" Der fünfte zu rot: "Der Zinshahn!" Der sechste war nicht gerade genug: "Grünes Holz, hinterm Ofen getrocknet!" Und so hatte sie an einem jeden etwas auszusetzen, besonders aber machte sie sich über einen guten König lustig, der ganz oben stand und dem das Kinn ein wenig krumm gewachsen war. "Ei", rief sie und lachte, "der hat ein Kinn wie die Drossel einen Schnabel!" und seit der Zeit bekam er den Namen Drosselbart - Der alte König aber, als er sah, dass seine Tochter nichts tat als über die Leute spotten, und alle Freier, die da versammelt waren, verschmähte, ward er zornig und schwur, sie sollte den ersten besten Bettler zum Manne nehmen, der vor seine Türe käme.
Ein paar Tage darauf hob ein Spielmann an, unter dem Fenster zu singen, um damit ein geringes Almosen zu verdienen. Als es der König hörte, sprach er: "Lasst ihn heraufkommen!" Da trat der Spielmann in seinen schmutzigen, zerlumpten Kleidern herein, sang vor dem König und seiner Tochter und bat, als er fertig war, um eine milde Gabe. Der König sprach: "Dein Gesang hat mir so wohl gefallen, dass ich dir meine Tochter da zur Frau geben will." Die Königstochter erschrak, aber der König sagte: "Ich habe den Eid getan, dich dem ersten besten Bettelmann zu geben; den will ich auch halten."
Da warf der Spielmann seinen zerlumpten Hut von sich und rief: "Und ich habe den Eid getan, Königstöchter und sonstige Naturalien sowie 500-Euro-Scheine nicht mehr zu akzeptieren. Und auch ich will meinen Eid halten."
Der König dachte bei sich: "Dieser Mensch ist ein Weiser" und machte ihn zu seinem Finanzminister. Die Königstochter aber musste einen Frosch heiraten, von dem man ihr erzählte, er sei ein verwunschener Prinz. Doch half alles Küssen nichts, er blieb ein Frosch.
So, liebe Kinder, ihr schlaft ja schon vor lauter Langeweile.
Aber nehmt euch künftig ein Beispiel an dem netten König Drosselbart. Auch ihr könntet in die Situation kommen, von der über alle Maßen schönen, aber stolzen und übermütigen Tochter eures Vorgesetzten veralbert zu werden, weil ihr so dämlich ausseht. Dann macht es wie der nette König Drosselbart und versucht wenigstens, nicht noch dämlicher auszusehen. Und vor allem: verkneift euch die Maulschellen.
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So, liebe Kinder, weil ihr in Opladen so brav gewesen seid, erzähle ich euch noch ein Märchen
Ein Vater hatte zwei Söhne, davon war der älteste klug und gescheit und wusste sich in alles wohl zu schicken. Der jüngste aber war dumm, konnte nichts begreifen und lernen, und wenn ihn die Leute sahen, sprachen sie: ,,Mit dem wird der Vater noch seine Last haben." Wenn nun etwas zu tun war, so musste es der älteste allzeit ausrichten; hieß ihn aber der Vater noch spät oder gar in der Nacht etwas holen, und der Weg ging dabei über den Kirchhof oder sonst einen schaurigen Ort, so antwortete er wohl: ,,Ach nein, Vater, ich gehe nicht dahin, es gruselt mir!" Denn er fürchtete sich. Oder wenn abends beim Feuer Geschichten erzählt wurden, wobei einem die Haut schaudert, so sprachen die Zuhörer manchmal: ,,Ach, es gruselt mir!" Der jüngste saß in einer Ecke und hörte das mit an und konnte nicht begreifen, was es heißen sollte. ,,Immer sagen sie ,Es gruselt mir! Es gruselt mir!' mir gruselt's nicht. Das wird wohl eine Kunst sein, von der ich auch nichts verstehe."
Nun geschah es, dass der Vater einmal zu ihm sprach: ,,Hör, du in der Ecke dort, du wirst groß und stark, du musst auch etwas lernen, womit du dein Brot verdienst. Siehst du, wie dein Bruder sich Mühe gibt, aber an dir ist Hopfen und Malz verloren." ,,Ei, Vater", antwortete er, ,,ich will gerne was lernen; ja, wenn's anginge, so möchte ich lernen, dass mir's gruselte; davon verstehe ich noch gar nichts." Der älteste lachte, als er das hörte, und dachte bei sich: Du lieber Gott, was ist mein Bruder ein Dummbart, aus dem wird sein Lebtag nichts. Was ein Häkchen werden will, muss sich beizeiten krümmen. Der Vater seufzte und antwortete ihm: ,,Das Gruseln, das sollst du schon lernen, aber dein Brot wirst du damit nicht verdienen."
Bald danach kam der Küster zu Besuch ins Haus. Da klagte ihm der Vater seine Not und erzählte, wie sein jüngster Sohn in allen Dingen so schlecht beschlagen wäre, er wüsste nichts und lernte nichts. ,,Denkt Euch, als ich ihn fragte, womit er sein Brot verdienen wollte, hat er gar verlangt, das Gruseln zu lernen." ,,Wenn's weiter nichts ist", antwortete der Küster, ,,das kann er bei mir lernen; tut ihn nur zu mir, ich werde ihn schon abhobeln." Der Vater war es zufrieden, weil er dachte: Der Junge wird doch ein wenig zugestutzt. Der Küster nahm ihn also ins Haus, und er musste die Glocken läuten. Nach ein paar Tagen weckte er ihn um Mitternacht, hieß ihn aufstehen, in den Kirchturm steigen und läuten. Du sollst schon lernen, was Gruseln ist, dachte er, ging heimlich voraus, und als der Junge oben war und sich umdrehte und das Glockenseil fassen wollte, so sah er auf der Treppe, dem Schalloch gegenüber, eine weiße Gestalt stehen. ,,Wer da?" rief er, aber die Gestalt gab keine Antwort, regte und bewegte sich nicht. ,,Gib Antwort", rief der Junge, ,,oder mache, dass du fort kommst, du hast hier in der Nacht nichts zu schaffen!" Der Küster aber blieb unbeweglich stehen, damit der Junge glauben sollte, es wäre ein Gespenst. Der Junge rief zum zweiten Male: ,,Was willst du hier? Sprich, wenn du ein ehrlicher Kerl bist, oder ich werfe dich die Treppe hinab." Der Küster dachte: Das wird so schlimm nicht gemeint sein, gab keinen Laut von sich und stand, als wenn er von Stein wäre. Da rief ihn der Junge zum dritten Male an, und als das auch vergeblich war, nahm er einen Anlauf und stieß das Gespenst die Treppe hinab, dass es zehn Stufen hinab fiel und in einer Ecke liegen blieb. Darauf läutete er die Glocke, ging heim, legte sich ohne ein Wort zu sagen ins Bett und schlief fort. Die Küsterfrau wartete lange Zeit auf ihren Mann, aber er wollte nicht wieder kommen. Da ward ihr endlich angst, sie weckte den Jungen und fragte: ,,Weißt du nicht, wo mein Mann geblieben ist? Er ist vor dir auf den Turm gestiegen." ,,Nein", antwortete der Junge, ,,aber da hat einer dem Schalloch gegenüber auf der Treppe gestanden, und weil er keine Antwort geben und auch nicht weggehen wollte, so habe ich ihn für einen Spitzbuben gehalten und hinunter gestoßen. Geht nur hin, so werdet Ihr sehen, ob er's gewesen ist, es sollte mir leid tun." Die Frau sprang fort und fand ihren Mann, der in einer Ecke lag und jammerte und ein Bein gebrochen hatte.
Sie trug ihn herab und eilte mit lautem Geschrei zu dem Vater des Jungen. ,,Euer Junge", rief sie, ,,hat ein großes Unglück angerichtet, meinen Mann hat er die Treppe hinab geworfen, dass er ein Bein gebrochen hat. Schafft den Taugenichts aus unserm Hause!" Der Vater erschrak, kam herbeigelaufen und schalt den Jungen aus. ,,Was sind das für gottlose Streiche, die muss dir der Böse eingegeben haben." ,,Vater", antwortete er, ,,hört nur an, ich bin ganz unschuldig. Er stand da in der Nacht wie einer, der Böses im Sinne hat. Ich wusste nicht, wer's war, und habe ihn dreimal ermahnt zu reden oder wegzugehen." ,,Ach", sprach der Vater, ,,mit dir erleb' ich nur Unglück, geh mir aus den Augen, ich will dich nicht mehr ansehen." ,,Ja, Vater, recht gerne, wartet nur bis Tag ist, da will ich ausgehen und das Gruseln lernen, so versteh ich doch eine Kunst, die mich ernähren kann." ,,Lerne, was du willst", sprach der Vater, ,,mir ist alles einerlei. Da hast du fünfzig Taler, damit geh in die weite Welt und sage keinem Menschen, wo du her bist und wer dein Vater ist, denn ich muss mich deiner schämen." ,,Ja, Vater, wie Ihr's haben wollt, wenn Ihr nicht mehr verlangt, das kann ich leicht in acht behalten."
Als nun der Tag anbrach, steckte der Junge seine fünfzig Taler in die Tasche, ging hinaus auf die große Landstraße und sprach immer vor sich hin: ,,Wenn mir's nur gruselte! Wenn mir's nur gruselte!" Da kam ein Mann heran, der hörte das Gespräch, das der Junge mit sich selber führte, und als sie ein Stück weiter waren, sagte der Mann zu ihm: ,,Siehst du, dort ist ein Internetcafe, gehe hinein und rufe "www.soviseau.de/Verben" auf. Der Junge tat, wie ihm geheißen und schon nach wenigen Augenblicken hörte man einen grässlichen Schrei und der Junge rief: ,,Ach, was gruselt mir, was gruselt mir! Ja, nun weiß ich, was Gruseln ist."
So, liebe Kinder, ihr schlaft ja schon vor lauter Langeweile.
Aber nehmt euch künftig ein Beispiel an dem netten Mann, der dem Jungen den richtigen Tip gegeben hat. Auch ihr könntet einmal in die Situation kommen, dass euch jemand fragt, wie er sich am schnellsten gruseln könnte. Dann macht es wie der nette Mann.
So, liebe Kinder, hier ist noch ein Märchen, das ich völlig vergessen hatte. Ich erzähle es euch eben jetzt noch:
An einem Sommermorgen saß ein Schneiderlein auf seinem Tisch am Fenster, war guter Dinge und nähte aus Leibeskräften. Da kam eine Bauersfrau die Straße herab und rief: »Gut Mus feil! Gut Mus feil!«
Das klang dem Schneiderlein lieblich in die Ohren, er steckte sein zartes Haupt zum Fenster hinaus und rief: »Hierherauf, liebe Frau, hier wird Sie Ihre Ware los.«
Die Frau stieg die drei Treppen mit ihrem schweren Korbe zu dem Schneider herauf und musste die Töpfe sämtlich vor ihm auspacken. Er besah sie alle, hob sie in die Höhe, hielt die Nase dran und sagte endlich: »Das Mus scheint mir gut, wieg Sie mir doch vier Lot ab, liebe Frau, wenn's auch ein Viertelpfund ist, kommt es mir nicht darauf an.«
Die Frau, welche gehofft hatte, einen guten Absatz zu finden, gab ihm, was er verlangte, ging aber ganz ärgerlich und brummig fort.
»Nun, das Mus soll mir Gott gesegnen«, rief das Schneiderlein, »und soll mir Kraft und Stärke geben«, holte das Brot aus dem Schrank, schnitt sich ein Stück über den ganzen Laib und strich das Mus darüber. »Das wird nicht bitter schmecken«, sprach er, »aber erst will ich den Wams fertigmachen, eh ich anbeiße.«
Er legte das Brot neben sich, nähte weiter und machte vor Freude immer größere Stiche. Indes stieg der Geruch von dem süßen Mus hinauf an die Wand, wo die Fliegen in großer Menge saßen, so dass sie herangelockt wurden und sich scharenweis darauf niederließen. »Ei, wer hat euch eingeladen?« sprach das Schneiderlein und jagte die ungebetenen Gäste fort. Die Fliegen aber, die kein Deutsch verstanden, ließen sich nicht abweisen, sondern kamen in immer größerer Gesellschaft wieder. Da lief dem Schneiderlein endlich, wie man sagt, die Laus über die Leber, es langte aus seiner Hölle nach einem Tuchlappen, und »Wart, ich will es euch geben!« schlug es unbarmherzig drauf. Als es abzog und zählte, so lagen nicht weniger als sieben vor ihm tot und streckten die Beine.
»Bist du so ein Kerl?« sprach er und musste selbst seine Tapferkeit bewundern. »Das soll die ganze Stadt erfahren.« Und in der Hast schnitt sich das Schneiderlein einen Gürtel, nähte ihn und stickte mit großen Buchstaben darauf »Siebene auf einen Streich!«
»Ei was, Stadt!« sprach er weiter, »die ganze Welt soll's erfahren!« Und sein Herz wackelte ihm vor Freude wie ein Lämmerschwänzchen. Der Schneider band sich den Gürtel um den Leib und wollte in die Welt hinaus, weil er meinte, die Werkstätte sei zu klein für seine Tapferkeit. Eh er abzog, suchte er im Haus herum, ob nichts da wäre, was er mitnehmen könnte. Er fand aber nichts als einen alten Käs, den steckte er ein. Vor dem Tore bemerkte er einen Vogel, der sich im Gesträuch gefangen hatte, der musste zu dem Käse in die Tasche.
Nun nahm er den Weg tapfer zwischen die Beine, und weil er leicht und behend war, fühlte er keine Müdigkeit. Der Weg führte ihn auf einen Berg, und als er den höchsten Gipfel erreicht hatte, so saß da ein gewaltiger Riese und schaute sich ganz gemächlich um. Das Schneiderlein ging beherzt auf ihn zu, redete ihn an und sprach: »Guten Tag, Kamerad, gelt, du sitzest da und besiehst dir die weitläufige Welt? Ich bin eben auf dem Weg dahin und will mich versuchen. Hast du Lust, mitzugehen?«
Der Riese sah den Schneider verächtlich an und sprach: »Du Lump! Du miserabler Kerl!«
»Das wäre!« antwortete das Schneiderlein, knöpfte den Rock auf und zeigte dem Riesen den Gürtel. »Da kannst du lesen, was ich für ein Mann bin.«
Der Riese las »Siebene auf einen Streich«, meinte, das wären Menschen gewesen, die der Schneider erschlagen hätte, und kriegte ein wenig Respekt vor dem kleinen Kerl.
Doch wollte er ihn erst prüfen, nahm einen Stein in die Hand und drückte ihn zusammen, dass das Wasser heraustropfte.
»Das mach mir nach«, sprach der Riese, »wenn du Stärke hast.«
»Ist's weiter nichts?« sagte das Schneiderlein. »Das ist bei unsereinem Spielwerk«, griff in die Tasche, holte den Vogel hervor und drückte ihn, dass der Saft herauslief. »Gelt«, sprach er, »das war ein wenig besser?«
Der Riese wusste nicht, was er sagen sollte, und konnte es von dem Männlein nicht glauben. Da hob der Riese einen Stein auf und warf ihn so hoch, dass man ihn mit Augen kaum noch sehen konnte.
»Nun, du Erpelmännchen, das tu mir nach.«
»Gut geworfen«, sagte der Schneider, »aber der Stein hat doch wieder zur Erde herabfallen müssen. Ich will dir einen werfen, der soll gar nicht wiederkommen«, griff in die Tasche und merkte, dass nur noch der weiche Käse darin war.
Da warf er den Käse auf das einzige Auge des Riesen und lief, so schnell er konnte, in seine Werkstätte zurück. Und weil er ein tapferes Schneiderlein war, aß er das Brot zusammen mit dem Mus und den Fliegen und dem Tuch auf einen Satz auf.
Und wenn er nicht gestorben ist, dann würgt er heute noch.
So, liebe Kinder, ihr schlaft ja schon vor lauter Langeweile.
Aber nehmt euch künftig ein Beispiel an dem netten Riesen, der auch mit kleinwüchsigen Menschen lustige Spiele treibt. Auch euch kann es passieren, dass solche Menschen euch Gürtel zeigen, auf denen dummes Zeug geschrieben steht. Dann macht es wie der nette Riese.
So, liebe Kinder, ich habe mich, wie die Gebrüder Grimm, auch einmal bei einfachen Menschen umgehört, was diese ihren Kindern so an Märchen erzählen. Und denkt euch, viele einfache Menschen erzählen die Märchen, die ich euch erzählt habe, ganz anders.
So höret:
Es war einmal eine schöne Königstochter, die dachte immer bei sich: "Wenn mich doch ein schöner Königssohn heiraten möchte". Aber in der Nachbarschaft war gerade kein passender Königssohn vorrätig.
Da erinnerte sich die schöne Königstochter an ihre Amme, welche ihr immer die wunderlichsten Geschichten erzählt hatte. Eine davon ging von einer Quelle im Wald, in der lauter verwunschene Frösche lebten und warteten, dass sie sollten von ihrer Verwünschung erlöst werden. Zwar war ihr vom Vater streng verboten worden, in den Wald zu gehen, weil er fürchtete, der Bär oder der Wolf möchte sie zerreißen, aber ihre Sehnsucht nach einem schönen Königssohn ließ alle Verbote und selbst die eigene Furcht hintan stehen.
Als sie bei der Quelle angekommen war, erblickte sie auch richtig einen Frosch, der im Wasser paddelte und seinen Kopf herausstreckte. "Grüß Gott, lieber Frosch", sprach sie zu dem Frosch, "komm herangeschwommen, dass ich dich erlöse." Der Frosch paddelte heran und sie nahm ihn in ihre Hand. Dann schloss sie die Augen, hielt sich die Nase zu und küsste den Frosch. Aber nichts geschah, der Frosch verwandelte sich nicht in den schönen Königssohn, den sie sich ersehnt hatte, sondern quakte und sprang wieder in das Wasser zurück.
Da wurde die schöne Königstochter sehr traurig und die Tränen rannen ihr über das Gesicht. Und wie sie so weinte, sprangen plötzlich zwei Männlein hinter einem Baum hervor und sprachen: "Wir sind zwei verwunschene Frösche. Man nennt uns die Gebrüder Grimm und wir erforschen die Bräuche der Menschen. Sag uns, warum du diesen Frosch geküsst hast und jetzt darob weinst. Hat er", so fragten sie, "deinen Kuss womöglich unschicklicherweise nicht erwidert?" Die schöne Königstochter erschrak, als sie die beiden Männlein sah, fasste sich jedoch gleich wieder. "Ich verstehe eure Frage nicht", antwortete sie, "aber diesen Frosch habe ich geküsst, weil die Amme erzählt hat, er wäre in Wirklichkeit einer von den verwunschenen Königssöhnen und ich könne ihn dadurch erlösen, dass ich ihn küsse." Die beiden Männchen lächelten und sagten: "Das ist wohl wahr, was die Amme erzählt hat, indessen musst du, um diesen Frosch zu erlösen, die vorgeschriebenen Schritte einhalten." Da flehte die schöne Königstochter die beiden Männchen an, sie möchten sie in dieser Kunst unterweisen. Und die beiden Männchen sprachen: "Zuerst musst du eine goldene Kugel in diese Quelle fallen lassen und weil sie dir wert und teuer ist, darüber traurig sein und weinen. Von deinen Tränen angelockt wird ein Frosch erscheinen und dich fragen, was dir ist. Du musst ihm von dem Verlust erzählen. Der Frosch wird dir anbieten, deine goldene Kugel wieder herauf zu holen, wenn du ihm dafür versprichst, was er verlangt. Das Versprechen musst du ihm geben. Er wird deine goldene Kugel herauf bringen und verlangen, dass du dein Versprechen einlöst. Erst wenn dies alles geschehen ist, wird dein Kuss den Frosch in einen schönen Königssohn verwandeln."
Da jauchzte die schöne Königstochter und rief: "Seid bedankt, ihr lieben Männchen, gleich werde ich mein goldenes Spielwerk herbeiholen." Und sie eilte auf ihr Schloss, nahm die goldene Kugel und kehrte zu der Quelle zurück. Die beiden Männchen aber waren verschwunden. Und der schönen Königstochter ward bang, ob sie auch alles richtig machen werde. Sie warf die goldene Kugel in das Wasser und begann sogleich zu weinen. Da erschien der nämliche Frosch, den sie vorher schon geküsst hatte, paddelte zu der schönen Königstochter hin und fragte: "Was ist dir? Warum vergießt du Tränen?" Und sie antwortete: "Ich weine über meine goldene Kugel, die mir in das Wasser hinabgefallen ist." - ,,Sei still und weine nicht", antwortete der Frosch, ,,ich kann wohl Rat schaffen; aber was gibst du mir, wenn ich dein Spielwerk wieder heraufhole?" - ,,Was du haben willst, lieber Frosch", sagte sie. Und der Frosch erwiderte: "Wenn du mich lieb haben willst, und ich soll dein Geselle und Spielkamerad sein, an deinem Tischlein neben dir sitzen, von deinem goldenen Tellerlein essen, aus deinem Becherlein trinken, in deinem Bettlein schlafen - wenn du mir das versprichst, so will ich hinunterspringen und dir die goldene Kugel wieder heraufholen." - ,,Ach ja", sagte sie, ,,ich verspreche dir alles, was du willst, wenn du mir nur die Kugel wiederbringst."
Der Frosch, als er die Zusage erhalten hatte, tauchte seinen Kopf unter, sank hinab, und über ein Weilchen kam er wieder heraufgerudert, hatte die Kugel im Maul und warf sie ins Gras. Die Königstochter war voll Freude, als sie ihr schönes Spielwerk wieder erblickte. Und der Frosch sprach: "Jetzt lös dein Versprechen ein."
Da nahm die schöne Königstochter den Frosch zum zweiten Mal in die Hand, schloss die Augen, hielt sich die Nase zu und küsste ihn.
Und es pfiff und knisterte ein wenig und als sie die Augen wieder öffnete, stand ein junger Mann vor ihr, wie er schöner nicht sein konnte. "Oh!" flüsterte die schöne Königstochter, "du bist der schönste junge Mann, den ich je gesehen habe. Komm mit mir auf mein Schloss, dort wollen wir Hochzeit halten."
"Nix Hochzeit" erwiderte der schöne junge Mann. "Davon war nie die Rede. Wie weiter oben im einzelnen und abschließend ausgeführt ist, gilt das Versprechen für lieb haben, Tischlein, Tellerlein, Becherlein und Bettlein. Und hier der aktuelle Tip: Grund zur Nahrungsaufnahme besteht zur Zeit nicht." Strophe sieben.
Der Königstochter aber war es recht und der Königin auch, denn sie wurde des jungen Mannes hinreichend oft leihweise teilhaftig. Nur der König runzelte die Stirn, aber was sollte er auch sonst runzeln.
Vielen Dank, lieber Ku, dass Du uns wieder mal mit einem schönen Gute-Nacht-Märchen beglockst.
Schöner hätten's die beiden Männlein dem Volke auch nicht ablauschen können.
So, liebe Kinder, meine Nachforschungen haben noch eine modernere Version des letzten Märchens zutage gefördert. Sie wurde mir erzählt vom Bundesbeauftragten zur Durchsetzung von Quotenregelungen im Sinne des Gleichbehandlungsgesetzes.
Es war einmal eine schöne Königstochter, die fragte sich eines Tages beim Joggen: "Wieso heiratet mich eigentlich kein Aas?" Aber in der Nachbarschaft war gerade kein passendes Aas vorrätig.
Da begab es sich, dass die schöne Königstochter eben an einer Quelle vorbeijoggte, aus der ein Frosch seinen Kopf herausstreckte. Und sie erinnerte sich, dass sie vor Jahren eine Story über Quellen mit verwunschenen Fröschen gelesen hatte, die man nur küssen musste, um jede Menge schöner Königssöhne zu produzieren.
"Ich glaube ja eigentlich nicht an so Zeug", sagte sie sich, "aber versuchen kostet ja nichts und wenn es funktioniert, ist gut, und wenn nicht, dann eben nicht."
Und sie ergriff einen Frosch, betrachtete ihn angewidert und küsste ihn. Aber der Frosch verwandelte sich nicht in einen schönen Königssohn, sondern blickte angewidert zurück und verschwand wieder im Wasser. "Na ja", sagte sie, "war vielleicht die einzige Niete im Teich, versuch ich's einfach noch mal." Und sie ergriff einen zweiten Frosch, betrachtete ihn angewidert und küsste ihn. Aber auch dieser Frosch blieb ein Frosch.
Und als sie gerade "Na, dann eben nicht, ihr kleinen grünen Arschlöcher" sagen wollte, erschienen zwei seltsam gekleidete Herren und sprachen: "Sei gegrüßt, schöne Königstochter. Wir sind die Gebrüder Grimm und sammeln Märchen. Dies hier ist eins, also sammeln wir es. Du hast gerade zwei Frösche geküsst. Hatte das einen besonderen Grund oder bist du einfach nur bescheuert?"
"Ja", sagte die schöne Königstochter, "ich habe eben zwei Frösche geküsst und mir ist jetzt noch schlecht. Ihr seid doch die Typen, die den Mist über verwunschene Frösche und so verzapft haben, die man mit einem Kuss in Königssöhne verwandeln kann. Wieso klappt das bei euch immer und jetzt bei mir nicht?"
Da lächelten die beiden Herren und sagten: "Weil du dich nicht an die Regeln gehalten hast: Zuerst goldene Kugel einwerfen, dann weinen, diensthabenden Frosch abwarten, ihm dein Leid klagen, ihm irgendwas versprechen, Kugelbergung beobachten und ihn dann entweder küssen oder an eine Wand schmeißen, je nachdem, was du willst."
"Wie, was ich will?", fragte die schöne Königstochter.
"Wenn du den Frosch an die Wand schmeißt", sagten die beiden Herren, "wird er in der hier zugrunde liegenden Version 5.07ein schöner Prinz. Wenn du ihn küsst, wurdest du bis vor kurzem selber zum Frosch, oder, aber nur für kurze Zeit, wurde der Frosch zum schönen Prinzen. Seit dem letzten release wird der Frosch dagegen beim Küssen ein schöner Pferdeknecht und dein Lover. Oder", fügten sie hinzu, "der deiner Mutter. Oder beides."
"Lieber Gott", sagte die schöne Königstochter, "muss denn immer alles so kompliziert sein."
Und sie ging ihre goldene Kugel holen, warf sie in die Quelle und weinte ganz entsetzlich. Da erschien ein Frosch und sprach: "Warum weinst du, schöne Königstochter?" Da sagte die Königstochter: "Jetzt frag nicht so blöd, sondern hol mir die Kugel wieder rauf." Und der Frosch fragte weiter: "Was gibst du mir dafür?" – "Ich schmeiße", sagte die Königstochter "dich an eine Wand, küssen kann ich dich immer noch, wenn es funktioniert hat. Jetzt mach schon." – "Ok", sagte der Frosch, als er die Zusage erhalten hatte, tauchte seinen Kopf unter, sank hinab, und über ein Weilchen kam er wieder heraufgerudert, hatte die Kugel im Maul und warf sie ins Gras. "Na also", sagte die schöne Königstochter, "klappt ja." Und der Frosch sprach: "Jetzt lös dein Versprechen ein." Da nahm ihn die schöne Königstochter und schmiss ihn volles Rohr gegen eine Wand. Die Wand zerbröselte und nachdem sich der Staub gelegt hatte, kam ein wunderschöner junger Königssohn zum Vorschein. "Ach Gottchen", rief der wunderschöne junge Königssohn, "ist das wieder wunderschön hier draußen. Hach, Schwester" sagte er zu der schönen Königstochter, "nimm es mir nicht übel, aber hast du vielleicht einen Bruder, der auch so bezaubernd aussieht wie du? Das wäre ja ganz entzückend!"
Da stieß die schöne Königstochter einen Fluch aus, dessen ausgefeilte Wortwahl auch einen Pferdeknecht überrascht hätte, falls einer in der Nähe gewesen wäre, eilte in die schlosseigene Bar, entnahm ihr zwei Flaschen entsetzlichen Fusels, kehrte an die Quelle zurück und leerte den Fusel dort hinein. Und siehe da, alle Frösche verfärbten sich rot, bis auf einen, der verfärbte sich rosa. Da wandte sich der wunderschöne junge Königssohn an die schöne Königstochter und sprach: "Kann ich mal kurz deine Kugel haben?" Aber das ist eine andere Geschichte.
Hach, war das märchenhaft!
Und hat die schöne Königstochter auch ihre Prinzessin gefunden?
Schwule Pferdeknechte, Prinzessinnen, die es mit Fröschen treiben - und wo sich der Königssohn die goldene Kugel hingesteckt hat, will ich schon mal gar nicht wissen. Ist ja widerlich !
Hallo Stolli,
Zitat von: Stollentroll in 2007-05-09, 23:16:00
und wo sich der Königssohn die goldene Kugel hingesteckt hat, will ich schon mal gar nicht wissen.
Nach dem Dienst in der Notaufnahme weißt das Du doch am allerbesten...
Grüße,
Amy
Kann es sein, dass das Märchen japanischen Ursprunges ist? In Japan meint man mit "Goldkugeln" (金玉, kintama) etwas ganz Spezielles. Siehe zum Bleistift hier (http://www.wvup.edu/Academics/humanities/Oldaker/wonderful_world_of_color_in_japanese.htm) unter GOLD 5.