Gesellschaft zur Stärkung der Verben

Öffentliche Bretter => Sprache => Thema gestartet von: Kilian in 2005-01-05, 00:05:29

Titel: Spaß mit Modalverben
Beitrag von: Kilian in 2005-01-05, 00:05:29
Gestern stutzte ich in einem anderen Thread kurz: Sollte ich schreiben: "Der Forderung hätte entsprochen werden können." oder "Der Forderung könnte entsprochen worden sein."? Natürlich war mir schnell klar: Standardsprachlich gebührt ersterer Formulierung der Vorzug. Aber warum spukte in meinem Hirn diese andere Formulierung herum, die ich völlig bedeutungsgleich und überdies schön und elegant fand?

Hatte das was mit dem Passiv zu tun oder mit dem Irrealis der Vergangenheit? Ich legte die Stirn in Denkerfalten und schaufelte den ganzen grammatischen Ballast beiseite, bis ich zum Kern der Sache vorgedrungen war:

Sätze, deren Prädikat im Perfekt steht und mit einem Modalverb konstruiert ist, kann man so verdrehen, dass nicht mehr das konjugierte Modalverb im Perfekt steht, sondern der abhängige Infinitiv.

So wird z. B.
1) "Ich habe den Knopf drücken können."
zu
2) "Ich kann den Knopf gedrückt haben."
und
1) "Ich hätte den Knopf drücken können."
zu
2) "Ich könnte den Knopf gedrückt haben."

Im Indikativ hat sich die Bedeutung verändert, im Konjunktiv nicht.

Jetzt wollte ich's genau wissen und verglich für jedes der Modalverben lassen, dürfen, wollen, können, müssen, sollen und mögen beide Konstruktionen jeweils im Indikativ und im Konjunktiv, und zwar in dieser

T A B E L L E
(bitte anklicken) (http://www.soviseau.de/externa/smm.htm)
Die Ergebnisse sind interessant: In den meisten Fällen haben die Konstruktionen 1) und 2) unterschiedliche Bedeutungen, in drei Fällen haben sie genau die gleiche und in drei Fällen ergibt Konstruktion 2) gar keinen Sinn.

Zwei Gruppen von Fällen erscheinen mir besonders interessant:
- Die gelben Fälle in der Indikativ-Spalte sind zahlreich; hier wird die Infinitiv-Perfekt-Konstruktion (2) in vielfältigen eigenen modalen Bedeutungen verwendet.
- Die drei grünen Fälle in der Konjunktiv-Spalte eröffnen mit 2) teilweise schon gebräuchliche, nichtstandardsprachliche Alternativen zu 1), weil beide Konstruktionen hier bedeutungsgleich sind. Hierzu zählt der Fall mit können, von dem meine Überlegung ihren Ausgang nahm.

Nun sind in die Tabelle natürlich meine persönlichen Bedeutungsauffassungen eingeflossen. Interessieren würde mich, ob ihr da irgendetwas anders seht - und was ihr von den grünen 2)ern haltet. Logisch und sprachästhetisch und so.
Titel: Re:Spaß mit Modalverben
Beitrag von: caru in 2005-01-05, 00:15:36
wenn man mich gefragt haben würde, sollte man das reine grün in jedem fall durch gelblichgrün ersetzt haben. mindestens.

"ich wollte das die ganze zeit gemacht haben" verstehe ich schlichtweg als "mir wäre schon die ganze zeit lieber, ich hätte das schon erledigt, aber ich brings nicht fertig, auch nur damit anzufangen." mag sein, daß es einem rheinländer da anders geht.

bei "ich hätte den knopf drücken können" ist klar, daß ich ihn nicht gedrückt habe; "ich könnte den knopf gedrückt haben" läßt aber offen, ob ich ihn gedrückt habe, es stellt nur klar, daß der angesprochene nicht wissen kann, ob er (der knopf :D) gedrückt wurde.

und "du dürftest dich ruhig bedient haben" klingt mir nach "mir scheint, du hast in aller ruhe zugelangt, während keiner hingeguckt hat".

von bedeutungsgleichheit zumindest im mir vertrauten deutsch keine rede. sag ich mal.
Titel: Re:Spaß mit Modalverben
Beitrag von: Kilian in 2005-01-05, 00:51:49
wollen: Tatsächlich, anscheinend eine regionale Besonderheit.

können: Stimmt, daran hatte ich nicht gedacht. Bedeutungsgleich war es mir wohl erschienen, weil in dem Zusammenhang "Durch unbedingtes Stärken, wie es ja in den Haikos geschieht, hätte der Forderung entsprochen werden können." eine Bedingung vorkam, nämlich das unbedingte Stärken.

Neue, verbesserte Version (http://www.soviseau.de/externa/smm2.htm)
Titel: Re:Spaß mit Modalverben
Beitrag von: caru in 2005-01-05, 16:33:40
das mit dem dürfen leuchtet mir immer noch nicht recht ein. vielleicht auch norddeutsch? ("reichsdeutsch", wie manche älteren wiener sagen?) oder stark veraltet?  ???

wenn einer zu mir sagt "du dürftest dich ruhig bedient haben", kriegt er garantiert zur antwort "hä?" weil ich nicht kapiere, was er meint, nämlich.


"rheinisches futur III" ist aber eine schöne bezeichnung. fast wie der mühlviertler irrealis ("wann i nur scho lug und schluf!"= o läge und schliefe ich doch schon)
Titel: Re:Spaß mit Modalverben
Beitrag von: gehabt gehabt in 2005-01-05, 16:53:46
Mir hat mal der Generalkonsul von Malaga gesagt, dass es wissenschaftliche Studien gebe, die bewiesen, dass Deutsch wesentlich einfacher zu erlernen sei als Englisch oder Franzoesisch, und dass ich doch alle Lehrer und Schueler in Spanien, die mir begegneten darauf hinweisen solle. Ich hab nur hoeflich mit dem Kopf genickt.

Ich danke meinem Herrgott auf Knien, dass ich diese Sprache nicht als Fremdsprache lernen muss. Deutsch hat vielleicht andere Vorteile, aber eine Consecutio Temporum laesst sich nuechternen Zustandes nur schwer konstruieren. Weiss jemand von solch einer Studie?
Titel: Re:Spaß mit Modalverben
Beitrag von: Kilian in 2005-01-05, 20:14:48
@caru: Ich weiß nicht woher, aber ich kenne es irgendwie und würde es in jedem Fall verstehen.

@gehabt gehabt: Die normale Zeitenfolge im Deutschen ist m. E. ziemlich einfach und logisch. Kompliziert wird es vielleicht durch die Abweichungen im tatsächlichen Sprachgebrauch, weil man z. B. Plusquamperfekt und Futur I selten gebraucht, ganz zu schweigen von Futur II. Oder wo siehst du den Alkoholbedarf ins Spiel kommen? ;) By the way, schöner Genitivus absolutus.
Titel: Re:Spaß mit Modalverben
Beitrag von: amarillo in 2005-01-05, 20:20:21
Ermahnung meiner Frau, nachdem ich auf einer ohnehin schon langweiligen Party recht maulfaul war:

"Du dürftest ruhig etwas gesprächiger gewesen sein"
Titel: Re:Spaß mit Modalverben
Beitrag von: Kilian in 2005-01-05, 20:24:50
Das ist genau das. *fühlt sich bestätigt* :)
Titel: Re:Spaß mit Modalverben
Beitrag von: amarillo in 2005-01-05, 20:50:16
"Wir könnten durchaus gewonnen haben, wir hätten nur ein Tor mehr als der Gegner schießen müssen" (Berti Vogts oder Lodda Matthäus, oder Ruthmöller, oder wer auch immer)
Titel: Re:Spaß mit Modalverben
Beitrag von: Kilian in 2005-01-05, 23:07:17
Auch hier wieder: Der Trainer nennt im Zusammenhang eine Bedingung, und damit ist das, was es eigentlich heißen müsste, so ziemlich ausgeschlossen: "Kann sein, dass wir gewonnen haben... ich verrat's euch aber nicht." ;)
Titel: Re:Spaß mit Modalverben
Beitrag von: gehabt gehabt in 2005-01-05, 23:24:07
Zitat von: caru in 2005-01-05, 16:33:40
das mit dem dürfen leuchtet mir immer noch nicht recht ein. vielleicht auch norddeutsch? ("reichsdeutsch", wie manche älteren wiener sagen?) oder stark veraltet?  ???

wenn einer zu mir sagt "du dürftest dich ruhig bedient haben", kriegt er garantiert zur antwort "hä?" weil ich nicht kapiere, was er meint, nämlich.
Vermutlich ist das verstaendlich aber mein Gefuehl sagt mir, dass es falsch ist. ich haette gesagt:

Du durftest dich ruhig bedienen.
oder
Du haettest dich ruhig bedienen duerfen.

Du duerftest heisst: ich vermute, dass du... (Es duerfte heute regnen)

Es duerfte heute geregnet haben heisst: Vermutlich hat es heute geregnet

Und Du duerftest dich ruhig bedient haben   heisst:
Vermutlich hast du dich ruhig bedient.


Dass man ueberhaupt auf die Idee kommt, so was zu sagen stammt wohl daher, dass duerfte kein richtiger Konjunktiv ist, sondern eine eingefrorene Hoeflichkeitsfloskel: Duerfte ich noch etwas Torte haben?  Genauso wie moechte.
Titel: Re:Spaß mit Modalverben
Beitrag von: Kilian in 2005-01-05, 23:43:16
Falsch ist es es ohnehin.

ZitatDu duerftest heisst: ich vermute, dass du... (Es duerfte heute regnen)

Stimmt - auch daran hatte ich nicht gedacht. Auch hier also eine ganz andere Bedeutung. Version 3. (http://www.soviseau.de/externa/smm3.htm)

ZitatDass man ueberhaupt auf die Idee kommt, so was zu sagen stammt wohl daher, dass duerfte kein richtiger Konjunktiv ist, sondern eine eingefrorene Hoeflichkeitsfloskel

Ich glaube nicht, dass es in diesem Fall daran liegt. Denn die Höflichkeitsfloskel bezieht sich auf die Gegenwart bzw. die allernächste Zukunft und wird überdies meistens in der 1., manchmal in der 3., nie jedoch in der 2. Person gebraucht. Mein "Du dürftest dich ruhig bedient haben.", richtig formuloren: "Du hättest dich ruhig bedienen dürfen." ist jedoch ein Irrealis der Vergangenheit par excellence. Eher liegt hier eine "Fehl"bildung so wie bei können vor; man fängt sozusagen an wie im Präsens und reicht die Vergangenheit dann "verspätet" als Infinitiv Perfekt nach.
Titel: Re:Spaß mit Modalverben
Beitrag von: caru in 2005-01-05, 23:52:13
wie ich schon weiter oben tapp1:

"du dürftest dich ruhig bedient haben" klingt mir nach "mir scheint, du hast in aller ruhe zugelangt, während keiner hingeguckt hat".

version 3 gefällt mir gut, übrigens  :)



1tippen-tapp-täppe-getoppen
Titel: Re:Spaß mit Modalverben
Beitrag von: amarillo in 2005-01-06, 07:12:54
"Das dürfte es gewesen sein." Sprach der Arzt gegen 19 Uhr mit einem letzten Blick auf das Röntgenbild des Patienten aus Zimmer 114.

Hat Herr Doktor jetzt Feierabend?
Keine Chance mehr für Patient Müller?
Womöglich beides?

In jedem Fall wird hier etwas als beendet erachtet.
Titel: Re:Spaß mit Modalverben
Beitrag von: gehabt gehabt in 2005-01-06, 23:24:50
aber das "rheinlaendische futur iii" (ich wollte das gemacht haben) ist doch eher ein  plusquamperfekt (vom Sinn, nicht von der Konstruktion), oder?
Titel: Re:Spaß mit Modalverben
Beitrag von: Kilian in 2005-01-09, 15:48:37
Vom Sinn her Plusquamperfekt entspräche dann carus Spontanverständnis:

Zitat"mir wäre schon die ganze zeit lieber, ich hätte das schon erledigt"

Ich glaube aber, hier im Rheinland wird es in diesem Sinne gebraucht: "Eigentlich habe ich die ganze Zeit vorgehabt, das zu erledigen." Es berichtet von Zukunftsplänen in der fortdauernden Vergangenheit, daher wahrscheinlich die (scherzhafte) Bezeichnung "Futur".
Titel: Re:Spaß mit Modalverben
Beitrag von: Kilian in 2005-01-09, 15:53:24
Und mir ist noch eingefallen, wie man auf die Idee kam, so Sachen zu sagen wie: "Du dürftest dich ruhig bedient haben." oder "Wir könnten das Spiel gewonnen haben.". Bestimmt war's der Einfluss des Englischen: We could have won the game. Schlampige Übersetzungen in allen möglichen Medien haben hier leichtes Spiel, das deutsche Sprachgefühl zu verwirren.
Titel: Re: Spaß mit Modalverben
Beitrag von: Kilian in 2010-03-18, 10:48:39
Wie war das also mit der heiligen Afra, die der Artikel (http://verben.texttheater.de/forum/index.php?topic=2731.msg43580#msg43580) erwähnt?

"Afra soll wegen ihres Glaubens verbrannt worden sein. Ihr Körper blieb unversehrt", weiß eine Informationstafel im Augsburger Rathaus.

Ein klarer Fall von sollen, Indikativ, 2) (http://www.soviseau.de/externa/smm3.htm) eigentlich, Wiedergabe einer Überlieferung. Aber was soll das heißen, wurde nur ihre Seele verbrannt?

Ich habe den Verdacht, dass die Informationstafel eigentlich ausdrücken soll, was man als sollen, Indikativ, 1) (http://www.soviseau.de/externa/smm3.htm) formulieren müsste: Afra hat wegen ihres Glaubens verbrannt werden sollen. Es gab mal einen Plan - aber er ging nicht auf.

Deswegen erarrn mich die Tafel an diesen Faden. Sie macht das Hilfs- vom Modalverb abhängig, obwohl hier eigentlich das Modal- vom Hilfsverb abhängen müsste. Nun ist es ja so, dass man bei wollen, müssen und sollen im Konjunktiv II die Richtung der Abhängigkeit durchaus ohne große Bedeutungsveränderung umkehren kann (man beachte die gelblichgrünen Zellen in der verlunkenen Übersicht). Warum sollte das nicht auch im Indikativ gehen? Die Informationstafel macht sich ganz in unserem Sinne daran, eine seit je lückenhafte Sprache perfekt zu machen, wie es der Ganter jüngst so schön formulor.