Gesellschaft zur Stärkung der Verben

Öffentliche Bretter => Sprache => Thema gestartet von: Kilian in 2006-05-26, 09:58:44

Titel: Genitiv des Ausrufs
Beitrag von: Kilian in 2006-05-26, 09:58:44
Ich erhielt gerade Post aus Tokyo bzgl. des Genitivs des Ausrufs, der bei Nietzsche häufiger anzutreffen sei:

"Oh des goldenen runden Reifs - wohin fliegt er wohl?"
"Lass mich doch! Still! Ward nicht die Welt eben vollkommen? Oh des goldnen runden Balls!"
(Also sprach Zarathustra)

"Oh des armen Vogels, der sich frei gefühlt hat und nun an die Wände dieses Käfigs stößt!" (Der Mensch im Horizont des Unendlichen)

Weiß jemand, woher dieser Genitv bzw. wie Nietzsche darauf kommt?
Titel: Re:Genitiv des Ausrufs
Beitrag von: AmelieZapf in 2006-05-26, 13:49:31
Hallo Kilian,

Zitat von: Kilian in 2006-05-26, 09:58:44
Weiß jemand, woher dieser Genitv bzw. wie Nietzsche darauf kommt?

Keine Uhn, woher das kommt. Aber einen Namen hat es verdient: Genitivus exclamationis ssp. nietzschianus.
Titel: Re:Genitiv des Ausrufs
Beitrag von: Kilian in 2006-05-26, 14:56:38
Dem Russischen scheint der G.e. er nicht gänzlich unbekonnen zu sein, wenn auch nur Google einen Text mit diesem Begriff findet (bzw. dreimal den gleichen).
Titel: Re:Genitiv des Ausrufs
Beitrag von: caru in 2006-05-26, 18:52:09
herr r. wagner benutzt hier  (http://operetta.stanford.edu/iu/libretti/meis02.htm) einmal "O der Pein!", ein anderes mal "O weh, der Pein!"



edit:

und heißa! er benutzt auch die präposition "um" mit genitiv!

"Um deiner jungen Missetat
hantier' ich jetzt mit Ahl und Draht..."

auf die liste, auf die liste!
Titel: Re:Genitiv des Ausrufs
Beitrag von: caru in 2006-05-26, 19:09:02
Zitat von: Kilian in 2006-05-26, 14:56:38
Dem Russischen scheint der G.e. er nicht gänzlich unbekonnen zu sein, wenn auch nur Google einen Text mit diesem Begriff findet (bzw. dreimal den gleichen).

bist du dir des sicher? ich finde da immer nur den accusativus exclamationis - und den gibts immerhin auch im latein, griechischen und (eher selten) sanskrit.
Titel: Re:Genitiv des Ausrufs
Beitrag von: Kilian in 2006-05-26, 23:48:30
Nö, des bin ich nicht sicher. Das waren nur spontane Fundstücke aus dem Allwissenden Mülleimer.
Titel: Re:Genitiv des Ausrufs
Beitrag von: AmelieZapf in 2006-05-27, 00:25:11
Es dünkt mir, daß der G. e. das Ziel verfolgt, des Lesers Augenmerk auf den Gegenstand zu richten, wohingegen der N. e. resp. A. e. vielmehr des Ausrufers Betroffenheit ob des, was dem Gegenstand just widerfährt, zum Ausdruck bringt.

Gruß,

A. Z.
Titel: Re:Genitiv des Ausrufs
Beitrag von: caru in 2006-05-27, 09:16:31
und äußert nicht zarathustra gerade betroffenheit ob des armen vogels? und stammen die beiden wagnerschen "o der pein" nicht aus selbstgesprächen von opernfiguren? wessen aufmarks sollten die erregen wollen?

und läßt sich beim ausruf eines autors tatsächlich zwischen dessen persönlicher betraff und einem appell an die aufmarks des lesers unterscheiden?
Titel: Re:Genitiv des Ausrufs
Beitrag von: amarillo in 2006-05-27, 09:24:59
Zitat von: AmelieZapf in 2006-05-27, 00:25:11
Es dünkt mir, daß der G. e. das Ziel verfolgt, des Lesers Augenmerk auf den Gegenstand zu richten, wohingegen der N. e. resp. A. e. vielmehr des Ausrufers Betroffenheit ob des, was dem Gegenstand just widerfährt, zum Ausdruck bringt.

Kurzer Abschwiff:

Benutzt Ihr alle 'dünken' mit dem Dativ (mir dünkt / deucht)? Mir war bislang nur die Akkusativvariante geläufig (mich dünkt / deucht).
Vorsichtiges Googeln ergab eine fast fifty-fiftige Verteilung. Stehen also beide Molgen gleichberachtogen nebeneinander?  
Titel: Re:Genitiv des Ausrufs
Beitrag von: caru in 2006-05-27, 09:32:55
Gestatte, daß an diesem Orte - mein alter Freund Abu Seid für uns antworte (http://gutenberg.spiegel.de/rueckert/makamen/maka13.htm):

"Mein Volk, laß dir verkündigen – die Regeln, die bindenden, bündigen, – gegen welche die Sinnigen nicht sündigen. – Der Dativ ist hier statuiert – und der Accusativ sanktioniert; – beide stehn in voller Eintracht und vollkommener Einheit – mit der grammatischen Reinheit; – doch zwischen beiden ist eines Unterschiedes Feinheit, – die sich nicht läßt erfassen von eines Gesetzes Allgemeinheit."
Titel: Re:Genitiv des Ausrufs
Beitrag von: amarillo in 2006-05-27, 09:50:48
Die Antwort macht, wie mir/mich deucht,
die Anwund dieses 'Dünkens' leucht,
und fürderhin, des bin gewiss ich,
verwend ich's frei, verwegen, schmissig! :D

Zurück zum Thema: ich habe leider nicht den geringsten Dunst, woher dieser Genitiv stammt, aber er klingt so gut, daß ich versuchen will, ihn in meine Spreche zu integrieren. "Oh des Kotes!" ist gesellschaftlich auch wesentlich erträglicher, als die an dieser Stelle sonst üblichen Fäkalbeschwörungen - wie mich deucht. ;D
Titel: Re:Genitiv des Ausrufs
Beitrag von: AmelieZapf in 2006-05-27, 11:33:13
Noch ein schöner Genitiv (auf Finnisch ja nett: Genitiivi) für die Liste, der bei Bach/Picander, Libretto der Matthäuspassion auftritt:

kennen: Ich kenne des Menschen nicht.

Gruß,

Amy
Titel: Re:Genitiv des Ausrufs
Beitrag von: MrMagoo in 2006-05-27, 14:18:34
Zitat von: Kilian in 2006-05-26, 09:58:44
Ich erhielt gerade Post aus Tokyo bzgl. des Genitivs des Ausrufs, der bei Nietzsche häufiger anzutreffen sei:

"Oh des goldenen runden Reifs - wohin fliegt er wohl?"
"Lass mich doch! Still! Ward nicht die Welt eben vollkommen? Oh des goldnen runden Balls!"
(Also sprach Zarathustra)

"Oh des armen Vogels, der sich frei gefühlt hat und nun an die Wände dieses Käfigs stößt!" (Der Mensch im Horizont des Unendlichen)

Weiß jemand, woher dieser Genitv bzw. wie Nietzsche darauf kommt?


Wahrscheinlich eine Kürzung aus "Oh (Weh, Schmerz sei, ist) des armen Vogels", also die Erkenntnis, daß der Schmerz, das Leid dem Vogel eigen ist... ;)
Titel: Re:Genitiv des Ausrufs
Beitrag von: MrMagoo in 2006-05-27, 14:23:25
Zitat von: amarillo in 2006-05-27, 09:24:59
Kurzer Abschwiff:

Benutzt Ihr alle 'dünken' mit dem Dativ (mir dünkt / deucht)? Mir war bislang nur die Akkusativvariante geläufig (mich dünkt / deucht).
Vorsichtiges Googeln ergab eine fast fifty-fiftige Verteilung. Stehen also beide Molgen gleichberachtogen nebeneinander?  


Viel interessanter finde ich, daß wir es hier anscheinend mit einem neuen Präterito-Präsens zu tun haben...

"deucht(e)" ist nämlich ursprünglich das Präteritum zu dünken.
Kennt ihr noch weitere solcher Fälle, in denen die ursprüngliche Form des Präteritums zum Präsens geworden ist (mit Ausnahme der "wirklichen" Präterito-Präsentien natürlich)?
Titel: Re:Genitiv des Ausrufs
Beitrag von: Kilian in 2006-05-27, 15:57:17
Vielleicht in Einzelfällen, wenn man auf der Suche nach dem Präsens zu erkoren nach der richtigen Form ringt: "Du hast die gelben Düppchen erkoren? Dann er...kore ich mich mir die roten."
Titel: Re:Genitiv des Ausrufs
Beitrag von: amarillo in 2006-05-27, 16:01:09
Zitat von: MrMagoo in 2006-05-27, 14:23:25
Viel interessanter finde ich, daß wir es hier anscheinend mit einem neuen Präterito-Präsens zu tun haben...

"deucht(e)" ist nämlich ursprünglich das Präteritum zu dünken.
Kennt ihr noch weitere solcher Fälle, in denen die ursprüngliche Form des Präteritums zum Präsens geworden ist (mit Ausnahme der "wirklichen" Präterito-Präsentien natürlich)?

Mein Problem: selbst wenn ich derer kännte, ich erkännte sie nicht als solche.
Wie läßt sich das recherchieren?
Titel: Re:Genitiv des Ausrufs
Beitrag von: MrMagoo in 2006-05-27, 20:05:27
Zitat von: amarillo in 2006-05-27, 16:01:09
Zitat von: MrMagoo in 2006-05-27, 14:23:25
Viel interessanter finde ich, daß wir es hier anscheinend mit einem neuen Präterito-Präsens zu tun haben...

"deucht(e)" ist nämlich ursprünglich das Präteritum zu dünken.
Kennt ihr noch weitere solcher Fälle, in denen die ursprüngliche Form des Präteritums zum Präsens geworden ist (mit Ausnahme der "wirklichen" Präterito-Präsentien natürlich)?

Mein Problem: selbst wenn ich derer kännte, ich erkännte sie nicht als solche.
Wie läßt sich das recherchieren?

Fürwahr sicher nur schwerlich... daher frug ich.
Aufgefallen ists mir bisher nur bei "deucht" und, wie Kilian schon anmerkte, bei "koren"... wir werden wohl einfach mal verstärkter darauf achten müssen. :)
Titel: Re:Genitiv des Ausrufs
Beitrag von: genial in 2006-07-23, 03:32:41
Zitat von: caru in 2006-05-26, 18:52:09

und heißa! er benutzt auch die präposition "um" mit genitiv!

"Um deiner jungen Missetat
hantier' ich jetzt mit Ahl und Draht..."

Woran ist hier zu erkennen, daß es sich um einen Genitiv und nicht um einen Dativ handelt?
Titel: Re:Genitiv des Ausrufs
Beitrag von: VerbOrg in 2006-07-23, 08:56:23
Versuch doch mal, "deine junge Missetat" zu deklinieren.

1. deine junge Missetat
2. deiner jungen Missetat
3. deiner jungen Missetat
4. deine junge Missetat

Wie man sieht, bringt uns das nicht weiter.
Wenn man sich aber mal anschaut, in welchen Zusammenhang die junge Missetat gesotzen wird, wird's deutlich:

"um deiner jungen Missetat" = "ob deiner jungen Missetat" = "wegen deiner jungen Missetat".


Hier wird das "um" nicht im klassischen Sinne als Präposition des Ortes sondern als Präposition des Grundes verwandt. Diese verlangt (wie wir bei den Synonymen "wegen" und "ob" gesehen haben) den Genitiv.

Anderes Beispiel für "um" mit Genitiv:

um Gottes Willen

So ungewöhnlich ist der von caru aufgedochene genitivische Gebrauch des Wörtchens "um" also nicht.


Der in den Schulen so schön runtergebetete Spruch
"Mit, nach, von, aus, zu, bei fordern stets Fall Nummer drei."
enthält, wenn man ihn sich mal anschaut, ausschließlich Präpositionen, die normalerweise örtlich und zeitlich gebraucht werden. Weicht eine Präposition aus dieser Bedeutungskategorie ab, dann ändert sich auch der Fall, den sie verlangt.
Titel: Re:Genitiv des Ausrufs
Beitrag von: Agricola in 2006-07-23, 09:32:07
Zitat von: VerbOrg in 2006-07-23, 08:56:23
Anderes Beispiel für "um" mit Genitiv:

um Gottes Willen

So ungewöhnlich ist der von caru aufgedochene genitivische Gebrauch des Wörtchens "um" also nicht.

Bei "um Gottes Willen" ist es doch ganz sicher kein Gähnitiv, sonst müsste es "um Gottes Willens" heißen. "Gottes" ist ja jedenfalls nicht das Substantiv, das zu "um" gehört. Was der Ausspruch ursprünglich bedeutet, ist mir auch nicht ganz klar. Mir scheint, jedenfalls etwas anderes als "um des Friedens willen". Welche Funktion hat "um" aber in diesem letzteren Ausdruck? Ist es da überhaupt eine Präposition?

"Um" steht normalerweise mit den Akkusativ. Ich mache mir seit längerem Gedanken, ob man es nicht auch mit den Dativ verwenden kann, wenn man eindeutig einen Ort und nicht "um ... herum" meint. Also etwa so differenziert:

Um ihn herum spielten die Kinder. Um ihm war ja auch hinreichend Platz zum Spielen.

Da um dem Haus von überall Gefahr drohte, baute er eine Mauer um den Garten.

Mal kommt's mir ganz abwegig, mal ganz logisch vor.
Titel: Re:Genitiv des Ausrufs
Beitrag von: VerbOrg in 2006-07-23, 09:48:16
Sorry, danke, dass du noch einen kühlen Kopf bewahrt hast. Na ja, du musst ja eher vor dem Regen Schutz suchen als vor der sengenden Sonne.

Um plus Ort wäre doch schön für den Dativ.
Bei den Akkusativ-Präpositionen pieße es örtlich nicht so ganz. Schlielß geht's da ja eher um Mittel zum Zweck, Aversionen und Gegenmaßnahmen.

Vielleicht sollte man die Präpositionen generell eher danach einordnen, wofür sie gebraucht werden, statt einfach nur zu sagen, diese Präposition fordere diesen und jene Präposition erfordere jenen Fall.

Man sieht ja in carus Beispiel, dass es nicht einfach nur darauf ankommt, welche Präposition man benutzt, sondern darauf, was diese bedeutet.


Üprigenz:
Umgangssprachlich (und teilweise auch ganz offiziell) benutzt man ja wegen auch schon mit Dativ. Vielleicht ist deshalb genials Einwand gar nicht so unberochtegen. Allerdings ist carus Beispiel wohl nicht so ganz der flapsigen Umgangssprache zuzurechnen. Wegen benötze man hier eindeutig genitivisch.
Titel: Re:Genitiv des Ausrufs
Beitrag von: Kilian in 2006-07-23, 18:20:05
Zitat von: VerbOrg in 2006-07-23, 08:56:23Wenn man sich aber mal anschaut, in welchen Zusammenhang die junge Missetat gesotzen wird, wird's deutlich:

"um deiner jungen Missetat" = "ob deiner jungen Missetat" = "wegen deiner jungen Missetat".

Hier wird das "um" nicht im klassischen Sinne als Präposition des Ortes sondern als Präposition des Grundes verwandt. Diese verlangt (wie wir bei den Synonymen "wegen" und "ob" gesehen haben) den Genitiv.

:-\ Gewagt! Man kann grammatische Eigenschaften von Wörtern nicht einfach aus grammatischen Eigenschaften von Synonymen erschließen. (Banales Beispiel: Ein Fahrrad ist sächlich, ein Drahtesel aber männlich.) Sicher wolltest du das nicht behaupten, es liest sich aber ein bisschen so.

Zitat"Mit, nach, von, aus, zu, bei fordern stets Fall Nummer drei."

Da fehlt noch seit, oder?

Zitatausschließlich Präpositionen, die normalerweise örtlich und zeitlich gebraucht werden

Außer mit.

ZitatWeicht eine Präposition aus dieser Bedeutungskategorie ab, dann ändert sich auch der Fall, den sie verlangt.

Nicht immer! frei nach Hugo Distler enthält genauso Dativ wie nach Fürstenfeldbruck radeln. Kannst du Beispiele für Kontexte nennen, in denen eine dieser Präpositionen einen anderen Fall als den Dativ verlangt?

Zitat von: Agricola in 2006-07-23, 09:32:07Bei "um Gottes Willen" ist es doch ganz sicher kein Gähnitiv, sonst müsste es "um Gottes Willens" heißen. "Gottes" ist ja jedenfalls nicht das Substantiv, das zu "um" gehört. Was der Ausspruch ursprünglich bedeutet, ist mir auch nicht ganz klar. Mir scheint, jedenfalls etwas anderes als "um des Friedens willen". Welche Funktion hat "um" aber in diesem letzteren Ausdruck? Ist es da überhaupt eine Präposition?

Es ist Teil der Zirkumposition um ... willen (willen muss kleingeschrieben werden!), die mit Genitiv steht und so viel wie "wegen" oder auch "für" bedeutet.

Ursprünglich bedeutete um Gottes willen "allein Gott zuliebe", "selbstlos", man erbarmte sich etwa eines Bettlers um Gottes willen. Später gebrauchte man die Wendung, um einer Frage oder Aufforderung besonderen Nachdruck zu verleihen: "Sagt mir um Gottes willen, was geschehen ist!" Von da aus war dann der Weg zu einem reinen Ausruf des  Erstaunens, Entsetzens nicht mehr weit, wie wir ihn heute kennen.

All diese schlauen Dinge stehen im Grimm'schen Wörterbuch (http://germazope.uni-trier.de/Projects/WBB/woerterbuecher/dwb/wbgui?lemid=GA00001), Eintrag UM (Nummer zwo), Abschnitt J. Und noch mehr: Wenn um allein mit Genitiv aufzutreten scheint, wie bei carus Wagner-Zitat, dann wird das als Ausfall von willen betrachtet. Die Aufnahme in unsere Liste soll das nicht hindern, eher befördern, ist damit doch der Beweis für Genitiv (und nicht Dativ) erbracht. Ich hatte das hier fast vergessen.

Früher dachte ich, um Gottes Willen hieße: "Selbst, wenn Gott es wollte, das geht nicht!" Statt nur über meine Leiche: selbst unter Umgehung von Gottes Willen... :)
Titel: Re:Genitiv des Ausrufs
Beitrag von: Metapher in 2006-07-24, 14:44:08
ZitatBei "um Gottes Willen" ist es doch ganz sicher kein Gähnitiv, sonst müsste es "um Gottes Willens" heißen. "Gottes" ist ja jedenfalls nicht das Substantiv, das zu "um" gehört. Was der Ausspruch ursprünglich bedeutet, ist mir auch nicht ganz klar. Mir scheint, jedenfalls etwas anderes als "um des Friedens willen". Welche Funktion hat "um" aber in diesem letzteren Ausdruck? Ist es da überhaupt eine Präposition?

"willen" ist ein Genitiv!!!!, nämlich der zu "Wille".

ZitatWenn um allein mit Genitiv aufzutreten scheint, wie bei carus Wagner-Zitat, dann wird das als Ausfall von willen betrachtet.

Es ist wohl eher so, dass die Konstruktion "um+Gen.", die der Konstruktion"um+Infinitiv" entspricht, und die beide grob mit "wegen", aber auch mit "für" bersetzt werden können, mit dem Genitiv des Wortes "Wille" verbunden wurde und in dieser Konstruktion eher "für", als "wegen" bedeutet.
Titel: Re:Genitiv des Ausrufs
Beitrag von: Kilian in 2006-07-24, 20:07:19
Hallo, Metapher! Woher weißt du das?
Titel: Re:Genitiv des Ausrufs
Beitrag von: Metapher in 2006-07-24, 22:24:14
Wissen wäre zu viel gesagt, aber zum ersten existiert die Präposition "um" etliche Zeiten länger als der Ausdruck mit "willen"(Herkunftswörterbuch) und zum zweiten existiert eigentlich immer zuerst das einzelne Wort bevor Ausdrücke entstehen.(Quelle:Brodmer).
Zugegeben, den Rest habe ich selbst abgeleitet, aber die Bedeutungen der Präpositionen ändern sich im Laufe der Zeit kaum oder gar nicht(siehe z.B. lat."ab"das bis heute die Bedeutung "weg" gewahrt hat, wenngleich es keine eigenständige Präposition mehr ist), weswegen man davon ausgehen kann, dass "um" auch im Althochdeutschen "für" oder eben"wegen"bedeuten konnte.
Titel: Re:Genitiv des Ausrufs
Beitrag von: Kilian in 2006-07-24, 23:14:35
Finde ich nicht so schlüssig, da die Hauptbedeutung von um als Präposition eine ganz andere und die Nebenbedeutung, in der um dann Genitiv hat, ultraselten ist. Die Hauptbedeutung mag seit Ewigkeiten konstant sein, die Nebenbedeutung kann trotzdem gut einem m.o.w. akzidentellen Ausfall von willen geschuldet sein.

Der Genitiv von Wille ist auch nicht Willen, sondern Willens.
Titel: Re:Genitiv des Ausrufs
Beitrag von: Agricola in 2006-07-25, 01:54:08
Ich vermute, dass es sich bei um ... willen um eine erstarrte Form handelt, bei der "willen" der Akkusativ des Substantivs war. Der Genitiv ist dann ganz selbstverständlich. Es könnte aber auch die Verkürzung eines Satzes wie "um ... Willen entgegenzukommen", dann wäre "um" gar keine Präposition, sondern eine Konjunktion.
Das mit dem ausgelassenen "willen" leuchtet mir auch ein. Dafür gibt es ja auch Beispiele, wie das berühmte Wort, das alle drei Geschlechter gleichzeitig aufweist: "Dat di der Deubel!"
Titel: Re:Genitiv des Ausrufs
Beitrag von: Kilian in 2006-07-25, 14:41:36
Zitat von: Agricola in 2006-07-25, 01:54:08Ich vermute, dass es sich bei um ... willen um eine erstarrte Form handelt, bei der "willen" der Dativ des Substantivs war.

Wahrscheinlicher ist Akkusativ - Dativ taucht ja nur sporadisch mit um auf.
Titel: Re:Genitiv des Ausrufs
Beitrag von: Agricola in 2006-07-25, 15:22:15
Zitat von: Kilian in 2006-07-25, 14:41:36
Zitat von: Agricola in 2006-07-25, 01:54:08Ich vermute, dass es sich bei um ... willen um eine erstarrte Form handelt, bei der "willen" der Dativ des Substantivs war.

Wahrscheinlicher ist Akkusativ - Dativ taucht ja nur sporadisch mit um auf.
Wollte ich auch schreiben, und habe ich dementsprechend edoren.
Titel: Re:Genitiv des Ausrufs
Beitrag von: Kilian in 2006-07-25, 21:56:50
Was korrekterweise edoren heißen sollte. :D
Titel: Re:Genitiv des Ausrufs
Beitrag von: Agricola in 2006-07-25, 22:12:34
Zitat von: Kilian in 2006-07-25, 21:56:50
Was korrekterweise edoren heißen sollte. :D
Schon edoren ... :-\
Titel: Re: Genitiv des Ausrufs
Beitrag von: Agricola in 2006-11-16, 02:57:34
Zitat von: Kilian in 2006-05-26, 09:58:44
Ich erhielt gerade Post aus Tokyo bzgl. des Genitivs des Ausrufs, der bei Nietzsche häufiger anzutreffen sei:

"Oh des goldenen runden Reifs - wohin fliegt er wohl?"
"Lass mich doch! Still! Ward nicht die Welt eben vollkommen? Oh des goldnen runden Balls!"
(Also sprach Zarathustra)

"Oh des armen Vogels, der sich frei gefühlt hat und nun an die Wände dieses Käfigs stößt!" (Der Mensch im Horizont des Unendlichen)

Weiß jemand, woher dieser Genitv bzw. wie Nietzsche darauf kommt?
Söben fand ich noch folgendes hübsches Beispiel für den genetivus exclamationis in Distichen:

     HEILIGE FAMILIE

     O des süßen Kindes und o der glücklichen Mutter,
         Wie sie sich einzig in ihm, wie es in ihr sich ergötzt!
     Welche Wonne gewährte der Blick auf dies herrliche Bild mir,
         Stünd ich unglücklicher nicht heilig wie Joseph dabei!

(Goethe)

Besser memüsse es natülr "gewöhre" heißen 
Titel: Re: Genitiv des Ausrufs
Beitrag von: Agricola in 2006-12-01, 07:05:07
Und noch eine Ergunz von dem anderen großen Classicus:

"Weg! — ha, des liebevollen barmherzigen Vaters, der seinen Sohn Wölfen und Ungeheuern Preis gibt!"

(Amalia in der dritten Szene des 1. Aktes der "Räuber".)

In derselben Szene übrigens etwas später Franz, welcher damit seinen schlechten Charakter auch durch die Schwächung starker Verben zu erkennen gibt:

"du ruftest Wehe über ihn aus."

Die Form "rief" muss somit wohl auch in die rote Liste geruft werden.