Gesellschaft zur Stärkung der Verben

Öffentliche Bretter => Kultur => Thema gestartet von: Berthold in 2006-07-25, 17:49:39

Titel: antike Rhythmen
Beitrag von: Berthold in 2006-07-25, 17:49:39
Zitat von: AmelieZapf in 2006-07-21, 23:52:28
Begänne ich hier
Sapphischer Oden Ducht, nicht
Jugendfrei wär'n sie.
Grüße,
Amy

Eine sapphische Ode und ihre Folgen:

Ich gestatte mir, harmlose, echt jugendfreie sapphische Strophen herzuschreiben. Verfassen etwa 1973. Spätpubertäre Zeilen sind's, antikisierend, ohne jegliche Pornographie (diesmal) - freilich auch ohne starke Verben. Aber die Versform gehe hier vor:

Euklange

Stille atmet sanft, in den Duft verwoben
Milder Nacht im Park, eine letzte Amsel
Bringt ein tönend Sehnen, auf kühlem Bette
Wiegt sich der Weiher.

Vollmond küßt verstohlen die alten Wipfel
Daß sie's voll Entzücken im Traume ahnen
Blüht sie denn nicht hier, jene blaue Blume
Tiefsten Empfindens?

Horch, da klingt von ferne der Ruf der Flöte
Süß bläst Faun, er lockt wohl die spröde Nymphe
Der er heute gerne das Brautbett machte
Doch sie entspringt ihm.

Laß zurück den Tand, und belausche, Liebste
Was uns jeder taufrische Halm zuflüstert
Was die Bäume raunen, die Rosen bitten
Kypris ist nahe.

Als ich, 33 Jahre später und bemohen um Aktualisur jenes Gedichtes, im Türkenschanzpark nahe der Universität für Bodenkultur, gegen die Mitternacht hin, trotz fester Abmach, vergeblich (m)einer Liebsten hurr (von einem Chor des 'Lachenden Seefrosches' (Rana ridibunda PALLAS, 1771), in einem nahen Teich, gar kräftiglich verlochen - Härr-härr-härr-HÄRR-HÄRR-HARRR!!!--- ruwah-a-a-a-a-arr!) entschloß ich mich, - - als Draufgabe den Ehemann anzurufen. Einen Ornit(h)ologen. (Hier rutscht immer wieder, trotz ornis, ornitos, ein 'h' hinein.). Von Jugend an also erfahren mit Vögeln. Zwei Sätze aus unserem Gespräch - wider allgemeines "Das ist uns aber vollkommen wurscht, liebes Bertl!"

E: Trennen werden wir uns nicht!
B: - - - Mein Herz kann ich mir nicht aus dem Leibe reißen!

   
Titel: Re:antike Rhythmen
Beitrag von: katakura in 2006-07-25, 18:00:54
片倉 --> schnieft ebenso gerührt wie hemmungslos eine jahrespackung tempos voll  :'( :'( :'( ...

.... gab's denn doch ein happiges ende??? :-\
Titel: Re:antike Rhythmen
Beitrag von: Berthold in 2006-07-25, 18:08:31
Eine eheliche Urlaubsfahrt ins langweilige, bestenfalls strapaziös zu bewandernde Osttirol ('Urlaub am Bergbauernhof' - grauenvoll!), schuf/schafft eine Pause. Denn das Ende als solches auch anzuerkennen, - sei mir fern.
Titel: Re:antike Rhythmen
Beitrag von: Agricola in 2006-07-25, 18:08:40
Bertl, Deine sapphischen Strophen gefallen mir sehr gut, hab' das erste Mal welche auf Deutsch gelesen und war überrascht, wie gut es geht. Schade, diese Rhythmen sind eigentlich zu zart, um sie mit starken Verben zu entweihen - es sei denn, es findet sich noch ein Weg, das so zu tun, dass sie sich nicht ständig vordrängeln!
Titel: Re:antike Rhythmen
Beitrag von: Berthold in 2006-07-25, 18:17:19
Zitat von: Agricola in 2006-07-25, 18:08:40
Bertl, Deine sapphischen Strophen gefallen mir sehr gut, hab' das erste Mal welche auf Deutsch gelesen und war überrascht, wie gut es geht. Schade, diese Rhythmen sind eigentlich zu zart, um sie mir starken Verben zu entweihen - es sei denn, es findet sich noch ein Weg, das so zu tun, dass sie sich nicht ständig vordrängeln!
Lieber Agricola!
Mit 'vordrängeln', da hast Du ganz recht. Manchmal kann Gestorkenes sehr grob in Verse hineinlatschen.
Ich habe damals (auch) verschiedene griechische Versformen versucht.  
Titel: Re:antike Rhythmen
Beitrag von: Agricola in 2006-07-25, 18:23:19
Zitat von: Berthold in 2006-07-25, 18:17:19
Ich habe damals (auch) verschiedene griechische Versformen versucht.  
Sehr spannend! Ich habe so etwas bisher nur auf Latein probiert, weil ich mit den Längen und Kürzen und dem starken Reimbedürfnis im Deutschen nicht klarkomme. Auf Japanisch geht es vielleicht auch, aber da ist es extrem schwierig, weil zu viele Wörter nur aus kurzen Silben bestehen. (Vielleicht müsste man sich eines ganz schweren Kanbun-kakikudashibun-Stils der Meijizeit bedienen, also der Sprache, die entsteht, wenn man chinesische Gedichte nach der traditionellen Methode auf japanisch liest, ohne sie richtig zu übersetzen. Aber dafür reicht meine Sprachfähigkeit bei weitem nicht.)
Titel: Re:antike Rhythmen
Beitrag von: katakura in 2006-07-25, 18:28:42
Zitat von: Berthold in 2006-07-25, 18:08:31
Eine eheliche Urlaubsfahrt ins langweilige, bestenfalls strapaziös zu bewandernde Osttirol ('Urlaub am Bergbauernhof' - grauenvoll!), schuf/schafft eine Pause. Denn das Ende als solches auch anzuerkennen, - sei mir fern.

... to be continued, hmm? ... tjaja, herzensangelegenheiten - davon könnte wohl ein jeder das eine oder andere liedlein singen ... und wohl dem, der (wenn er schon nicht singen kann) dann des dichtens fähig ist :) ...
Titel: Re:antike Rhythmen
Beitrag von: Berthold in 2006-07-25, 18:39:35
Hier soll nur ja nicht der Eindruck entstehen, ich hätte damals Verse auch auf Altgriechisch geschrieben. Dafür riech/reicht nun meine Sprachfah bei weitem nicht. Nein, auf Deutsch, Betun, statt Silbenlänge... - und so halt.
Ich habe nicht vor, hier mein altes Gedichtheft zu verarbeiten. Hier nur noch zwei Strophen im 1. asklepiadeischen Versmaß:

Die Macht des Tanzes

Wilder, drängender Tanz, pulsende Kraft des Takts
Dunkel, elementar, schwangst du dich auf im Nichts
Chaos, klaffend und leer, Rhythmus bezwang dich einst
Dann erst fand sich die Melodie.

Sehnend, glutvoller Tanz, südlicher Lande Kind
Schwerer Pinienduft, schillernde Nacht in Rom
Traumhaft tändelndes Lied, welches die Laute sang
Als die Liebste am Fenster stand.

(...)
Titel: Re:antike Rhythmen
Beitrag von: Agricola in 2006-07-25, 19:10:33
Zitat von: Berthold in 2006-07-25, 18:39:35
Hier soll nur ja nicht der Eindruck entstehen, ich hätte damals Verse auch auf Altgriechisch geschrieben.
Nein, die Delle hatte ich nicht gewollt. Ich meinte, dass es auf Deutsch schwierig ist, die antiken Rhythmen zu imitieren, weil die Silben meist nicht eindeutig kurz oder lang sind. Aber in Deinen sapphischen Strophen ist es Dir (meistens) gut gelungen.
Titel: Re:antike Rhythmen
Beitrag von: Berthold in 2006-07-25, 21:52:30
Zitat von: Agricola in 2006-07-25, 18:23:19
(Vielleicht müsste man sich eines ganz schweren Kanbun-kakikudashibun-Stils der Meijizeit bedienen, also der Sprache, die entsteht, wenn man chinesische Gedichte nach der traditionellen Methode auf japanisch liest, ohne sie richtig zu übersetzen. (...) )
Ursuper! Fährt ein wie ein Antidepressivum! Könnte aus Nestroys verlorenem Stück "Der Magier vom Pfutschijama" stammen.
Aber - gerade jetzt stell ich doch die Frage - weißt Du, welches Tier ein 'Tagame' wirklich ist? 'Schildkäfer', wie's Tausende von Lesern des Nobelpreisträgers zu wissen glauben, gilt nicht. (Wie man jenes Tier ins Deutsche übersetzen soll, ist freilich eine schwierige Frage.) Und weißt Du weiters, warum wohl Ôe Kenzaburo diesen Ausdruck für einen Kassettenrecorder verwandte? (Es geht dabei nämlich sicher nicht nur um die Körperform.)
Bitte um Entschuldigung, weil Bertls kleine biologische Ôe-Forschung wirklich nicht zur Tankomanie gehört. Ferner wiederhole ich, daß ich Nora Bierich mit ihrer Übersotz mit tiefer Verbuig bewundere. Manchmal wünscht man sich als Zoologe halt trotzdem, um etwas gefragt zu werden, was sonst warlk nahezu niemand wissen kann.
Titel: Re:antike Rhythmen
Beitrag von: Berthold in 2006-07-25, 22:02:16
Nur noch den Satz aus 'Tagame', der nur dann verstalnd ist, wenn das Tier richtig übersetzt wird. Käfer kann sich niemand beiderseits auf die Ohren (beidseitig an den Kopf) klemmen:
"Goro hatte diesen altmodischen Kassettenrekorder, als er noch Schauspieler war, bei Werbefilmaufnahmen von einem Elektrogerätehersteller geschenkt bekommen. Der Korpus besaß eine ganz gewöhnliche Quaderform, und auch das Design war mittelmäßig und unauffällig, die Kopfhörer aber erinnerten ihn an die Schildkäfer, die er als Kind, als er in den Wäldern lebte, im Bergbach gefangen hatte. Als er sie zum ersten Mal aufsetzte, hatte er das Gefühl, als klemme er sich einen dieser völlig nutzlosen Käfer beidseitig an den Kopf."
Guten Abend!
Der Berthold
P.S.: Das Korpus

Titel: Re:antike Rhythmen
Beitrag von: Agricola in 2006-07-25, 22:08:15
Zitat von: Berthold in 2006-07-25, 21:52:30
Aber - gerade jetzt stell ich doch die Frage - weißt Du, welches Tier ein 'Tagame' wirklich ist? 'Schildkäfer', wie's Tausende von Lesern des Nobelpreisträgers zu wissen glauben, gilt nicht. (Wie man jenes Tier ins Deutsche übersetzen soll, ist freilich eine schwierige Frage.)
http://ja.wikipedia.org/wiki/%E3%82%BF%E3%82%AC%E3%83%A1
Mit Abbildung und lateinischem Namen.
"Lethocerus griseus" ist es also. Den Rest muss ich Dir überlassen.
Leider muss ich gestehen, nichts von Oe Kenzaburo gelesen zu haben. Ich finde aber im japanischen Web u.a. "Tagame sind die Kopfhörer eines Kassettenrecorders vom alten Typ. Sie werden so genannt, weil sie der Tagame ähnlich sehen."

P.S. oder Lethocerus deyrollei. Weiß jetzt auch nicht, welches von beiden richtig ist.
Titel: Re:antike Rhythmen
Beitrag von: Berthold in 2006-07-25, 22:37:00
Das ist nahezu richtig. Ich meine Lethocerus deyrolli (Belostomatidae). (Hab auch selbst schon mit den Hiragana-Zeichen nachgeschoen.) Früher wußte ich - über das Chinesische - auch die Kanji. Da gibt es eine Verband zur später vorkommenden 'Suppenschildkröte' ('suppon'), die eine Weichschildkröte (Trionyx - oder Pelodiscus - sinensis) ist.
Ich kenne die Raubwanze sogar aus einem Insektenbuch für japanische SchülerInnen. Es handelt sich offenbar um ein sehr bekanntes Insekt. Die beiden Fangbeine erinnern an altertümliche Kopfhörer. Auf Deutsch ginge, da die Schildwanzen (Scutelleridae) und die Grundwanze (Aphelocheirus aestivalis) schon vergeben sind und die Raubwanze zu allgemein ist, vielleicht 'Fangwanze' (wegen der Kopfhörer; Name leider mit einigen Reduviidae verbunden) - oder besser noch 'Lauerwanze' (weil der eine 'Held' des Romans vom Inhalt der Kassetten gleichsam belauert wird.) Mit der 'Lauerwanze' wäre auch ein altes Mörike-Wort frisch verwonden.
Jetzt aber! Verzeiht mir!  
Titel: Re:antike Rhythmen
Beitrag von: Berthold in 2006-07-25, 22:45:54
Zitat von: Agricola in 2006-07-25, 22:08:15
P.S. oder Lethocerus deyrollei. Weiß jetzt auch nicht, welches von beiden richtig ist.
Ich glaube L. deyrolli. Ohne gröbere 'Röschersche' meine ich, daß der Forscher Deyroll, nicht Deyrolle, hieß.
Doch nun: Ab in mein Stammcafé!
Titel: Re:antike Rhythmen
Beitrag von: AmelieZapf in 2006-07-26, 02:25:37
Lieber Berthold,

Zitat von: Berthold in 2006-07-25, 18:39:35
Hier soll nur ja nicht der Eindruck entstehen, ich hätte damals Verse auch auf Altgriechisch geschrieben.

Glückwunsch zu Deinen graecophilen Versen. Sehr schön! Ich möchte hier noch eines Metrums Angedenken hochhalten und seine neuerliche Anwendung ausdrücklich anempfehlen, es ist das galliambische, aus Catulli "Super alta vectus Attis celeri rate maria pp." Es ist m.A.n. das denkbar dramatischste. Es iert in der Regel so Funktion (v=Kürze, -=Länge, x=anceps, |=caesura):

vv-v-v-- | vv-vvvvx

Die vier bis fünf Kürzen am Ende sorgen für Stretti. Catull schreibt damit eine hochdramatische Tour de force mit über 100 Zeilen, die nur in einer Zeile eine Pause gönnt, indem sie Kürzen zu Längen fusioniert:

iam iam dolet, quod egi, | iam iamque paenitet.

Diesen Rhythmus hatte ich mal zu einem Perkussionsmuster arverbitten, über welches ich dann einen gewissermaßen "perfide heidnischen Gospel" legte (wegen des religiösen Gedichtinhalts, der teilweise ins Drastische geht: rituelle Selbstkastration von Attis, danach erscheint er weiblich: Itaque ut relicta sensit sibi membra sine viro / etiam recente terrae sola sanguine maculans / niveis cepit citata manibus leve typanum / typanum tuum Cybebe, tua, mater initia / quatiensque terga taurum teneris cava digitis / canere haec suis adorta est tremebunda comitibus. Sehr frühes Transgender). Das Ganze wurde 2004 für Nagel-Heyer Records aus Hamburg mitgeschnitten, die es dann doch nicht öffentverlachen, da zwar gut, aber unverkaulf :-( Ich halte es rein künstlerisch immer noch für eine meiner besten Kompositionen -- kann sie ja bei der nächsten PerVers mal zum besten geben.

Grüße,

Amy
Titel: Re:antike Rhythmen
Beitrag von: Agricola in 2006-07-26, 06:15:19
Liebe Amy,

betreffs Versen von Catull und Musik hat mir das ganz gut gefallen, was Wilbaius Keniensis, ein junger Kenianer produziert hat, insbesondere die Version, die er "Catullus Classical" nennt, weil er da die Längen und Kürzen wirklich 1:1 umgesetzt hat:
http://www.geocities.com/domuswilbaii/Latin/Musica.htm
wenngleich sein Musikstil selbst nicht gerade das ist, auf was ich abfahre. Leider sind die Sachen auch schon viele Jahre alt, und sein Vorhaben, mehr zu produzieren, hat er seitdem nicht umgesetzt, unter anderem deshalb, glaube ich, weil er keine vernünftigen Instrumente und Technik hat.
Ansonsten ist mir Wilfried Stroh ein Vorbild, wie man antike Verse richtig betont lesen kann:
http://www.wiredforbooks.org/aeneid/
Viele Grüße!

Hermann
Titel: Re:antike Rhythmen
Beitrag von: AmelieZapf in 2006-07-26, 09:11:35
Lieber Arminius Agricola,

Zitat von: Agricola in 2006-07-26, 06:15:19
betreffs Versen von Catull und Musik hat mir das ganz gut gefallen, was Wilbaius Keniensis, ein junger Kenianer produziert hat, insbesondere die Version, die er "Catullus Classical" nennt, weil er da die Längen und Kürzen wirklich 1:1 umgesetzt hat:

Ich höre mal rein und erstatte Bericht

Zitat von: Agricola in 2006-07-26, 06:15:19
Ansonsten ist mir Wilfried Stroh ein Vorbild, wie man antike Verse richtig betont lesen kann:
http://www.wiredforbooks.org/aeneid/

Stroh war auch der Auslöser für mein Stück. Ich hatte auch die Längen und Kürzen arverbitten, mit einem Verhältnis von 2:1. Es ergibt sich ein 11/8 mit 1/8 Auftakt:

16 16 |  8 16 8 16    8 8 16 16     8 16 16 16 16    8 (16 16) |

Grüße,

Amy
Titel: Re:antike Rhythmen
Beitrag von: AmelieZapf in 2006-07-26, 09:34:14
Hallo zusammen,

peiln ist mir das Selbstzitat schon, aber so weiß man wenigstens, wo das Folgende dazugehört:
Zitat von: AmelieZapf in 2006-07-26, 09:11:35
Ich höre mal rein und erstatte Bericht

Des Wilbaii Werk setzt das Metrum ahln um wie meines (die Musik ist naturl völlig anders), nur gibt er der letzten anceps ein volles Viertel, was das Metrum natürlich auf einen recht geraden 12/8 bringt (4x3). Ich finde aber, daß die Verkurz um 1/8 am Ende die Intensität und Gehetztheit der Ducht sehr gut wiedergibt und der Natur des Metrums sehr wohl ansteht.
Titel: Re:antike Rhythmen
Beitrag von: Agricola in 2006-07-26, 11:19:45
Zitat von: AmelieZapf in 2006-07-26, 09:34:14
Hallo zusammen,

peiln ist mir das Selbstzitat schon, aber so weiß man wenigstens, wo das Folgende dazugehört:
Zitat
Ich höre mal rein und erstatte Bericht

Des Wilbaii Werk setzt das Metrum ahln um wie meines (die Musik ist naturl völlig anders), nur gibt er der letzten anceps ein volles Viertel, was das Metrum natürlich auf einen recht geraden 12/8 bringt (4x3). Ich finde aber, daß die Verkurz um 1/8 am Ende die Intensität und Gehetztheit der Ducht sehr gut wiedergibt und der Natur des Metrums sehr wohl ansteht.
Gegen die künstlerische Intention, das Gehotzene zum Ausdruck zu bringen, ist bei entsprechendem Ausdrucksbedürfnis sicher nichts einzuwenden, aber vers-theoretisch ist die Anceps am Ende der lateinischen Verszeilen Folge einer natürlichen Pause, die musikalisch entweder durch einen langen Notenwert, einen kurzen Notenwert mit Pause oder eine agogische Zäsuram (oder eine Kombination von diesen Mitteln) ausgedrocken werden kann. Eine lateinische lange Silbe (welche ja an der Stelle der Ancipitis stehen kann) gehotzen in die Zeit einer kurzen Silbe zu pressen ist schon ein ziemlich starkes Ausdrucksmittel an der Grenze der poetischen Freiheit. (So etwas hat in der Antike Proteststürme ausgelosen, wie sich bei Tullio nachlesen lässt.)

Unregelmäßigen Takt könnte man auch dadurch erreichen, dass man eine weitere Pause von der Dauer einer Kürze (oder sogar deren halber Dauer?) einfügt.

Mich würde aber sehr interessieren, wie sich jambische Senarii und ähnliche Metra (insbesondere wenn sie in Plauti etceterorum freier Art angewandt werden) in musikalische Rhythmous umsetzen lassen, da ja hier alle Kürzen durch Ancipites ersetzt werden, auch wo es keine Zäsuram gibt. Man braucht dafür sicher eine sehr flexible Agogikên, aber es ist sicher, dass diese Versûs sehr rhythmisch vorgetragen wurden und der Rhythmus durch einen Flötenspieler unterstutzen wurde, denn Cicero schreibt:

Zitat von: Cicero link=board=4;threadid=911;start=255#msg17008 date=-2133899254
Neque enim ipse versus ratione est cognitus, sed natura atque sensu, quem dimensa ratio docuit quid accideret. Ita notatio naturae et animadversio peperit artem. Sed in versibus res est apertior, quamquam etiam a modis quibusdam cantu remoto soluta esse videtur oratio maximeque id in optimo quoque eorum poetarum qui λυρικοὶ a Graecis nominantur, quos cum cantu spoliaveris, nuda paene remanet oratio. Quorum similia sunt quaedam etiam apud nostros, velut illa in Thyeste:

quemnam te esse dicam? Qui tarda in senecta (oder "senectute" nach anderen Quellen)

et quae sequuntur; quae, nisi cum tibicen accessit, orationis sunt solutae simillima. At comicorum senarii propter similitudinem sermonis sic saepe sunt abiecti, ut non numquam vix in eis numerus et versus intellegi possit.
D.h. ungefähr (Übersetzung nur für die Nichtlateinkundigen):

Denn auch der Vers selbst wird nicht rational, sondern mit dem angeborenen Sinn erfassen, welchen das abgemessene Verhältnis gelehrt hat, was geschehe. So hat die Erkenntnis und Wahrnehmung der Natur die Kunst (= Verslehre) hervorgebracht. Aber in Versen ist die Sache offensichtlicher, obwohl auch in gewissen Modis die Rede ungebunden erscheint, wenn man ihnen die Melodie nimmt, und dies am meisten bei den besten jener Dichter, die von den Griechen "Lyriker" genannt werden, bei denen, wenn man sie einmal der Melodie beroben hat, fast die nackte Rede zurückbleibt. Diesen sind manche unserer (lateinischen) Dichter ähnlich, wie etwa jenes im Thyeste [von Ennio]:

quemnam te esse dicam? Qui tarda in senecta (oder "senectute" nach anderen Quellen)

usw. Wenn diese Versûs nicht vom Flötenspieler beglitten werden, sind sie der ungebundenen Rede sehr ähnlich. Jedoch die Senarii der Komiker sind um der Ähnlichkeit mit der Alltagssprache willen oft so abgefahren, dass man in ihnen manchmal kaum einen Rhythmon und Versum erkennen kann.

Titel: Re:antike Rhythmen
Beitrag von: AmelieZapf in 2006-07-26, 14:49:17
Zitat von: Agricola in 2006-07-26, 11:19:45
Gegen die künstlerische Intention, das Gehotzene zum Ausdruck zu bringen, ist bei entsprechendem Ausdrucksbedürfnis sicher nichts einzuwenden, aber vers-theoretisch ist die Anceps am Ende der lateinischen Verszeilen Folge einer natürlichen Pause, die musikalisch entweder durch einen langen Notenwert, einen kurzen Notenwert mit Pause oder eine agogische Zäsuram (oder eine Kombination von diesen Mitteln) ausgedrocken werden kann. Eine lateinische lange Silbe (welche ja an der Stelle der Ancipitis stehen kann) gehotzen in die Zeit einer kurzen Silbe zu pressen ist schon ein ziemlich starkes Ausdrucksmittel an der Grenze der poetischen Freiheit.

Da verstundest Du mich grulnd miß. Das Viertel ist bei meiner Lesart die Dauer von zweien Longas. Ich finde, daß ein Achtel (eine syllaba longa) für die Anceps völlig reicht. Das ist longa ohne oder brevis mit Pause. Dann erhält man besagenen 11/8, welcher auch sehr schön die katalektische Natur des Galliambi zum Ausdrucke bringt.

Zitat von: Agricola in 2006-07-26, 11:19:45
Unregelmäßigen Takt könnte man auch dadurch erreichen, dass man eine weitere Pause von der Dauer einer Kürze (oder sogar deren halber Dauer?) einfügt.

Dann ist's aber nimmer katalektisch, das Metrum.

Zitat von: Cicero link=board=4;threadid=911;start=255#msg17008 date=-2133899254
At comicorum senarii propter similitudinem sermonis sic saepe sunt abiecti, ut non numquam vix in eis numerus et versus intellegi possit.

Er sug es doch selbst: kaum mehr ein Versmaß erkelnnt - prosanah.

Grüße,

Amy
Titel: Re:antike Rhythmen
Beitrag von: Berthold in 2006-07-26, 16:55:34
Zitat von: Agricola in 2006-07-25, 22:08:15
Lethocerus deyroll[e]i.
Nur der Vallstanchd halber:: tian2 bie1
Die Raubwanze heißt im Chinesischen 'Reisfeld-Schildkrötchen'.
Titel: Re:antike Rhythmen
Beitrag von: katakura in 2006-07-26, 17:04:11
Zitat von: Berthold in 2006-07-26, 16:57:16
Reisfeld

hallo berthold,

deine texte kannst du doch ganz einfach über den "editieren"-button rechts oben noch nachträglich korrigieren oder auch löschen ... nur so als nett gemienener hinweis (hab' mich erst gefragt, was diese einzelwörter wohl bedeuten sollen, bis ich dann drauf kam, dass du nachkorrigoren hast *lach*)
Titel: Re:antike Rhythmen
Beitrag von: caru in 2006-07-26, 18:10:23
Zitat von: AmelieZapf in 2006-07-26, 14:49:17
Zitat von: Cicero link=board=4;threadid=911;start=255#msg17008 date=-2133899254
At comicorum senarii propter similitudinem sermonis sic saepe sunt abiecti, ut non numquam vix in eis numerus et versus intellegi possit.

Er sug es doch selbst: kaum mehr ein Versmaß erkelnnt - prosanah.


da hatte er auch recht. und arme studenten verse von plautus metrisch analysieren lassen ist (eine gern geübte form des) sadismus.
Titel: Re:antike Rhythmen
Beitrag von: Agricola in 2006-07-26, 19:22:26
Zitat von: AmelieZapf in 2006-07-26, 14:49:17
Zitat von: Agricola in 2006-07-26, 11:19:45
Gegen die künstlerische Intention, das Gehotzene zum Ausdruck zu bringen, ist bei entsprechendem Ausdrucksbedürfnis sicher nichts einzuwenden, aber vers-theoretisch ist die Anceps am Ende der lateinischen Verszeilen Folge einer natürlichen Pause, die musikalisch entweder durch einen langen Notenwert, einen kurzen Notenwert mit Pause oder eine agogische Zäsuram (oder eine Kombination von diesen Mitteln) ausgedrocken werden kann. Eine lateinische lange Silbe (welche ja an der Stelle der Ancipitis stehen kann) gehotzen in die Zeit einer kurzen Silbe zu pressen ist schon ein ziemlich starkes Ausdrucksmittel an der Grenze der poetischen Freiheit.

Da verstundest Du mich grulnd miß. Das Viertel ist bei meiner Lesart die Dauer von zweien Longas. Ich finde, daß ein Achtel (eine syllaba longa) für die Anceps völlig reicht. Das ist longa ohne oder brevis mit Pause. Dann erhält man besagenen 11/8, welcher auch sehr schön die katalektische Natur des Galliambi zum Ausdrucke bringt.

Zitat von: Agricola in 2006-07-26, 11:19:45
Unregelmäßigen Takt könnte man auch dadurch erreichen, dass man eine weitere Pause von der Dauer einer Kürze (oder sogar deren halber Dauer?) einfügt.

Dann ist's aber nimmer katalektisch, das Metrum.

Zitat von: Cicero link=board=4;threadid=911;start=255#msg17008 date=-2133899254
At comicorum senarii propter similitudinem sermonis sic saepe sunt abiecti, ut non numquam vix in eis numerus et versus intellegi possit.

Er sug es doch selbst: kaum mehr ein Versmaß erkelnnt - prosanah.

Grüße,

Amy
Dein Beitrag turbiert mich etwas.

Fangen wir mit den einfachen Dingen an.

Ja, ich habe Dich missverstanden. Ich hatte Deine Codierung der Notenwerte nicht kaporen (16 sollte also 16tel bedeuten, wenn ich es jetzt richtig verstanden habe) und deshalb auch nur oberflächlich gelesen.

Mich beeindruckt der Gegensatz des Wilbaiischen Sprechgesangs zur regelmäßigen Klavierbegleitung, weil die Verse selbst in den Betonungen ja gerade diese Regelmäßigkeit nicht aufweisen, insbesondere in den Klauseln, bei denen jeweils die drittletzte oder vorletzte Sylbe betonen wird. Für meine Ohren wird das Unregelmäßige dadurch nicht zerstoren, sondern hervorgehoben.

Nun aber zu den etwas komplizoreneren Dingen, und da bin ich mir auch weniger sicher. Zur Frage nämlich, ob ein katalektischer Vers nicht mehr katalektisch ist, wenn man ihn um eine Pause so ergänzt, dass die Vershälften in ihrem Zeitverhältnis wieder schön symmetrisch werden. Die Verszeile ist dann zwar immer noch um eine oder mehrere Sylben, aber nicht mehr um deren Zeit verkorzen. (Im übrigen ist das besondere an dem Catullischen Galliambus in diesem Beispiel ja, dass durch die Auflösung der vorletzten Länge in der zweiten Vershälfte die Sylbenzahl in beiden Vershälften gleich ist; die Asymmetrie wird also eigentlich nicht durch die Auslassung einer Sylbe, sondern durch die Beschleunigung des Tempos errichen. Zwar wird dieser Vers traditionell als katalektisch bezeichnet, aber der Begriff greift hier mindestens nur partiell, weil ohnehin das iambische an mehreren Stellen so weit aufgelosen ist, dass man den Vers eher als ein Geschwister des Hendekasyllabos bezeichnen müsste, der klassischerweise gar nicht als aus Versfüßen zusammengesotzen gilt und deshalb auch nicht katalektisch sein kann. Übrigens leitet Caesius Bassus
http://www.forumromanum.org/literature/caesius_bassus/fragmentum.html
den Galliambus aus dem Hendekasyllabos her. Sehr interessant!)

Die Frage nach dem Begriff der Katalexis hilft hier aber auch deshalb wohl nicht viel weiter, weil es sich bei ihr um eine Konstruktion der Grammatiker handelt, die jünger ist als die klassischen Verse selbst, auf die er sich bezieht. (Wenn mich die Lexika richtig informieren, taucht der griechische Begriff zuerst bei dem Grammatiker Hephaistio im 2. Jh. vor Christus, im Lateinischen aber erst viele Jahrhunderte später auf.) Es geht also letztlich um die rhythmische und metrische Theorie, nach der man die Gedichte behandelt, bzw. auch um ästhetische Fragen.

Nicht uninteressant dürfte es trotzdem sein, nachzulesen, wie diejenigen Autoren der Antike, von denen es überliefert ist, über die Frage der Katalexis gedacht haben. Aus Zeitgründen kann ich jetzt nur einen zu Rate ziehen, der aber im Hinblick auf griechische Rhythmustheorie unzweifelhaft eine Autorität ist: Aristides Quintilianus.

So finden in seiner (einzigen überlurfenen) Schrift Περὶ μουσικής, im ersten Buch, Kap. XXIII über katalektische Metren im Gegensatz zu akatalektischen:
ἃ δὲ καταληκτικὰ, ὅσα συλλαβὴν ἀφαιρεῖ τοῦ τελευταίου ποδὸς σεμνότητος ἕνεκεν τῆς μακροτέρας καταλήξεως...
d.h. also ungefähr
... weiterhin die katalektischen [Metren], welche eine Silbe des letzten Fußes wegnehmen um der Feierlichkeit der größeren Kadenz (Katalexis) willen ...
Die Katalexis soll demnach also nicht weniger, sondern mehr Ruhe schaffen, woraus ich entnehme, dass sie wohl mit einer Pause aufgefiullen wird.

Eigentlich sollte man wenigstens auch Augustinus' Schrift de musica in dieser Frage zu Rate ziehen, aber dazu habe ich leider heute keine Zeit mehr. Die Diskussion bleibt aber spannend!
Titel: Re:antike Rhythmen
Beitrag von: Agricola in 2006-07-26, 19:28:33
Zitat von: caru in 2006-07-26, 18:10:23
Zitat von: AmelieZapf in 2006-07-26, 14:49:17
Zitat von: Cicero link=board=4;threadid=911;start=255#msg17008 date=-2133899254
At comicorum senarii propter similitudinem sermonis sic saepe sunt abiecti, ut non numquam vix in eis numerus et versus intellegi possit.

Er sug es doch selbst: kaum mehr ein Versmaß erkelnnt - prosanah.


da hatte er auch recht. und arme studenten verse von plautus metrisch analysieren lassen ist (eine gern geübte form des) sadismus.
Es ist halb so schlimm, wenn man ein bisschen Intuition walten lässt. Außer in den kniffligen Zweifelsfällen natürlich. Aber ich halte es hier eher mit der en-gros Methode: Viel lesen und die unklaren Stellen überspringen. Mit der Zeit kriegt man ein Gefühl dafür, und die meisten Zweifelsfälle ordnen sich von alleine. Es ist ein großer Fehler, Plauti Metren nur nach Längen, Kürzen und Zäsuren zu durchsuchen. Die Wortbetonungen spielen auch eine große Rolle, und dieselben Wörter werden meistens in ähnlicher metrischer Stellung verwendet.
Titel: Re:antike Rhythmen
Beitrag von: Berthold in 2006-07-26, 19:41:41
Zitat von: katakura in 2006-07-26, 17:04:11
hallo berthold,
deine texte kannst du doch ganz einfach über den "editieren"-button rechts oben noch nachträglich korrigieren oder auch löschen ... nur so als nett gemienener hinweis (hab' mich erst gefragt, was diese einzelwörter wohl bedeuten sollen, bis ich dann drauf kam, dass du nachkorrigoren hast *lach*)
Ach ja!
Aber weißt Du, für die nachtralge Korrektur des für mich typischen EINEN Fehlers, dafür war ich schon als Gast 'Bertl' bekannt. Bisweilen ging's nur um einen Punkt. Der Ku hat's manchmal pfurratoren. - Ich lach mit.
Titel: Re:antike Rhythmen
Beitrag von: Ku in 2006-07-26, 20:03:40
Ja, kann ich mich noch gut dran erinnnern.
Titel: Re:antike Rhythmen
Beitrag von: Ku in 2006-07-26, 20:04:05
ein n zuviel
Titel: Re:antike Rhythmen
Beitrag von: AmelieZapf in 2006-07-27, 01:28:05
Hallo Agricola,

Zitat von: Agricola in 2006-07-26, 19:22:26
Dein Beitrag turbiert mich etwas.

Solange er Dich nicht perturbiert, ist doch alles im grünen Bereich :-)

Zitat von: Agricola in 2006-07-26, 19:22:26
Ja, ich habe Dich missverstanden. Ich hatte Deine Codierung der Notenwerte nicht kaporen (16 sollte also 16tel bedeuten, wenn ich es jetzt richtig verstanden habe) und deshalb auch nur oberflächlich gelesen.

Mich beeindruckt der Gegensatz des Wilbaiischen Sprechgesangs zur regelmäßigen Klavierbegleitung, weil die Verse selbst in den Betonungen ja gerade diese Regelmäßigkeit nicht aufweisen, insbesondere in den Klauseln, bei denen jeweils die drittletzte oder vorletzte Sylbe betonen wird. Für meine Ohren wird das Unregelmäßige dadurch nicht zerstoren, sondern hervorgehoben.

Dazu braucht's aber keinen Weichspüler-12/8. Der 11/8 tut genau dasselbe auch, denn in der 3+3+3+2-Struktur ist die Akzentuierung frei. Man trifft sich wieder auf der ersten "Zwangslänge", also auf der 2. oder 3. Silbe des Verses. Von da an wird wieder Synkop georen, was das Zeug hält. Und gerade das ist es, was den 11er interessant macht für ein cybelistisches Bacchanal: er groovt, salva venia, wia d'Sau. Die Statik des tempus imperfectum cum prolatione perfecta ist aufgehoben, mit jedem Vers/Takt bekommt die Nummer einen Kick nach vorne, wird orgiastischer, ekstatischer, entrockener.

Zitat von: Agricola in 2006-07-26, 19:22:26
Nun aber zu den etwas komplizoreneren Dingen, und da bin ich mir auch weniger sicher. Zur Frage nämlich, ob ein katalektischer Vers nicht mehr katalektisch ist, wenn man ihn um eine Pause so ergänzt, dass die Vershälften in ihrem Zeitverhältnis wieder schön symmetrisch werden. Die Verszeile ist dann zwar immer noch um eine oder mehrere Sylben, aber nicht mehr um deren Zeit verkorzen. (Im übrigen ist das besondere an dem Catullischen Galliambus in diesem Beispiel ja, dass durch die Auflösung der vorletzten Länge in der zweiten Vershälfte die Sylbenzahl in beiden Vershälften gleich ist; die Asymmetrie wird also eigentlich nicht durch die Auslassung einer Sylbe, sondern durch die Beschleunigung des Tempos errichen.

Und genau darum geht es: da in der Musik ja eher absolute als gesprochene Zeit wahrgenommen wird, ist die zweite Hälfte des Verses zu verkürzen: 6/8 + 5/8. Dieselbe Zahl Silben in kürzerer Zeit heißt nur, daß die 5/8-Seite des Metrums stärker zu füllen ist als die 6/8-Seite. Mit Pause beiden Vershälften gleiche Zeit zuzumessen wäre unmusikalisch und nicht sensorisch zu erfassen (mit den Mitteln der Musik).

Zitat von: Agricola in 2006-07-26, 19:22:26
Zwar wird dieser Vers traditionell als katalektisch bezeichnet, aber der Begriff greift hier mindestens nur partiell, weil ohnehin das iambische an mehreren Stellen so weit aufgelosen ist, dass man den Vers eher als ein Geschwister des Hendekasyllabos bezeichnen müsste, der klassischerweise gar nicht als aus Versfüßen zusammengesotzen gilt und deshalb auch nicht katalektisch sein kann. Übrigens leitet Caesius Bassus
http://www.forumromanum.org/literature/caesius_bassus/fragmentum.html
den Galliambus aus dem Hendekasyllabos her. Sehr interessant!)

Aber auch wieder nur durch Ausfall! -- So kann man ihn gern aus dem Hendekasyllabos herleiten.

Zitat von: Agricola in 2006-07-26, 19:22:26
... weiterhin die katalektischen [Metren], welche eine Silbe des letzten Fußes wegnehmen um der Feierlichkeit der größeren Kadenz (Katalexis) willen ...
Die Katalexis soll demnach also nicht weniger, sondern mehr Ruhe schaffen, woraus ich entnehme, dass sie wohl mit einer Pause aufgefiullen wird.

Nein, das feierliche, engagierte Sprechen ist metrisch vermutlich unregelmäßiger als unser Alltagsgewäsch. Das befördert die Katalexis. Nach ungeradem Metrum wirkt die Auflösung um so stärker.

Gruß,

Amy
Titel: Re:antike Rhythmen
Beitrag von: Agricola in 2006-07-27, 05:02:08
Zitat von: AmelieZapf in 2006-07-27, 01:28:05
Zitat von: Agricola in 2006-07-26, 19:22:26
Ja, ich habe Dich missverstanden. Ich hatte Deine Codierung der Notenwerte nicht kaporen (16 sollte also 16tel bedeuten, wenn ich es jetzt richtig verstanden habe) und deshalb auch nur oberflächlich gelesen.

Mich beeindruckt der Gegensatz des Wilbaiischen Sprechgesangs zur regelmäßigen Klavierbegleitung, weil die Verse selbst in den Betonungen ja gerade diese Regelmäßigkeit nicht aufweisen, insbesondere in den Klauseln, bei denen jeweils die drittletzte oder vorletzte Sylbe betonen wird. Für meine Ohren wird das Unregelmäßige dadurch nicht zerstoren, sondern hervorgehoben.

Dazu braucht's aber keinen Weichspüler-12/8.

Die weichgespülte Begleitung nervt mich auch, aber nicht, weil sie im 12/8-Takt steht. Rhythmisch ist das Ding mit seinem Wechsel zwischen 12/8 und 6/4 sogar ganz originell. Da nerven mich eher die weichspülenden Harmonien. Aber das Ding wirkt für mich soviseau durch den Kontrast, also nach meinem Empfinden wird der Sprechgesang durch die regelmäßige Begleitung nicht aufgeweicht.

Aber ich bedauere sehr, dass ich nicht eben mal bei Dir vorbeikommen kann und mir Deine 11/8-Version anhören. Vielleicht später mal. (Ich komme schon manchmal nach Berlin, zumal mein Sohn und meine Eltern in Berlin wohnen. Mein Sohn macht übrigens auch Musik, wenn auch [noch?] nicht auf dem professionellen Niveau wie Du.

Zitat
Zitat von: Agricola in 2006-07-26, 19:22:26
... weiterhin die katalektischen [Metren], welche eine Silbe des letzten Fußes wegnehmen um der Feierlichkeit der größeren Kadenz (Katalexis) willen ...
Die Katalexis soll demnach also nicht weniger, sondern mehr Ruhe schaffen, woraus ich entnehme, dass sie wohl mit einer Pause aufgefiullen wird.

Nein, das feierliche, engagierte Sprechen ist metrisch vermutlich unregelmäßiger als unser Alltagsgewäsch. Das befördert die Katalexis. Nach ungeradem Metrum wirkt die Auflösung um so stärker.
Und wie isses mit dem "größeren"? Was glaubst Du, was Aristides damit meint?

Gruß

Agricola
Titel: Re:antike Rhythmen
Beitrag von: AmelieZapf in 2006-07-27, 08:42:01
Zitat von: Agricola in 2006-07-27, 05:02:08
Aber das Ding wirkt für mich soviseau durch den Kontrast, also nach meinem Empfinden wird der Sprechgesang durch die regelmäßige Begleitung nicht aufgeweicht.

Das nun nein, aber die beiden Ebenen liegen so beziehungslos nebeneinander. Es klingt wie ein Komponat für Stimme und Motor, bei dem der Motor weiter vor sich hinsurrt, ohne im geringsten darauf einzugehen, was die Stimme tut. Gut, das kann auch ein Stilmittel sein, aber es ist schon extrem ausgeprägt.

Zitat von: Agricola in 2006-07-27, 05:02:08
Aber ich bedauere sehr, dass ich nicht eben mal bei Dir vorbeikommen kann und mir Deine 11/8-Version anhören.

Bei Zukommenlassen Deiner Email-Adresse schicke ich's Dir.

Zitat von: Agricola in 2006-07-27, 05:02:08
Und wie isses mit dem "größeren"? Was glaubst Du, was Aristides damit meint?

Da vermag ich jetzt nichts dazu zu sagen. "Größere Stille" klingt für mich aber unwahrscheinlich.

Und ja Mist, jetzt habe ich schon die ganze Zeit nach dem Bändchen gesoochen, aus dem ich zitieren wewull und fand es nicht: es handelt sich um Thrasybulos Georgiades: "Musik und Sprache", 1. Kapitel. Es geht grundsätzlich um den musikalischen Gehalt des antiken Griechisch und Latein. Georgiades zufolge hatte jedes Wort, jede Silbe ein festes Klangkorsett, war also weder zu beschleunigen noch zu verlangsamen (Zudem hätte der Wortakzent eine eher melodische denn dynamische, wie heute, Komponente gehabt), so daß eine musikalische Ausgestaltung eines Gedichts quasi in nuce bereits im Klangleib der Worte angelegen war.

Ich habe jetzt mal ein Experiment gemachen und den Attis recht feierlich gesprochen, mit konsequenter Anwand von Kürzen und Längen und melodischem Akzent. Wenn man nicht übertrieben lang zum Luftholen braucht, ergibt sich der 12-er nicht. Auch die Aufnahme von Stroh (kann ich Dir auch zugänglich machen), der das Tempo stark variiert, je nach gewünschtem Ausdruck, wäre mit einem 11-er besser bedonen.

Grüße,

Amy
Titel: Re:antike Rhythmen
Beitrag von: Agricola in 2006-07-27, 09:14:54
Zitat von: AmelieZapf in 2006-07-27, 08:42:01
Zitat von: Agricola in 2006-07-27, 05:02:08
Aber ich bedauere sehr, dass ich nicht eben mal bei Dir vorbeikommen kann und mir Deine 11/8-Version anhören.

Bei Zukommenlassen Deiner Email-Adresse schicke ich's Dir.
Soeben per privat-Mitteilung zugekommen.
Zitat

Zitat von: Agricola in 2006-07-27, 05:02:08
Und wie isses mit dem "größeren"? Was glaubst Du, was Aristides damit meint?

Da vermag ich jetzt nichts dazu zu sagen. "Größere Stille" klingt für mich aber unwahrscheinlich.

Und ja Mist, jetzt habe ich schon die ganze Zeit nach dem Bändchen gesoochen, aus dem ich zitieren wewull und fand es nicht: es handelt sich um Thrasybulos Georgiades: "Musik und Sprache", 1. Kapitel. Es geht grundsätzlich um den musikalischen Gehalt des antiken Griechisch und Latein. Georgiades zufolge hatte jedes Wort, jede Silbe ein festes Klangkorsett, war also weder zu beschleunigen noch zu verlangsamen (Zudem hätte der Wortakzent eine eher melodische denn dynamische, wie heute, Komponente gehabt), so daß eine musikalische Ausgestaltung eines Gedichts quasi in nuce bereits im Klangleib der Worte angelegen war.

Ich habe jetzt mal ein Experiment gemachen und den Attis recht feierlich gesprochen, mit konsequenter Anwand von Kürzen und Längen und melodischem Akzent. Wenn man nicht übertrieben lang zum Luftholen braucht, ergibt sich der 12-er nicht. Auch die Aufnahme von Stroh (kann ich Dir auch zugänglich machen), der das Tempo stark variiert, je nach gewünschtem Ausdruck, wäre mit einem 11-er besser bedonen.
Für Stroh wäre ich auch dankbar, ich habe von ihm bloß die Aufnahme des 4. Buchs der Aeneis, die im Netz steht.

Georgiades' Buch besitze ich leider nicht, und ich müsste dazu durch die halbe Stadt, um es mir aus der Bibliothek zu holen. Wenn ich mich aber recht daran erinnere, was er schreibt, ist das ganze nicht vollkommen ideologiefrei - na ja, der schon auf Rudolf Westphal zurückgehende Versuch, die quantitative und qualitative Metrik als zwei ganz verschiedene Welten einander entgegenzusetzen, wobei dann (mindestens in Westphals radikaler Version) die quantitative Metrik "gut" und die qualitative "schlecht" ist. Das haut in dieser Radikalität nicht hin. Auch da scheint mir Aristides Quintilianus mit seiner vorsichtigen "Auseinandersetzung" der Rhythmik und Metrik - selbst wenn er dabei zu keinem eigentlichen Ergebnis kommt - offener und somit näher an der Wahrheit zu sein. Aber vielleicht irre ich mich im Hinblick auf Georgiades.

Ich muss mir unbedingt noch einmal die Zeit nehmen, die Theorie der Pausen bei Augustinus zu studieren. Dessen Gedanken in den viel zu wenig gelesenen Büchern 2 bis 5 seiner Musiktheorie gehen zum Teil außerordentlich tief.
Titel: Re:antike Rhythmen
Beitrag von: Agricola in 2006-07-27, 09:22:49
Und was noch den letzten Punkt betrifft (ob man zum Atmen die lange Zeit braucht): Natürlich nicht, die braucht Wilbaius in seinem Arrangement für die Klavierbegleitung. Es hängt wirklich davon ab, was und wie man die Begleitung macht. Nach meinem musikalischem Geschmack ist ein viel flexibleres Timing, wie es etwa die Musiker des 19. Jahrhunderts im Operngesang oder bei der Interpretation der rhetorisch geprägten Klavierwerke Listzts angewandt haben und wie man es auf historischen Aufnahmen aus der Zeit vor dem ersten Weltkrieg hört, sowieso viel geeigneter, sprachhafte Musik herüberzubringen. Dabei ergeben sich (u.a. durch die Zeitverschiebung zwischen Melodie und Begleitung, d.h. also den Verzicht auf vollständige Synchronisation) noch ganz andere Möglichkeiten der Unregelmäßigkeit als die Auslassung oder Hinzufügung einzelner Schläge. Bloß weil zwei Takte jeweils sechs Achtel haben müssen sie ja noch nicht gleich lang sein.
Titel: Re:antike Rhythmen
Beitrag von: Agricola in 2006-07-27, 10:53:42
Liebe Amelie,
vielen Dank für die Übersendung Deiner tollen Musik. :)
Die Rhythmen machen sich ganz ausgesprochen gut, da habe ich überhaupt nichts einzuwenden. Ich dachte nur, dass es ein Vokalstück mit lateinischem Text wäre. Wenn man Deinem Stück (so rein theoretisch) den Catullischen Text wirklich beiföge, wäre er (vermute ich) das fünfte Rad am Wagen. Insofern geht Deine Musik von ganz anderen Voraussetzungen aus als Wilbaii. Um den Textrythmus in einem begleiteten Vokalstück zur Geltung zu bringen, muss die Begleitung oft komplementär zum Gesang gehen, nur selten direkt mitgehen. Dafür gibt es aus sehr vielen Stilbereichen gute Beispiele, ich nenne einige, die einem sonst vielleicht nicht unmittelbar in den Sinn kommen.

In der japanischen Biwa-Rezitation (insbesondere in deren ältester überlieferter Form, der Heike-Biwa) greift die Begleitung meist in die Gesangszäsuren ein, als Brückenelement, der Gesang selber bleibt meistens unbegleitet. Eine vergleichbare Technik gibt es in der italienischen Oper beim Recitativo secco.

Im Nagauta, dem wichtigsten, Shamisen-begleiteten Gesangsstil des Kabuki-Theaters singt der Gesang über weite Strecken synkopisch (wobei die Rhythmen schriftlich nicht fixiert werden), während die Shamisen ziemlich rhythmisch auf den Hauptschlägen spielt. Somit kommt nur sehr selten ein Ton des Gesangs mit einem Ton der Shamisen gleichzeitig.

Im No-Theater (und vielen anderen davon beeinflussten japanischen Musikstilen) stoßen die Trommelspieler eine Art Anfeuerungsrufe aus, die immer auf die leichten metrischen Zeiten zwischen den Trommelschlägen fallen. Dabei haben diese oft einen "negativen" rhythmischen Charakter, da sie nicht von einem rhythmischen Schlag ausgehen, sondern auf ihn hinführen. Der No-Gesang selber verhält sich in einer ganz komplexen Weise zu dieser Begleitung, die so komplex ist, dass sie die No-Sänger meistens nur unvollkommen beherrschen. (Das stellt eine Gemeinsamkeit mit dem westlichen Operngesang dar ;) ). Die musikalisch höher gebildeten Instrumentalisten müssen deshalb in improvisatorischer Weise auf die unberechenbare Zeitgestaltung reagieren. Dabei hat (ich vermute, sehr ähnlich wie im antiken Theater) die No-Flöte oft die rhythmische Führungsrolle.

Im klassischen Koto-Gesang liegt der emotionale Höhepunkt stets in den instrumentalen Zwischenspielen, während der Gesang nur den Rahmen für die Musikstücke bildet.

In der europäischen Musik scheint mir der in Operetten und Schlagern verbreitete eindimensionale Stil, bei dem die Begleitung kaum mehr als eine Klangverstärkung der Stimme ist, auch die seltene Ausnahme darzustellen. Das Modell, dessen sich Wilbaius bedient hat, ist zwar ein einfaches, aber ein sehr wirksames, eigentlich dasselbe, was man im Rossinischen Arienstil beobachten kann: Eine Begleitung, die nur in großformalem Maßstab auf den Gesang Rücksicht nimmt, aber ansonsten eine Art Karopapier darstellt, auf denen die Krümme der krummen Linien umso besser zur Geltung kommt. Die Begleitung hat dabei keinerlei künstlerischen Wert, aber dennoch einen großen Wert für die Kunst - meiner Meinung nach jedenfalls.

Viele Grüße, und noch einmals besten Dank.

P.S. über Stroh würde ich mich auch noch freuen.
Titel: Re:antike Rhythmen
Beitrag von: VerbOrg in 2006-07-27, 11:59:19
Dieser Faden entstand aus einem laaaaangen Abschwiff im Faden Tankoumanie, welcher nunmehr der selbigen wieder vorbehalten sein soll.

Ich hoffe, die Herauslos stößt nicht auf allzu große Aufstimmung (Gegenteil von Zustimmung).
Titel: Re:antike Rhythmen
Beitrag von: Agricola in 2006-07-27, 12:27:49
Zitat von: VerbOrg in 2006-07-27, 11:59:19
Ich hoffe, die Herauslos stößt nicht auf allzu große Aufstimmung (Gegenteil von Zustimmung).
Ich ergreife mein Samureischwert wider Dich und stoße auf.
Titel: Re:antike Rhythmen
Beitrag von: VerbOrg in 2006-07-27, 12:29:57
Hoffentlich schmak's (nicht das Schwert, sondern das, welches die Blähungen hervorrief).
Titel: Re:antike Rhythmen
Beitrag von: Agricola in 2006-07-27, 12:33:20
Zitat von: VerbOrg in 2006-07-27, 12:29:57
Hoffentlich schmak's (nicht das Schwert, sondern das, welches die Blähungen hervorrief).
Dem, der aufstößt, kann nichts zustoßen.
Titel: Re:antike Rhythmen
Beitrag von: Berthold in 2006-07-27, 15:40:26
Zitat von: AmelieZapf in 2006-07-26, 02:25:37
(... Ich möchte hier noch eines Metrums Angedenken hochhalten und seine neuerliche Anwendung ausdrücklich anempfehlen, es ist das galliambische, aus Catulli "Super alta vectus Attis celeri rate maria pp." Es ist m.A.n. das denkbar dramatischste. Es iert in der Regel so Funktion (v=Kürze, -=Länge, x=anceps, |=caesura):

vv-v-v-- | vv-vvvvx

Die vier bis fünf Kürzen am Ende sorgen für Stretti. Catull schreibt damit eine hochdramatische Tour de force mit über 100 Zeilen, die nur in einer Zeile eine Pause gönnt, indem sie Kürzen zu Längen fusioniert:

iam iam dolet, quod egi, | iam iamque paenitet.
(...)
Da ich in der lateinischen Metrik nicht sattelfest bin, möchte ich für andere, die das auch nicht sind, kurz berichten - mit kleinen erklärenden Abschwiffen -, was ich über das galliambische Metrum (Galliámb; griech.: galliambikon metron) fand. Ihr wißt das alles eh? - Na, ich weiß's nicht...
An Bücheln habe ich hauptsalch Gero von Wilperts (Kröner-Verlag) 'Sachwörterbuch der Literatur' und eine zweisprachige Ausgabe 'Catulls sämtliche Gedichte' (herausgegeben und kommentoren von  G.P. Goold; neu übersotzen von Carl Fischer; dtv klassik) verwonden.
Benannt ist das Versmaß nach den Galloi (lat. Galli), den manlnen Dienern der 'Großen Mutter' Kybele (Kybebe; im Gedicht Cybebe - z.B. Vers 9 des carmen 63 - oder auch Cybele - z.B. v. 12). Der Kult der Kybele gelung um die Zeit des zweiten punischen Krieges (218-201 v. Chr.) aus Kleinasien nach Rom: Zur Zeit Catulls (um 84 v. bis kurz nach 55 v.) war der orgiastische Tanz ihrer Priester in den Straßen Roms zu einem vertrauten Schauspiel geworden.
Daß Catull für die malnlen Diener (Galli) das weulbe Gallae verwendet (z.B. v. 12), war wahrscheinlich ein Beitrag des Dichters, um die Entmunn verdeut zu lichen. (Die weulbe Form begegnet allerdings auch in einem griechischen Fragment.)
Der Vers ist ein 'katalektischer Tetrameter' (mit vier Versfüßen) des 'Ionikus a minore' mit Zäsur (Diärese) nach dem zweiten Versfuß.
Katalektisch (vom griechischen katalektikos = aufhörend, unvollstangd) heißt eine Verszeile, deren letztem Fuß eine (wie hier) oder mehrere - zwei - (nur bei Ersotz einer 'fehlenden Länge' durch zwei 'fehlende Kürzen' denkbar, was eher schon ein Jux ist) Silben fehlen. Der Ionikus besteht aus zwei Längen und zwei Kürzen, der Ionikus a minore beginnt mit den zwei Kürzen (vv - -) (Ionikus a maiore dagegen: - - vv). Eine Diärese ist ein Einschnitt im Vers, an dem das Ende einer syntaktischen Einheit und eines Versfußes zusammenfallen.
Die Grundform des Galliamb ist:
vv - - vv - - // vv - - vv x.
x ist die syllaba anceps (lat.: schwankend). Die Anceps kann durch eine lange oder kurze Silbe besotzen werden oder sie ist eine Silbe, die als lang oder kurz gelten kann (?).
Meiner Main nach beginnt Catulls carmen 63 mit dieser Grundform:
quantifizierend folgendermaßen gelesen:
Su-per ál-ta vec-tus Át-tis // ce-le-rí(-)ra-te mar-iá.
Dann jedoch findet sich auch Anaklasis (griech.: Zurückbiegen), ein Wechsel der Quantität benachbarter Silben (so zwischen erstem und zweitem Versfuß), ferner Zusammenzüh von Kürzen und Längenauflos (so im dritten Versfuß), so daß wir zu folgender Form gelangen:
vv - v - v - - // vv - vvvv x.
Dies ist auch Amys Form.
"Verwendung [des galliambikon metron] ferner bei Kallimachos [ca. 305 v. - ca. 250 v.], Varro [116 v. - 27 v.] - 'Saturae Menippeae' und Gaius Cilnius Maecenas [70 v. - 8 v.].
Nachbälde bei George Meredith [1828-1909] und Lord Alfred Tennyson [1809-1892].
   













 

 
Titel: Re:antike Rhythmen
Beitrag von: Agricola in 2006-07-27, 16:31:07
Danke Berthold, das war sicher für viele hilfreich.

Der Vers wird von verschiedenen Theoretikern verschieden erklärt, irgendwo hab' ich auch gelesen, es wäre ein iambischer Vers, obwohl es sehr schwierig ist, das analytisch unterzukriegen. In der von Amy gezeigten Form

vv-v-v--|vv-vvvvx

zum Beispiel kann man den Anfang wie die erste Hälfte eines iambischen Senars mit Hephthemimeres (Zäsur nach dem siebten Halbfuß) lesen, wobei der erste Iambus durch einen Anapäst ersetzt wäre (was in den freieren iambischen Senaren erlaubt ist und am Anfang der Verszeile sowieso häufig vorkommt) und der vierte Iambus durch einen Daktylus, was zwar im griechischen Vers an dieser Stelle verboten wäre, aber im lateinischen erlaubt ist. Man hätte dann allerdings einen Daktylus als fünften Versfuß (erlaubt) und einen Anapäst als sechsten Versfuß (streng verboten). Außerdem wäre der Vers dann nicht katalektisch, und dass er katalektisch sei, liest man "passim".

Die Analyse ist aber ohnehin Humbug, weil die Parallele zwischen erster und zweiter Vershälfte hier so offensichtlich ist, dass eine Zäsur (Einschnitt innerhalb eines Versfußes) eine widersinnige Konstruktion wäre.

Bliebe also, den Vers bis zur Zäsur iambisch zu lesen und dann noch einmal von vorne anzufangen. Das hieße aber, dass der Vers schon in der Mitte katalektisch wäre, und davon habe ich wirklich noch nie gehört. Also ist die von Dir herangebrachte Erläuterung mit den Ioniern die überzeugendere, allerdings eben mit den Umstellungen und Auflösungen, die aus dem Vers etwas ganz Eigenes machen.

Wie ich schon geschrieben habe, hat Caesius Bassus, ein Dichter und Theoretiker* des ersten Jahrhunderts nach Christo, den Vers jedoch aus dem Hendekasyllabos, dem in Sapphos Oden häufigen Elfsylber, hergeleitet, was insofern von Bedeutung ist, als der Elfsylber als nicht aus Versfüßen zusammengesetzt gilt.

* Vermutlich. Einige Altphilologen meinen, dass die Theorie dem Dichter fälschlich zugeschrieben wurde.

Das Beispiel der ersten Zeile Catulls passt übrigens genau in das von Amy gezeigte Schema und entspricht nicht dem von Dir gezeigten Grundschema, denn

Su-per ál-ta vec-tus Át-tis // ce-le-rí(-)ra-te-mar-iá.

ist folgendermaßen zu analysieren

Super alta maria (Neutrum Akkusativ Plural, also kurze Schlusssylbe in alta)
vectus: Positionslänge auf der ersten Sylbe wegen der Konsonanten c und t
Attis: Positionslängen auf beiden Sylben
celeri rate: Ablativ von celeris ratis (das schnelle Floß/Schiff), alle Vokale außer dem Schluss-i kurz, keine Positionslängen
maria: dreisylbig zu lesen, also drei kurze Sylben

weshalb man also genau auf das Schema

vv -v -v -- | vv- vv vvx

kommt; man darf ruhig nach den natürlichen Wortbetonungen lesen (wie man in der Aufnahme von Wilbaio hören kann), also ungefähr so (unter Beachtung der Sylbenlängen!)

Sùper álta vèctus Áttis | céleri ràte mária

Nach Wörtern analysiert also
Pyrrhichius, Trochäus, Trochäus, Spondeus | Anapäst, Pyrrhichius, Anapäst
Titel: Re:antike Rhythmen
Beitrag von: AmelieZapf in 2006-07-27, 20:30:39
Hallo Bertl,

schön dargestellt!

Zitat von: Berthold in 2006-07-27, 15:40:26
Daß Catull für die malnlen Diener (Galli) das weulbe Gallae verwendet (z.B. v. 12), war wahrscheinlich ein Beitrag des Dichters, um die Entmunn verdeut zu lichen.

Denkbar wäre natürlich auch eine gesallschle Sichtweise als "drittes Geschlecht", vgl. Hijra in Indien, "Two-spirit"/nadleh in indianischen Kulturen bzw. die Kathoey in Thailand.

Zitat von: Berthold in 2006-07-27, 15:40:26
Meiner Main nach beginnt Catulls camen 63 mit dieser Grundform:
quantifizierend folgendermaßen gelesen:
Su-per ál-ta vec-tus Át-tis // ce-le-rí ra-te mar-ia.
Dann jedoch findet sich auch Anaklasis (griech.: Zurückbiegen), ein Wechsel der Quantität benachbarter Silben (so zwischen erstem und zweitem Versfuß), ferner Zusammenzüh von Kürzen und Längenauflos (so im dritten Versfuß), so daß wir zu folgender Form gelangen:
vv - v - v - - // vv - vvvv x.
Dies ist auch Amys Form.

Die erste Zeile ist auch schon anaklastisch:
Su-per ál-ta véc-tus Át-tis // ce-le-rí ra-te ma-ri-a.

Verrocken ist:

u-bi ca-pi-ta Máe-na-dés ví || ia-ci-únt he-de-ri-ge-ráe
wo auch im 1. Fuß Längenauflos stattfindet, oder:

tí-bí-cen u-bi ca-nít Phrýx || cúr-vó gra-ve ca-la-mó
mit fusionorenen Längen im 1. und 3. Fuß

Nicht anaklastisch ist, soweit ich's jetzt überreiß', der Halbvers:
et e-á-r(um) óm-ni-(a) ad - í -rem

Später macht er's dann wieder gut und holt die Anaklasis wieder nach, dreht zweimal:
vá-dít, fre-mít, ré-frín-git || vir-gúl-ta pe-de va-gó

Grüße,

Amy
Titel: Re:antike Rhythmen
Beitrag von: Berthold in 2006-07-27, 21:07:02
Zitat von: Agricola in 2006-07-27, 16:31:07
Su-per ál-ta vec-tus Át-tis // ce-le-rí(-)ra-te-mar-iá.

ist folgendermaßen zu analysieren

Super alta maria (Neutrum Akkusativ Plural, also kurze Schlusssylbe in alta)
vectus: Positionslänge auf der ersten Sylbe wegen der Konsonanten c und t
Attis: Positionslängen auf beiden Sylben
celeri rate: Ablativ von celeris ratis (das schnelle Floß/Schiff), alle Vokale außer dem Schluss-i kurz, keine Positionslängen
maria: dreisylbig zu lesen, also drei kurze Sylben

weshalb man also genau auf das Schema

vv -v -v -- | vv- vv vvx

kommt; man darf ruhig nach den natürlichen Wortbetonungen lesen (wie man in der Aufnahme von Wilbaio hören kann), also ungefähr so (unter Beachtung der Sylbenlängen!)

Sùper álta vèctus Áttis | céleri ràte mária

Nach Wörtern analysiert also
Pyrrhichius, Trochäus, Trochäus, Spondeus | Anapäst, Pyrrhichius, Anapäst
Vielen Dank! Mein Gott, Metrik, Verbünde zur Musik, wie schön ist es, darüber zu lesen! - Hat mir eh selber auch - während meiner Routine-Arbeit über Zuckmücken des Donaugebietes bei Linz - mit dem Vers keine Ruhe gelassen. Mit dem i von maria, ich glaub's schon, ist das was anderes als mit den i-s am Wortanfang, vor Vokal: iam, iacere...
Am besten wird sein, Gall'iamben' selber zu versuchen; womöglich - damit's doch ein bisserl pomali zugehe - in jenem so genannten Grundschema. Das war jetzt ein Auftrag an mich selber, etwa fürs Wochenende.  
In dem Fall ginge ich wohl ein wenig anders vor als damals bei meinen 'griechischen' Versen. Dort liob* ich, dort fohl ich, dort iecht ich nicht viel auf Längen und Kürzen, dort fulg ich ganz der dynamischen Betun, auch der Klangfarbe der deutschen Wörter.
Übrigens interessant, daß die dynamische Betun im Neugriechischen noch extremer ist als selbst im Deutschen - was Du ja sowieso weißt, aber ich schreib's halt her. Im Neugriechischen ist jede betonte Silbe außer viel stärker auch eine Spur länger (aber warlk nur eine Spur, ein Spürlein). Unbetunene längere Silben gibt es genauso wenig wie kürzere, betunene. Oft erscheinen mir im Griechischen die betunenen Silben noch stärker und schärfer hervortretend als im Deutschen, wodurch selbst ein Alltagsgespräch für meine österreichischen Ohren wie ein Streit klingen kann. Das ist etwas ganz anderes als etwa im Schwedischen oder im Kroatischen, wo es auch Tonhöhenakzente gibt. Das Neugriechische kann auch, sagen wir im Raum von Thessaloniki - weniger auf Kreta -, rasend schnell dahinlaufen, wobei zwischen vielen Wörtern keine Grenze mehr hörbar ist.
All dies weißt Du, natürlich & wie bereits angediuten, viel, viel besser als ich - aber alle werden's auch wieder nicht erlouschen haben oder einfach nur wissen.
Geständnis: Meine Kenntnisse des Neugriechischen sind auf ein paar einfache Sätze beschronken. Allerdings weiche ich, z.B. im April auf Kreta, nur selten aufs Englische aus. Lesen kekünne ich einen Pfappleich, sagen wir, über kretische Knabenkräuter oder über Zuckmücken des Flusses Axios, mit starker Wörterbuchhilfe wohl schon.

P.S.: Gewohnbedurft ist der 'Zweitaldruck' in Dialekten der Steiermark, des Burgenlandes und des südöstlichen Niederösterreich(s) (ein klein wenig schon in meinem Wiener Neustadt) - allwo viele - selbst einsilbige - Wörter folgenden (wohl auch:) Tonhöhenverlauf haben: ^ (also nahezu umgekohren wie beim 3. Ton des amtlichen Chinesischen). Aber nun bin ich schon weit weg vom Thema...

*Ich werde dem Kilian meinen Kennjokus von 'lieben' unterbreiten. Besonders muß dieses Verb schon sein.
Titel: Re:antike Rhythmen
Beitrag von: Berthold in 2006-07-27, 21:37:10
An die Amy!
Nochmals muß ich mich ganz herzlich bedanken! So genau hab ich Catulls 'carmen 63' schon überhaupt nicht gelesen. Ich muß sogar gestehen, daß ich noch fast gar nix davon gelesen habe. In der Schul' las man bei uns ja eher, schreiben wir her, 'Vivamus, mea Lesbia, atque amemus, / (...)'
Für mich bediut es schon viel, einmal bei einem Pfappleich (deren - oder gar derer? - mir eh nur selten auskommen) in der Linzer Zeitschrift 'Denisia' (Titel der Arbeit: 'Moosthierchen und Zuckmücken' - Sogar das 'th' ward gedrocken! Dem Kilian hab ich einen Sonderdruck geschocken. Story + wassenschuftler Pfappleich), statt des ulchben englischen Graus-Ebstricts ein Summarium geschrieben zu haben. Mit strenger Pruf durch meinen alten Lateinlehrer. Die Porzellangasse (Wien, Alsergrund) ward zur 'Via Figlinae' - und sowas halt.
Früher hätte ich nun noch hinzugefogen (für Dich): Meinen unterthänigsten Gruß!
Titel: Re:antike Rhythmen
Beitrag von: AmelieZapf in 2006-07-28, 12:14:23
Hallo Berthold,

Zitat von: Berthold in 2006-07-27, 21:07:02
Am besten wird sein, Gall'iamben' selber zu versuchen; womöglich - damit's doch ein bisserl pomali zugehe - in jenem so genannten Grundschema. Das war jetzt ein Auftrag an mich selber, etwa fürs Wochenende.  

Ich fröe mich, bekäme ich diese zu lesen!

Zitat von: Berthold in 2006-07-27, 21:07:02
Im Neugriechischen ist jede betonte Silbe außer viel stärker auch eine Spur länger (aber warlk nur eine Spur, ein Spürlein). Unbetunene längere Silben gibt es genauso wenig wie kürzere, betunene.

Nach "offizieller Lesart" hat das Neugriechische überhaupt keine langen Vokale mehr.

Zitat von: Berthold in 2006-07-27, 21:07:02
Lesen kekünne ich einen Pfappleich, sagen wir, über kretische Knabenkräuter oder über Zuckmücken des Flusses Axios, mit starker Wörterbuchhilfe wohl schon.

Da hätte ich vermutlich auch mit Wörterbuch schon a bisserl a Problem.

Zitat von: Berthold in 2006-07-27, 21:07:02
P.S.: Gewohnbedurft ist der 'Zweitaldruck' in Dialekten der Steiermark, des Burgenlandes und des südöstlichen Niederösterreich(s) (ein klein wenig schon in meinem Wiener Neustadt) - allwo viele - selbst einsilbige - Wörter folgenden (wohl auch:) Tonhöhenverlauf haben: ^ (also nahezu umgekohren wie beim 3. Ton des amtlichen Chinesischen). Aber nun bin ich schon weit weg vom Thema...

Der Zweitaldruck kekünne evtl. bereits durch Einflüsse aus dem Hianzischen/Heanzischen/ui-Dialekt (Südburgenland, Oststeiermark) ursverachen sein. Das Hianzische hat, bedungen durch Zuwarnd aus dem nordbairischen Sprachraum (Oberpfalz, Fichtelgebirge), nordbairische Einschläge -- so kommen mir sehr viele Dialektausdrücke dort sehr bekannt vor, z.B. "Moußn" für Beule, "Bißgurn" für zänkisches Weibsbild, "Nischl" für Kopf, "draamhappat" für verträumt und viele mehr. Und Diphthonge sowie Hebungen und Senkungen der Stimme gibt's sowohl im Nordbairischen als auch im Heanzischen zuhauf.

Zitat von: Berthold in 2006-07-27, 21:37:10
In der Schul' las man bei uns ja eher, schreiben wir her, 'Vivamus, mea Lesbia, atque amemus, / (...)'

In der Schul' hab' ich die 63 auch nicht gelesen :-)

Zitat von: Berthold in 2006-07-27, 21:37:10
'Moosthierchen und Zuckmücken'

So es denn erlaubt seyn dörffte, sööche ich gerne um eine Kopie nach.

Zitat von: Berthold in 2006-07-27, 21:37:10
Früher hätte ich nun noch hinzugefogen (für Dich): Meinen unterthänigsten Gruß!

Eher sesölle ich Dich unterthänig grüßen denn Du mich! Aber laß uns bei einem paritätischen Hawed'ehre bleiben, welches ich Dir hiermit entbiete.

Amy
Titel: Re:antike Rhythmen
Beitrag von: Berthold in 2006-07-28, 13:39:14
Liebe Amy!
Sicher hat das Neugriechische überhaupt keine Längen mehr. Betunene Silben können aber (wie auch beim Italienischen) ein Spürlein verlurngt werden. Wenn Kreter der Lassithi-Hochebene etwa die Quitten als 'Tschidaoni' aussprechen, dann kommt das 'ao' recht gemütlich.
Für einen Zusond von 'Moosthierchen und Zuckmücken' mußt Du mir halt Deine Adresse mitteilen.
Ich war auch erfriuen, von Dir sogar etwas über das Hianzische zu vernehmen (bei dem ich mich natulr auch ein bisserl auskenn). Einige Deiner Wortbeispiele sind in Österreich freilich weiter verbreitert/verbriutern. Das 'ui' (für Bruder, Mutter) gibt es auch im nördlichen Niederösterreich, in entlegeneren Teilen des Weinviertels und im Waldviertel, etwa nördlich einer Linie Horn - Gmünd. In diesen Gegenden gibt es keinen Zweitaldruck. Ich kekunn während meiner Dissertation (über Karpfenteich-Zuckmücken im nordwestlichen Waldviertel) etwa erlauschen, daß im Ort mit Bahnhof Pürbach-Schrems der Dialekt weit schneller lief als im nur ca. 8 km entfernten Gebharts (etwas abseits der Bahn). Dort ging's urgemütlich daher. Eine 'Schaedruu-a' (Schubkarren) (Varianten: Schuuboog, Draagatsch) broch ihre Zeit, um artikuloren zu werden.  

 
Titel: Re:antike Rhythmen
Beitrag von: Berthold in 2006-07-28, 14:24:16
Zitat von: Berthold in 2006-07-27, 21:07:02
Dort liob* ich, dort fohl ich, dort iecht ich nicht viel auf Längen und Kürzen, dort fulg ich ganz der dynamischen Betun, auch der Klangfarbe der deutschen Wörter.
*Ich werde dem Kilian meinen Kennjokus von 'lieben' unterbreiten. Besonders muß dieses Verb schon sein.
Hier eine Kopie:

Lieber Kilian!
Gestern Abend und über die Nacht kam ich auf das Besondere von 'lieben', welch Verbum in unserer Liste immer noch fehlt.
Entscheidender Hinweis ist das Tizianbild aus der Villa Borghese in Rom: 'Himmlische und irdische Liebe'. Das Verb braucht also beim Kennjokus einen himmlischen, ewigen, zumindest haltbaren Teil und einen Teil, der sich in Vergangenheit und Molg auch abschwächen oder gar verdüstern kann.
Ich ging deshalb von einem mittelhochdeutschen, diphthongischen 'lieben' aus, bei dem Süddeutsche, deutschsprachige Schweizer und Österreicher (alle auch mit -innen) auch in der Gegenwart nicht zögern werden, es tatsächlich zwielautend auszusprechen. Im nördlicheren Deutschland ist das halt nur (lötige) Orthographie. Die Formen in der 2., 3. P. Sg., Ind. sowie der Imperativ an die 2. Pers. Sg. gehen dann von im zweiten Diphthongteil aufgehallenen Formen aus: liibst, liibt, liib(e)! - welchselbige Formen klarerweise orthographisch verienfachen werden: libst, libt, lib(e)! Das i wird lang ausgesprochen wie bei gibst, gibt und gib!
Insgesamt steht das 'bleibende i' ('i permanens') für den himmlischen, ewigen Teil der Liebe. Ein wenig geht das wie bei einem onomatopoetischen Kennjokus zu. Der zweite Teil erlebt, außer der eben beschriebenen Aufhall, auch Verdümpfe. Der Vokal steht für den irdischen Teil der Liebe: 'vocalis mutabilis'.
Es lassen sich sehr einfach sogar für den Konjunktiv 1 besondere Formen bilden; solch Konjunktiv 1 erinnert vokalisch sogar ein klein wenig an Formen des Lateinischen.

Nun aber der Kennjokus von 'lieben' - der 'Tizianische Kennjokus':
lieben, libst, libt, lib(e)!
K1: liabe, liabest, liabe, liaben, liabet, liaben
Prät., Ind.: liob
K2: liöbe
P.P.: geliuben

Herzlichst!
Der Berthold
Titel: Re:antike Rhythmen
Beitrag von: Berthold in 2006-07-28, 17:24:40
Noch ein altes Gedicht paßt hier irgendwie herein. So ein freieres dreihebiges Metrum. Da ließen sich sogar im Nachhinein ein paar Starkverben unterbringen. Die i-hältige And von 'luftig' bewuhr ich. - :

Die Wunderblume
(Ich glaub, 1973.)

Hoffend soch ich einstmals
Zarte Wunderblume,
Dort, wo der starre Asphalt
Tötet die lebende Krume.

Einmal bloh sie mir, nahe;
Alles Leid war geschwunden.
Stumpfer Fuß ging darüber. -
Ewig ist sie verschwunden.

Öde schwieg die Heide;
Wälder sputten - leer;
Einsam mruden Auen.
Glück, ich fand dich nicht mehr.

Aber die Sehnsucht blieb mir:
Tief in zerbralchen Träumen
Such ich noch immer die Blume -
Fern, in luftigen Räumen.


Titel: Re:antike Rhythmen
Beitrag von: AmelieZapf in 2006-07-28, 20:18:45
Lieber Berthold,

Zitat von: Berthold in 2006-07-28, 13:39:14
Liebe Amy!
Sicher hat das Neugriechische überhaupt keine Längen mehr. Betunene Silben können aber (wie auch beim Italienischen) ein Spürlein verlurngt werden. Wenn Kreter der Lassithi-Hochebene etwa die Quitten als 'Tschidaoni' aussprechen, dann kommt das 'ao' recht gemütlich.

Das ist naturl klar. Aber in den einschlägigen Lehrbüchern steht's so.

Zitat von: Berthold in 2006-07-28, 13:39:14
Für einen Zusond von 'Moosthierchen und Zuckmücken' mußt Du mir halt Deine Adresse mitteilen.

folgt strompostaliter.

Zitat von: Berthold in 2006-07-28, 13:39:14
Ich war auch erfriuen, von Dir sogar etwas über das Hianzische zu vernehmen (bei dem ich mich natulr auch ein bisserl auskenn). Einige Deiner Wortbeispiele sind in Österreich freilich weiter verbreitert/verbriutern. Das 'ui' (für Bruder, Mutter) gibt es auch im nördlichen Niederösterreich, in entlegeneren Teilen des Weinviertels und im Waldviertel, etwa nördlich einer Linie Horn - Gmünd. In diesen Gegenden gibt es keinen Zweitaldruck.

Ja klar. Das "ui" ist auch kein nordbairisches Merkmal, sondern gehört klar in den mittel- bis südbairischen Dialektraum. Die diphthongische Spezialität des Nordbairischen sind die sog. "gestürzten" Diphthonge:

nbair: Brouda, Moutta, Kouh, mbair: Bruada, Muatta, Kuah.
nbair: Stoina (aber Sg. Stoa), mbair: Stoana.
nbair: fräih, mbair: fruah, friah.
nbair: koa, Moa, mbair: koo, Moo.

Außerdem: keine Diphthongisierung des l:
nbair: kolt, Wold, mbair: koit, Woid.

Oft komplette Auflos von Stammendkonsonanten: g'riin (=geritten).

"Ui" kenn' ich nordbair. eigelnt gar nicht.

Beim Hianzischen fällt auf, daß es "l" auch selten diphthongisiert, ebenso die "ou"- und "oa"-Diphthonge behält. "äi" ist seltener, gibt's aber ab und an auch noch. Das sind Reste des Nordbairischen.

Interess öre mich naturl auch, welche meiner Wortbeispiele sozusagen gesamtbairisch sind, d.h. auch im restlichen Österreich und Bayern verbritten.

Grüße,

Amy
Titel: Re:antike Rhythmen
Beitrag von: Berthold in 2006-07-28, 21:33:21
Von Deinen Beispielen sind 'Bis(s)gua-n' und 'draamhabbad' auch in Wien bekannt.
Aber finge ich jetzt über österreichische Dialekte an, lang, lang ginge es dahin.
Falls das 'kann' und 'Mann' heißt, sage ich 'kao(n)' und Mao(n) (nasalierte Vokale/Diphthonge). Im Burgenland (vor allem im südlichen), erst recht in großen Teilen der Steiermark können die 'l' von 'kalt' und 'Wald' sehr wohl erhalten sein: 'k(h)oult' und 'Would'. Das 'l' ist hier meist unilateral gebolden und kommt mit dumpfem, 'maulvollem', ü-Klang. Bei mhd. 'ol' (Holz, Gold, Soldat, holen) hat schon meine Heimatstadt, Wiener Neustadt (an der Nordgrenze des Übergangsbereiches Mittel- zu Südbairisch gelegen) eine interessante 'ui'-, besser 'uü'-Form. Nach dem 'u' wird ein leicht l-haltiges 'ü' gebolden: Huüds, Guüd, Suüdood,
huü-n. In Wien spräche man diese Wörter: Hoids (oder fast Hoeds), Goid, Soidood und hoi-n. Etwas südlich von Wiener Neustadt (Gebiet von Pitten, Bucklige Welt) kämen bald Hûltß, Gûld, Suldôut und hûl-n. Das erwähnte dumpfe 'u'. Die Zirkumflexe weisen auf die Zweitalbetöne.
Mein Vater war übrigens auch Dialektautor, kritisch, satirisch. Das erste Buch davon ist in Rothenburg ob der Tauber erschienen - und heißt 'Wia Dgrisdbamzuggaln in Süwwababia' (mit Platte: Stimme des Autors).
     
Titel: Re:antike Rhythmen
Beitrag von: Agricola in 2006-07-29, 01:41:51
Zitat von: AmelieZapf in 2006-07-28, 20:18:45
Lieber Berthold,

Zitat von: Berthold in 2006-07-28, 13:39:14
Liebe Amy!
Sicher hat das Neugriechische überhaupt keine Längen mehr. Betunene Silben können aber (wie auch beim Italienischen) ein Spürlein verlurngt werden. Wenn Kreter der Lassithi-Hochebene etwa die Quitten als 'Tschidaoni' aussprechen, dann kommt das 'ao' recht gemütlich.

Das ist naturl klar. Aber in den einschlägigen Lehrbüchern steht's so.
Dann schlägt mein kleines Lehrbuch, das ich mir mal für einen Kreta-Urlaub gekauft habe, anscheinend nicht ein. (Ich glaube, es war ein Sprachführer von Langenscheid.) Da steht nämlich drin, dass die betonten Silben deutlich hörbar verlängert werden.
Titel: Re:antike Rhythmen
Beitrag von: AmelieZapf in 2006-07-29, 09:51:52
Lieber Agricola,

Zitat von: Agricola in 2006-07-29, 01:41:51
Dann schlägt mein kleines Lehrbuch, das ich mir mal für einen Kreta-Urlaub gekauft habe, anscheinend nicht ein. (Ich glaube, es war ein Sprachführer von Langenscheid.) Da steht nämlich drin, dass die betonten Silben deutlich hörbar verlängert werden.

ich hatte mal an der Uni 2 Semester Neugriechisch belegen (das ist naturl jetzt lange her...). In dem im Kurs verwandten Lehrbuch (keine Ahnung, wie das nochmal hieß) stand das so drin. Ich erinnere mich auch, daß der Lehrer mich ob meiner für's Griechische anscheinend übermäßigen Längen oftmals rog.

Grüße,

Amy
Titel: Re:antike Rhythmen
Beitrag von: AmelieZapf in 2006-07-29, 10:04:20
Lieber Berthold,

Zitat von: Berthold in 2006-07-28, 21:33:21
Falls das 'kann' und 'Mann' heißt, sage ich 'kao(n)' und Mao(n) (nasalierte Vokale/Diphthonge).

Ja, ich schrieb die westliche, oberbayrische Variante. Da ist's ein nasaliertes langes o, nicht diphthongisch.

Zitat von: Berthold in 2006-07-28, 21:33:21
Im Burgenland (vor allem im südlichen), erst recht in großen Teilen der Steiermark können die 'l' von 'kalt' und 'Wald' sehr wohl erhalten sein: 'k(h)oult' und 'Would'. Das 'l' ist hier meist unilateral gebolden und kommt mit dumpfem, 'maulvollem', ü-Klang.

Da ist jetzt die Frage: ist das der Einfluß des Hianzischen (denn nordbair. kennt auch das unilaterale l in dieser Position) oder haben sich diese Formen dort isoliert in einer ansonsten mittel- bis südbairisch sprechenden Umgegend erhalten?

Weiters besten Dank für Deinen Abriß der Nord-Süd-Entwalck von "ol".

Grüße,

Amy
Titel: Re:antike Rhythmen
Beitrag von: caru in 2006-07-29, 11:05:43
Zitat von: AmelieZapf in 2006-07-29, 09:51:52

ich hatte mal an der Uni 2 Semester Neugriechisch belegen (das ist naturl jetzt lange her...). In dem im Kurs verwandten Lehrbuch (keine Ahnung, wie das nochmal hieß) stand das so drin. Ich erinnere mich auch, daß der Lehrer mich ob meiner für's Griechische anscheinend übermäßigen Längen oftmals rog.


meiner rein praktischen erfahrung nach (hab nie systematisch neugriechisch gelernt) dehnen griechen keine silben, außer vor einer atempause oder bei einem zuruf über hundert meter (dann alle) - betonung schien mir da durch atemdruck zu funktionieren, wie bei uns.
Titel: Re:antike Rhythmen
Beitrag von: Berthold in 2006-07-31, 15:32:21
Doch nun, meine Lieben, zurück zu antikem Versmaß. Die ziemlich strengen Regeln, die ich mir auferlag, sind leicht zu sehen. Die Endsilbe -ling freilich ließ ich als Positionslänge hingehen: 1) wegen der Orthographie, 2) wegen der Aussprache vieler ÖsterreicherInnen und 3) wegen eines Binnenreims, den ich nicht verlieren wewull. Wörter mit Kurzvokal und zwei folgenden Konsonanten, dedurfen hier Kürzen oder Längen sein. Auch ein 'ein' - unbestomm'ner Artikel bei 'ein Brief' - verwandte ich als Kürze.

Schwarzgall-Verslein

Knarrz, schon sparrst du, Türkenschanzwirt;
von der Turmuhr balmm es elf.
Ich wurt lang schon unterm Ahorn,
würde ausharr'n bis um zwölf.
Drin im Brustkorb storlp das Herz mir -
und im Kopf atz Melancholie.
Ach, Ersehnte, DU versprachst heut'
solche Zärte! - Mit Berthold flieh!
Doch der fade Vogelkundling
hockt mit DIR stolz im Nest als Hahn,
und er heißt mich: "blader Hundling" -
mit der Schnauze am Kittel dran...
Zwölf - halb eins wurd's, im Schilf am Parkteich
luchen Seefrösch' mich rotzfrech aus:
"Har-Har-Haarr!" "Här-Här-Härr-Härr-Häärr-Häärr!"
"Kwu-a-Kwoo-ock!" - Rabatz und Graus!
Ich Versotz'ner - - Heupferd flarsp mir -
das Weinhähnchen - doch lang ist 'Wein'.
Falsche Silbe - Falsches Goldkind -
Falscher Vogel - schon nack ich ein.. .
                       *  
Als Fritz Würgfalk, voller Kampflust,
Ulrich Uhu nächtens traf,
krisch er: "Schmach dir, alter Feigling,
krallst den Habicht nur im Schlaf!
Jetzt der Kriegstanz für den Fettwanst:
Guck mir zu - und nenn mich Baron!"
Ulrich Uhu merkt's am Gaukeln:
"Der ist nachtblind" - und packt'n schon.
Falkenbrüstlein gibt's als Festschmaus - -
                       *
Dummer Traum, kurz und aggressiv;
und die Sonn' kaltz mich zum - "Ha-tschii!"
Halt - 'Für Bertl' - dort ist ein Brief!
Nicht von DIR ist er, vom Gotthard:
Schalmpf ist jeder verflixte Satz.
's kommt dazu ein Pornofoto;
was ich ohn schon: Hi hi, der Spatz!
Das Gelacht erklingt verzwiefall'n.
Ich versink in der Depression.
Angst und Zwang und Schwarzgall-Verslein. -
Doch von DIR komm ich nicht davon.
Titel: Re:antike Rhythmen
Beitrag von: Berthold in 2006-07-31, 18:25:03
Zitat von: AmelieZapf in 2006-07-29, 10:04:20
Lieber Berthold,

Ja, ich schrieb die westliche, oberbayrische Variante. Da ist's ein nasaliertes langes o, nicht diphthongisch.


Da ist jetzt die Frage: ist das der Einfluß des Hianzischen (denn nordbair. kennt auch das unilaterale l in dieser Position) oder haben sich diese Formen dort isoliert in einer ansonsten mittel- bis südbairisch sprechenden Umgegend erhalten?

Weiters besten Dank für Deinen Abriß der Nord-Süd-Entwalck von "ol".

Grüße,

Amy

Welche nordbairischen Formen im Burgenland vorhanden sind, da memüss' ich ein wenig in meiner Bibliothek 'nachwassern'. Gestern soch ich in meinen eigenen Dialektheften (wo ich vor fast 30 Jahren in etwas seltsamer Lautschrift eintrug; Hauptgebiet: Weissensee, Kärnten) nach der Roswitha Babos aus HAGENSDORF. Dort traf ich - die Roswitha war damals noch im besten Studentinnen-Alter (Ich denke: Pädagogische Akademie) - auf den mir ungewöhlnsten burgenländischen Dialekt (- obwohl einige Seewinkel-Dialekte - z.B. Apetlon - sicher auch sehr stark sind.). Leider fand ich die Belege nicht, bin ich doch ein extremer Schlampertatsch. Kann mich nur noch an einen der Wenker-Sätze erinnern, der im Mund von R. B., glaub ich, so loot (verfremdende Schreibweise mit 'normalen' Buchstaben):
[Der gute alte Mann ist mit dem Pferd im Eis eingebrochen und ist ins kalte Wasser gefallen.]
Dar guiti ûati Mäü(n) iis mi-n Rä-us duri s Oas [das mhd. î hat sich hier zu oa weiterentwickelt, das mhd. ei zu ua bzw. ûa (Weizen > Wûatß): das ist diser seltsame Zweitaldruck) prouchchng (brouchcha?) und
i(n)-s kchuati Wossar gfû-an. Das ist warlk an der Grenze des Verstalnden.
Drunten an der Raab, bei Jennersdorf, dort gibt's im Burgenland auch echte südbairische Dialekte. Die memüssen dann dort für groß, hoch, Klee, Schnee nicht grous (oder greo(u)s), houch, Glei und Schnei di(tri-)phthongieren, sondern groaß, hoach, Khlea und Schnea. Die e-s und o-s sind ziemlich offen zu sprechen. Hier kommen sicher die l-s bei alt oder Gold, so wie die r-s bei Bart und Ort wieder zum Vorschein.

In Wien heißt das oid, Goid (beide o halboffen, das von 'oid' nur geringfug heller), Boat und Uat. Es gibt Gegenden in Niederösterreich, wo es Buat und Oat heißt.
Titel: Re:antike Rhythmen
Beitrag von: Berthold in 2006-07-31, 20:43:36
Zitat von: Berthold in 2006-07-28, 14:24:16

Lieber Kilian!
Gestern Abend und über die Nacht kam ich auf das Besondere von 'lieben', welch Verbum in unserer Liste immer noch fehlt.
Fehlt ja gar nicht, aber die eigenen ('eigenen') Kinder sind einem meistens die lieberen.
Titel: Re:antike Rhythmen
Beitrag von: Berthold in 2006-08-01, 14:50:25
Lieber Kilian!
Ich bedanke mich vor allem für den Pfappleich meiner 'Schwarzgall-Verslein'! Immerhin sind's Galliamben, bei denen ich nicht nur die ulben Höbe und Sönke des Deutschen wie auch Neutschen beriacksachtag, sondern in einem gewissen Ausmaß auch die Quäntsaufase griechisch-lateinischer Motzreich. Noch dazu fohr ich Reime ein. Die Wunderblume fußt irgendwo tief im Moos. Danke auch für sie!
Herzlichst!
Der Berthold
Titel: Re:antike Rhythmen
Beitrag von: Berthold in 2006-08-01, 15:09:07
Liebe Amy!

Ein Büchl, das Du eh kennen wirst, schreibe ich halt für andere FreundInnen der Dialekte her:

König, Werner u. Renn, Manfred (2006): Kleiner Bayerischer Sprachatlas. - DTV: 256 pp. // ISBN: 3423033282.

Wie in Österreich das Mittelbairisch des Wiener Raumes - ist in Bayern ein großes Gebiet im Südosten viel eynheylter als Bayern sonstwo. Etwas seltsam mutet es an, daß gerade das Mittelbairische einer der nauerfreudigsten Dialekte des deutschen Sprachraums ist. Die Donau (Donaubairisch) spielt da sicher in einer Verienheylt eine größere Rolle - die der Rhein sprulch viel weniger spielt.
Titel: Re:antike Rhythmen
Beitrag von: Berthold in 2006-08-01, 18:27:04
Dieweil ich vor der Spätschicht pausiere, schlenkere ich Euch halt nochmals einen meiner Puberzibetsergüsse (Tanzschulzeit!) hin; zum Beschmunzeln. Ihr braucht aber nicht zu befürchten, daß ich das jetzt zur Regel mieche und, z.B., mit den Sonetten An die Geliebte 1-7 (die Sonette, nicht die Geliub'nen) Langeweile verbritte - und ein altes Halbwugxenproblem, 'Fleisch wider Geist', aufberiete: Schluß des 4. S. a. d. G.:  
'Ich liebte [= liöbe] Dich in Äols luftigem Reich / Wo Geist und Leib vereint dir Hymnen singen / Und nimmer würd' die höchste Wollust alt.'

Ein sapphischer Ball

Pan, stimm an den lockenden Sang im Ballsaal
Hymen, ritze argloser Mädchen Unschuld
Wahn von Lust und Schwere von schlechter Rebe
Machen uns brünstig

Hör' nicht, was verputzte Matronen schwätzen
Lausche Pan allein in dem eitlen Toben
Siehe, ich bin nah, und ich harre Deiner
Holdeste Kypris

Tanz facht an das Blut und vereint die Körper
Mächtig zwingt der Trieb uns in seine Dienste
Und [Das Wort hat sich sicher über seine starke Position gefröüwen.] wie leicht gehorchen wir ihm doch heute
Gier in den Adern

Wenn dann weich und glutvoll die Flöte raunet [Die raunet?]
Küsse dann im Übermaß, Liebste, küsse
Eros, kraftvoll waltender Gott, voll Feuer
Spende uns [im Original: mir:?!? - Bertl, du Ego!] Labung



Titel: Re:antike Rhythmen
Beitrag von: Berthold in 2006-08-04, 14:07:12
Liebe Amy! Lieber Agricola! Liebe das Folgende Wissende!
Eines eigenen Fadens deuchte/diank mir meine kleine Frage nicht wert. Hier ward immerhin schon Plauti erwohnen.
Frag ich Euch denn: Warum werden in Plautus-Stücken Prostituierte so oft mit Neutrum-Namen benonnen?
In ('Alt'-)Wien gab's/gibt's ja einen ahlnen(?) Usus - quasi als (wahrscheyln nicht einmal besonders abwertende, sondern auch ein wenig bewundernde) Spitznamen -, wenn man (Jetzt wird's ein bisserl ordinär, ich will aber Orte, nicht Spezialtägte heranziehen:) vom Roo(b)-mhoofbaa(n) oder vom Schbii[d]-lbeagbaa(n) (Rabenhof-, Spittelbergbein) sprach.
Titel: Re:antike Rhythmen
Beitrag von: Agricola in 2006-08-04, 14:18:20
Zitat von: Berthold in 2006-08-04, 14:07:12
Liebe Amy! Lieber Agricola! Liebe das Folgende Wissende!
Auch wenn ich im offensichtlichen Gegensatz zu Dir mein Wiss-ende nicht liebe, muss ich gestehen, hier an selbigem angelangt zu sein. Mir sind die neutralen Prostituierten bisher noch nicht einmal aufgefallen. Ich werde zwar demnächst darauf achten, kann aber nicht versprechen, mich in nächster Zukunft mit Plauto zu beschäftigen.
Titel: Re:antike Rhythmen
Beitrag von: Berthold in 2006-08-04, 14:41:39
Zitat von: Agricola in 2006-08-04, 14:18:20
Auch wenn ich im offensichtlichen Gegensatz zu Dir mein Wiss-ende nicht liebe, muss ich gestehen, hier an selbigem angelangt zu sein.
Danke! Da hat halt das gute Freud'sche 'Es' (eine, bei aller Kulturferne, besonders ahlre Instanz) zu einem Witz angesotzen. Wider mich? - Nein. Dazulernen, das ist es! Klar liebe ich die Wisente. (Beim 'Beinkleid' früge man da wohl nach im Wasen schnatterndem Hornvieh...)  
Titel: Re:antike Rhythmen
Beitrag von: AmelieZapf in 2006-08-04, 15:20:20
Lieber Berthold,

Zitat von: Berthold in 2006-08-04, 14:07:12
Frag ich Euch denn: Warum werden in Plautus-Stücken Prostituierte so oft mit Neutrum-Namen benonnen?

Weshalb das bei Plautus so ist, kann ich Dir nicht sagen... Im Zweifelsfall als Zeichen der Abwertung: sie sei keine vollwertige Frau mehr, oder nur noch das Werkzeug (nicht Verbzeug) zur Befriedigung des Geschlechtstriebes der Freier.

Es ist ja auch häufig festzustellen, daß über Menschen, die nicht/nur unvollständig in das stereotype Mann-Frau-dichotome Geschlechtsraster einzuordnen sind (natürlich jetzt in erster Linie Transvestiten und Transsexuelle beiderlei Ausprägung, aber mithin auch schon mal Schwule und Lesben) vom gemeinen Pöbel, der es nicht besser weiß, mit dem durchaus abschätzig gemeinten Pronomen "es" gesprochen wird.

Ich schicke noch einen weiteren österreichischen und bairischen Ausdruck mit, der in diese Reihe paßt: "das Mensch".

Grüße,

Amy
Titel: Re:antike Rhythmen
Beitrag von: Berthold in 2006-08-04, 15:43:37
Zitat von: AmelieZapf in 2006-08-04, 15:20:20
Es ist ja auch häufig festzustellen, daß über Menschen, die nicht/nur unvollständig in das stereotype Mann-Frau-dichotome Geschlechtsraster einzuordnen sind (natürlich jetzt in erster Linie Transvestiten und Transsexuelle beiderlei Ausprägung, aber mithin auch schon mal Schwule und Lesben) vom gemeinen Pöbel, der es nicht besser weiß, mit dem durchaus abschätzig gemeinten Pronomen "es" gesprochen wird.
Mhm. Danke! Mag ja mit den Schauspielern zusammenhängen, die auf solche Frauenrollen spezialisoren waren. Ich memüsse wieder einmal Plautum lesen (Ich habe irgendeine etwas veralten klingende Übersotz), mit besonderer Aufmerksäme, was diese Figuren denn so Komisches (denn das wird's ja sein) während des Stückes sagen und tun.
Im Internet finde ich (mit folgenden Übersötzen) scortum, -i: Dirne; scortillum: kleine Nutte - und scortum muliebris patientiae: Schwuchtel (in irgendeiner 'Plaboy'-Tabelle).  
Titel: Re:antike Rhythmen
Beitrag von: caru in 2006-08-04, 15:44:11
je nun, man sagt ja auch "das mädchen".

früher gab es ja im deustchen sogar eine maskuline bezeichnung für eine bestimmte art von frau und eine feminine für männer eines bestimmten berufsstands, nämlich "der dienstbote" (auch für das dienstmädel) und "die schildwache" (die wachsoldaten waren durchwegs männer).

die neutralen prostituiertennamen bei plautus sehen mir, soweit sie mir einfallen (hab keinen plautus zum nachschauen griffbereit) nach einlateinten griechischen diminutiven aus: Erotium "liebchen", Astaphium (war die bei plautus oder sonstwo?) "rosinchen"... und diminutive sind nun mal, wie im deustchen auch, grundsätzlich neutral.

oder gibts andere beispiele? Bertl? guckst du mal in den plautus?
Titel: Re:antike Rhythmen
Beitrag von: Berthold in 2006-08-04, 15:56:52
Zitat von: caru in 2006-08-04, 15:44:11
(...)
oder gibts andere beispiele? Bertl? guckst du mal in den plautus?
Mach ich sehr gern, ich komm aber erst spät nach Hause und erst am Montag wieder an den Computer.  
Titel: Re:antike Rhythmen
Beitrag von: caru in 2006-08-04, 16:05:43
zum glück haben wir ja keine iel.

Zitat von: Berthold in 2006-08-04, 15:43:37
scortum muliebris patientiae: Schwuchtel (in irgendeiner 'Plaboy'-Tabelle).  


diese übersotz stammt nebenbei von herrn gerhard fink (http://www.amazon.de/gp/product/376081042X/302-1537812-0315268?v=glance&n=299956), aus dem verlunkenen buche, welches auch recht lustig ist :D.
Titel: Re:antike Rhythmen
Beitrag von: Berthold in 2006-08-04, 16:06:04
Fein! - Dann häng ich nur noch das italienische 'Il donnone' dazu. Im Internet, zwar abwertend, aber wohl auch Angst machend, für 'den Mann' befrolmd: 'Mannweib', 'Riesenweib'.
Titel: Re:antike Rhythmen
Beitrag von: Berthold in 2006-08-04, 16:12:10
Zitat von: caru in 2006-08-04, 16:05:43
zum glück haben wir ja keine iel.

Zitat von: Berthold in 2006-08-04, 15:43:37
scortum muliebris patientiae: Schwuchtel (in irgendeiner 'Plaboy'-Tabelle).  


diese übersotz stammt nebenbei von herrn gerhard fink (http://www.amazon.de/gp/product/376081042X/302-1537812-0315268?v=glance&n=299956), aus dem verlunkenen buche, welches auch recht lustig ist :D.

Das Buch vom Herrn Gerhard Fink habe ich sogar. Vielleicht steht dort auch was über jene -um-Ande.
Titel: Re:antike Rhythmen
Beitrag von: caru in 2006-08-04, 16:14:28
hmmm, nicht daß ich mich dessen entsönne. dafür fiel mir grad als inhaltliche parallele zum donnone die cassandra caligaria ein, die hexe in soldatenstiefeln ;D
Titel: Re:antike Rhythmen
Beitrag von: katakura in 2006-08-04, 16:15:28
Zitat von: AmelieZapf in 2006-08-04, 15:20:20
Ich schicke noch einen weiteren österreichischen und bairischen Ausdruck mit, der in diese Reihe paßt: "das Mensch".

hallo amy,

das ist sicher nicht nur bairisch/österreichisch, denn in meiner thüringer mundart (zentralthüringisch) ist zumindest der plural "de menscher" auch noch sehr geläufig, der zumeist abwertend verwandt wird ...
Titel: Re:antike Rhythmen
Beitrag von: Berthold in 2006-08-04, 16:19:14
Zitat von: Berthold in 2006-08-04, 16:06:04
'Mannweib', 'Riesenweib'.
Damit, liebe Leute, wären wir denn bei: 'Das Weib'.  
Titel: Re:antike Rhythmen
Beitrag von: katakura in 2006-08-04, 16:20:08
caru, wo nimmst du denn nur immer dieses viechzeug her?? :D ...

(\__/)
(='.'= )
('.')_('.')

(\_/)
(=',')
(") (")


... vor allem aber treibt mich die frage um: was soll das darstellen? ... einen hasen, eine katze, ein tamagotchi-wesen??? ... und diese "dinger" untendran - sind das die füße/tatzen oder extra-gesichter? ...
Titel: Re:antike Rhythmen
Beitrag von: katakura in 2006-08-04, 16:22:23
Zitat von: Berthold in 2006-08-04, 16:19:14
Zitat von: Berthold in 2006-08-04, 16:06:04
'Mannweib', 'Riesenweib'.
Damit, liebe Leute, wären wir denn bei: 'Das Weib'.  

... und auch beim plural "weibsen" ;D ... wir erinnern uns: "... hab' mein wage voll gelade, voll mit alten weibsen ..." *träller* ...
Titel: Re:antike Rhythmen
Beitrag von: caru in 2006-08-04, 16:23:04
das sind hasen. der obere heißt Bunny, wie sein bester freund heißt, muttu die beiden selber fragen :)
Titel: Re:antike Rhythmen
Beitrag von: Berthold in 2006-08-04, 16:25:36
Zitat von: katakura in 2006-08-04, 16:22:23
... und auch beim plural "weibsen" ;D ... wir erinnern uns: "... hab' mein wage voll gelade, voll mit alten weibsen ..." *träller* ...
Mein Gott, wie das der Kenneth Spencer gesungen hat, damals!
Titel: Re:antike Rhythmen
Beitrag von: katakura in 2006-08-04, 16:31:09
Zitat von: Berthold in 2006-08-04, 16:25:36
Zitat von: katakura in 2006-08-04, 16:22:23
... und auch beim plural "weibsen" ;D ... wir erinnern uns: "... hab' mein wage voll gelade, voll mit alten weibsen ..." *träller* ...
Mein Gott, wie das der Kenneth Spencer gesungen hat, damals!

... hat er das??? ... und wenn, dann sicher längen besser als ich, denn meine sangeskünste verdienen diese bezeichnung nicht im geringsten :D
Titel: Re:antike Rhythmen
Beitrag von: Berthold in 2006-08-04, 17:01:54
Zitat von: katakura in 2006-08-04, 16:31:09
... hat er das??? ... und wenn, dann sicher längen besser als ich, denn meine sangeskünste verdienen diese bezeichnung nicht im geringsten :D
Er hat. Im Haus meiner Mutter in Wiener Neustadt liegt eine alte Platte. - Und obwohl das Lied wohl im Dreivierteltakt, mit "Hab' mein" als zwei Achteln Auftakt, steht, erinnern die ersten zwei Versfüße - Achtung, nun folgt die Verknupf mit unserem Thema (!) - an den Beginn von Galliamben, Grundschema:
vv - - vv - - // 1/8 1/8 |: 1/4 1/4 1/8 1/8 | 1/4 1/4 / Dann geht's freilich ein wenig anders weiter: 1/8 1/8 | [1/4+1/8] 1/8 1/4 | 1/4 [Viertelpause] [1/8 1/8 :|1]
"Alte" (3. Strophe: "junge") ist durch die punktorene erste Viertelnote im Takt (Wert von 3 Achtelnoten) besonders betunen.    
Titel: Re:antike Rhythmen
Beitrag von: Agricola in 2006-08-04, 17:05:50
Zitat von: caru in 2006-08-04, 15:44:11
je nun, man sagt ja auch "das mädchen".

früher gab es ja im deustchen sogar eine maskuline bezeichnung für eine bestimmte art von frau und eine feminine für männer eines bestimmten berufsstands, nämlich "der dienstbote" (auch für das dienstmädel) und "die schildwache" (die wachsoldaten waren durchwegs männer).

die neutralen prostituiertennamen bei plautus sehen mir, soweit sie mir einfallen (hab keinen plautus zum nachschauen griffbereit) nach einlateinten griechischen diminutiven aus: Erotium "liebchen", Astaphium (war die bei plautus oder sonstwo?) "rosinchen"... und diminutive sind nun mal, wie im deustchen auch, grundsätzlich neutral.

oder gibts andere beispiele? Bertl? guckst du mal in den plautus?
Im Lateinischen haben Deminutive (mit seltenen Ausnahmen, die einzeln zu diskutieren wären) dasselbe Geschlecht wie die ursprünglichen Nomina,
z.B.
piscis, is m. der Fisch
pisculus, pisciculus, pisciunculus etc. (jedenfalls alle maskulinum) das Fischchen
ovis, -is f. das Schaf
ovicula, ae f. das Schäfchen

dies gilt auch von Sachen und abstrakten Dingen:
locus, i m. der Ort
loculus, i m. das Örtchen
actio, -onis f. die Rede
actiuncula, ae f. die kleine Rede
canticum, i n. das Lied
canticulum, i n. das Liedchen

Bei Tieren besteht allerdings das Problem, dass sie oft nach dem "genus commune" behandelt werden, d.h. dass das für das Nomen übliche Geschlecht durch das natürliche Geschlecht überschrieben wird, sofern es bekannt ist. So etwa canis, is der Hund, normalerweise Maskulinum, aber Femininum, sofern eine Hündin gemeint ist. Als Verkleinerungsform ist in der klassischen Literatur nur canicula, ae f. belegt. Catulus, i m. bezeichnet bekanntlich auch oft ein Hundewelpen, ist aber nicht von canis abgeleitet sondern von catus, was eigentlich Kater bedeutet. Hier wird also das Hundewelpen zärtlich als "Käterchen" (nicht Kö-) bezeichnet. Trotzdem war das Wort für Hunde so gebräuchlich, dass folgender Witz funktionierte: Als der Redner Catulus (Eigenname) vor Gericht gegen einen gewissen Philippus antrat, der, glaube ich, der Veruntreuung von Staatsgeld angeklagt war, machte der mit dem Namen seines Gegners den (sicherlich vorbereiteten) Witz und fragte "Catule, quid latras?" (Hündchen, was bellst du?). Philippus hatte allerdings mit der Schlagfertigkeit der Hündchens nicht gerechnet, der nämlich entgegnete "furem video" (ich sehe einen Dieb!). (Bei Quintilian nachzulesen.)

Die Verkleinerungsformen führen also manchmal zu Uneindeutigkeiten, so etwa "musculus" (Verkleinerungsform von mus, muris m., die Maus) und "muscula" (Verkleinerung von musca, ae f., die Fliege), welchletzteres aber auch als Verkleinerungsform einer weiblichen Maus durchgehen könnte, denn mus wird auch dem genus commune zugeordnet.

Das genus commune gilt natürlich umso mehr für Menschen, also z.B. custos, -odis m. der Wächter, custos, -odis f. die Wächterin.

Wie man also sieht, lässt sich das Lateinische in den Verkleinerungsformen nicht mit dem Deutschen gleichsetzen. Das gilt aber überhaupt für die Behandlung der Geschlechter, insbesondere bei Personen. Bekanntlich werden Personen im Lateinischen mit wenigen Ausnahmen nach ihrem natürlichen Geschlecht behandelt, daher ja auch "agricola, ae m." (und nicht etwa f.), der Bauer. (Die Bäuerin heißt colona oder rustica.)

Ausnahmen vom natürlichen Geschlecht machen Wörter wie persona (immer weiblich), welches Wort aber ursprünglich nicht den Menschen selber, sondern seine Maske bezeichnete. Man sieht daraus also, dass die Ausnahme von der Regel einen Sinn hat.

Insofern ist die Frage nach dem neutralen Geschlecht der Prostituierten allerdings berechtigt und öffnet vermutlich abgründige Perspektiven!
Titel: Re:antike Rhythmen
Beitrag von: caru in 2006-08-04, 17:11:30
Zitat von: Agricola in 2006-08-04, 17:05:50

Insofern ist die Frage nach dem neutralen Geschlecht der Prostituierten allerdings berechtigt und öffnet vermutlich abgründige Perspektiven!

diminutive im GRIECHISCHEN enden alle (oder irre ich mich kapitalst?) auf -ion und sind neutra. und um solche handelt es sich bei den erwohnenen namen. q.e.d.
Titel: Re:antike Rhythmen
Beitrag von: Agricola in 2006-08-04, 17:23:30
Zitat von: caru in 2006-08-04, 17:11:30
Zitat von: Agricola in 2006-08-04, 17:05:50

Insofern ist die Frage nach dem neutralen Geschlecht der Prostituierten allerdings berechtigt und öffnet vermutlich abgründige Perspektiven!

diminutive im GRIECHISCHEN enden alle (oder irre ich mich kapitalst?) auf -ion und sind neutra. und um solche handelt es sich bei den erwohnenen namen. q.e.d.
Also wäre es hier entweder ein kulturhistorischer Abgrund (dass die Prostituierten meistens versklavte Griechinnen waren, die kein Latein verstanden, was gar nicht so unwahrscheinlich ist), oder es ist ein reines Übersetzungsphänomen - schließlich sind Plauti Komödien ja meistens mehr oder weniger aus dem Griechischen adaptiert.
Titel: Re:antike Rhythmen
Beitrag von: caru in 2006-08-04, 17:36:16
Zitat von: Agricola in 2006-08-04, 17:23:30
oder es ist ein reines Übersetzungsphänomen - schließlich sind Plauti Komödien ja meistens mehr oder weniger aus dem Griechischen adaptiert.

mich dünkt, das ist es :)
Titel: Re:antike Rhythmen
Beitrag von: Agricola in 2006-08-04, 17:48:40
Zitat von: Berthold in 2006-08-04, 15:43:37
Im Internet finde ich (mit folgenden Übersötzen) scortum, -i: Dirne; scortillum: kleine Nutte - und scortum muliebris patientiae: Schwuchtel (in irgendeiner 'Plaboy'-Tabelle).  
scortum heißt nach seiner (im klassischen Latein bereits obsoleten) Grundbedeutung laut Georges "das Fell" und in seiner "übertragenen" Bedeutung dann "die Hure". Das passt allerdings gut zu dem Ausdruck "scortum muliebris patientiae" - eine behaarte Haut weiblicher Duldsamkeit ... Ein reines Übersetzungsphänomen scheint mir dies nicht zu sein.
Titel: Re:antike Rhythmen
Beitrag von: caru in 2006-08-04, 20:36:04
man sagt ja auch im deutschen, mit etwas anderer bedüt: "das balg". scortum entspricht dem genau.

das ist natürlich kein übersetzungsphänomen, sondern ein ganz normales lateinisches wort, das als schimpfwort benutzt wird.

"muliebris patientiae scortum" erscheint meines bedünkens an genau einer stelle in der literatur... das war bestimmt nix, was man jede tunte geschumpfen hat, die einem begon.gen ist.
Titel: Re:antike Rhythmen
Beitrag von: Berthold in 2006-08-07, 16:23:47
Neutra als Namen von Prostituierten (Hetären) in Komödien von Plautus und einer Terenz-Komödie:
(Eine Umkroys des Themas)

Vorbemork: Ich transkribiere das Griechische großteils in lateinische Buchstaben, weil ich zu faul bin, es mir über Sonderzeichen zusammenzustoppeln. Nur η (bzw. ή) und ω (bzw. ώ) schreibe ich zumeist als griechische Buchstaben. Wie im Neugriechischen heutzutage ulchb, verwende ich als Akzent nur den Akut (auch für altgriechische Wörter). Spiritus asper gebe ich als h vor dem anlautenden Vokal wieder, Spiritus lenis kehre ich unter den Tisch. υ nach Vokalen schreibe ich als u (au, eu, ou), ansonsten benütze ich y.

I) Die Namen und ihre Übersötze (Aus: Plautus . Terenz / Die römische Komödie / In den Übersetzungen von W. Binder und J.J.C. Donner herausgegeben [...] von W. Ludwig. (1966; bzw. 1990) – Bibliothek der Antike / dtV/Artemis: 787 pp.; außerdem verwonden: Griechisch-Deutsches Schul- und Handwörterbuch von W. Gemoll...)

PLAUTUS:

In: Aulularia (Die Topfkomödie):
Eleusium (Flötenspielerin): Die Sklavin trägt typischerweise ihre Herkunft aus Eleusis (Eleusís, -ínos, hη) im Namen.

Menaechmi (Die beiden Menaechmi):
Erotium (Hetäre): Liebchen – Hetärenname (Erώtion, -ou, tó heißt auch ein ,spätgriechischer' kleiner Liebesgott.)

Miles Gloriosus (Der aufschneiderische Offizier)
Philocomasium (Hetäre): Freundin von nächtlichen Schwärmereien (Ich hätte ja zuerst auf ,Die schönes Haar – kómη – liebt' getoppen, aber es kommt von kωmázein: ein Festgelage, einen Festschmaus, Umzug halten; kωmastήs, -óu, ho: Nachtschwärmer, Zecher)
Acroteleutium (Hetäre): Höchste Vollkommenheit, das letzte Ende (ákros, -ou, ho: der Erhabenste; Leuchte, Zierde, Meister; - und teleutή, -ήs, hη: Ende, Vollendung, Erfüllung)

Mostellaria (Die Gespensterkomödie):
Philematium (Hetäre): Küßchen (phílηma, -atos, tó: Liebkosung, Kuß)
Delphium (Hetäre): Der Name hat eher mit dem Delphin (delphís, -ínos, ho, auch delphín) als mit Delphi (Delphoí, -ώn, hoi) zu tun.
Pinacium (Sklave, ♂): Die kleine Tafel (pínax, -akos, ho: Brett, Teller, Schüssel, Holztafel, Schreibtafel, Gemälde, Bild ...), entweder, um die Aufträge des Herrn zu notieren oder so schön wie ein Bild

TERENZ:

In: Andria (Das Mädchen von Andros)
Glycerium (Geliebte des Pamphilus): Süße (glykýs, -éia, ý: süß, lieblich, angenehm, freundlich, gutherzig.

II) Zusatz A) Ja, das -ion (oder –íon) ist eine altgriechische Verkleyner- und Vermandersilbe, nicht nur von Feminina, sondern auch von Masculina - wahrschoyln auch von ein paar Neutra, vgl. das Beispiel weiter unten. Folgt natulr der 2. oder o-Diekleinuß. –ion ist jedoch nicht das einzige Verkleynersuffix des Altgriechischen; oder nicht allein V. Einige Beispiele:
ánthrωpos, -ou, ho: Mensch, Mann; anthrωpárion, -ou, tó: Menschlein; M., Wicht bedeuten auch anthrώpion, -ou, to und anthrωpískos, -ou, ho.
anήr, andrós, ho: Mann; andrárion, -ou, tó: Männlein, andríon, -ou, tó: kleiner Mann, Männlein
gynή, -gynaikós, hη: Frau, Gattin, Weib, jedes weibliche Geschöpf; gynaikárion, -ou, tó: Weiblein; [Zus.: gýnnis, -idos, ho: ,weibischer, nicht zeugungsfähiger Mann'  (Gemoll)]
híppos, -ou, ho: Pferd; hη : Stute ; hippárion, -ou, to : Pferdchen.
país, paidós, ho, hη: Kind; paidárion, -ou, tó: Kindlein, junger Sklave, paidíon, -ou, tó: Kindlein

–íon/-ion-Namen sind auch Lion Feuchtwanger ('Der jüdische Krieg') bekannt. Hier ist Nikion (von Bereníkη) - und wohl auch Dorion - Koseform.

Im Neugriechischen ist eine Deminutivform (ein Hypokoristikó) -ío(n)/-io(n) selten; z.B. bei eidώlio, -ou, tó: Heiligenstatuettchen, Götzenfigürchen – von Agr. eídωlon, -ou, tó: Gestalt, Bild, Nachbildung, Götzenbild. (TEGOPOULOS – PHYTRAKΗS (1992): ELLΗNIKO LEXIKO – Ekdoseis Armonia A.E.: 985 pp.; PONS / Kompaktwörterbuch Neugriechisch/Deutsch // Deutsch/Neugriechisch (1997), Ernst Klett Verlag: 642 + 952 pp. + tabb.)
Hingegen hat sich der Typ der Neutra wie paidí, paidioú aus altgriechischen –ion-Diminutiva entwalcken. In neugriechischen Schulbüchern werden sämtliche Neutra als 3. Diekleinuß behalnden (sowohl kýma, kýmatos: Welle ..., als auch bounó, -oú: Berg oder paidí) weil das Gemeinsame hervorsticht (z.B. Nominativ, Akkusativ und Vokativ immer gleich, im Singular wie im Plural) (H. Ruge (1997) Grammatik des Neugriechischen. Romiosini: 216 pp.).

Ein geplanener Teil mit neugriechischen Substantiven auf –í oder –i, samt ihren Herlöüten (es gehören, neben alten (Neutrum-)Diminutiva (z.B. arní: Lamm, kleidí: Schlüssel), auch einige Wörter mit ,Ausgangsform' als Femininum (z.B. krasí: Wein) sowie etliche Fremdwörter zur Gruppe: z.B. magazí: Geschäft, Laden, gaϊdoúri: Esel, krebáti: Bett, pantelóni: Hosen oder spíti: Haus) kekonn aus Zeitmangel nur gestriffen werden.
Weil man das Folgende in wenigen Griechisch-Deutschen Grammatiken findet (nicht, z.B., auch in der Curtius-Hartl-Schulgrammatik; in welcher überhaupt?) schreibe ich als

III) Zusatz B) Derivational morphology / Suffixation (from Holton, D., Mackridge, P. and Philippaki-Warburton, I. (1997): Greek / A comprehensive grammar of the modern language. Routledge: 519 pp.)
"Greek possesses a vast range of morphological elements which can be added to the stem of a word in order to modify its meaning or to form derivatives (mainly different parts of speech). Our treatment is necessarily selective...
  Diminutives express small size, familiarity, affection or, sometimes, depreciation. The following suffixes are commonly used to form diminutives of nouns:
-ákηs (attached to masculine nouns): kósmos > kosmákηs 'ordinary person, "the common herd"', and many masculine proper names, e.g. Giannηs > Giannákηs, Dηmήtrηs > Dηmηtrákηs, Kώstas > Kωstákηs.

-oúlηs (attached to masculine nouns): patéras > pateroúlηs 'dear father, daddy'. The suffix may also be attached to certain adjectives used as nouns, e.g. míkros > mikroúlηs 'youngster', chontrós > chontroúlηs 'little fat boy/man'.

-ítsa (attached to feminine nouns): mpíra > mpirítsa 'little beer', ώra > ωrítsa 'just an hour', and feminine proper names, e.g. Agnή > Agnítsa, Elénη > Elenítsa.

-oúla (attached to feminine nouns): adelphή > adelphoúla 'little sister', kárta > kartoúla 'little card', léxη > lexoúla 'little word', stigmή > stigmoúla 'brief moment', and feminine proper names, e.g. Dήmηtra > Dηmηtroúla > Roúla, Chrýsa > Chrysoúla. This suffix is sometimes also attached to adjectives used as nouns, e.g. xanthós > xanthoúla 'little fair-haired girl'

-áki (mainly – but not exclusively – attached to neuter nouns): prósωpo > prosωpáki 'little face', bapóri > baporáki 'little steamboat', trapézi > trapezáki 'little table, láthos > latháki 'little mistake'. It should be mentioned that masculine imparisyllabic nouns [in Singular und Plural verschiedene Silbenzahl] referring to things (...) add –dáki to the singular stem, e.g. kaphés > kaphedáki 'little coffee', and neuter nouns in –ma add –táki, e.g. grámma > grammatáki 'little letter'. Note also the addition of -g- to the stem in rolói > rologáki 'little clock/watch', tsái > tsagaki 'little [cup of] tea'.

Augmentatives express large size or admiration. A variety of different suffixes are used to form augmentatives (which are always masculine or feminine, never neuter); the following are among the most common:
-a (feminine, but often from neuter nouns), e.g. kephálη > kephála 'big head', koutáli > koutála 'big spoon', mpoukáli > mpoukála 'big bottle'

-ára (feminine): e.g. koilára 'big belly', trypára 'big hole'

-arás (masculine, denoting the male possessor of a quality), e.g. koilára > koilarás 'big-bellied man', douleutήs > duleutarás 'hard-worker'. The corresponding feminine nouns end in -oú ...

´-aros (masculine), e.g. paidí > paídaros 'big (handsome) lad', pódi > pódaros 'big foot', skýlos > skýlaros 'great big dog'

-ákla (feminine), e.g. phωnή > phωnákla 'loud voice', chéri > cherákla 'big hand'

-aklás (masculine, denoting the male possessor of a quality), e.g. phωnákla > phωnaklás 'loud mouth'. The corresponding feminine nouns end in –oú ...

´-aklas (masculine), e.g. ántras > ántraklas 'great big man'
(...)"
Titel: Re:antike Rhythmen
Beitrag von: Berthold in 2006-08-08, 13:21:05
Zitat von: Berthold in 2006-08-07, 16:23:47
The following suffixes are commonly used to form diminutives of nouns:
-áki (mainly – but not exclusively – attached to neuter nouns): prósωpo > prosωpáki 'little face', bapóri > baporáki 'little steamboat', trapézi > tra
pezáki 'little table, láthos > latháki 'little mistake'.
In Sonderfällen läßt sich selbst das Deminutivum -áki aus dem Altgriechischen (-ák)ion herleiten.
Z.B. Agr. skýlax, -kos, ho, hη (junges Tier, junger Hund, überh. Hund, poet. v. Kerberos) > Agr. skylákion (Hündlein) > Ngr. skyláki (kleiner Hund, Hündlein). Ngr. heißt der Hund skýlos, -ou m., die Hündin skýla, -as f. O skýlax, -kos bedeutet im Ngr. (hier ist es eine seltene Diekleinuß) - überraschenderweise - womit es auch Synonym zu skyláki und koutábi (Welpe) ist - to neognó tou skúlou (das Neugeborene eines Hundes).    

Titel: Re:antike Rhythmen
Beitrag von: Berthold in 2006-08-09, 19:46:55
Zitat von: Berthold in 2006-07-28, 14:24:16
Zitat von: Berthold in 2006-07-27, 21:07:02
Dort liob* ich
Nun aber der Kennjokus von 'lieben' - der 'Tizianische Kennjokus':
lieben, libst, libt, lib(e)!
K1: liabe, liabest, liabe, liaben, liabet, liaben
Prät., Ind.: liob
K2: liöbe
P.P.: geliuben
Herzlichst!
Der Berthold
Da las ich soeben wieder einmal in unserer wundersamen Verbliste:
'lieben - lab - lübe - geluben'. Wie? Was? - Nein, dafür bin ich überhaupt nicht! Bertl der Gast hält auch nichts davon. Brrr! 's ist gralß und weit weg von Poesie (so ahln wie damals 'ruhen - rah ...'): 'Ich lab eine Botanikerin und liebe sie noch immer/immer noch': So einfach darf solch wachtes Verb nicht abgespolen werden! Denkt auch an 'klieben' oder 'stieben'. Denkt weiters an 'laben', '(sich) belauben', 'leben', (sich) 'entleiben' und 'loben'. - Ich möchte jetzt gar nicht nachschauen.
Leider betalt ich selber einmal eine Sehrkurzgeschichte 'Verluben?' (>'Episches').  

Titel: Re:antike Rhythmen
Beitrag von: Agricola in 2006-08-09, 21:38:02
Zitat von: Berthold in 2006-08-09, 19:46:55
Zitat von: Berthold in 2006-07-28, 14:24:16
Zitat von: Berthold in 2006-07-27, 21:07:02
Dort liob* ich
Nun aber der Kennjokus von 'lieben' - der 'Tizianische Kennjokus':
lieben, libst, libt, lib(e)!
K1: liabe, liabest, liabe, liaben, liabet, liaben
Prät., Ind.: liob
K2: liöbe
P.P.: geliuben
Herzlichst!
Der Berthold
Da las ich soeben wieder einmal in unserer wundersamen Verbliste:
'lieben - lab - lübe - geluben'. Wie? Was? - Nein, dafür bin ich überhaupt nicht! Bertl der Gast hält auch nichts davon. Brrr! 's ist gralß und weit weg von Poesie (so ahln wie damals 'ruhen - rah ...'): 'Ich lab eine Botanikerin und liebe sie noch immer/immer noch': So einfach darf solch wachtes Verb nicht abgespolen werden! Denkt auch an 'klieben' oder 'stieben'. Denkt weiters an 'laben', '(sich) belauben', 'leben', (sich) 'entleiben' und 'loben'. - Ich möchte jetzt gar nicht nachschauen.
Leider betalt ich selber einmal eine Sehrkurzgeschichte 'Verluben?' (>'Episches').  


Bei so viel Monodia-log frage ich mich ja, ob eigentlich der Berthold dem Bert hold ist.  ;)

Um zu den antiken Metren zurückzukommen:

Um die Liebe

Liegend wir lauschen dem Laubesliede der Linde
  Labende Luft überläuft leise belebte Lippen.

– – /– – /– || – / – – / – vv / – v
– vv / – vv / – || – / vv – / vv –
Titel: Re:antike Rhythmen
Beitrag von: Berthold in 2006-08-10, 12:54:19
Zitat von: Agricola in 2006-08-09, 21:38:02
Zitat von: Berthold in 2006-07-28, 14:24:16
's ist gralß und weit weg von Poesie
Bei so viel Monodia-log frage ich mich ja, ob eigentlich der Berthold dem Bert hold ist.  ;)
Wir melancholischen Gemüter sind SO - als so nogte wie nutwongde Kehrseite: immer ein wenig selbstverliuben.
Froychl auch detailverliuben, selbstkritisch, skrupulös, ohlr bis zur Selbstschad...
Jedenfalls fiel mir auf, daß für 'gräßlich' 'gralß' zu wenig und somit grundfalsch ist. Besser ist wohl (mit rollendem 'r' und wie vorm Ausspucken geriebenem 'ch') 'gralchs'.
Sei indes herzlich bedanken für die Versform!
Und: Als echter Egomane säße ich nicht in einem derart schnal(c)ken Kammerl, ich wäre verstrorben bis oben hin, schriebe nicht in diesem Forum und hätte wohl meine Hupeileizaus* längst in der Tasche.

* besser: 'Hippeileizaus'
Titel: Re:antike Rhythmen
Beitrag von: AmelieZapf in 2006-08-10, 14:32:30
Hallo Berthold,

Zitat von: Berthold in 2006-08-10, 12:54:19
Und: Als echter Egomane säße ich nicht in einem derart schnal(c)ken Kammerl, ich wäre verstrorben bis oben hin, schriebe nicht in diesem Forum und hätte wohl meine Hupeileizaus längst in der Tasche.

Hupeileizaus... deine Sorgen memüge ich haben. Ich wlirk (das machen wir natürlich auch in der 1. Person unregelmäßig, siehe einen Deiner letzten Einträge) noch an meiner Pframiez... das hat aber bald ein Ende.

Grüße,

Amy

P.S.: Kilian, aufgepaßt: werkeln -- wlirkt -- wlark - wlärke - wlirk! - glewurken (Österreichischer Kennjokus)
Titel: Re:antike Rhythmen
Beitrag von: Berthold in 2006-08-10, 14:43:03
Zitat von: AmelieZapf in 2006-08-10, 14:32:30
Hallo Berthold,

Zitat von: Berthold in 2006-08-10, 12:54:19
Und: Als echter Egomane säße ich nicht in einem derart schnal(c)ken Kammerl, ich wäre verstrorben bis oben hin, schriebe nicht in diesem Forum und hätte wohl meine Hupeileizaus längst in der Tasche.

Hupeileizaus... deine Sorgen memüge ich haben. Ich werkle noch an meiner Pframiez... das hat aber bald ein Ende.

Grüße,

Amy
Liebe Amy!
Zu meinen Sorgen zählt die Hippeileizaus (Hipp! - eile ich nach Hause) nur ganz am Rande. Haffelnt hast Du mein Schreiben über die Sache mit dem Brief an Dich und das Sonderstückerl der Post gelesen. Früher wog fran in der Trafik ja etwas schwerere Briefe, was einem jetzt niemand mehr macht.
Härlchzest!
Der Berthold

Titel: Re:antike Rhythmen
Beitrag von: Agricola in 2006-08-10, 14:46:49
Kann mir hier mal jemand mit den Wörtern Pframiez und Hupeileizaus auf die Sprünge helfen? Ich stehe auf den Schlauch ...
Titel: Re:antike Rhythmen
Beitrag von: Berthold in 2006-08-10, 14:55:44
Zitat von: Agricola in 2006-08-10, 14:46:49
Kann mir hier mal jemand mit den Wörtern Pframiez und Hupeileizaus auf die Sprünge helfen? Ich stehe auf den Schlauch ...
Habilitation > (besser noch:) Hippeileizaus (Rec. narr.: 'Hipp! - eile ich nach Hause' - ein wenig Dialekt des Wiener Raumes, auch in der Variante zu folgendem Wort)
Promotion > Pframiez. Vielleicht auch Pfrühmies (Rec. narr.: Pf! - Rühme ich es?).  
Titel: Re:antike Rhythmen
Beitrag von: Berthold in 2006-08-10, 15:06:34
Zitat von: Agricola in 2006-08-10, 14:46:49
Ich stehe auf den Schlauch ...
Lieber Agricola!
Immer, wenn mein Institutskollege, der Kurt Polanec, in Japan weilt (Er kann mittlerweile sehr gut Japanisch.) habe ich mir in E-mails folgenden Witztyp erloben: Man rühmt irgendwas an der chinesischen Kultur. In Japan dagegen...
Es war nur Neckerei.

So finde ich es denn sehr gut, daß Du Dein Bild getoschen hast. Frug ich mich doch immer: Warum nimmt dieser liebe und grundgescheite Mensch ausgeronchen japanische 'Kalligraphie' - und wär's Bashô oder Buson?
Hätte er doch die Schrift irgend eines der großen chinesischen Meister verwonden: von Yan Zhenqing etwa, von Ouyang Xun oder von Liu Gongquan! Echte Kalligraphen!
Warum das Gekrakel der Japaner, die nicht einmal die Pinsel rachgt halten??  
 
Titel: Re:antike Rhythmen
Beitrag von: Agricola in 2006-08-10, 15:41:47
Zitat von: Berthold in 2006-08-10, 15:06:34
Zitat von: Agricola in 2006-08-10, 14:46:49
Ich stehe auf den Schlauch ...
Lieber Agricola!
Immer, wenn mein Institutskollege, der Kurt Polanec, in Japan weilt
Wo weilt er denn da?
Zitat von: Berthold in 2006-08-10, 15:06:34
So finde ich es denn sehr gut, daß Du Dein Bild getoschen hast. Frug ich mich doch immer: Warum nimmt dieser liebe und grundgescheite Mensch ausgeronchen japanische 'Kalligraphie' - und wär's Bashô oder Buson?
Hätte er doch die Schrift irgend eines der großen chinesischen Meister verwonden: von Yan Zhenqing etwa, von Ouyang Xun oder von Liu Gongquan! Echte Kalligraphen!
Warum das Gekrakel der Japaner, die nicht einmal die Pinsel rachgt halten??  
Als Ehepartner einer japanischen Kalligraphin kann ich dazu eigentlich gar keinen Kommentar abgeben, der würde sofort wegen Befangenheit abgelehnen. Aber die Frage, warum ich dieses Bild ausgewohlen hatte, lässt sich sehr einfach beantworten: Weil ich einen Beitrag für die Tankomanie bruch, und ich suchte einfach nach einem hübschen Tanka, das sich mit etwas Phantasie in konjunktivische Dichtung umsetzen ließ. Obwohl mir die Kalligraphie ganz gut gefiel, hatte ich sie überhaupt nicht nach ästhetischen Gesichtspunkten ausgewohlen.
Titel: Re:antike Rhythmen
Beitrag von: Berthold in 2006-08-10, 16:17:24
Ich weiß augenblalck nur, daß der Kurt die Tiere - das sogenannte Makrozoobenthos: die eher am oder im Gewässerboden lebenden, nicht allzu kleinen Tiere, mit Ausnahme der Fische - des Shimanto-Flusses bearbeitet. Ist dieser Fluß auf Shikoko? - Der Kurt verwendet dabei japanische Bestammsbücher - da kenne ich aus Europa wenig vergleichbar Gutes.
Selbstverstanlnd gibt es in Japan meisterhafte Kalligraphien (zumal ja die vereinfachenen Zeichen der Volksrepublik China oft weniger hermachen). Und gegenüber Deiner Frau weiß ich sicher & sowieso einen Pimperl. Nur: So etwa lief damals der Schmäh zwischen dem Kurt und mir. (Er läßt über Japan gar nix kommen.) Und daß ich wertende Urteile über andere Kulturen abgäbe, über die ich einen Lercherlschaaß weiß, das käme ja eh nicht vor.
Über Nigeria daherzuschwätzen und grad ein paar Büchln vom großen Chinua Achebe gelesen zu haben, das geht nicht an.
Titel: Re:antike Rhythmen
Beitrag von: Agricola in 2006-08-10, 16:30:45
Aus japanischer Sicht verhält sich chinesische Kalligraphie zur japanischen ungefähr wie die griechische und lateinische Literatur zur klassischen und modernen deutschen: Kaum jemand in der japanischen Kalligraphiewelt wird die wunderbaren klassischen chinesischen Kalligraphien geringschätzen, sie dienen regelmäßig der Stilübung, und viele sehr gute Kalligraphen halten sie für unerreicht. Aber es gibt eben auch viele klassische und moderne japanische Stilrichtungen, die in der chinesischen Kalligraphie überhaupt kein Vorbild haben. (Die Waka-Kalligraphie, von der ich ein Beispiel hier präsentiert hatte, ist dafür ein repräsentatives Beispiel.) Niemand, der halbwegs bei Sinnen ist, wird fordern, die deutsche Literatur abzuschaffen, nur weil er die klassische griechische und lateinische für überlegen hält.
Titel: Re:antike Rhythmen
Beitrag von: Agricola in 2006-08-10, 16:57:18
Zitat von: AmelieZapf in 2006-08-10, 14:32:30
Ich wlirk (das machen wir natürlich auch in der 1. Person unregelmäßig, siehe einen Deiner letzten Einträge) noch an meiner Pframiez... das hat aber bald ein Ende.
Liebe Amy,
was will denn die professionelle Pianistin mit der Pframiez? In welchem Fach? (Ich frage nur so aus Interesse ...)
Titel: Re:antike Rhythmen
Beitrag von: Berthold in 2006-08-10, 17:11:06
Zitat von: Agricola in 2006-08-10, 16:30:45
Aus japanischer Sicht verhält sich chinesische Kalligraphie zur japanischen ungefähr wie die griechische und lateinische Literatur zur klassischen und modernen deutschen: Kaum jemand in der japanischen Kalligraphiewelt wird die wunderbaren klassischen chinesischen Kalligraphien geringschätzen, sie dienen regelmäßig der Stilübung, und viele sehr gute Kalligraphen halten sie für unerreicht. Aber er gibt eben auch viele klassische und moderne japanische Stilrichtungen, die in der chinesischen Kalligraphie überhaupt kein Vorbild haben. (Die Waka-Kalligraphie, von der ich ein Beispiel hier präsentiert hatte, ist dafür ein repräsentatives Beispiel.) Niemand, der halbwegs bei Sinnen ist, wird fordern, die deutsche Literatur abzuschaffen, nur weil er die klassische griechische und lateinische für überlegen hält.
Das liest sich jetzt ein bißchen, als wäre den chinesischen Kalligraphen in späteren Tagen ein wenig die Puste ausgegangen.
Aber von chinesischer Gegenwartskalligraphie verstehe ich gar nichts.
Ich hab mich halt nur oft bemohen, Zeichen auch mit dem Pinsel zu schreiben und immer wieder einmal einen chinesischen Spruch auf eine Kaffeehausserviette zu pinseln oder als Buchwamd zu verwenden. Z.B. den folgenden Spruch:
生 龍 活 虎 輕 摇 蚊


Titel: Re:antike Rhythmen
Beitrag von: Agricola in 2006-08-10, 17:22:51
Zitat von: Berthold in 2006-08-10, 17:11:06
Zitat von: Agricola in 2006-08-10, 16:30:45
Aus japanischer Sicht verhält sich chinesische Kalligraphie zur japanischen ungefähr wie die griechische und lateinische Literatur zur klassischen und modernen deutschen: Kaum jemand in der japanischen Kalligraphiewelt wird die wunderbaren klassischen chinesischen Kalligraphien geringschätzen, sie dienen regelmäßig der Stilübung, und viele sehr gute Kalligraphen halten sie für unerreicht. Aber er gibt eben auch viele klassische und moderne japanische Stilrichtungen, die in der chinesischen Kalligraphie überhaupt kein Vorbild haben. (Die Waka-Kalligraphie, von der ich ein Beispiel hier präsentiert hatte, ist dafür ein repräsentatives Beispiel.) Niemand, der halbwegs bei Sinnen ist, wird fordern, die deutsche Literatur abzuschaffen, nur weil er die klassische griechische und lateinische für überlegen hält.
Das liest sich jetzt ein bißchen, als wäre den chinesischen Kalligraphen in späteren Tagen ein wenig die Puste ausgegangen.
Ob das so ist oder nicht wage ich nicht zu bewerten. Aber die Japaner (auch die meisten Kalligraphen) wissen von und interessieren sich für neue chinesische Kalligraphie ungefähr so viel wie die Deutschen für neugriechische Literatur. Der Vergleich passt also durchaus, aus japanischer Sicht eben. Das Entscheidende für die japanischen Kalligraphen ist eben nicht die Frage, ob es auch moderne Kalligraphie in China gibt, sondern die Tatsache, dass es in Japan eine eigene kalligraphische Tradition gibt, die einerseits auf der chinesischen Klassik aufbaut, andererseits aber seit der Heian-Zeit auch ganz eigene Formen entwickelt hat - insbesondere in der Frauenliteratur.
Titel: Re:antike Rhythmen
Beitrag von: Berthold in 2006-08-10, 17:38:39
Zitat von: Agricola in 2006-08-10, 17:22:51[Zur Kalligraphie:]
(... ) andererseits aber seit der Heian-Zeit auch ganz eigene Formen entwickelt hat - insbesondere in der Frauenliteratur.
Überhaupt soll ja die Hiragana von Frauen entwalcken worden sein. - Und - japanische Frauenliteratur aus alten Zeiten: Wenn Dir das 'Genji Monogatari' wirklich gefällt...? Das ist so reich als Kulturquell - und so halt... Aber ja! Jaa! - Als Österreicher bleibt mir da nur eine Antwort, die eh wieder alles umstößt: Seit 'Der Mann ohne Eigenschaften' habe ich nichts Faderes gelesen. Die 13 Bände von 'Grzimeks Tierleben' sind ein wahrer Genuß dagegen. Freilich die Hofdame Sei Shonagon? - Ja, die schon! Oder Märchen der Ainu (die zweidrei, von denen ich halt Übersötze ins Deutsche gelesen habe) - in Versen erzohlen. Jaa!! Berührend schön.
Titel: Re:antike Rhythmen
Beitrag von: Agricola in 2006-08-10, 18:02:45
Zitat von: Berthold in 2006-08-10, 17:38:39
- Und - japanische Frauenliteratur aus alten Zeiten: Wenn Dir das 'Genji Monogatari' wirklich gefällt...? Das ist so reich als Kulturquell - und so halt...
...
Freilich die Hofdame Sei Shonagon? - Ja, die schon! Oder Märchen der Ainu (die zweidrei, von denen ich halt Übersötze ins Deutsche gelesen habe) - in Versen erzohlen. Jaa!! Berührend schön.
Ich bin ohnehin nicht jemand, der alte japanische Literatur verschlingt (schon eher Gedichte), aber das Schöne an der klassischen japanischen Literatur ist ja der Nüancenreichtum der Sprache (insbesondere wenn emotionale und zwischenmenschliche Dinge geschildert werden) und die Vieldeutigkeit der Anspielungen (insbesondere der Spiel mit Homonymen etc.) - das sind Dinge, von denen bei der Übersetzung, wenn man Glück hat, nicht mehr als 90 Prozent verloren gehen.
Titel: Re:antike Rhythmen
Beitrag von: Berthold in 2006-08-10, 19:09:11
Da ich da was von den wundersamen Nüancen im Japanischen lese, nun, dann muß es sein. Teil 2 meines Leserbriefes zu Ôe Kenzaburos 'Tagame':
(N.B.: Nur wegen der paar chinesischen Zeichen habe ich den Text vergrorßen.)

"Hier noch eine kleine Ergänzung zu meinem Leserbrief vom 26. 7. 2006 (Zu 'Tagame' von Ôe Kenzaburo): Der Beitrag ist aber nur dann sinnvoll, wenn die wenigen chinesischen Zeichen nicht hinter öden Buchstaben-Zahlen-Pseudokodierungen verschwinden. Falls sie verschwinden, vergeßt meinen Text! Chinesisch zu schreiben, muß bei zeitgemäßer Kommunikation einfach möglich sein.
Da las ich in irgendeiner Kritik, in Ôes Roman solle auch ein Mensch als Text begriffen werden. Nun können aber auf Chinesisch oder Japanisch Schreibende noch stärker verdichten als Europäer, weil auch viele Schriftzeichen selber kleine Geschichten erzählen. Ganz sicher ist das bei der Weichschildkröte (鼈: bie1, bzw 王八: wang2 ba) der Fall. Die phonetische Komponente des Zeichens (敝: bi4: abgenutzt verdorben, kaputt) zeigt ein Tüchlein (巾 jin1: Tuch, Schal, Handtuch - auf dem Kopf als eine Art Turban oder auch - über dem Schambereich - als hängendes Stoffstück am Gürtel getragen), das von irgend jemandem zerrissen, zerfetzt wurde (vier Löcher oder Fetzen). Darunter lauert 黽: min3, die Kröte. Als Gesamtheit ist das schon ein gutes Bild für eine räuberische, bissige Schildkröte. Hier wird aber auch auf jene rechtsradikale Gruppierung angespielt, die die 'seidene' Zartheit (auch der Seelen) junger Menschen zu zerfetzen oder zu beschädigen imstande war. Über den letztens schon erwähnten wang2 ba kommen wir freilich auch zur sexuellen Komponente. Hier könnte das Zeichen etwa eine grobe Entjungferung darstellen. Über die homoerotische Beziehung zu einem Besatzungsoffizier schrieb ich ebenso wie über die Liebe des alternden Gorô zu einem sehr jungen Mädchen. Die Weichschildkröte ist in der Volksmeinung eben auch ein Symbol für 'ausufernde' Sexualität. Wang2 ba, der 'König acht' ist jemand, der auf die achte konfuzianische Tugend vergessen hat (忘, wang4 heißt vergessen), die Keuschheit. - Der Kampf gegen die Weichschildkröte ist nicht nur eine Auseinandersetzung mit Kogitos Vater und mit der rechtsradikalen Gruppe, der dieser vorstand, sondern auch ein Kampf gegen Gorôs und wohl auch Kogitos eigenen Schatten. In krasser, wenn auch unbeholfener Brutalität (der Intellektuelle und die Gewalt) wird gegen das angekämpft, was auch schon, verschlüsselt und verfeinert, im Schriftzeichen steckt.
Warum ich mich auf das Chinesische beziehe, da das doch ein japanischer Roman ist? Weil Ôe Kenzaburo davon schreibt, daß er/Kogito die Schildkröte allein mit einem großen, alten chinesischen - und nicht mit einem japanischen - Messer töten konnte. Heißt wohl auch ein bißchen: Liebe und gescheite Leser, mit Euren Deutungen: Ad fontes! Chinesisch! Hier hätte sich ein Kommentar empfohlen.
Wiederholen möchte ich, daß sogar die 'Lauerwanze' ('Tagame') 田: tian2 (Feld, Ackerland, Ackerboden. Japan: Reisfeld) 鼈: bie1 heißt.
Wäre vielleicht einmal interessant über die vielen Pflanzen und Tiere zu schreiben, die in einigen Ôe-Romanen wichtig sind."
     
Titel: Re:antike Rhythmen
Beitrag von: Agricola in 2006-08-10, 19:43:13
Zitat von: Berthold in 2006-08-10, 19:09:11
Wiederholen möchte ich, daß sogar die 'Lauerwanze' ('Tagame') 田: tian2 (Feld, Ackerland, Ackerboden. Japan: Reisfeld) 鼈: bie1 heißt.
In der Tat heißt sie so. Ob sie auch von Oe so geschrieben wurde? Die modernisierte Schreibweise ist ja 田亀, und 亀 ist nicht etwa die Simplifizierung von 鼈, sondern von 龜, da wäre der Bezug also weg. Im übrigen finde ich als Schreibvariante für Tagame auch 水爬虫.
Titel: Re:antike Rhythmen
Beitrag von: AmelieZapf in 2006-08-10, 20:08:03
Hallo Agricola,

Zitat von: Agricola in 2006-08-10, 16:57:18
was will denn die professionelle Pianistin mit der Pframiez? In welchem Fach? (Ich frage nur so aus Interesse ...)
Nun ja, einen Doktor vermult. Ich habe ja mal Biochemie studoren, nebenher immer Musik gemachen, bin dann zur Diplomarbeit in die physikal. Chemie abgewarnden (Flüssigkristalle, also lyotrope Mesophasen i.w.S) und die Doktorarbeit war quasi die Fortsatz davon. Dann or die Musik schnell zum Hauptberuf mut und die Doktorarbeit geriet in die Hintertruft. Dank eines großzügigen Arrangements mit meinem Doktorvater haben wir uns auf einen verlarngenen Zeitrahmen zur Fertigstall iengeegen, im Gegenzug habe ich auf die halbe Doktorandenstelle verzuchten.

Grüße,

Amy
Titel: Re:antike Rhythmen
Beitrag von: Agricola in 2006-08-10, 20:16:00
Zitat von: AmelieZapf in 2006-08-10, 20:08:03
Dank eines großzügigen Arrangements mit meinem Doktorvater haben wir uns auf einen verlarngenen Zeitrahmen zur Fertigstall iengeegen, im Gegenzug habe ich auf die halbe Doktorandenstelle verzuchten.
Ich glaube zwar zu ahnen, was Du meinst, aber es klingt trotzdem so, als hättest Du eine halbe Doktorandenstelle (die andere Hälfte nämlich) angenommen - oder ist es wirklich so?
Titel: Re:antike Rhythmen
Beitrag von: AmelieZapf in 2006-08-10, 20:27:15
Hallo Agricola,

Zitat von: Agricola in 2006-08-10, 20:16:00
Ich glaube zwar zu ahnen, was Du meinst, aber es klingt trotzdem so, als hättest Du eine halbe Doktorandenstelle (die andere Hälfte nämlich) angenommen - oder ist es wirklich so?

Nein, die halbe, die ich initial hatte, habe ich abgegeben und bin selbständig. Da habe ich mich vermißstalnd ausgedrocken.

Grüße,

Amy
Titel: Re:antike Rhythmen
Beitrag von: Berthold in 2006-08-10, 20:33:47
Zitat von: Agricola in 2006-08-10, 19:43:13
Die modernisierte Schreibweise ist ja 田亀, und 亀 ist nicht etwa die Simplifizierung von 鼈, sondern von 龜, da wäre der Bezug also weg.
Ja, so schreibt sich etwa der Tagame Gengoroh, dessen Werke mich, auf die ersten Blicke hin, an die vom Tom of Finland erinnern.
In meinem ersten Leserbrief geht es aber nicht um solche Nuancen, sondern darum, daß 'Tagame' mit 'Schildkäfer' und jene Schildkröte mit 'Suppenschildkröte' übersotzen worden sind. Dann nämlich bieten sich zu den zwei Tieren keine stamgmen Döyte. Daß die von mir angenommenen Döyte in Ôes Roman mitschwingen, das glaube ich schon.
Leider war ich damals nicht in Hall in Tirol, bei der Las von Ôe mit (Modewörter:) anschließender Diskussion. Ich hätte ihm einen aufgespoß'nen Lethocerus deyroll[e]i vom Wiener Nathurhistorischen Museo und ein Weichschildkröten-Photo (gewohnener Name: Trionyx sinensis) zeigen sollen. - Aber das ist nur noch ein 'Hättiwari'-Ansatz.
Titel: Re:antike Rhythmen
Beitrag von: Berthold in 2006-08-10, 20:49:42
Zitat von: AmelieZapf in 2006-08-10, 20:08:03
Hallo Agricola,
Nun ja, einen Doktor vermult. Ich habe ja mal Biochemie studoren, nebenher immer Musik gemachen, bin dann zur Diplomarbeit in die physikal. Chemie abgewarnden (Flüssigkristalle, also lyotrope Mesophasen i.w.S) und die Doktorarbeit war quasi die Fortsatz davon. Dann or die Musik schnell zum Hauptberuf mut und die Doktorarbeit geriet in die Hintertruft. Dank eines großzügigen Arrangements mit meinem Doktorvater haben wir uns auf einen verlarngenen Zeitrahmen zur Fertigstall iengeegen, im Gegenzug habe ich auf die halbe Doktorandenstelle verzuchten.
Grüße,
Amy
Das mit der zusaltzen Tasseurziehs in physikalischer Chemie, liebe Amy, das bewundere ich. Was heißt Punkt? - Rufezeichen - gleich drei davon: !!!
Anscheinend hab ich mich da irgendwie umgekohren entschieden, bin bei Musik und Texterei nie so ganz auf einen grünen Zweig gekommen. Auf der anderen Seite, so eine rachgt volle Verpflacht ist ja der Job auf der BOKU auch nicht.
Am 7.9., zu August Thienemanns 124. Geburtstag, wird's wieder ein Singerl & Leserl geben. Wahrschoylner Titel: 'Der Gigant von Gotha'.
Titel: Re:antike Rhythmen
Beitrag von: Berthold in 2006-08-11, 12:54:19
Zitat von: Berthold in 2006-08-10, 20:49:42
Tasseurziehs in physikalischer Chemie
's ist schwer mit der 'Dissertation' (Wien: Disidatßeaon/Dise...). Zur Not gingen auch: 'Tassarzaus' oder 'Tasseurzaus'. Letzteres Wort hat sogar einen schwachen rec. narr.: Bei einer Diss, da zausen sie dich auf's Gröbste. - 'Tas(s)e Urzaus'. Mit 'Tusse' zu beginnen, das verbietet sich. Ein Tasseur (um zum Ursprungswort zurückzukehren) kekünne etwa in einem 'noblichen' Café ein Kaffee- und Teekellner sein. Was der freilich ziehen sesülle? Lange Dissis/Disses/Dissen kekünnen vielleicht mit einem lang ziehenden, bitteren Tee verglichen werden.
Ich entschuldige mich für das noylere Selbstzitat, aber ich wewull einfach nochmals jenes Wort betrachten.  
Titel: Re:antike Rhythmen
Beitrag von: Berthold in 2006-08-11, 13:32:14
Zitat von: Agricola in 2006-08-10, 19:43:13
Im übrigen finde ich als Schreibvariante für Tagame auch 水爬虫.
Das heißt eygolnt nur Wasserkriechtier (Chinesisch).
水 爬 虫
爬 虫 sind Reptilien.
Titel: Re:antike Rhythmen
Beitrag von: Agricola in 2006-08-11, 13:37:51
Hat zwar mit antiken Rhythmen nicht mehr viel zu tun, aber bei einer Dissertation in physikalischer Chemie steht es vollkommen außer Frage, dass die letzten drei Buchstaben ein "Ion" bezeichnen. Die drei davorliegenden Buchstaben ergeben ebenfalls mühelos einen Sinn im Zusammenhang einer größeren Arbeit. Darüber, dass auch der Rest der Vokabel für die Doktorarbeit wie die Faust aufs Auge passt, musste ich mich erst von wikipedia belehren lassen, denn das gehörte noch gar nicht zu meinem Vokabular (http://de.wikipedia.org/wiki/Dissen_(Slang)).

Ein Dissertation ist also ein Ion, das durch die Tat eines Dissers hervorgebracht wurde. Damit werden insbesondere bisherige Forschungsleistungen der physikalischen Chemie heruntergemacht.
Titel: Re:antike Rhythmen
Beitrag von: Agricola in 2006-08-11, 13:48:57
Zitat von: Berthold in 2006-08-11, 13:32:14
Zitat von: Agricola in 2006-08-10, 19:43:13
Im übrigen finde ich als Schreibvariante für Tagame auch 水爬虫.
Das heißt eygolnt nur Wasserkriechtier.
水 爬 虫
爬 虫 sind Reptilien.
Steht aber in meinem großen Japanischlexikon als mögliche Schreibweise für "Tagame". Das ist sicher historisch belegt, allerdings gibt mein Lexikon für so etwas grundsätzlich keine Herkunftsnachweise. Solche Schreibweisen nennt man "Ateji" - eine "zugeteilte" Schreibweise für ein Wort, dass etymologisch gesehen mit dieser Schreibung nichts zu tun hat. Das Wort "tagame" scheint mir aus dem Bereich der "Yamatokotoba" zu kommen, also ein ursprünglich japanisches Wort zu sein, das somit keine ursprüngliche Schreibweise mit chinesischen Schriftzeichen hat.
Titel: Re:antike Rhythmen
Beitrag von: Berthold in 2006-08-11, 14:15:19
Danke! Ich hab eh vorhin beim Editieren*
noch '(Chinesisch)' dazugefogen.

* > Sprache - Singupluräle - Antwort #175
Titel: Re:antike Rhythmen
Beitrag von: Berthold in 2006-08-21, 17:36:25
Zitat von: AmelieZapf in 2006-07-26, 09:11:35
Stroh war auch der Auslöser für mein Stück. Ich hatte auch die Längen und Kürzen arverbitten, mit einem Verhältnis von 2:1. Es ergibt sich ein 11/8 mit 1/8 Auftakt:
16 16 |  8 16 8 16    8 8 16 16     8 16 16 16 16    8 (16 16) |
Grüße,
Amy
Wird toll sein mit dem 11/8-Takt! Froychl mir sicher zu komplizoren. - Mir ging gestern beim 'Dinch' zu meinen 'Schwarzgallverslein' so ein kotzordinärer Walzer oder Landler durch den Schädel. Kompositorisch ein lötiger Seich (weil ich da ja auch nix kann), aber wenigstens mit jenem hübschen Kontrast, daß der Einser auf einer kurzen, im Gedicht unbetunenen Silbe liegt. Außerdem läßt sich mit 'vv - -' besser ein Walzer bilden als mit Weinheberschen Daktylen: 'Hymnus auf den Kahlenberg / Nicht weil Du, glanzbewußt, / heute so vornehm tust, / weil du ein Wiener bist, / Berg, sei gegrüßt! (...)' (Anzahrpfannchs und Versgrenzen nicht ganz gewiß, da z.T. aus dem Gedächtnis zitoren.)
Ich sesülle meinen Text einmal der lieben Margit übergeben, der Frau, die seit über 20 Jahren mit mir musiziert und am Klavier nicht nur Bändigerin der schwarzweißen Bestie ist, sondern auch musikalisches Gewissen - und strikte Gegnerin meiner vielen unsauberen Töne.  
Titel: Re:antike Rhythmen
Beitrag von: Berthold in 2006-08-21, 21:15:21
Zitat von: Agricola in 2006-08-11, 13:48:57
Zitat von: Berthold in 2006-08-11, 13:32:14
Zitat von: Agricola in 2006-08-10, 19:43:13
Im übrigen finde ich als Schreibvariante für Tagame auch 水爬虫.
Das heißt eygolnt nur Wasserkriechtier.
水 爬 虫
爬 虫 sind Reptilien.
Steht aber in meinem großen Japanischlexikon als mögliche Schreibweise für "Tagame". Das ist sicher historisch belegt, allerdings gibt mein Lexikon für so etwas grundsätzlich keine Herkunftsnachweise. Solche Schreibweisen nennt man "Ateji" - eine "zugeteilte" Schreibweise für ein Wort, dass etymologisch gesehen mit dieser Schreibung nichts zu tun hat. Das Wort "tagame" scheint mir aus dem Bereich der "Yamatokotoba" zu kommen, also ein ursprünglich japanisches Wort zu sein, das somit keine ursprüngliche Schreibweise mit chinesischen Schriftzeichen hat.

VB: Heute einmal - wie sich der Berti die klassische japanische Höflichkeit (Solch Wort bleibe erhalten, so umstalnd, wie es halt ist!) vorstellt:

Dem ehrenwerten Herrn Agricola-sensei!
Jetzt kann es der Ehrenwerte wohl schon nicht mehr lesen, was der Nichtswürdige noch & noch herschreibt, aber meint Ihr nicht, daß 'tagame' von den hochwichtigen (kun)yamatensischen Wörtern 'ta' (=Reisfeld) und 'kame' (=Schildkröte) kommen kekünne? Das Ganze aber erschiene dem Ärmlichen weniger als ursprulng japanisches Wort als, zumindest inhlut, dem geschotz'nen Chinesischen nachgebolden (wobei es ja beim einfachen Landvolk Ausdrücke geben mag, die ihren Weg nicht in die harlre Schriftsprache fanden). Daß man in einer anderen Sprache (unabhang) auf die gleiche Idee kommen sesülle, eine Wanze als 'Reisfeld(weich)schildkröte' zu bezeichnen, erschiene dem Grundbescheidenen nicht recht wahrscheinlich.
Das bie1 (Weichschildkröte) läßt sich, wie sein erbarlm stückhaftes Internet- und Buchwissen molg zu sein dem Lausbuben vorgaukelt, im Chinesischen auf vier Arten (eine mit zusaltzer Vereinfachung) schreiben (eine davon fand er, mit schmutzicht-fatgten Fingern blätternd, nur in einem Wörterbuch des 'klassischen' Chinesisch - in jeder Hinsicht zu hoch für den nach wochenaltem Hosenschweiß Riechenden). Hauptvariante seinem unglaubwurgden Anscheine nach, mit dem 'Fisch'-Zeichen:

鱉, 鳖, 鼈, 龞. Die Schildkröte beim letzten Zeichen hat, der ganz unbetralchten Betrucht & Kenntnis des Lehrbuben nach, wohl ein Zipferl zu wenig. Dann gibt's eben noch die Variante - sie fehlt molgerweise sogar in der überragenden 'Unihan-Database' - mit dem Insekten-, Wurmzeichen 虫 unten. Da findet's der Kammerlsitzer - schwarz unter den Fingernägeln -, auf kindischem Niwóo, gleichwohl interessant, daß er zwei Zusammensötze, kurzsicht'gen Auges alnd doch sah, bei denen vielleicht (wie molgw. auch bei tian2 bie1) weiland (nur?) das Zeichen mit dem 'Insekt' verwendet ward.
Es handelt sich um: ma3 (馬) bie1, irgendeinen Egel. - Im Deutschen gibt es auch den Pferdeegel (Haemopis sanguisuga), wie er naseweis beizufügen sich herausnimmt.
- und um gou3 (狗) bie1, irgendeine Hundezecke (nach dem wundersamen Chinese-English Dictionary vom ehrenfesten Doktor Robert H. Mathews - dennoch ist solch Buch sofort schlecht, wenn es nur in die ungepflog'nen Hände des mit Mühe Schreibenden gelangt).

Mit bescheidenen Grüßen! - Doch in gewisser Bange, sich gleichwohl unbescheiden ausgedriucken zu haben:
Dero geringer, doch ölrer Bewunderer
Yan Bei Hou

Titel: Re:antike Rhythmen
Beitrag von: Agricola in 2006-08-23, 14:18:17
Das mit dem Zipferl ist offensichtlich eine Frage des Zeichensatzes. Mein Computer zu Hause zeigt mir den Strich, der in der Uni nicht. Das liegt sicher an der Zeichensatz-Voreinstellung.

Das zweite von den vier Zeichen ist nur eine abkürzende Schreibvariante (略字) des ersten. Das letzte Zeichen finde ich in meinem japanischen Zeichenlexikon nicht.
Das dritte Zeichen gilt nach den japanischen Lexikis als Standardform, das erste als 別體 desselben, das heißt als eine vollkommen gleichbedeutende abweichende Form, die deshalb nicht als eigenes Zeichen gewertet wird. In der Tat ist es überraschend, dass in dem Zeichen ohne Bedeutungsänderung die Schildkröte gegen den Fisch ausgetauscht werden kann.

Zur Herkunft von Tagame: Höchstwahrscheinlich ist dieses Wort von "ta" und "kame" hergeleitet, nur sind das ja japanische Wörter, die nicht ursprünglich mit chinesischen Zeichen verbunden sind. Schriebe man rein etymologisch nach den üblichen Schreibungen für die Bestandteile, müsste man 田龜 (bzw. modernisiert 田亀) schreiben. Es ist aber im Japanischen sehr häufig, dass Zusammensetzungen nicht etymologisch geschrieben werden, so z.B. mizu (Wasser) 水, umi (Meer) 海, aber mizuumi ([Süßwasser-]See) 湖, niemals 水海. Den alten Japanern war sehr bewusst, dass die Schriftzeichen für chinesische, nicht für japanische Wörter standen. Daher bemühten sie sich, die Zeichen auch für japanische Wörter so zu verwenden, dass die chinesische Schreibung der chinesischen Übersetzung entsprach. Das hatte (und hat immer noch) zur Folge, dass Wörter, deren Bedeutungsradius größer als derjenige der chinesischen Entsprechung war, je nach Kontext mit verschiedenen Zeichen geschrieben wurden und umgekehrt verschiedene japanische Wörter, die die gleiche chinesische Übersetzung haben, mit denselben Zeichen (in dem Fall muss der Leser nach dem Kontext entscheiden, welches japanische Wort zu lesen ist).

Diese übersetzungsartige Verwendungsweise betrifft nicht nur Einzelzeichen, sondern auch Zeichenkombinationen. Deshalb gibt es eine große Anzahl von Zeichenkombinationen im Japanischen, die als Kombination eine Lesung haben, ohne dass man sagen könnte, welcher Teil der Lesung welchem Zeichen zugeordnet werden kann. (Die Schriftreformen nach dem zweiten Weltkrieg haben den größten Teil dieser Kombinationen obsolet werden lassen, aber nach wie vor üblich sind z.B. 相応しい fusawashii, 貴方 und 貴女 anata, 今日 kyô, 昨日 kinô, 明後日 asatte usw.)

Natürlich hat diese intentionale Treue zum Original über die Jahrhunderte hinweg eine ganz eigene Tradition hervorgebracht, da die chinesischen Zeichen zu verschiedenen Zeiten (oder aus Quellen verschiedener Zeiten) und aus verschiedenen chinesischen Regionen ins Japanische übernommen wurden und diese Wörter und Schreibweisen in Japan und in China mehr oder weniger unabhängig von einander Bedeutungswandel erlebt haben. Wenn man alte japanische Literatur liest, ist es eher die Regel als die Ausnahme, dass man den Text zwar verstehen kann, aber nicht weiß, mit welchen japanischen oder chinesischen Vokabeln er zu lesen ist.

Es ist denkbar, dass 水爬虫 eine japanische Neubildung aus 水 und 爬虫 ist. Ich nehme mal an, dass die Reisschildkröten Wassertiere sind?
Titel: Re:antike Rhythmen
Beitrag von: Berthold in 2006-08-23, 15:07:18
Danke für die Mühe, Agricola-sensei! Hab's aufmerksam gelesen. Die Reisfeld(weich)schildkrötchen sind Wassertiere. Das bie1 scheint (auch bei ma4 bie1, dem Egel und gou3 bie1, der Hundezecke - bei beiden Wörtern hätte ich vermutet, daß sie 'ventral' mit dem Insekten-Würmer-Zeichen geschrieben wurden) bei allen Wörtern etwas Bissiges, Stechlustiges oder sonstwie Blutgieriges zu beinhalten - vielleicht auch etwas Abgefluchenes.
Gui1 (龜, bzw. 龟; im Japanischen auch 亀) ist im Chinesischen eher eine Landschildkröte; hochgewolb'ner Panzer; eher nicht bissig, nicht räuberisch - Typ wie (z.B.) die Griechische Landschildkröte (Testudo hermanni).
Ich nähme an, daß Ôe für Tagame zwar 'nur' Hiragana verwandte (müßtma halt nachschauen), daß aber der Hinweis auf das große, alte chinesische Küchenmesser auch auf Zusammenhänge mit dem und Doyte des Chinesischen ausdrücken soll. Auf den fischigen Geruch der Weichschildkröte weist der Schriftsteller ja auch hin. Und eine eifersguchte, moralisierende Vorstoll, die beim Hören der fast poyln genauen Schalder, was der Alte (und mag es zehnmal ein guter Freund gewesen sein) und die junge Frau da miteinander getrieben hatten, erschiene mir natlurerweise dabei zu sein, so ein: Da nähert sich diese alte Kröte dem zarten, jungen Wesen und zerfetzt ihm grob sein Seidentüchlein...
Titel: Re:antike Rhythmen
Beitrag von: Berthold in 2006-08-24, 18:55:15
Zitat von: Agricola in 2006-08-23, 14:18:17
Zur Herkunft von Tagame: Höchstwahrscheinlich ist dieses Wort von "ta" und "kame" hergeleitet, nur sind das ja japanische Wörter, die nicht ursprünglich mit chinesischen Zeichen verbunden sind. Ich nehme mal an, dass die Reisschildkröten Wassertiere sind?

물장군 (Mul-jang-gun), so heißt der 'Tagame' (Lethocerus deyrollei) auf Koreanisch. Mul heißt Wasser - und mehr von dem Wort weiß ich noch nicht.
Titel: Re:antike Rhythmen
Beitrag von: Agricola in 2006-08-24, 21:00:22
Zitat von: Berthold in 2006-08-24, 18:55:15
물장군 (Mul-jang-gun), so heißt der 'Tagame' (Lethocerus deyrollei) auf Koreanisch. Mul heißt Wasser - und mehr von dem Wort weiß ich noch nicht.
Für 장군 finde ich in meinem Koreanisch-Japanisch-Lexikon folgende zwei Vokabeln:

1. (anscheinend ein original koreanisches Wort) Ein traditioneller Behälter für Flüssigkeiten wie Wasser, Alkoholgetränke, Sojasoße etc.; auch Abkürzung für 오줌장군: Ein Transportgerät für Wasser etwa wie dieses: http://www.hakutsuru.co.jp/culture/siryokan/dogu5.html

2. Die sinokoreanische Lesung von 將軍, was entweder einen echten Shogun oder den Shogun im asiatischen Schach (Shogi) bedeutet.

Ich weiß nicht, ob das weiterhilft. Ich vermute, dass sich auf folgender Homepage
http://stagbeetles.com/cart/?doc=bbs/gnuboard.php&bo_table=news&page=1&wr_id=648
die passende Erklärung findet, aber um das zu übersetzen, müsste ich Stunden aufwenden, bei meinem rudimentissimären Koreanisch. Ich sehe nur, dass hier als Erklärung u.a.
물장군은 물속의 폭군이란 별명을 갖고 있다.
steht. Das heißt wohl sinngemäß, dass ein 물장군 eine andere Bezeichnung (별명=別名) für den im Wasser lebenden 폭군 (暴君) ist. Daraus wäre wohl mit etwas Phantasie zu schließen, dass 물장군 als 水將軍 zu lesen ist.
Titel: Re:antike Rhythmen
Beitrag von: Berthold in 2006-08-24, 21:28:10
Danke schön! Diese Wanze ist ja, für ein Insekt, auch gewuglt groß. Sie saugt selbst Fische aus.
Ich werde nun noch einmal in meinem dicken Koreanisch-Deutsch-Wörterbuch nachschauen, das ich mir (wie Deutsch-Koreanisch) einmal aus purem Jux & Luxus liest. Damals war das Minus auf meinem Konto noch weit geringer.
Titel: Re:antike Rhythmen
Beitrag von: Berthold in 2006-08-25, 21:19:20
Zitat von: Agricola in 2006-08-24, 21:00:22
Daraus wäre wohl mit etwas Phantasie zu schließen, dass 물장군 als 水將軍 zu lesen ist.
Speziell an den sehr geohrenen Agricola versuch ich eine (verorndene) Rekonstrukz/Rökunstrukz meines Textes:

Vor mir liegt ein wundersames Buch: Min Jung Seorms 'Essence' Koreanisch - Deutsches Wörterbuch (1981/1994). Es wird heute meine Hauptquelle sein. Nebenher black ich noch in den 'New Nelson', den 'Karlgren' (1898/1923/1974) und in chinesische (>Deutsch/English) Wörterbücher. Freilich ist erwohnenes koreanisches Wb. 'woos Bsundas': gestochen scharfe Miniaturbüchstäblein, Dünndruckpapier von angenehmem Duft, 2103 Seiten, kunstvoll gestaltene Kapitalen etc., etc. Für Wörterbuch-Schiß-FoetidInnen (Es muß auch tmetische Substantive geben; Geliebte von Lack, Leder, Samt & Seide mögen mir allesamt für die Verhonz ihrer Leidenschaft verzeihen!) ist jenes Diktschonéer ein Müßchen, - damit ins Bett zu gehen nämlich - wie ich's - obwohl sex. nahezu trugn normal und oft genug allein lebend - gestern auch tat. Zumindest nahm ich's auf eine Kautsch mit, welch Möbelstück mir seit meiner Psychoanalyse besonders vertrouwen ist.

So.

Nun an Dich, bester Agricola - und an alle, denen's halt nicht zu fad werden wird -, was ich fand:
A) 장군 (將軍): jang gun: 1) General, Feldherr, Oberbefehlshaber; 2) Schach (der!) - Das ist wohl jene Spielfigur, vielleicht auch ein asiatisches Schachzabel selbst.
Chinesisch 將軍 (jiang1 jun1) hat folgende Bedoyte, wobei uns 3) u. 4) angehen: 1) Schach bieten, 2) jn. in Verlegenheit bringen, 3) General, 4) hoher Kommandeur. Von den Silben dünken mich bei 將 hier 'führen, tragen, bringen' als die rechten Bedöyte, 軍 (der Streitwagen unter dem Schutzdach) heißt 'Armee, Heer', heißen die 'Truppen'. Dies ist also ein 'Führ'sheer'.

Es geht nun aber weiter mit zwei Zusammensötzen:

B) 장군목 (將軍木): jang gun mok. Allein stehend ist mok kein sinokoreanisches Wort. Es hat dann natlur auch kein Hanja - und bedeutet (z.B.) 'Hals, Kopf, Kehle, Gurgel'. In Zusammensötzen tritt froychl ein sinokoreanisches Wort (mit Hanja: 木) auf. Die engere Verwandtschaft dieser Silbe ist klar (aus Karlgren): Mandarin: mu4; Cantonese: muk; Ancient Chinese: muk; Japanese: boku, moku; tree; wood.
Wortbedoyt von 장군목: Querriegel am Palasttor ('Generalsholz, Feldherrenbalken').

C) 장군풀 (將軍 -): jang gun p'ul (phul): Eine Art Rhabarber (Rheum coreanum) ('Generalsgras, Feldherrnkräutel).
Jenes P'ul hat kein Hanja. Es bedeutet (z.B.) 'Gras, Kraut, Unkraut' und ist eines der Wörter, bei denen sogar eine Etymologie noch über das Proto-Altaiische hinaus(!) versochen wurde (russische Internetseiten - wahrschloyn ist das unten Stehende eine Schulmoyn). Bei den Diakritika muß ich ein bisserl improvisieren:

a) Korean etymology: Proto-Korean: *p`ïrh- 1) green, 2) grass
Middle Korean: ph`ïŕï-1, ph´ïr 2
Modern Korean: phurï-1, phul 2

b) Altaic etymology: Proto-Altaic: *p`Ō´le : wet, succulent, grass, plant
Turkic: *ōl; Tungus-Manchu: *pul-

c) Nostratic etymology (Ausschnitte - spannend ist das schon!):
Eurasiatic: *p.[Punkt überm p]VIV (was immer das heißen mag)
meaning: wash, flow
Indo-European: *plewә- (ә=e-haltiger Schwalaut, wird zumindest so geschrieben) (also some forms <*pelә-, perhaps also *palw- 'mud, swamp')
(Sieht für mich so aus, als wäre, nach dieser Lehrmoyn, der deutsche 'Pfuhl' (lat. 'palus') mit koreanisch 'phul' urverwandt!)
Uralic: *pilkV (*pülkv)
Dravidian: *pòl (cf. also Tamil 'pulumu', Telugu 'polampuni' - 'clean, wash').

Jene Wanze ist der 'Wassergeneral', womolg der 'Admiral', ein Name wie der unseres Schmetterlings - wenn auch aus anderen Gründen. Als größte wasserlebende Raubwanze Koreas und Japans steht ihr solch ein Name zu. In irgendeiner Internetseite las ich froychl, daß die Wanze auch 'der Gesetzlose' heiße - was vielleicht irgendwann (nun denkt Ihr wohl: Bloß nicht!) zu bearbeiten wäre.

Koreanisch mul (물) und japanisch mizu haben beide das Hanja/Kanji 水 (chinesisch: shui3: 'Wasser'). Die zwei Wörter wurden schon als Belege für eine Verwandtschaft zwischen Koreanisch und Japanisch (in ihren nicht aus dem Chinesischen oder anderen Fremdsprachen entlohnenen 'Stammwörtern') herangezogen.  

Herzlichst!
Der Berthold








Titel: Re:antike Rhythmen
Beitrag von: Agricola in 2006-08-25, 22:19:13
Danke für die doppelte Mühe. Die vokabulären Verbindungen zwischen asiatischen und europäischen Sprachen sind wirklich spannend. Ich habe mich gerade letztens von einem Studenten belehren lassen, dass "Yoga", "iugum" und "Joch" zusammengehöre. Hab's aber nicht überprüft, ob es stimmt. Aber das wäre ja vielleicht innerindogermanisch und deshalb weniger überraschend als das mit dem alten Teich in Deutschland, der mit dem koreanischen Gemüse so eng verwandt ist, dass man versucht ist, sich daneben zu setzen und zu warten, bis ein japanischer Frosch hineinhüpft.

Mein Koreanisch-Japanisch-Lexikon kennt zwar 장군풀 nicht, dafür aber noch 장군석 (將軍石, das sei dasselbe wie 무석인 武石人, so werde ich belehrt, ich stelle mir darunter ein Steinbild eines Militärführers vor) sowie 장군전 (將軍箭, einen eisenen Pfeil). Über das Zeichen 箭, das mir hier zum ersten Mal begegnet, belehrt mich mein japanisches Zeichenlexikon, dass es ursprünglich ein chinesisches Dialektwort sei, und zwar für die Region westlich von 函谷關, wo auch immer das sei. Dort habe man nicht 弓矢, sondern 弓箭 zu Pfeil und Bogen gesagt.
Titel: Re:antike Rhythmen
Beitrag von: Berthold in 2006-08-27, 17:46:59
Vielen Dank wieder einmal!

Das mit dem Chinesischen war von mir noch unvollstangd.
Neben 將 (jiang1) gibt es nämlich noch die Aussprache jiang4. Und der steckt auch in Deiner japanischen Silbe - obwohl meine Bedoyt und Aussprache des 將軍 (jiang1 jun1) schon rachgt war.
Jiang4 bedeutet: 1) General, 2) befehligen, kommandieren, leiten; - 3) - und jetzt kommt's: Oberbefehlshaber (höchste Figur der einen Seite im chinesischen Schachspiel - entspricht dem 帥 (帅) - shuai4, eine seltene Silbe - der Gegenseite.) Die beiden 'Könige' haben also im chinesischen Schach verschiedene Namen!
帥 heißt natulr: 1) Oberkommandierende[r],  Oberbefehlshaber - 3) Höchste Figur...
Dann steckt jiang4 auch in einem weiteren bekannten Spiel: 麻 將 - ma2 jiang4: das Mah-Jong[g]. Ma2 sind einige Faserpflanzen, z.B. Hanf, Sisal... Der 'Hanfgeneral' ist möglw. ein Sperling, da das Spiel auch 麻 雀 (ma2 que4) genannt wird. Das Zeichen que4 (Karlgren: Ancient [=Tang] Chinese, von mir fast ohne Diakritika geschrieben: ts'iak), das ich für lautmalend halte, weil es das Sperlingstschilpen schön nachahmt, wird für Sperlinge und Finken verwonden (Mac Kinnon & Phillipps, 2000: A Field guide to the Birds of China). Im Zeichen stecken 'klein, wagn' und 'Vogel' (ein anderer als 鳥 - 鸟: niao3). 麻 雀 ist am ehesten noch der Feldsperling (Passer montanus). Dieser kann davor noch einen Baum (樹 - 树 - shu4) stehen haben. Der Hausspatz (Passer domesticus) heißt 家 麻 雀 (jia1 ma2 que4).
   
Die etwas abentoylere Hypothese, noch über das (Ur-)Indoeuropäische und (Ur-)Altaische hinaus nach Verwandtschaften zu suchen, ist - ohne daß ich jetzt nochmals nachschiebe - eine modifizorene 'nostratische'. Ich glaube, daß dabei Verwandtschaften zwischen Indoeuropäischen, Ural-Altaischen (Türkisch, Mongolisch, Kalmükisch, Tungusisch...) Finnisch-Ugrischen und Dravidischen Sprachen gesochen wurden und z.T. auch hervorgetreten sind. Über das Semitische - bis hin zum Amharischen - und einige Kaukasussprachen (Georgisch), die bei der 'nostratischen Hypothese' auch genannt werden/wurden, fand ich in jenen Internetseiten nichts. Ich habe gestern auch in einem neuen Buch zu den 'Indoeuropean Languages' geblartten. Art des Buches: hulchndes Standardwerk. Mein Stil beim Blättern: Kaffeehaustheken(-budel)-Polyhistor. Der Autor steht der ugben Lehre sehr kritisch gegenüber und widmet ihr wagn mehr als einen Absatz.  'Adventurous minds' schreibt er - or something similar. Immerhin wären wir beim Eurasischen schon tief in der Steinzeit! Faustkeile und so. Da weiß man sowieso nicht, ob nicht auch krafgt gebriullen, gezuschen, geschnalzen & gepfiffen ward.

Ganz rachgt war wohl auch nicht, zu schreiben, 'phul' habe in Korea kein Hanja. Fürs Gegenwarts-Koreanisch dedörfe das gelten (außerdem glaube ich nicht, daß für 물 (mul) heute in (Süd)korea noch jemand 水 schriebe), aber bei Herrn W.G.A. Schmidt, 1990 (Einführung in die koreanische Schrift) lese ich, daß solcherlei vor der Erfand des Hangǔl (1446) ja nicht anders als mit einem chinesischen Zeichen geschrieben werden kekunn - entweder in 'bedeutungswertiger' (z.B. 水, shui3, als 물, mul gelesen) oder in 'lautwertiger' Las (z.B. 古, gu3, immer als koreanisch 'gu' gelesen, ohne Rücksicht auf die Bedoyt 'alt') (Lee, 1977: Geschichte der koreanischen Sprache). Ob es im Japanischen auch eine 'lautwertige Las' gibt, weiß ich nicht - oder ich habe Deinen Text schlecht in Erann[g]er.

In der Mittelschule ('Middle School', wahrschoyln 'Unterstufe') lernen die Kinder in Südkorea heute nur noch 900 Hanja - daneben vielleicht noch Hanja für Familiennamen. Dann gibt's da ein Buch mit '1.800 basic characters' (Grant, 2000), 'taught by order of the Ministry of Education since 1972 in all Korean middle and high schools'.
In Nordkorea wurden die Hanja vor 61 Jahren abgeschaffen.

     
   

   
Titel: Re:antike Rhythmen
Beitrag von: Agricola in 2006-08-27, 17:58:32
Zitat von: Berthold in 2006-08-27, 17:46:59
Ob es im Japanischen auch eine 'lautwertige Las' gibt, weiß ich nicht.
Oh ja, die gab es, und in einigen Schreibungen findet sie sich auch noch heute. Die japanischen Silbenzeichen sind ja Relikte solcher Schreibungen, sie stammen alle von chinesischen Zeichen ab, die lautwertig gelesen wurden. Die japanische Dichtung wurde vorwiegend in lautwertigen Schriftzeichen geschrieben, und das gilt auch heute noch für die Kalligraphie, sofern japanische Lyrik geschrieben wird.
Titel: Re:antike Rhythmen
Beitrag von: Berthold in 2006-08-27, 19:29:53
Zitat von: Agricola in 2006-08-27, 17:58:32
Zitat von: Berthold in 2006-08-27, 17:46:59
Ob es im Japanischen auch eine 'lautwertige Las' gibt, weiß ich nicht.
Oh ja, die gab es, und in einigen Schreibungen findet sie sich auch noch heute. Die japanischen Silbenzeichen sind ja Relikte solcher Schreibungen, sie stammen alle von chinesischen Zeichen ab, die lautwertig gelesen wurden. Die japanische Dichtung wurde vorwiegend in lautwertigen Schriftzeichen geschrieben, und das gilt auch heute noch für die Kalligraphie, sofern japanische Lyrik geschrieben wird.
Ich kekünne mir vorstellen, daß auch Chinesen, fiele ihnen einmal selber beim Schreiben ein Zeichen nicht ein, ein bekanntes mit der gleichen oder einer ahlchnen Silbe hinschrieben.
Erst vor kurzem bezwielf im Chinabeisel bei der BOKU eine sehr liebe Kellnerin (Ich hatte wieder einmal einen der klalchg wenigen chinesischen Sprüche, die ich kann, auf eine Papierserviette gepulnsen) daß man Drache (long2) rechts, weiter unten, mit drei waagrechten Strichen schriebe. 'Zwei', mien sie. Auf daß wir beide unser Gesicht bewühren, zieg ich ihr ein paar Tage später in einem Kalligraphiebüchl, daß der Drache mit drei (wie's in Wörterbüchern steht) oder zwei...

           

Titel: Re:antike Rhythmen
Beitrag von: Agricola in 2006-08-27, 19:50:10
Natürlich gibt es im Chinesischen auch die Verwendung von Zeichen zur Bezeichnung eines Lautes - zum Beispiel beim klassischen Konzept der 206 (oder später 106) 韻, bei denen eigentlich bedeutungstragende Zeichen (wenn ich es richtig verstanden habe) ausschließlich dazu verwendet werden, die Aussprache der hinteren Silbenhälfte zu bezeichnen. Sie dienen wohl hauptsächlich dazu, die Aussprache von unbekannten Zeichen zu bestimmen.
Titel: Re:antike Rhythmen
Beitrag von: Berthold in 2006-08-27, 19:55:40
Zitat von: Agricola in 2006-08-25, 22:19:13
Über das Zeichen 箭, das mir hier zum ersten Mal begegnet, belehrt mich mein japanisches Zeichenlexikon, dass es ursprünglich ein chinesisches Dialektwort sei, und zwar für die Region westlich von 函谷關, wo auch immer das sei. Dort habe man nicht 弓矢, sondern 弓箭 zu Pfeil und Bogen gesagt.
Das ist 箭, jian4 ('arrow, type of bamboo'). Ich finde dafür im Unihan-Verzeichnis zahlm viele Zusammensötze.
Titel: Re:antike Rhythmen
Beitrag von: Berthold in 2006-08-27, 20:08:14
Zitat von: Agricola in 2006-08-27, 19:50:10
Natürlich gibt es im Chinesischen auch die Verwendung von Zeichen zur Bezeichnung eines Lautes - zum Beispiel beim klassischen Konzept der 206 (oder später 106) 韻, bei denen eigentlich bedeutungstragende Zeichen (wenn ich es richtig verstanden habe) ausschließlich dazu verwendet werden, die Aussprache der hinteren Silbenhälfte zu bezeichnen. Sie dienen wohl hauptsächlich dazu, die Aussprache von unbekannten Zeichen zu bestimmen.
Fast 80% der chinesischen Zeichen sind derart doppelgestulgt, daß dem Radikal eine 'zweite Hälfte' zugefogen ist, die auf die Aussprache deutet. Father Wieger (auch Karlgren) hat neben den Radikalen auch ein paar hundert 'Aussprachezeichen' angefohren (die natulr auch selbst bisweilen als Radikale auftreten können): z.B. 馬 (ma3: Pferd) in öygnen Zeichen, die 'ma' ausgesprochen werden, mit Pferden aber nichts zu tun haben (oder doch?, ganz am Rande(?), beim Lernen...).
So können Chinesen auch von ganz unbekannten Zeichen sagen: gehört zu dem und dem Themenkreis (Oft dienen froychl Radikale eher dazu, daß sich Zeichen in Wörterbüchern finden lassen.) und wird wohl so (oder: etwa so) ausgesprochen.    
Titel: Re:antike Rhythmen
Beitrag von: Berthold in 2006-08-28, 18:05:58
Zitat von: Agricola in 2006-08-25, 22:19:13
Region westlich von 函谷關, wo auch immer das sei.
函谷關
1) Das ist der han2 gu3 guan1, der Han-Gu-Paß. Bei han2 finde ich 'Kiste, Schachtel, Brief' und bei gu3 'Tal, Schlucht'.
Die Lao3 Zi Legende von der Entstah des Buches (andere Zrinnschrapftz:) 'Taoteking' wird nach Moyn der Autoren oygner Internetseiten dort hin verlagert.
In Warlk kann man China nicht über den Han-Gu-Paß in die Verbunn verlassen. Der Paß liegt lagdlich an der Westgrenze des alten Staates Zhou, also noch 'mitten in' China.
Les ich halt, historischen Atlas hab ich keinen da.

2) Ein Herr aus dem 'China History Forum' weiß, wo jener Paß liegt/lag. Er schreibt:
"It is in Henan, about 30km southwest of Sanmenxia, along the Yellow River. I think it is very close to the modern city of Yuncheng. From my map, the approximate coordinates are 34°45' N and 110°55' E... You can get an idea of the region via google earth, but bear in mind that the landscape probably has changed a lot in 2000 years...

Francois"

Titel: Re:antike Rhythmen
Beitrag von: caru in 2006-08-28, 18:31:26
je nun. herr Laozi konnte Zhou über den Han-Gu-Paß verlassen haben... vielleicht war ihm das ja genug. und im westen leben sowieso die barbaren.

und wenn jiàn "pfeil" ein dialektausdruck gewesen sein soll, dann iert das ja schon impliz, daß westlich vom 函谷關 noch chinesischsprachiges gebiet war ;)
Titel: Re:antike Rhythmen
Beitrag von: Berthold in 2006-08-28, 18:38:35
Zitat von: caru in 2006-08-28, 18:31:26
je nun. herr Laozi konnte Zhou über den Han-Gu-Paß verlassen haben... vielleicht war ihm das ja genug. und im westen leben sowieso die barbaren.
und wenn jiàn "pfeil" ein dialektausdruck gewesen sein soll, dann iert das ja schon impliz, daß westlich vom 函谷關 noch chinesischsprachiges gebiet war ;)
Rachgt. - Die Legende läßt den Weisen froychl eher in Barbaristan verschwinden.
Ich find's aber toll, daß ausgeranchen die Lage eben dieses Passes (NW, ESE von Sanmenxia?) in einem anderen Forum diskutoren wird. Aber vielleicht fiel den Damen und Herren ja unser Faden auf?
Falls Ihr also zu unseren Gästen gehört, dann seid härchlzest gegriußen!
Der Berthold
Titel: Re:antike Rhythmen
Beitrag von: Agricola in 2006-08-28, 18:39:33
Zitat von: caru in 2006-08-28, 18:31:26
und im westen leben sowieso die barbaren.
Sane, barbari!
Titel: Re:antike Rhythmen
Beitrag von: caru in 2006-08-28, 18:42:08
das erklärt einiges. ich hab nämlich probiert, das ding in historischen atlässen zu finden, und das ging nicht. (moderne landkarten sowieso aussichtslos.)
Titel: Re:antike Rhythmen
Beitrag von: Berthold in 2006-08-28, 18:51:34
Zitat von: caru in 2006-08-28, 18:42:08
das erklärt einiges. ich hab nämlich probiert, das ding in historischen atlässen zu finden, und das ging nicht. (moderne landkarten sowieso aussichtslos.)
Da warst Du aber verfloxen fix. Zur Entsponn sesüllest Du vielleicht zweidrei Anananten verzehren.
Ich frag vielleicht den Herrn Jürgen Sieberer, der früher in der Sprachabtoyl vom 'Morawa' arbitt. Der Herr S. ist ein gewulgter Sammler alter Karten und Atlanten. Außerdem, ja, da fällt mir ein, ich hab selber irgend einen alten chinesischen Atlas (unter Büchern über Chinesisch aus einem Nachlaß) daheim.
Titel: Re:antike Rhythmen
Beitrag von: caru in 2006-08-28, 18:53:21
ich hab heut ins institut für sinologie geguck. da liegen auch atlässe rum.

(seit der herr sieberer da nimmer ist, sind eine anzahl sprachen bei morawa zusehends immer unterrepräsentierter. nur nebenbei.)
Titel: Re:antike Rhythmen
Beitrag von: Berthold in 2006-08-28, 19:05:13
Zitat von: caru in 2006-08-28, 18:53:21
(seit der herr sieberer da nimmer ist, sind eine anzahl sprachen bei morawa zusehends immer unterrepräsentierter. nur nebenbei.)
Na guut - oder auch nicht gut. - Aber da muß ich nun doch ralchtter die Damen vertreten, die jetzt dort sind. Und ich schreibe: der Umbau!
Titel: Re:antike Rhythmen
Beitrag von: Agricola in 2006-08-28, 20:04:10
Ich habe gerade einmal in das schlauste Buch geguckt, das ich zu Hause habe (国語大辞典) und finde folgenden Artikel (in ganz grobem Übersatz):

函谷関(關) かんこくかん (クヮン) Eine Grenzwachposten (関), der sich an einer für die Landesverteidigung günstigen Stelle auf dem Weg von der 華北-Ebene in das 渭水-Tal befindet. An einer von steilen Löss-Felsen umgebenen Stelle gebaut ähnelt er in der Form einem Kasten [daher das Zeichen 函]. Es gibt den von den 秦-Herrschern als östliche Schutzwache erbauten alten Posten (古関) im nordwestlichen Teil der 河南-Provinz, der heutigen 霊宝-Präfektur, und den von den 前漢-Herrschern in der 新安-Präfektur der 河南-Provinz erbauten neuen Posten (新関), das heutige 函谷関. Bei Sonnenuntergang wurde er geschlossen und mit dem ersten Hahnenschrei wieder geöffnet. Kurz auch 函関 genannt.

Es gibt demnach also einen Ort dieses Namens auch heute, aber bis zur früheren Han-Zeit war der Grenzposten an einer anderen Stelle.
Titel: Re:antike Rhythmen
Beitrag von: Berthold in 2006-08-29, 12:15:56
So g'scheite Bücher über das Großthema 'Ostasien, seine Sprachen und seine Geschichte' hat der Berti nicht. Oygnes steht ja in einem 'Wörterbuch des alten Chinesisch', wo die beiden verschiedenen Grenzposten sogar unter 1) und 2) aufzufinden sind. Weil ich viel anderes im Schädel hatte, wewull ich das gestern nicht mehr mühsagl übersetzen. Mein Chinesisch ist ja, trotz gelallgachnter Daherschwudrunur, eher sehr schlecht.

Etwas Interessantes aber fand ich doch noch, nachlm in meinem oygnzen Buch, wo auch was über chinesische Dialekte - mit Karte - steht (Norman, J., 1988/1999: Chinese.- Cambridge). Die Stadt Sanmenxia soll ja nur etwa 30 km vom Han-Gu-Paß entfornen sein (ob vom ersten oder vom zweiten, tut hier nicht allzu viel zur Sache). E von Sanmenxia - und heute in Henan - liegt Luoyang, einst die Hauptstadt des Zhou-Reiches. Ca. 50 km W von S. aber hat der Huang He (Wiener Baldsbürgerston: Hóang Ho) sein Hauptknie und biegt von N nach E um. - Er ist eine lange Strecke auch Grenze zwischen Shanxi (im E) und Shaanxi (im W). -
Just in der Gegend dieses Knies kommen  drei Gruppen des Norddialektes (Mandarin - bei3 fang1 hua4) zusammen!
Es sind dies:
das 'Northern Mandarin' (gesprochen etwa in Henan und Hebei - Auch der Beijinger Dialekt zählt dazu.),
das 'Northwest Mandarin' (gespr. etwa in großen Teilen von Shaanxi - das zur Zeit der 'Streitenden Reiche' zu Qin gehor - und Shanxi)
und das 'Southwest Mandarin' (gespr. etwa in einem kleinen S-Teil von Shaanxi - hier sind wohl auch hohe Gebirge die Dialektgrenze [z.B. Qin Ling / Tabai Shan: 3767 m, das ist etwa gleich hoch wie die Wildspitze in den Ötztaler Alpen] -, in Sichuan und Yunnan.

Das heißt, in der Nähe des Han-Gu-Passes (wohl eher des zweiten) ist heute noch eine wachgte Dialektgrenze.
   
     
Titel: Re:antike Rhythmen
Beitrag von: Berthold in 2006-08-30, 17:39:53
Zitat von: Berthold in 2006-08-27, 17:46:59
Über das Semitische - bis hin zum Amharischen - und einige Kaukasussprachen (Georgisch), die bei der 'nostratischen Hypothese' auch genannt werden/wurden, fand ich in jenen Internetseiten nichts.
Quatsch, Bertl! Jene russischen Internetseiten sind voll von Etymologien, auch von Sprachen, von denen ich noch nie etwas gehoren habe:
http://starling.rinet.ru/cgi-bin/main.cgi?root=config&morpho=0
Titel: Re:antike Rhythmen
Beitrag von: Agricola in 2006-08-30, 18:10:58
Hochinteressant! Man müsste hundertmal mehr Zeit haben im Leben ... Denke ich immer, wenn ich ans Sprachenlernen denke.
Titel: Re:antike Rhythmen
Beitrag von: katakura in 2006-08-30, 18:17:39
Zitat von: Agricola in 2006-08-30, 18:10:58
Hochinteressant! Man müsste hundertmal mehr Zeit haben im Leben ... Denke ich immer, wenn ich ans Sprachenlernen denke.

... ich schließe mich seufzend und heftig nickend dieser aussage an ...
Titel: Re:antike Rhythmen
Beitrag von: Berthold in 2006-08-31, 11:55:35
Zitat von: katakura in 2006-08-30, 18:17:39
Zitat von: Agricola in 2006-08-30, 18:10:58
Hochinteressant! Man müsste hundertmal mehr Zeit haben im Leben ... Denke ich immer, wenn ich ans Sprachenlernen denke.

... ich schließe mich seufzend und heftig nickend dieser aussage an ...
Ich auch.
Titel: Re:antike Rhythmen
Beitrag von: Berthold in 2006-09-01, 13:12:04
Lieber Agricola!
Fängst Du etwas mit diesem Text an, den mir ein Zuckmückenforscher zusandte?

医者のタイトルを導きたいと思うか?

クリスチャン

無料配達郵便物

Der Kurt Polanec fand heraus:
Denkst (Denken Sie), den Titel eines Arztes weiterzuführen?

Christian

Unentgeltliche Sond (??) Paket

Härchlzest!
Der Berthold



Titel: Re:antike Rhythmen
Beitrag von: Agricola in 2006-09-01, 13:19:01
Zitat von: Berthold in 2006-09-01, 13:12:04
Lieber Agricola!
Fängst Du etwas mit diesem Text an, den mir ein Zuckmückenforscher zusandte?

Hab' ich gerade in einen anderen Faden gestellt. Halte ich für eine SPAM-Mail.
Titel: Re:antike Rhythmen
Beitrag von: Berthold in 2006-09-01, 13:27:01
Zitat von: Agricola in 2006-09-01, 13:19:01
Zitat von: Berthold in 2006-09-01, 13:12:04
Lieber Agricola!
Fängst Du etwas mit diesem Text an, den mir ein Zuckmückenforscher zusandte?

Hab' ich gerade in einen anderen Faden gestellt. Halte ich für eine SPAM-Mail.
Lieber Agricola!
Nein, Spam-Mail war's wohl keine. Außerdem hab ich's vorher apkupforen.
Es war eine schnelle Antwort eines mir mit Namen bekannten Fachkollegen (Dr. Christian Frank aus, glaub ich, Berlin). Ich schack ihm vorher meine Einlud zu einem Lieder- und Vortragsabend. Da waren auch zwei Bilder dabei. Eines mit einer 'Kalligraphie' (eher einer braven 'Abschrift') eines Mao-Zedong-Gedichtes.
Viele Grüße!
Der Berthold
Titel: Re:antike Rhythmen
Beitrag von: Berthold in 2006-09-15, 21:49:20
1298 oder gar 1299 (21 : 49 : 20) Wjuus.
Meine Damen und Herren, ich bin or''ntlich gerohren.
Der Berthold
Titel: Re: antike Rhythmen
Beitrag von: Agricola in 2007-01-01, 01:29:51
Zum neuen Jahr habe ich folgendes verfassen (ganz unstarkverbig, ist auch eigentlich für ein anderes Forum (http://www.alcuinus.net/GLL/) geschrieben, aber als Sprachspiel passt es hier wohl auch!)

SACRIS APTA CANO VOTA APRIS DEDITVM AD ANNVM
ANNVM AD DEDITVM APRIS VOTA CANO APTA SACRIS

REGVLA
retro dicta mihi sint metris orba vel aucta!
aucta vel orba metris sint mihi dicta retro!

ANNO
cyclos, anne, facis nunc aprum prodere nobis
patronum; orta instans lux tibi mane nova est.
apris aprabus cedat vigilis canis inde!
inde canis vigilis cedat aprabus apris!
est nova mane tibi lux instans orta; patronum
nobis prodere aprum nunc facis, anne, cyclos.

CANI
petras, hirte canis, nunc apro credere debes!
debes credere apro nunc, canis hirte, petras!

APRO ET APRAE
agros orbis, aper, serva, collucrifer, horno!
patrona uncta adsis dehinc penetralis, apra!
apra, penetralis dehinc adsis uncta patrona!
horno, collucrifer, serva, aper, orbis agros!

GREGALIBVS
apro orbis cum principe abhinc accedite cursum!
cursum accedite abhinc principe cum orbis apro!

Übersetzung:

Ich singe (cano) Sprüche (vota), passend (apta) zum (ad) den heiligen (sacris) Wildschweinen (apris) gewidmeten (deditum) Jahre (annum). Zum Jahre, das den heiligen Wildschweinen gewidmet ist, singe ich passende Sprüche.

Regel (regula):
rückwärts (retro) Gesagtes (dicta, n.pl.) sei (sint) mir (mihi) bezüglich der Metren (metris) beraubt (orba) oder (vel) erweitert (aucta). Erweitert oder beraubt bezüglich der Metren sei mir das rückwärts Gesagte.
(Erläuterung: Jeder Vers ergibt vorwärts gelesen einen Hexameter, rückwärts gelesen einen Pentameter, oder umgekehrt. Dabei geht also ein Versfuß verloren oder erscheint neu. Das Bild vom geraubten Versfuß habe ich aus der Vorrede zu Ovids Amores entnommen.)

An das Jahr (anno, dat.sg.):
Oh Jahr (anne, voc.), du veranlassest (facis) nun (nunc), dass die Zyklen (cyclos) uns (nobis) das Wildschwein (aprum) als Schutzherrn (patronum) zu Tage bringen (prodere); dir (tibi) ist (est) das uns vor Augen stehende (instans) neue (nova) Licht (lux) am Morgen (mane) aufgegangen (orta). Den Ebern (apris) und Bachen (aprabus) weiche (cedat) der wachsame (vigilis) Hund (canis) von nun an (inde)! Von nun an weiche der wachsame Hund den Bachen und Ebern! Das neue Licht, das uns vor Augen steht, ist dir am Morgen aufgegangen; als Schutzherrn uns den Eber hervorzubringen veranlassest du nun, oh Jahr, die Zyklen.
(Anmerkung: Die Form ,,aprabus" anstatt von ,,apris" ist eine Schöpfung von mir, aber analog etwa zu ,,amicabus" und ,,servabus" im Paar mit ,,apris" unmittelbar verständlich.)

An den Hund:
Die Felsen (petras), struppiger (hirte) Hund (canis), musst du (debes) nun (nunc) dem Wildschwein (apro) anvertrauen (credere). Du musst dem Wildschwein nun anvertrauen, struppiger Hund, die Felsen!

An den Eber und die Bache:
Die Felder (agros) in der ganzen Welt (orbis), glückbringender (collucrifer) Eber (aper), beschütze (serva) in diesem Jahr (horno)! Als reiche/fette (uncta) Schutzherrin (patrona) der Innenräume (penetralis) sei anwesend (adsis) von nun an (dehinc), Bache! Bache, sei du von nun an bei uns als der Häuser Schutzherrin! In diesem Jahr beschütze du, glückbringender Eber, die Felder der Welt.
(Anmerkung: ,,collucrifer" ist meine Wortschöpfung aus ,,con" und ,,lucrifer" – gewinnbringend.)

An die Freunde:
Mit (cum) dem Wildschwein (apro) als der Welt (orbis) Vorsteher (principe) beschreitet (accedite) ab jetzt (abhinc) eure Pfade (cursum)! Eure Pfade beschreitet ab jetzt mit dem Vorsteher der Welt, dem Wildschwein!

Ermöglicht wird das Rückwärtslesen der Wörter durch die sehr freie Wortstellung im lateinischen Satz. Allerdings dürfen bestimmte Konstruktionen mit Präpositionen und Konjunktionen nicht verwendet werden, da sie eine bestimmte Wortstellung voraussetzen. Wenn man einen Hexameter konstruieren will, der bei umgekehrter Wortstellung zum Pentameter wird, besteht die eigentliche Schwierigkeit jedoch in der Anordnung der langen und kurzen Silben und der Zäsuren, die bei Hexameter und Pentameter unterschiedlich sind. Für die einzelnen Vokabeln sind die Längen und Kürzen lexikalisch in der Regel genau festgelegt. Es gibt allerdings wenige Ausnahmen sogenannter ,,anceps"-Silben, die wahlweise lang oder kurz gelesen werden können. (Die erste Silbe von ,,aprum" und die zweite Silbe von ,,mihi" kann zum Beispiel entweder lang oder kurz sein.) Außerdem ändert sich die Länge der letzten Silbe eines Wortes oft unter dem Einfluss des Anfangskonsonanten oder Anfangsvokals des folgenden Wortes, oder die letzte Silbe wird ganz elidiert. Dies geschieht aber auch nach festen Regeln, schafft also keine neuen anceps-Silben. Da ein Pentameter einen Versfuß weniger hat als ein Hexameter, müssen bei ihm also entweder Silben kürzer gelesen oder elidiert werden. Dafür sind die anceps-Silben wegen ihrer wahlweisen Verwendbarkeit zwar sehr praktisch, aber es gibt nicht viele Vokabeln mit anceps-Silben, und daher schränkt eine Konzentration auf anceps-Silben die poetische Freiheit zu sehr ein. Ausschließlich auf anceps-Silben beruht daher nur einer der obigen Verse, und zwar der unter ,,REGVLA" stehende. In ihm sind drei anceps-Silben enthalten (die ersten Silben von ,,retro" und ,,metris" und die zweite Silbe von ,,mihi"), die jeweils im Hexameter lang und im Pentameter kurz gelesen werden. Ohne Elisionen kommt sonst nur einer der Verse aus, nämlich der dritte Vers unter ,,ANNO". Er hat zwei anceps-Silben (die ersten Silben von ,,apris" uns ,,aprabus") und eine Silbe, deren Länge sich aufgrund des folgenden Wortes ändert (die letzte Silbe von ,,cedat" ist lang vor ,,vigilis" und kurz vor ,,aprabus"). Elisionen werden besonders intensiv im zweiten bzw. fünften Vers unter ,,ANNO" genutzt. Während die Hexameter-Version (der fünfte Vers) ohne Elision auskommt, werden in der Pentameter-Version die letzten Silben von ,,patronum" und ,,orta" und der Anfangsvokal von ,,est" elidiert. Dieser Vers kommt mit nur einer anceps-Silbe aus (der zweiten Silbe von ,,tibi"). Theoretisch müsste es möglich sein, einen solchen Vers auch ganz ohne anceps-Silben zu konstruieren, aber es wird dann extrem schwierig, die klassischen Zäsur-Regeln einzuhalten. Außerdem ist eine allzu starke Häufung von Elisionen unschön.
Titel: Re: antike Rhythmen
Beitrag von: Singularis porcus in 2007-01-01, 12:28:45
Sehr erfreulich, daß meinereiner da drin so oft und rühmlich erwähnt wird. Grunz!

Da gab's doch noch den beinah leoninischen Vers, den man zweimal untereinander schreiben kann, und dann ist's ein Distichon:

Quando nigrescit nox, rem latro patrat atrox;
   quando nigrescit nox, rem latro patrat atrox.


("Wenn die Nacht sich schwärzt, übt sein Werk der gräßliche Räuber;
    wenn sich die Nacht schwärzt, übt gräßlich der Räuber sein Werk.")



Jedenfalls:

agrICoLae VotIs, DeCeat qVae VersVs VterqVe,
   pIngVIs erIt CVnCtIs DeDItVs annVs apro!


:)
Titel: Re: antike Rhythmen
Beitrag von: Agricola in 2007-01-01, 13:00:54
Zitat von: Singularis porcus in 2007-01-01, 12:28:45
Sehr erfreulich, daß meinereiner da drin so oft und rühmlich erwähnt wird. Grunz!

Da gab's doch noch den beinah leoninischen Vers, den man zweimal untereinander schreiben kann, und dann ist's ein Distichon:

Quando nigrescit nox, rem latro patrat atrox;
   quando nigrescit nox, rem latro patrat atrox.


("Wenn die Nacht sich schwärzt, übt sein Werk der gräßliche Räuber;
    wenn sich die Nacht schwärzt, übt gräßlich der Räuber sein Werk.")



Jedenfalls:

agrICoLae VotIs, DeCeat qVae VersVs VterqVe,
   pIngVIs erIt CVnCtIs DeDItVs annVs apro!


:)

Genial! Sowas als Distichon ... Echt saumäßig gut.

Sowas ähnliches wie das obere Distichon habe ich auch einmal gemacht, aber unter einer anderen Prämisse: Dass sich nämlich, wenn sich die Längen und Kürzen ändern, auch die Bedeutung ändern soll. Hier ist's:

Distichon iuuenibus uersus facientibus dedicatum:

Aut leuis arte moris dic uoluere seri
Aut leuis arte moris dic uoluere seri

Der Vers ist folgendermaßem zu lesen:

Distichon iûvenibus versûs facientibus dêdicâtum:

Aut lêvîs artê môris dîc volvere sêrî
Aut "levis arte morîs" dîc "voluêre serî"
- - / - - / - || - / - - / - vv / - -
- vv / - vv / - || - / vv - / vv -

Übersetzung:
Ein Distichon, den jugendlichen Versemachen gewidmet:
Entweder (aut) sage (dic), dass du dich mit glatten (levis) [Versen] der ernsten Art (moris seri) innig (arte) beschäftigst (volvere)
Oder (aut) sage: [Verse] der leichten (levis) [Art] wollten (voluere) mit [meiner] Kunst (arte) den Zeiteinheiten (moris) gefügt werden (seri).

Nun gut, zugegebenermaßen ohne Erläuterung kaum verständlich und deshalb nicht mehr als ein absurdes Experiment. Aber dafür kommt der Vers ohne eine einzige Anceps-Silbe aus.
Titel: Re: antike Rhythmen
Beitrag von: Berthold in 2007-11-05, 19:43:41
Zitat von: Berthold in 2006-07-25, 17:49:39
(...) Einen Ornit(h)ologen. (Hier rutscht immer wieder, trotz ornis, ornitos, ein 'h' hinein.). Von Jugend an also erfahren mit Vögeln. (...)

Was? Ornis, ornitos? Und dawider schrie kein caru an (- wie an anderer Stell' sehr wohl)?
Lieber Bertl aus der Vergangenheit: Es heißt ornis, ornithos, glaub mir's!
Titel: Re:antike Rhythmen
Beitrag von: Berthold in 2015-06-23, 09:15:39
Zitat von: Agricola in 2006-08-24, 21:00:22
Zitat von: Berthold in 2006-08-24, 18:55:15
물장군 (Mul-jang-gun), so heißt der 'Tagame' (Lethocerus deyrollei) auf Koreanisch. Mul heißt Wasser - und mehr von dem Wort weiß ich noch nicht.
Für 장군 finde ich in meinem Koreanisch-Japanisch-Lexikon folgende zwei Vokabeln:

1. (anscheinend ein original koreanisches Wort) Ein traditioneller Behälter für Flüssigkeiten wie Wasser, Alkoholgetränke, Sojasoße etc.; auch Abkürzung für 오줌장군: Ein Transportgerät für Wasser etwa wie dieses: http://www.hakutsuru.co.jp/culture/siryokan/dogu5.html

2. Die sinokoreanische Lesung von 將軍, was entweder einen echten Shogun oder den Shogun im asiatischen Schach (Shogi) bedeutet.

Ich weiß nicht, ob das weiterhilft. Ich vermute, dass sich auf folgender Homepage
http://stagbeetles.com/cart/?doc=bbs/gnuboard.php&bo_table=news&page=1&wr_id=648
die passende Erklärung findet, aber um das zu übersetzen, müsste ich Stunden aufwenden, bei meinem rudimentissimären Koreanisch. Ich sehe nur, dass hier als Erklärung u.a.
물장군은 물속의 폭군이란 별명을 갖고 있다.
steht. Das heißt wohl sinngemäß, dass ein 물장군 eine andere Bezeichnung (별명=別名) für den im Wasser lebenden 폭군 (暴君) ist. Daraus wäre wohl mit etwas Phantasie zu schließen, dass 물장군 als 水將軍 zu lesen ist.

Nachwort - mit zoologischen Abschwiffen - die ich mir, da bekanntlich vom Fach, herausnehme:
Ich erinnere an unsere daehemaligen Ergüsse zu "Tagame" u. ä.; wild abgehobenes Getippsel das!! Gar entlegenes Wörterbuchwissen darunter!!! -> Bäröcker als selbst Opitzens "Schäferei von der Nymphen Hercynie" - - - Der Faden as a whole sei im Nachhinein
Herrn Ōe Kenzaburō (大江 健三郎; Großer Dan <> & Nobelpreisträger für Leidzerätz: 1994) gewomden. Zum 80. Geburtstag (* 31. 1. 1935). Ich wäre fast auf eine Veranstaltung Großmeister Ōes in Innsbruck geriesen, um ihn bezüglich "Tagame" und "Suppon"* zu befragen. (Die Übersetzerin, Frau Dr. Nora Bierich, hatte, im Gegensatz zu ihrer sonstigen Meisterschaft, bei beiden Wörtern unrecht! -> http://www.literaturkritik.de/public/mails/rezbriefe.php?rid=8925#607 ) Offenbar war ich aber damals schon pleite oder versoum den "Feuerwagen".
Siehe etwa http://verben.texttheater.net/forum/index.php/topic,957.msg18521.html#msg18521 "antike Rhythmen" - Antwort 119 eines gewissen, hochgelohr'nen Agricola und folgende - auch vorherige Beiträge.

*"Suppon" mit "Suppenschildkröte" wiederzugeben, ähnelt echt ein bißchen, aus dem Vogelnamen von unlängst (Mamijirotsumenagasekirei) das "Sekkieren" herauszulesen.
Etwas überraschend sind Netzbilder zu "Tagame". Ich weiß nun nicht, was Riesenwanzen (Belostomatidae) mit männlicher Homosexualität zu tun haben ... ? Na gut, ein Autor ist eben der Herr Gengoroh Tagame.
Die Beziench "Riesen(wasser)wanze" erscheint mir ugbrens etwas (Modewort:) unspezifisch. Das Weibchen der südmamerikanischen Art Lethocerus grandis (L., 1758) erreicht allerdings 110 mm Länge und 41 mm Breite!**
https://books.google.at/books?id=MmxIC5J5bb4C&pg=PA398&lpg=PA398&dq=Belostoma+grande&source=bl&ots=63JosvUDk9&sig=D_1xttFvO4rZqF3qKaTwVAWlRSk&hl=de&sa=X&ei=LCaJVZm5N-rCywP5gaCIAg&ved=0CEsQ6AEwCA#v=onepage&q=Belostoma%20grande&f=false
Zur Wanze paßt:
http://www16.ocn.ne.jp/~bunbukut/k...tagame.htm
Vor allem die verwandte Art Lethocerus indicus (Lepeletier & Serville, 1825) wird auch gegessen. Folgender Artikel enthält auch sprachlich Wichtiges (Vietnam, Thailand, Philippinen): https://en.wikipedia.org/wiki/Lethocerus_indicus

**Ich hätte diese Art für das größte Wasserinsekt gehalten. Ein Vertreter der Ordnung Megaloptera aus China ist allerdings zumindest länger und hat eine größere Flügelspannweite - 21 cm!*** : http://german.china.org.cn/china/2014-07/22/content_33022989.htm.   
Da mir Internet in diesem Falle als Quelle nicht genügt, habe ich die große Weltspezialistin auf dem Naturhistorischen Museum, Frau Dr. Ulrike Aspöck, angerufen. http://sdei.senckenberg.de/biographies/?befehl=Details&C_Name=877
Falls es Wissenswertes gibt, wird sie mich verständigen (und sei's in Prosa).

***Das ist sogar eine etwas größere Spannweite als die der Blaumeise (Cyanistes caeruleus (L., 1758) - 20 cm)!
http://www.brodowski-fotografie.de/beobachtungen/meisen-steckbriefe.html#blaumeise