Gesellschaft zur Stärkung der Verben

Öffentliche Bretter => Neue Ideen => Thema gestartet von: MrMagoo in 2005-05-18, 20:13:10

Titel: Geschwächte, aber ursprünglich starke Verben
Beitrag von: MrMagoo in 2005-05-18, 20:13:10
Da wir gerade im Faden "Kausativ in die Konjugationsliste aufnehmen" bei den Grundwortschatzverben waren, hier eine echte Liste ursprünglich starker Verben, die heute schwach konjugiert werden und somit ein Anrecht auf die rote Liste haben (wenn sie nicht schon drinstehen).

Nach Ablautreihe I:

gleißen (glänzen) - gliß - geglissen
greinen (weinen) - grinn - gegrinnen
keimen - kiem - gekiemen
(be-)neiden - nied - genieden
reihen - rieh - geriehen
(--> auch mit gramm. Wechsel: reihen - rieg - geriegen)
schneien - schnie(g) - geschnie(g)en

Nach Reihe II:

brauchen - broch - gebrochen
nieten (befestigen) - not - genoten
tauchen - toch - getochen

Nach Reihe III:

bellen - ball - gebollen
brinnen (brennen) - brann - gebrunnen
hinken - hank - gehunken
rimpfen (rümpfen) - rampf - gerumpfen
schmerzen - schmarz - geschmorzen
werren ((ver-)wirren) - warr - geworren

Nach Reihe IV:

hehlen - hahl - gehohlen
quälen - qual - gequolen

Reihe V:

jäten - jat - gejeten
kneten - knat - gekneten

Reihe VI:

lachen - luch - gelachen
mahlen - muhl - gemahlen
nagen - nug - genagen
wähnen (ursprünglich: wahnen) - wuhn - gewahnen
waten - wut - gewaten

Reihe VII:

falten - fielt - gefalten
schalten - schielt - geschalten
(hierhin gehört eigentlich auch: scheiden - schied - gescheiden)
wallen (kochen, wallen) - wiel - gewallen
walten - wielt - gewalten
walzen - wielz - gewalzen
Titel: Re:Geschwächte, aber ursprünglich starke Verben
Beitrag von: Kilian in 2005-05-18, 23:56:28
Sehr schön! Ehrenplätze auf der Roten Liste sind gewiss. Was soll ich denn in die Konjunktivspalte schreiben? Bei I und VII kann man wohl nicht viel falsch machen, wenn man einfach ein e ans Präteritum hängt, aber bei den Stammvokaländerungen der anderen Reihen bin ich mir nicht ganz sicher. Kinnst du dazu gesorchene Aussagen machen?
Titel: Re:Geschwächte, aber ursprünglich starke Verben
Beitrag von: MrMagoo in 2005-05-19, 17:02:38
Die Reihe II dürfte bei ihrem "o" bleiben, das in "ö" umgelautet wird, wie: fliegen - flöge.

Die Reihen IV und V hatten im gesamten Präteritum "a", das in "ä" umgelautet wird, wie: geben - gäbe.

In Reihe IV kann aber das "o" aus dem Partizip2 in den Konjunktiv schlagen, das in "ö" umlautet, weil das ursprüngliche Konjunktiv-"ä" lautlich mit dem Präsens-e zusammenfallen kann. Zum Beispiel gibt's bei stehlen neben stähle auch "stöhle".
Wann immer es geht, gäbe ich "ä" den Vorzug.

Die Reihe VI hatte im gesamten Präteritum "u", das in "ü" umgelautet wird, wie: fahren - führe.

Kompliziert ist's bei Reihe III.
Diese Reihe hatte im Präteritum "a" im Singular und "u" im Plural.
Da der Konjunktiv von den Pluralformen abgeleitet wurde, ist "ü" der eigentliche Konjunktivvokal: sterben - stürbe, werfen - würfe, helfen - hülfe.

Manche Verben bilden (auch) einen Konjunktiv mit "ä", sicher in Analogie an das heute im ganzen Präteritum vorhandene "a"... also alles durcheinander...
Ich denke, man sollte hier den Wohlklang entscheiden lassen und ggf. Nebenformen dazunehmen.
Titel: Re:Geschwächte, aber ursprünglich starke Verben
Beitrag von: VerbOrg in 2005-05-20, 15:26:01
Im Rolling Stone 05/2005 ist in einer Filmrezension zu Mondovideo zu lesen:
ZitatWie in einem Krimi entflechtet Nossitter diesen Kulturkampf um Tradition, globale Strategien, Qualität und Dollar, den jeder Konsument anders beurteilen wird.

Mit Schrecken stoll ich dann fest, dass die schwache Form von entflechten tatsächlich erluben ist. Wer flicht nur solche Verbformen in unsere Sprache ein?
Na wenigstens hat das Verb "flechten" stellvertretend für seine bevorsolbenen Geschwister schon ein warmes Plätzchen auf der Roten Liste ergortten.
Titel: Re:Geschwächte, aber ursprünglich starke Verben
Beitrag von: MrMagoo in 2005-05-21, 01:50:42
Zitat von: VerbOrg in 2005-05-20, 15:26:01
Mit Schrecken stoll ich dann fest, dass die schwache Form von entflechten tatsächlich erluben ist. Wer flicht nur solche Verbformen in unsere Sprache ein?
Na wenigstens hat das Verb "flechten" stellvertretend für seine bevorsolbenen Geschwister schon ein warmes Plätzchen auf der Roten Liste ergortten.


Wer sagt denn sowas? Der Duden etwa?! Immer diese Rechthabereien...  ::) Nur weil's im Duden steht, muß es ja nicht unbedingt stimmen...

Übrigens: Falls Du dessen neueste Auflage hast, sieh mal bitte unter dem Eintrag "Keiler" nach, ob da tatsächlich agressiv mit einem g steht... ich höre da so Gerüchte...  ;D
Titel: Re:Geschwächte, aber ursprünglich starke Verben
Beitrag von: VerbOrg in 2005-05-21, 06:49:11
Der Duden erlaubt bei entflechten beide Flexionsformen - die starke und die schwache. Eine Inkonsequenz, die wir hier nicht dulden sollten! Entweder stark (klingt toll) oder schwach (ein Armutszeugnis).
Das ist wie mit verwendet und verwandt...
Wenn es uns nicht gäbe, triebe das vermutlich noch mehr Blüten.

Die Sache mit dem agressiven Keiler werd' ich mir nachher mal ansehen. Zu Hause führ' ich die aktuelle Ausgabe der Sprachbibel nicht. Bei mir steht von Agressivität nix drin.
Titel: Re:Geschwächte, aber ursprünglich starke Verben
Beitrag von: Kilian in 2005-05-21, 10:23:54
Dann guck doch bitte auch unter "Weblog" nach, ob da irgendetwas von Katzenbildern steht. Da hab ich auch Gerüchte gehört...
Titel: Re:Geschwächte, aber ursprünglich starke Verben
Beitrag von: MrMagoo in 2005-05-21, 22:03:20
Zitat von: VerbOrg in 2005-05-21, 06:49:11
Der Duden erlaubt bei entflechten beide Flexionsformen - die starke und die schwache. Eine Inkonsequenz, die wir hier nicht dulden sollten! Entweder stark (klingt toll) oder schwach (ein Armutszeugnis).
Das ist wie mit verwendet und verwandt...
Wenn es uns nicht gäbe, triebe das vermutlich noch mehr Blüten.

Das wäre ja furchtbar!
Wie kommt der Duden nur immer wieder dazu, solche Verbformen zu akzeptieren?! Es kann doch nicht angehen, daß unsere Urenkel mit einer vollkommen schwachverbigen Sprache zu Rande kommen müssen...
Zugegeben: Auch ich habe mich schon öfter dabei ertappt (tappen - tup - getappen), wie ein Verb geschwächelt meinem Munde entronn *Schande meiner* - aber wenigstens hielt ich früh genug inne, dies selbst zu bemerken... ich befürchte allerdings, daß das in ein paar Jahrzehnten nicht mehr der Fall sein wird...  :o


ZitatDie Sache mit dem agressiven Keiler werd' ich mir nachher mal ansehen. Zu Hause führ' ich die aktuelle Ausgabe der Sprachbibel nicht. Bei mir steht von Agressivität nix drin.

Ich besitze auch keine Sprachbibel und ehrlich gesagt will ich sie auch gar nicht besitzen, denn der Duden schränkt den guten alten Grundwortschatz auf der einen Seite ein, läßt z.B. so besonders die schönen starken Verbformen verkommen und kompensiert das ganze auf der anderen Seite damit, daß massig Anglizismen und weiß nicht was sonst für Neologismen mitangeführt werden - ich bin immer davon ausgegangen, daß der Duden sich um die "deutsche" Sprache kümmert...
Titel: Re:Geschwächte, aber ursprünglich starke Verben
Beitrag von: VerbOrg in 2005-05-23, 16:56:33
Also gut: ich habe mich mal für einen Moment mit der neuesten Ausgabe der Sprachbibel abgegeben, um den Gerüchten auf den Grund zu gehen, die so kursieren:

1) Kilians Gerücht:

Das Gerücht entstand wahrscheinlich hierdurch (http://www.wortfeld.de/2004/08/der_neue_duden_ist_da/).

Wahr ist, dass es das Gerücht mit den Katzenbildern in Weblogs gibt.
Falsch ist, dass das Wort "Weblog" auch nur mit irgendeiner Definition im Duden steht. Vielleicht in ein paar Jahren...

2) MrMagoos Gerücht:

Unter dem Begriff Keiler findet man u.a. folgende Definition (falls ich sie noch richtig im Kopfe habe):
"auch österr. für Kundenwerber mit agressiven Methoden"
Und richtig: das Wort aggressiv kommt in dieser Definition mit nur einem "g" aus.

Alle Klarheiten beseitigt?
Titel: Re:Geschwächte, aber ursprünglich starke Verben
Beitrag von: versucher in 2005-05-23, 17:25:53
Im Duden Nr. 8 von 1986 habe ich seinerzeit ganze 12 Fehler entdocken, dabei habe ich ihn bestimmt nie komplett gelesen. Gibt es von dem eigentlich eine neue Ausgabe?
Titel: Re:Geschwächte, aber ursprünglich starke Verben
Beitrag von: Kilian in 2005-05-23, 18:08:22
Ja klar, die letzte im Juli 2004.

1) Hab ich auch gesehen. Keine Ahnung, wie das Possum dazu gekommen ist, dieses Fake zu machen, aber ich kann mir vorstellen, dass die Idee zu dem Fehler irgendwie von der Abkürzung cats für categories gekommen ist...

Danke fürs Nachgucken!
Titel: Re:Geschwächte, aber ursprünglich starke Verben
Beitrag von: MrMagoo in 2005-05-24, 17:41:48
Auch ich bedanke mich!
Wenn's nach dem Duden ginge müßten wir, zumindest wenn's um Definitionen rund um den "Keiler" geht, nun agressiv mit EINEM "g" schreiben.

Was lehrt uns daß? Nicht mal der Duden ist perfekt - und daher muß ich ihn ja nicht unbedingt als "das" Regelwerk anerkennen!!  ;D
Titel: Re:Geschwächte, aber ursprünglich starke Verben
Beitrag von: AmelieZapf in 2006-05-25, 13:46:14
Hallo zusammen,

ich zak heute morgen am Telefon beim Wort "bratete" meines Gegenübers zusammen. Auch habe ich das Wort "bratete" etliche Male ergooolgen. Ein Fall für die Rote Liste.

braten - brät - briet - briete - ./. - gebraten.
raten - rät - riet - riete - ./. - geraten

Gruß,

Amelie Zapf
Titel: Re:Geschwächte, aber ursprünglich starke Verben
Beitrag von: MrMagoo in 2006-05-25, 21:04:10
Zitat von: AmelieZapf in 2006-05-25, 13:46:14
Hallo zusammen,

ich zak heute morgen am Telefon beim Wort "bratete" meines Gegenübers zusammen. Auch habe ich das Wort "bratete" etliche Male ergooolgen. Ein Fall für die Rote Liste.

braten - brät - briet - briete - ./. - gebraten.
raten - rät - riet - riete - ./. - geraten

Gruß,

Amelie Zapf


Das müßte doch schon längst in der Liste stehen, oder nicht?! *hmm*
Titel: Re:Geschwächte, aber ursprünglich starke Verben
Beitrag von: Bertl in 2006-05-26, 12:42:27
Zitat von: MrMagoo in 2005-05-18, 20:13:10
schneien - schnie(g) - geschnie(g)en

Das leitet sich aus dem Mittelniederdeutschen ab [snîgen].
In meinem oberdeutschen Dialekt kommt es deutlich vom Mittelhochdeutschen snîwen.
schneiben [schnae-m] - [schnieb] - KII im Dialekt: 'schnaewad' - geschnieben [gschnî-m]
Herzlichst!
Der Bertl
Titel: Re:Geschwächte, aber ursprünglich starke Verben
Beitrag von: AmelieZapf in 2006-05-26, 13:50:37
Hallo MrMagoo,

Zitat von: MrMagoo in 2006-05-25, 21:04:10
Das müßte doch schon längst in der Liste stehen, oder nicht?! *hmm*

Eben nicht, deswegen sage ich's ja!

Gruß,

Amelie
Titel: Re:Geschwächte, aber ursprünglich starke Verben
Beitrag von: Kilian in 2006-05-26, 14:53:44
Nun, wenn sie schon längst da stehen sollten, dann trage ich sie besser schnell nach... geschehen. :)
Titel: Re:Geschwächte, aber ursprünglich starke Verben
Beitrag von: MrMagoo in 2006-05-27, 14:24:28
Zitat von: AmelieZapf in 2006-05-26, 13:50:37
Hallo MrMagoo,

Zitat von: MrMagoo in 2006-05-25, 21:04:10
Das müßte doch schon längst in der Liste stehen, oder nicht?! *hmm*

Eben nicht, deswegen sage ich's ja!

Gruß,

Amelie

Oh, entschuldige bitte, des enwußte ich nicht! :(

Gruß
-MrMagoo
Titel: Re:Geschwächte, aber ursprünglich starke Verben
Beitrag von: Agricola in 2006-08-11, 15:22:50
Ich stoll gerade fest, dass "schaffen" auf die rote Liste gehört.
Natürlich hat schaffen starke und schwache Formen, und so soll es auch bleiben. Die Form "schuf" der starken Formbildung tendiert aber massiv dazu, durch "schaffte" ersetzt zu werden, wie folgende Beispiele zeigen: (Zahlen in Klammern bezeichnen google-Treffer, alle Beispiele wurden natürlich als Phrasen gegoolgen)

"schafft die Voraussetzungen" (73100)
"schuf die Voraussetzungen" (889)
"schaffte die Voraussetzungen" (198)
"die Voraussetzungen geschaffen" (137000)
"die Voraussetzungen geschafft" (21)

"schafft die Bedingungen" (541)
"schuf die Bedingungen" (117)
"schaffte die Bedingungen" (17)
"die Bedingungen geschaffen" (646)
"die Bedingungen geschafft" (7)

"schafft Anreize" (17600)
"schuf Anreize" (146)
"schaffte Anreize" (37)
"Anreize geschaffen" (59700)
"Anreize geschafft" (52)

Aus der Verteilung beim Perfektpartizip ist zu sehen, dass nicht die starke Formbildung an sich (als Gegensatz zur schwachen) gefährdet ist, sondern dass es nur die starke Imperfektform ist, die bei eigentlich starker Formbildung durch die schwache Form in ca. 20% aller Fälle ersotzen ist.