Gesellschaft zur Stärkung der Verben

Öffentliche Bretter => Neue Ideen => Thema gestartet von: gehteuch nixan in 2004-12-28, 22:10:42

Titel: Stärket die Verben ( auch die gestorkenen )
Beitrag von: gehteuch nixan in 2004-12-28, 22:10:42
In den letzten Jahren ist eine zunehmende Substantivierung der Sprache zu beobachten. Stets werden aus Verben Nomina gemacht und mit "schwachen" ( nicht grammatikalisch gemeint ) Verben wie sein, machen, haben oder ähnlichem versehen.
Beispiele:
Es ist eine Substantivierung zu beobachten statt dass die Sprache substantiviert wird. Es werden aus Verben Nomina gemacht statt dass die  Verben nominalisiert werden. Es werden Anrufe, Aussagen gemacht, SMS geschickt, Eingaben wiederholt, Steuererklärungen abgegeben statt dass angerufen wird, ausgesagt wird, geSMSt wird,  wiederholt eingegeben wird, die Steuer erklärt wird ( letzteres ist eh eine Illision - letzteres illusioniert eh ).
Störke niemand die Verben, der Substantiva überhänden gar zu sehr!

ps: Lieber Administrator! Scheue er nicht, diesen Beitrag zu korrigieren, so dass die Verben korrekt gestorken seien. Denn säge ich grammatisch nicht stark genug aus, nur unglaubwürdiges stünde  hier
Titel: Re:Stärket die Verben ( auch die gestorkenen )
Beitrag von: amarillo in 2004-12-29, 10:36:16
>>In den Augen von Generationen von Sprachpflegern  die größte Pest, breitet sich der Nominalstil unaufhaltsam weiter aus. Unser Sprachgefühl - Ludwig Reiners hat das schon der vorigen Generation klargemacht - hält einen Satz für geglückt, wenn er im Gleichgewicht ist: hier sein Subjekt (ein Nomen), dort sein Prädikat (ein Verb). Denn in seiner Grundform ist der Satz nichts anderes als eine Aussage über ein Wesen oder Ding: X tut A, Y ist B. Der Nominalstil verstößt gegen dieses Gleichgewicht. Seine Verben sind oft nur noch da, um ihn pro forma zu Ende zu bringen. Eine eigene Bedeutung tragen sie kaum mehr. Oft sind sie von der blassesten Art: sein, haben, werden, führen, durchführen, vornehmen, erfordern, bereitstellen, beinhalten (das an gehaltene Beine denken läßt), Funktionswörter nur noch, die die Syntax verlang, keine Inhaltswörter mehr.

"In der Feststellung liegt die Antwort Webers auf die Frage nach dem Grund für die Tatsache der Entstehung des modernen Kapitalismus ausgerechnet in Europa" (Adolf Holl): neun Nomina und nur ein Verb (liegt), und was für ein schwächliches.<<

Zimmer, Dieter E.: Redensarten. Haffmanns, Zürich 1986; S. 36 f.
Titel: Re:Stärket die Verben ( auch die gestorkenen )
Beitrag von: Kilian in 2004-12-29, 11:41:35
Sehr wahr. Interessanterweise gibt es auch an sich sehr schillernde und oft bedeutungsreiche Verben, die in bestimmten Zusammenhängen, in Kombination mit bestimmten Substantiven... nun, ich will nicht gerade sagen, als Funktionsverben dienen, aber zumindest deutlich weniger eigener Bedeutung haben als sonst.

So kommt man Aufforderungen nach, entspricht Bitten, legt Eide ab, geht Verpflichtungen ein, erlässt Verordnungen, leistet Abbitte, nimmt Rücksicht, übt Nachsicht, verabschiedet Gesetze und versieht seinen Dienst.

In den meisten Fällen könnte eigentlich genauso gut macht dort stehen, was zwar völlig unidiomatisch wäre, aber der Bedeutung und Verständlichkeit kaum Abbruch täte. Statt dessen wird die Tristesse des Nominalstils durch Verbenvielfalt abgemildert. :)
Titel: Re:Stärket die Verben ( auch die gestorkenen )
Beitrag von: Arnymenos in 2005-02-24, 22:34:18
Diese Kollokationen, also idiomatische Zusammenstellungen, sind ja fast schon lexikalisch und müssen gelernt werden. An dieser Stelle wundert sich der Linguist: Er sieht ja ein, dass ein Wort eine bestimmte andere Wortart verlangt, aber dass ein Argument (nämlich das Substantiv) ein Prädikat aussucht, und dazu noch ein ganz bestimmtes Wort, das ist seltsam. Argumente haben eigentlich gar nichts zu kamellen was ihr Prädikat angeht. Und dann greifen sie es weder bei der Form (das Verb kann ja frei flektiert werden) noch bei Aussprache. Da hat der Linguist dann einen Anhaltspunkt, dass Wörter mehr sind als ihre Bedeutung und Ausspracheform; sie haben eine Identität, die über alle grammatischen Umwandlungen (Passiv oder so...) erhalten bleibt. Wörter sind Individuen. Ein schönes Ergebnis der Kollokationen.

Ich glaube, nächstes Semester werde ich damit etwas Formales machen. Und dann kann es gut sein, dass meine Bachelorthese damit zu tun haben wird.
Titel: Re:Stärket die Verben ( auch die gestorkenen )
Beitrag von: Kilian in 2005-02-24, 23:16:06
Der Linguist hat dem Amateur aufgezeigt, warum dieser die Kollokationen intuitiv mochte: Anlass zur Verwunderung und Zeichen von Individualität, das muss es sein! Danke! :)
Titel: Re:Stärket die Verben ( auch die gestorkenen )
Beitrag von: versucher in 2005-02-25, 14:00:51
Ist nicht auch

"wider den Stachel löcken"

so eine Kollokation?

Wo löckt man denn sonst noch? Was bedeutet denn löcken für sich genommen überhaupt??? Und wie wird es konjugoren?
Titel: Re:Stärket die Verben ( auch die gestorkenen )
Beitrag von: caru in 2005-02-25, 18:17:19
"löcken" heißt "hüpfen, springen" - so wie ein böcklein oder ein fohlen in der gegend rumspringt.

gibt es sonst nur noch in "frohlocken" - ursprünglich "vor freude springen".
Titel: Re:Stärket die Verben ( auch die gestorkenen )
Beitrag von: amarillo in 2005-02-25, 18:41:20
"Über den Löffel balbieren" scheint mir auch eine Kollokation zu sein.
Das "Balbieren" erinnert mich doch stark an das "Barbieren", oder liege ich daneben?
Titel: Re:Stärket die Verben ( auch die gestorkenen )
Beitrag von: Arnymenos in 2005-02-25, 19:00:30
Zitat von: Kilian in 2005-02-24, 23:16:06
Anlass zur Verwunderung und Zeichen von Individualität, das muss es sein!

Eine schöne Zusammenfassung.
Titel: Re:Stärket die Verben ( auch die gestorkenen )
Beitrag von: amarillo in 2005-02-25, 22:00:58
Zitat von: Kilian in 2005-02-24, 23:16:06
Der Linguist hat dem Amateur aufgezeigt, warum dieser die Kollokationen intuitiv mochte: Anlass zur Verwunderung und Zeichen von Individualität, das muss es sein! Danke! :)

Haltet ein, Großer Administrator, das habt Ihr nun, weiß Gott, nicht nötig.

In stiller Sorge - amarillo
Titel: Re:Stärket die Verben ( auch die gestorkenen )
Beitrag von: versucher in 2005-02-25, 23:54:59
Wie wäre es mit Verben, die den Nomenmüll glätten helfen? Z. B.
Das gutet! = Das ist gut.
Das spaßt! = Das macht Spaß.
Das sinnt! = Das ist sinnvoll. (Oder - würg: Das macht Sinn.)
Ich hose noch schnell! = Ich ziehe nur noch schnell eine Hose an.
Der Spieler vergolb. = Der Spieler hat die gelbe Karte gesehen.
Die Kartoffeln erbraunen. = Die Kartoffeln werden braun.
Es beglückt mich. = Es macht mich glücklich. (Ups, das gibt's ja schon! Warum benutzt es dann keiner?)

Schöne Wörter sind auch
gülden, hölzern, metallen, marmorn, steinern, wächsern, blechern, hörnen...

Das kann man weiterverfolgen: z. B.
plastiken, porzellänern, uränern, glanzläckern, aquarellern, milchern, büttern, schneeflöckern, gümmern (zu Gummi!), tönern (was hier vom hörbaren, nicht vom knetbaren Ton stammt)...
Eben statt ,,aus Plastik", ,,aus Gummi"...

Man kann auch ganz hart sein und sogar statt ,,mechanisch" ,,mechänern" sagen oder statt ,,menschlich" ,,menschern": Margarethens töchterne Liebe kronk. (Wie soll man denn ,,kranken" bilden?) Horstens söhnerne Verpflichtungen litten.
Nicht unbedingt kürzer, aber schöner. Finde ich.
Titel: Re:Stärket die Verben ( auch die gestorkenen )
Beitrag von: Arnymenos in 2005-02-27, 18:43:13
Aber bitte mit Morphologie! Denn die Angelsachsen wechseln Wortkategorien unangekündigt, wie mein Prof, der uns zwei Ausdrücke mit "oder" verbinden ließ: "You have to or them!"
Titel: Re:Stärket die Verben ( auch die gestorkenen )
Beitrag von: gehabt gehabt in 2005-03-01, 09:01:26
Ich nehme an, das them ist nur fuer einen Amerikaner 100% richtig und dass es auf Englisch offiziell heissen muss: you have to or they.   (Who is there? It is I.   Es sagt niemand so)

Titel: Re:Stärket die Verben ( auch die gestorkenen )
Beitrag von: amarillo in 2005-03-01, 09:19:04
Ich glaube, in diesem Fall ist das "them" Akkusativ, also völlig korrekt. Er sollte sie nämlich "odern" (durch eine "oder"-Beziehung verbinden).

Kennt man mundartlich auch in Deutschland, wenn nach einer einmal getroffenen Entscheidung immer noch jemand glaubt, Einwände vorbringen zu müssen, sagt man schon mal: "Hör' auf herumzuabern / zu odern".
Schluß aus, jetzt wird hier nicht länger geodert!
Titel: Re:Stärket die Verben ( auch die gestorkenen )
Beitrag von: versucher in 2005-03-01, 15:36:34
@ Arnymenos: Morphologie? Schlag eine vor!

Was amarillo anspricht, fiel mir hier schon öfter auf: nicht selten bringt jemand einen Vorschlag für eine neue Bildung - und ein anderer kann Dialektbeispiele beisteuern, die die Sache stützen. Mir scheinen die Untiefen des Dialektalen ein schatzreiches Sammelbecken zu sein, in dem Fischen sich lohnt. Allerdings ist es ein Fischen im Trüben, weil das Gebiet so groß und unbekannt ist, zumindest für mich.
Irgendwelche Dialektforscher hier?
Titel: Re:Stärket die Verben ( auch die gestorkenen )
Beitrag von: amarillo in 2005-03-01, 18:42:46
Na, irgend eine dialektale Besonderheit wird auch das Gebiet, aus dem Du stammst, beisteuern können. Man muß doch nicht jedes Mal gleich nach dem wissenschaftlichen Unterbau schreien.

Das Fischen im Trüben hat den großen Vorteil, daß jeder Fang eine echte Überraschung ist.
Titel: Re:Stärket die Verben ( auch die gestorkenen )
Beitrag von: Arnymenos in 2005-03-01, 18:46:28
Zitat von: versucher in 2005-03-01, 15:36:34
@ Arnymenos: Morphologie? Schlag eine vor!

Dafür gibt's doch ieren. :D
Titel: Re:Stärket die Verben ( auch die gestorkenen )
Beitrag von: MrMagoo in 2005-03-01, 22:48:32
Zitat von: versucher in 2005-03-01, 15:36:34
@ Arnymenos: Morphologie? Schlag eine vor!

Was amarillo anspricht, fiel mir hier schon öfter auf: nicht selten bringt jemand einen Vorschlag für eine neue Bildung - und ein anderer kann Dialektbeispiele beisteuern, die die Sache stützen. Mir scheinen die Untiefen des Dialektalen ein schatzreiches Sammelbecken zu sein, in dem Fischen sich lohnt. Allerdings ist es ein Fischen im Trüben, weil das Gebiet so groß und unbekannt ist, zumindest für mich.
Irgendwelche Dialektforscher hier?



Aus welchem Gebiet kommst Du denn, versucher?
JEDE Region hat so seine speziellen Eigenarten, man bemerkt sie jedoch meist nur, wenn jemand einen drauf aufmerksam macht.

Ein Kumpel von mir aus Frankfurt z.B. 'rog' (von: rügen) mich mal ob meiner dauernden Verwendung von "nach" anstatt "zu" in Sätzen wie "Ich fahre nach meine Tante".
Ich weiß zwar und wußte auch schon vorher, daß ich das im Hochdeutschen in diesem Zusammenhang "falsche" nach sehr oft benutze, doch hätte ich nicht gedacht, daß es mir SO oft über die Lippen kommt... :P
Titel: Re:Stärket die Verben ( auch die gestorkenen )
Beitrag von: versucher in 2005-03-01, 23:08:36
Ich bin Aufwachsbadener, spreche aber nur ein zusammengemoschenes Kunstbadisch. Klar, mir fällt schon mal was auf, habe ja auch hier schon des selteneren drauf hingewiesen, aber mir fehlen etwas die Vergleiche.

Ach ja, gleich was zum Thema: Ihr Bejubler der Auslautverhärtung! Achtet mir der Franken! (Ich bin auch Leihfranke)
Sie mildern jedes noch so harte Ende. Typischer Dialog:
"Wie haaßt'n Du?"
"Schmitt."
"Ach. Schmid. Mit haddem oder weichem D?"

Und zu den falschen Wörtern im richtigen Deutsch: Hat nicht jeder seine liebgewonnenen Fehler, die er pflegt wider besseres Wissen? Ich muss mal nachdenken...

Vive la differance!
Titel: Re:Stärket die Verben ( auch die gestorkenen )
Beitrag von: MrMagoo in 2005-03-01, 23:12:15
ZitatUnd zu den falschen Wörtern im richtigen Deutsch: Hat nicht jeder seine liebgewonnenen Fehler, die er pflegt wider besseres Wissen? Ich muss mal nachdenken...

Mein Beitrag sollte grade das herausstellen - dem "richtigen" Deutsch ein wenig den Wind aus den Segeln nehmen (daher das aggressive Rot). :)
Titel: Re:Stärket die Verben ( auch die gestorkenen )
Beitrag von: amarillo in 2005-03-01, 23:14:47
Zitat von: versucher in 2005-03-01, 23:08:36
Hat nicht jeder seine liebgewonnenen Fehler, die er pflegt wider besseres Wissen? Ich muss mal nachdenken...

Vive la differance!


Nein, nicht Fehler, aber Besonderheiten.

Welcher Freund der Linguistik
spräche schon von falsch und richtig?