Gesellschaft zur Stärkung der Verben

Öffentliche Bretter => Neue Ideen => Thema gestartet von: gehabt gehabt in 2004-12-15, 08:31:19

Titel: aufheben
Beitrag von: gehabt gehabt in 2004-12-15, 08:31:19
Es ist eine leider eine Tatsache, dass es der deutschen Sprache an Klarheit mangelt. Trotzdem oder deshalb haben die Deutschen soviele Philosophen hervorgebracht. Hegel beispielsweise machte sich einen Sport und eine Philosophie daraus, dass das Wort aufheben drei vollkommen unterschiedliche Bedeutungen hat (emporheben, aufbewahren, ungueltig machen) und gebrauchte das Wort so als ob es in einem bestimmten Kontext alle drei Bedeutungen gleichzeitig haben koennte.   Gottfried von Strassburg ist sich ja wenigstens klar darueber gewesen, wie sehr er sich verirrt hat. Hegel scheint den Unsinn wohl selbst geglaubt zu haben, und das beantortet die Frage Gottfrieds, wer sich je mehr verirrt habe als er selbst.

Um wenigstens ein bisschen Klarheit zu schaffen, schlage ich vor, die drei Bedeutungen unterschiedlich zu deklinieren:

Ich hob den Buben aufs Pferd.    (hoebe     -  gehoben)

Der Bundesrat hub das Gesetz auf.  (huebe - gehuben)

Er hebte das Geld fuer Schwere Zeiten auf.  (hebte  - gehebt)

Titel: Re:aufheben
Beitrag von: amarillo in 2004-12-15, 10:04:24
Ein Projekt, das uns in der nächsten Zeit völlig lahmlegen könnte, gibt es doch neben "aufheben" noch eine Vielzahl homonymer  Verben: einlaufen, abgehen, aufgehen, ...

Setzt man eine Vorsilbe oder eine Präposition vor ein Verb, öffnet sich ein Tor, hinter dem sich eine Unmenge an Bedeutungen verbergen kann. Wer wollte die alle unterschiedlich stärken? Ich fürchte, daß die Möglichkeiten zur Stärkung hier sehr schnell ausgeschöpft sind.

Im Englischen kennt man das Problem mit den "phrasal verbs":
turn in, turn by, turn off, turn up....
und jedes einzelne kann mehrere Bedeutungen haben.
Titel: Re:aufheben
Beitrag von: gehabt gehabt in 2004-12-16, 21:57:57
Vielen Dank fuer das gute Besp. Es gibt bereits eine Reihe gleichlautender Verben, die verschieden
konjugoren werden:

Michelangelo schaffte wie ein Ochse bis er den Moses schuf

Napoleon schleifte die Festung.
Der Optiker schliff die Linse.

etc.
Titel: Re:aufheben
Beitrag von: amarillo in 2004-12-16, 22:12:36
Schleifen und schaffen haben ja auch weder Vorsilbe noch vorangestellte Präposition. Aber allein ein Verb wie "einholen" hat doch  viele Bedeutungen. Wollte ich jeder Bedeutung eine eigene Beugung geben, wäre ich schnell am Ende.
Titel: Re:aufheben
Beitrag von: Kilian in 2004-12-19, 11:20:29
Gleichlautende Verben, die unterschiedlich konjugiert werden, sind immer ein großer Quell von Verwirrung. Den meisten fällt es ja schon schwer, zu sagen, wann man z. B. schliff und wann schleifte sagen muss. Schüfe man für aufheben drei verschiedene Konjugationen, überwöge die Verwirrung den Gewinn an Klarheit bei weitem - zumal letzterer marginal wäre; meist geht die Bedeutung aus dem Kontext sehr klar und leicht verständlich hervor.

Also nicht mehr Klarheit, sondern mehr Verwirrung - das passt eigentlich zu den Zielen der GSV! Aber wie amarillo schon sagte, das Thema ist ein Fass ohne Boden, daher möchte ich damit im Moment nicht anfangen.

Übrigens: Der erste Beispielsatz verwendet gar nicht das Verb aufheben, sondern heben. Für die noch fehlende der drei Bedeutungen brauchen wir einen anderen Satz:

Ich hob den Stein vom Boden auf.

Oder:

Er hub seine Augen auf. (Sehr beliebt im Alten Testament; ich weiß noch, wie ich im Religionsunterricht immer Abraham mit lästigerweise aus den Höhlen auf den Boden gefallenen Augäpfeln gemalt habe.)
Titel: Re:aufheben
Beitrag von: amarillo in 2004-12-19, 16:19:47
Zitat von: Kilian in 2004-12-19, 11:20:29
Er hub seine Augen auf. (Sehr beliebt im Alten Testament; ich weiß noch, wie ich im Religionsunterricht immer Abraham mit lästigerweise aus den Höhlen auf den Boden gefallenen Augäpfeln gemalt habe.)

Ich habe als Kind immer geglaubt, das Pferd des Heiligen Martins habe "Roßdas" geheißen

"Sankt Martin ritt durch Schnee und Wind,
sein Roßdas trug ihn fort geschwind..."

Nicht wichtig zu wissen, aber Kinder- und Volksetymologie hat ihren ganz eigenen Reiz.
Titel: Re:aufheben
Beitrag von: caru in 2004-12-19, 16:42:06
woher soll ein kind aber auch wissen, daß "roß" pferd heißt? (im ländlichen österreich kann es das fast mit sicherheit, in weiten teilen deutschlands aber wohl nicht.)

hengst Roßdas ist bestimmt ein bruder von Roßübrall - so nannte man in der allerersten deutschen don quijote-übersetzung den hierzulande oft fälschlich als stute betrachteten, aber gleichwohl maskulinen Rosinante.


ja, und "er hub seine augen auf" ist wirklich hübsch. fast so gut wie "er erkannte sein weib" (wenn nämlich aus dem kontext hervorgeht, daß er seit jahren mit ihr verheiratet war).
Titel: Re:aufheben
Beitrag von: Kilian in 2004-12-19, 18:19:56
"Stille Nacht, heilige Nacht, Gottes Sohn Owi lacht..." ist bestimmt der älteste kinderetymologische Witz. Gefällt mir aber immer noch.  :)
Titel: Re:aufheben
Beitrag von: amarillo in 2004-12-19, 18:25:51
...hoch oben schwebt Joseph den Engeln was vor.
(...hoch oben schwebt jubelnd der Engelein Chor)

Weihnachtslieder scheinen eine besonders ergiebige Quelle zu sein.
Titel: Re:aufheben
Beitrag von: amarillo in 2004-12-19, 18:40:18
By the way, mißverstandene Verse (englisch) bei misunderstoodlyrics.com

Meine Favoriten: Bob Dylan
...the answer, my friend, is blowin' in the wind...
gehört: the ants are my friends...

Credence Clearwater Revival
.. there's a bad moon on the rise
gehört: there's a bathroom on the right

Ich könnte mir regelmäßig das Beinkleid nässen...
Titel: Re:aufheben
Beitrag von: Kilian in 2004-12-19, 19:14:04
Fiktiver Dialog in Kill Bill:
Uma Thurman: You and I have unfinished business!
Lucy Liu: What? Unfurnished livingrooms?
Titel: Noch mehr falsch verstandene Lieder
Beitrag von: Bodo in 2005-12-07, 01:09:03
"Voll der Knabe im lockigen Haar" statt "Holder Knabe im lockigen Haar".
"Aus einer Jungfrau, aus 'nem Korn" statt "Aus einer Jungfrau auserkor'n".

Es scheinen vor allem solche Fragmente von Missverständnissen betroffen zu sein, bei denen Wörter auftreten, die veraltet sind oder den Kindern unbekannt verkommen. In der mexikanischen Nationalhymne z.B. gibt es einen Vers mit einem antiquierten Verb in einer unüblichen Form des Konjunktivs:
"Mas si osare un extraño enemigo" - "Falls ein fremder Feind es wagte"
Kinder verstehen das oft so:
"Masiosare, un extraño enemigo" - "Masiosare, ein fremder Feind"
Zur Folge existiert nun Masiosare ("Fallserswagte") auch als nicht seltener Vorname.
Titel: Re: Noch mehr falsch verstandene Lieder
Beitrag von: Bodo in 2005-12-07, 01:42:54
Einige hab' ich noch vergessen:
"Es ist ein Ross entsprungen" statt "Es ist ein Ros' entsprungen"
"Koor, der Engel, erwacht" statt "Chor der Engel erwacht"
"Knaben bringen die Weihnachtszeit" statt "Gnadenbringende Weihnachtszeit"
Titel: Re:Noch mehr falsch verstandene Lieder
Beitrag von: amarillo in 2005-12-07, 07:56:32
Zitat von: Bodo in 2005-12-07, 01:09:03"Mas si osare un extraño enemigo" - "Falls ein fremder Feind es wagte"
Kinder verstehen das oft so:
"Masiosare, un extraño enemigo" - "Masiosare, ein fremder Feind"
Zur Folge existiert nun Masiosare ("Fallserswagte") auch als nicht seltener Vorname.

Erinnert an die selige Lady Mondagreen:

"They've slain the the Early of Murray and laid him on the green." :D
Titel: Re:aufheben
Beitrag von: J** in 2005-12-07, 08:58:41
so viel aufhebens um ein wort... *g* (guckst du hier (http://150-grimm.bbaw.de/links/schrader.pdf) (3.1.))

und zum thema valsch verstandener verse: da gibt es ein sehr schönes buch, bei dessen überfliegender lektüre ich mich im buchladen doch sehr konzentrieren musste, nicht laut loszubrüllen: "der weiße neger wumbaba - kleines handbuch des verhörens" (http://www.amazon.de/exec/obidos/ASIN/3888973678/028-3846513-2910958)
(aus "der mond ist aufgegangen": "...aus den wiesen steiget der weiße nebel wunderbar")
auch mit herrlichen illustraten...