Gesellschaft zur Stärkung der Verben

Öffentliche Bretter => Sprache => Thema gestartet von: amarillo in 2005-12-17, 13:10:32

Titel: Genitivalarm
Beitrag von: amarillo in 2005-12-17, 13:10:32
Nach einem meiner letzten Einträge in der Abteilung "foll daneben" habe ich gerade - von Langeweile geplugen - die Schnur 'gegenüber des' gegoolgen. Das Ding hat 276.000 Einträge hervorgebrochen. Was ist denn da los? Grimms und Wahrig sind sich einig, daß gegenüber gefälligst mit dem Dativ einher zu gehen hat - ausnahmslos!

Wollen da einige Leute etwas am Genitiv gutmachen, waß sie an anderer Stelle verbrochen haben? Magoo, Du Erzgauner von einem Linguisten, ich bitte um Erklur.
Titel: Re:Genitivalarm
Beitrag von: Ezilopp in 2005-12-18, 03:18:06
Ist durchaus möglich.
Meine bescheidene Meinung ist die, dass die meisten Deutschen einfach nicht mehr wissen, was die Fälle im Deutschen zu bedeuten haben.
Standardsprachlich heißt es ja "trotz des Regens" und "dank des guten Wetters"...
Titel: Re:Genitivalarm
Beitrag von: VerbOrg in 2005-12-18, 09:39:46
Bei trotz und dank kann man sich streiten, ob man diese Präpositionen mit Genitiv oder Dativ zu benutzen habe.
Wenn das Substantiv, das darauf folgt, attributiert ist, neige ich in den meisten Fällen zum Genitiv, weil's so schön ist. Der Dativ ist aber genauso korrekt und wird hier auch von Wächtern der deustchen Sprache oft als das einzig Wahre gepriesen. Auch der DUDEN plädiert eher für den Dativ.
Steht das, dem es zu trotzen gilt, ohne vorangestelltes Attribut, so ist der Dativ meines Wissens sogar zwingend.

Auch gibt es ein Wörtchen trotzdem aber kein trotzdes.

Ich kann mir vorstellen, dass die Verwendung des Genitivs bei trotz und dank in der bekanntermaßen genitivverliebten Behördensprache ihren Ursprung hat und sich durch verstärkten Gebrauch als ebenfalls richtig durchsetzen konnte.

Vielleicht können Magoo und Kilian da ja Näheres in Erfahrung bringen...
Titel: Re:Genitivalarm
Beitrag von: amarillo in 2005-12-18, 09:58:40
Nun ja, gemeinhin fühlen wir uns ja hier aufgerufen, den armen kleinen Genitiv vor dem Zugriff des großen Dativs zu retten.
Seltsam fand ich, daß im Falle von 'gegenüber' das genaue Gegenteil erforderlich zu scheint.

Ich könnte mir ja auch erklären, daß eine Form wie "gegenüber der Kirche" als Genitiv interpretoren wird (gleiche Form des weiblichen Artikels in Genitiv und Dativ Singular) und man diese dann kackfrech auf das Maskulinum überträgt.  
Titel: Re:Genitivalarm
Beitrag von: VerbOrg in 2005-12-18, 10:08:10
Das könnte durchaus sein.
Aber dann wären das wohl eher Einzelfälle. So viele Einträge, wie du da gegoolgen hast, fände ich da schon eigenartig.

Es sei denn, die Fälle sind den Deustchen so sünkron weggeschwommen, dass sie sich an den Genitiv als letzten verbliebenen Zweifelsfall geklormmen haben, nachdem sie gehört/gelesen haben, dass es den ja auch noch gibt und man ihn trotzdes kaum noch benutzt.
Titel: Re:Genitivalarm
Beitrag von: MrMagoo in 2005-12-18, 21:42:34
Zitat von: amarillo in 2005-12-17, 13:10:32
Nach einem meiner letzten Einträge in der Abteilung "foll daneben" habe ich gerade - von Langeweile geplugen - die Schnur 'gegenüber des' gegoolgen. Das Ding hat 276.000 Einträge hervorgebrochen. Was ist denn da los? Grimms und Wahrig sind sich einig, daß gegenüber gefälligst mit dem Dativ einher zu gehen hat - ausnahmslos!

Wollen da einige Leute etwas am Genitiv gutmachen, waß sie an anderer Stelle verbrochen haben? Magoo, Du Erzgauner von einem Linguisten, ich bitte um Erklur.

Grüß Dich, amarillo! ;)
Lange nichts gehört von Dir, alte Kate...

Unsere deutschen Dialekte ziehen beinahe überall den Dativ dem Genitiv vor; liegt sozusagen daran, daß der Dativ im Deutschen viel ausgeprägter ist; dem Einfluß der lateinischen Grammatik ist's meist zu verdanken, daß der Genitiv dort steht, wo üblicherweise ein Dativ hingehor.
Wahrscheinlich bevorzugt auch "gegenüber" den Dativ, und so hat Grimm dies in seinem Wörterbuch festgehalten (Grimm war ja eher beschreibender als vorschreibender Sprachwissenschaftler.) Beim Wahrig fehlt mir der Hintergrund.

Es kann darüber hinaus sein, daß (natürlich wieder wegen dem Einflusse der lateinischen Grammatik), Leute unsicher werden, wann denn der Dativ und wann der Genitiv zu verwenden ist...
Im Zweifelsfall wird dann natürlich der Genitiv bevorzugt, eben einfach weil's "gebildeter" klingt. ;)

Es grüßt
-MrMagoo
Titel: Re:Genitivalarm
Beitrag von: MrMagoo in 2005-12-18, 21:55:59
Zitat von: VerbOrg in 2005-12-18, 09:39:46
Auch gibt es ein Wörtchen trotzdem aber kein trotzdes.

Hier kann man sehen, daß trotz ursprünglich eine Präposition war, die den Dativ verlangte!! In diesem Wort ist uns der Gebrauch mit dem 3. Fall sozusagen als Fossil erhalten.

Grimm schreibt in seinem "Deutschen Wörterbuch" (1854-1960), Band 22:

Trotz[...]

1) mit dem dativ, so ursprünglich, heute bereits selten. [...]
2) jünger ist der gebrauch mit dem genitiv; er ist erst um die mitte des 18. jhs. bezeugt (s. 3) und gilt bei ADELUNG und CAMPE noch als unrichtig; heute hat er den dativ fast ganz verdrängt [...]
3) bis in die gegenwart läszt sich das nebeneinander von dativ und genitiv bei demselben schriftsteller beobachten.


ZitatIch kann mir vorstellen, dass die Verwendung des Genitivs bei trotz und dank in der bekanntermaßen genitivverliebten Behördensprache ihren Ursprung hat und sich durch verstärkten Gebrauch als ebenfalls richtig durchsetzen konnte.

Vielleicht können Magoo und Kilian da ja Näheres in Erfahrung bringen...

Ja, da magst Du richtig liegen.
Genaueres bezüglich der Amts- und Behördensprache weiß ich jetzt leider auch nicht, aber es klingt plausibel.
Titel: Re:Genitivalarm
Beitrag von: Ezilopp in 2005-12-19, 14:59:23
Mangels eines besseren Ortes mache ich hier einen Vorschlag zur Aufnahmen in die "Rettet-des-Genitivs"-Liste:
"Unreif sind sie des Glücks" sagt der Herrscher im Korngoldschen "Wunder der Heliane" (Libretto von Hans Müller nach Hans Kaltneker).
Titel: Re:Genitivalarm
Beitrag von: Ezilopp in 2005-12-19, 15:01:50
Zitat von: MrMagoo in 2005-12-18, 21:55:59
Zitat von: VerbOrg in 2005-12-18, 09:39:46
Auch gibt es ein Wörtchen trotzdem aber kein trotzdes.

Hier kann man sehen, daß trotz ursprünglich eine Präposition war, die den Dativ verlangte!! In diesem Wort ist uns der Gebrauch mit dem 3. Fall sozusagen als Fossil erhalten.

Grimm schreibt in seinem "Deutschen Wörterbuch" (1854-1960), Band 22:

Trotz[...]

1) mit dem dativ, so ursprünglich, heute bereits selten. [...]
2) jünger ist der gebrauch mit dem genitiv; er ist erst um die mitte des 18. jhs. bezeugt (s. 3) und gilt bei ADELUNG und CAMPE noch als unrichtig; heute hat er den dativ fast ganz verdrängt [...]
3) bis in die gegenwart läszt sich das nebeneinander von dativ und genitiv bei demselben schriftsteller beobachten.


ZitatIch kann mir vorstellen, dass die Verwendung des Genitivs bei trotz und dank in der bekanntermaßen genitivverliebten Behördensprache ihren Ursprung hat und sich durch verstärkten Gebrauch als ebenfalls richtig durchsetzen konnte.

Vielleicht können Magoo und Kilian da ja Näheres in Erfahrung bringen...

Ja, da magst Du richtig liegen.
Genaueres bezüglich der Amts- und Behördensprache weiß ich jetzt leider auch nicht, aber es klingt plausibel.
Als Fossil hat sich ja auch das Wörtchen "dessenungeachtet" erhalten, und selbst Genitivunkundigste sagen "stattdessen" und "deswegen".
Titel: Re: Genitivalarm
Beitrag von: Agricola in 2007-12-18, 17:45:17
"Als" kann auch mit dem Genitiv stehen. Aus einem amtlichen Formular:

Zu dem Bauantrag

...
...
...

wird hiermit bestätigt, daß gem. § 45 LBO bestellt ist als

Bauleiters für das gesamte Bauvorhaben

...
Titel: Re:Genitivalarm
Beitrag von: Berthold in 2007-12-18, 20:34:17
Zitat von: MrMagoo in 2005-12-18, 21:42:34
(...)
Im Zweifelsfall wird dann natürlich der Genitiv bevorzugt, eben einfach weil's "gebildeter" klingt. ;)
Es grüßt
-MrMagoo

Und da ist sie auch biwunz spagß, die Xööschofft, spägßer als eine Compagnie Schwyzer Landschnächti.
Titel: Re: Genitivalarm
Beitrag von: Berthold in 2007-12-19, 17:23:15
Manchmal ist es gar nicht bestimmbar, ob es ein Wort des Genitivs oder nach dem Dativ verlangt.

Dazu eine Stelle des österreichischen Lesebuches - aus 'König Ottokars Glück und Ende' von Franz Grillparzer:

(...) es ist ein gutes Land,
wohl wert, daß sich ein Fürst sein unterwinde!
Titel: Re: Genitivalarm
Beitrag von: Ku in 2008-01-03, 23:09:05
Man kann auch beides haben:

Mir kommt soeben beim Kreuzworträtselraten das Märchen "Herr Korbes" der Gebrüder Grimm unter.

Dort heißt es:

"Nehmt euch wohl in acht,
daß ihr meine roten Räderchen nicht schmutzig macht.
Ihr Räderchen, schweift,
ihr Mäuschen, pfeift,
als hinaus
nach des Herrn Korbes seinem Haus."

Elegant gelosen!
Titel: Re: Genitivalarm
Beitrag von: Agricola in 2008-01-04, 00:26:38
Na ja, der Dativ ist ja durch die Präposition vorgeschrieben und steht nicht anstelle eines korrekten Genitivs, während der Genitiv vollkommen korrekt als possessivus verwanden ist. Der Genitiv alleine genöge naltür, um den Besitz objektiv anzuzeigen, aber das subjektive Besitzverhältnis wird durch das Wort "sein" eben viel deutlicher ausgedrocken.
Titel: Re: Genitivalarm
Beitrag von: Agricola in 2008-01-06, 08:56:29
Eben finde ich das:

Die über das Krankenhausareal verstreuten zweistöckigen Häuser sind die durchaus ansehnlichen und liebevoll restaurierten Reste eines Projekts, das die Welt in Staunen versetzen sollte: dem Bau der Welthauptstadt "Germania".

und in demselben Artikel etwas später:

Die Altbauten des Areals waren nämlich Teil der so genannten Arbeiterstadt "Große Halle", einem ausgedehnten Lagerkomplex, der voll ausgebaut hundert Gebäude für 8000 Einwohner umfasst hätte.

Anscheinend handelt es sich um eine Konstruktion, die einen Genitivus Possessivus mit einem Dativ verbindet. Wird hier ein "von" stillschweigend vorausgesetzt?
Titel: Re: Genitivalarm
Beitrag von: Grinsekater in 2008-01-06, 12:38:52
Zitat von: Agricola in 2008-01-06, 08:56:29
Anscheinend handelt es sich um eine Konstruktion, die einen Genitivus Possessivus mit einem Dativ verbindet. Wird hier ein "von" stillschweigend vorausgesetzt?
Behüpte ich. Mir ist Desgleichen schon mehrmals untergekommen.
Titel: Re: Genitivalarm
Beitrag von: Kilian in 2010-12-24, 01:52:03
Ei da schau: http://sprachlog.posterous.com/unabhangig-des-genitivs
Titel: Re: Genitivalarm
Beitrag von: A. Larm in 2011-03-03, 13:56:40
Eben im SPON gelesen:

Stattdessen steht er im Gasthaus "La Sirène" seiner Freundin nahe des bekannten normannischen Badeortes Etretat am Herd. (http://www.spiegel.de/reise/aktuell/0,1518,748578,00.html)
Titel: Re: Genitivalarm
Beitrag von: katakura in 2011-03-03, 14:47:25
Zitat von: A. Larm in 2011-03-03, 13:56:40
Eben im SPON gelesen:

Stattdessen steht er im Gasthaus "La Sirène" seiner Freundin nahe des bekannten normannischen Badeortes Etretat am Herd. (http://www.spiegel.de/reise/aktuell/0,1518,748578,00.html)

... ein typischer fehler, der zunehmend (vielleicht ist das auch nur subjektiv gefühlt) in journalistischen texten auftaucht  ... darum steht "nah" auch seit längerem schon in unserer "roten kollektion": http://verben.texttheater.de/Rettet_des_Genitivs!#Falscher_Gebrauch_des_Genitivs_.28rote_Kollektion.29 (http://verben.texttheater.de/Rettet_des_Genitivs!#Falscher_Gebrauch_des_Genitivs_.28rote_Kollektion.29) ... dasselbe gilt für sein antonym "fern", das auch immer wieder gern mit genitiv gebroochen wird ... kommt bei beiden wahrschieln deshalb dazu, weil als analogie wörter wie z.B. "unweit" herangezogen werden ...

... ich find's auf alle fälle amüsant, wie sich der genitiv in diesen fällen unbeirrbar seine bahn bricht ... noch ein paar jahre hin und der duden sanktioniert den heute noch falschen gebrauch ...