Gesellschaft zur Stärkung der Verben

Öffentliche Bretter => Über die GSV => Thema gestartet von: Arnymenos (unlogged) in 2005-02-09, 15:27:48

Titel: Konsonantenverschiebung
Beitrag von: Arnymenos (unlogged) in 2005-02-09, 15:27:48
Zum Grusse!

Wenn das hier schon an anderer Stelle diskutiert wurde, moege man mir verzeihen, ebenso meinen tastaturbedingt (eher Faulheitsbedingt, denn ich koennte es umgehen) fehlenden Umlauten.

In der Liste der gestorkenen Verben tritt immer dann, wenn der Stamm auf syllabischen Liquid (-er-, -el-) oder Nasal (-en-) endet, eine Verschiebungen eben jenes Lautes in die erste Stammsilbe auf. Kurz in Fortfuehrung dieser Idee moechte ich zur Diskussion freigeben folgenden Vorschlag:

atmen - atme - omt/omp - oemt/p - amt/p! - geomt/p

Nun aber zu meinem eigentlichen Anliegen. Es scheint, dass diese Art der Verunstaltung des Stammes generalisierbar ist, da wir ja ein Muster erkennen, es fortsetzen koennen und gegebenenfalls erlernen. Dieses Erlernen kann nach meinen Dafuerhalten aber hoechstens im Zweitspracherwerb stattfinden. Lautvertauschungen sind im internationalen Sprachvergleich moeglich, aber selten. Da die deutsche Sprache dies in ihrer Geschichte nie getan hat (Gegenbeispiele bitte ich zu nennen), passt es nicht hinein. Man muss unterscheiden, was im Rahmen der Sprache moeglich ist, damit sie konsistent und erlernbar bleibt, und was sie grundlegend aendert.

Ich halte dafuer -- und stelle mich nach Eingang meiner Forumsanmeldungsbestaetigung der Diskussion -- dass diese Art der Konjugation muttersprachlich im Rahmen des Deutschen nicht erlernbar ist.

Arnymenos
Titel: Re:Konsonantenverschiebung
Beitrag von: amarillo in 2005-02-09, 16:21:44
Zitat von: Arnymenos (unlogged) in 2005-02-09, 15:27:48

Ich halte dafuer -- und stelle mich nach Eingang meiner Forumsanmeldungsbestaetigung der Diskussion -- dass diese Art der Konjugation muttersprachlich im Rahmen des Deutschen nicht erlernbar ist.

Warum sollte sie es denn sein müssen?

Mir persönlich gefällt Deine Atmung wirklich gut, nur das mit dem "p" kenne ich eigentlich als ein Problem der englischen Sprache.
Redeem -- redemption, assume -- assumption usw. Darüber gab es anfangs der 90er mal eine  lustige Glosse in Newsweek oder   Time.
Titel: Re:Konsonantenverschiebung
Beitrag von: Arnymenos in 2005-02-09, 16:46:09
Zitat von: amarillo in 2005-02-09, 16:21:44
Warum sollte sie es denn sein müssen?

Gute Frage. Zumindest hier werden die "gestorkenen" Formen ja verwendet. Darin einbegriffen sehe ich die Behauptung, dass das Ergebnis (Deutsch mit leicht veraenderter Konjugation) eine Sprache ist, die dem Deutschen in nichts nachsteht. Ist nun klar, warum ich Erlernbarkeit betrachte?
Titel: Re:Konsonantenverschiebung
Beitrag von: amarillo in 2005-02-09, 17:21:12
Nein

Was zumindestens ich hier treibe, ist reines Hobby. Der eine mäht gerne Rasen und gärtnert, andere häkeln Fensterbankschoner, wieder andere verprügeln ihre Ehegatten - jeder wie er will.
Aber Du glaubst doch wohl nicht, daß ich außerhalb des Rahmens meines Bildschirmes mich in wahrnehmungsfähigem Umfange des Gebrauchs gestorkener Verben befleißige - oder?

Ist doch schon schrullig genug, sich hier Gedanken über diese Dinge zu machen, die in Wirklichkeit so wichtig sind wie ein Loch im Knie. Draußen gilt man doch schon als banane, wenn man auch nur die regelmäßigen, aber korrekten, Formen des Konjunktiv II verwendet. Wer da wirkliglich so spräche: man bezächtöge ihn/sie des aufgewichenen Kekses und schäke ihn/sie in eine Anstalt für betrones Wohnen (und das zu recht).
Titel: Re:Konsonantenverschiebung
Beitrag von: Arnymenos in 2005-02-09, 17:38:58
Klar ist das was, womit man sich nicht auf der Strasse erwischen laesst. Andererseits wurden Sprachen fuer Filme wie Star Trek und den Herrn der Ringe erfunden/entwickelt, die sich auf linguistische Grundlagen stuetzen. "Gestorkene" Verben sind erstmal diejenigen, die sich klar an einem echten starken Beispiel anlehnen. Und der Rest... ?

Sieh' das mit der Erlernbarkeit nur als ein persoenliches Forscherinteresse meinerseits.
Titel: Re:Konsonantenverschiebung
Beitrag von: amarillo in 2005-02-09, 17:50:09
Viel Spaß beim Erlernen des Elbischen. Meine Tochter hat mir Weihnachten 2003 das Buch geschenkt, klasse Idee, ich habe auch einige Mußestunden damit zugebracht - Spaß war das nicht!
Tolkien hatte keinerlei humorvollen Absichten, das hat mich dann - leider - das Buch als ein zu trockenes beiseite legen lassen.

Aber andererseits: warum sollte man nicht eine ganze Kunstsprache entwerfen? Noch eine eben, die dann keiner lernt/spricht.
Zum Schluß könnte man sie ja Hollywood anbieten.  ;D
Titel: Re:Konsonantenverschiebung
Beitrag von: Arnymenos in 2005-02-09, 18:03:33
Okay, ich glaube, wir reden jetzt ueber das selbe. :)

Ich kann uebrigens nur ein paar Brocken Klingonisch (bzw. konnte es mal), kein Elbisch.

Als Sprachwissenschaftler frage ich mich eben, was eine natuerliche Sprache ist und was eine kuenstliche. Verben staerken ergibt eine Sprache, die sich nicht wesentlich von einer natuerlichen unterscheidet, also quasi-natuerlich ist. Aber ein paar Dinge von Dir und anderen scheinen mir diese schwer greifbare Grenze zu ueberschreiten.

Ich gebe mal ein Beispiel: Wir bilden das Perfekt, indem wir das Praesens rueckwaerts aussprechen (Freut die am Pali-(Sy)ndrom leidenden). Ist das eine Moeglichkeit, oder gibt es irgendwas, was jedem Menschen klar sagt (selbst dem zweijaehrigen, der gerade seine Muttersprache lernt), dass das totaler Unfug ist?

Und damit zurueck zur Eingangsfrage: Ist die Aenderung der Lautreihenfolge quasi-natuerlich oder nicht?


Oh, ich befuerchte, jetzt ist mal wieder nichts klar geworden. Wenn doch, bitte melden. *gg*
Titel: Re:Konsonantenverschiebung
Beitrag von: amarillo in 2005-02-09, 18:16:40
Ich fürchte, Du hast Dich schon prima verständlich gemacht. Aber mit mir fragst Du bestimmt den falschen.  Ich habe das hier irgendwann schon einmal gestanden: ich bin nur User, kein Systemmanager der Sprache.

Wenn Du Linguist bist, wirst Du viel tieferen Einblick haben, als ich.
Aber um Deinem Forschungsdrang ein wenig Nahrung zu geben: ich erwische mich schon einige male dabei, daß mir ein gestorkenes Partizip oder Präteritum über die Lippen will. Andere Formen muß ich immer wieder nachsehen, die prägen sich offenbar nicht so leicht ein (conjugatio duplex z.B.).

Schwierig finde ich die falsch-richtig Zuordnung, denn da ich das hier aus Jux betreibe, ist meine Toleranzgrenze doch sehr elastisch, und wenn ich mich gegen einige Anwendungen ausspreche, ist das nicht immer unbedingt um meiner tieferen Überzeugung Willen.
Titel: Re:Konsonantenverschiebung
Beitrag von: Arnymenos in 2005-02-09, 18:40:25
Hochinteressant! Besonders die unterschiedliche Bewertung dessen, was Du leichter lernst...

Mal ein paar Worte zu:

Sprachwissenschaftler, der: auch Linguist, nicht zu verwechseln mit: Duden-Redakteur, Sprachpfleger, Sprachlehrer. Beschreibt die -> Sprachen der Menschheit im Sinne einer exakten Wissenschaft. Versucht, Theorien zur Vorhersage der -> Grammatikalitaet oder Bedeutung von Saetzen aufzustellen und misst deren Erfolg an der Uebereinstummung mit dem Urteil einer repraesentativen Gruppe von Muttersprachlern.

Linguisten sagen nie "richtig" oder "falsch". Sie sagen "das kann ich erklaeren und das nicht". Manchmal sagen sie "das wird so in bestimmt keiner Sprache vorkommen". Manchmal versuchen Linguisten, die Grenzen der Sprache auszureizen, um endlich mal zu verstehen, was Sprache ueberhaupt ist. Und auch als Sprecher einer Sprache, wenn man damit spielt, haelt man sich an bestimmte Regeln, derer man sich aber ueberhaupt nicht bewusst ist. Es "klingt" einfach besser oder schlechter. Warum es so klingt, dass interessiert dann den Sprachwissenschaftler.

In einem anderen Thread wurden neue Substantive vorgeschlagen, und ihr habt versucht, Artikel zuzuweisen. "Das klingt maennlich", stand da. Dabei muss doch jeder Deutsche zugeben, dass das grammatische Geschlecht letztendlich nicht vorhergesagt werden kann.

Naja, das sind solche Fragen, wie ich sie mir stelle, seit ich nicht mehr unbedarft mit meiner Sprache rumeperimentiere, sondern bei fast jedem Wortspiel und vielen falschen Formen eine Erklaerung parat habe, auch weit ueber das hinaus, was man an sogenannter Grammatik im Duden etc. liest oder in der Schule gelernt hat.
Titel: Re:Konsonantenverschiebung
Beitrag von: amarillo in 2005-02-09, 20:07:59
Zitat von: Arnymenos in 2005-02-09, 18:40:25

..., sondern bei fast jedem Wortspiel und vielen falschen Formen eine Erklaerung parat habe, ...

Ich dachte ihr sagt nie richtig oder falsch ;D

Eigentlich wollte ich mir mein eigenes unbedarftes Herumalbern/Experimentieren mit der Sprache noch ein wenig bewahren, deshalb bin ich auch nur Philologe :'(
Titel: Re:Konsonantenverschiebung
Beitrag von: Arnymenos in 2005-02-09, 21:39:44
Erwischt. Sagen wir: "nach Schulbuchwissen falsch"

Denn wenn jemand was sagt und andere ihn verstehen, dann war's ja so falsch nicht.

Und mir als Linguisten sind natuerlich unbedarfte Sprachexperimentierer viel lieber, weil die eben nicht so denken wie ich, sondern frei Schnauze entscheiden, was gut klingt. Wenn man sich als Linguist laengere Zeit mit seltenen Formen beschaeftigt, findet man die irgendwann ganz normal. Kurzum: Das muttersprachliche Gefuehl stumpft ab.
Titel: Re:Konsonantenverschiebung
Beitrag von: gehabt gehabt in 2005-02-10, 08:42:16
Wo tankt man eigentlich Muttersprachliches Gefuehl? Aus dem Duden sicherlich nicht, aus der Glotze auch nicht und aus Gespraechen mit den meisten wohl auch nicht. Wenn ich manchmal etwas verwirrt bin vom vielen Dudenlesen und nicht mehr weiss, ob man eigentlich sagen darf oder nicht: "Er behauptet,  er waere der Kaiser von China", dann lese ich ein paar Seiten Thomas Mann. Dessen Deustch ist fuer mich per definitionem gut und richtig, egal ob es falsch oder richtig ist. Und dabei hatte der Mann nicht mal Abitur, habe ich irgendwo gelesen.
Titel: Re:Konsonantenverschiebung
Beitrag von: Arnymenos in 2005-02-10, 11:21:48
Man nennt es das "linguistic intuition repair centre", kurz LIRC. Dahin gehen alle Sprachwissenschaftler, die sich vor lauter Theorien nicht mehr sicher sind, was sie richtig finden sollen. Deswegen vertrauen sie ja auch nie ihrem eigenen Urteil, und auch fuer Beispiele in ihrer eigenen Sprache fragen sie lieber ihren Nachbarn, als selber einen Satz zu basteln.

Wo aber das LIRC steht, weiss keiner. Bisher ist niemand von dort zurueckgekehrt.

Ich habe frueher mal meine Schriftsprache aus den Gesammelten Werken Karl Mays genommen, etwa bis ich 11 oder 12 war. Und seitdem? Ich weiss es ehrlich gesagt nicht. Ich moechte behaupten eines "richtigen" Deutsch faehig zu sein, doch womit begruenden?

Sprache ist Konvention. Also ist verstanden werden das hoechste Kriterium. Auch dein Thomas Mann wird irgendwann von der Sprachrealitaet ueberholt, denn Goethe und Schiller war auch mal gutes und richtiges Deutsch, ebenso Grimm, ebenso Gottfried von Strassburg. Doch heute noch so sprechen ist unmoeglich.
Titel: Re:Konsonantenverschiebung
Beitrag von: gehabt gehabt in 2005-02-10, 12:36:30
Diese  Linguistische Reparaturwerkstatt muss ein Wunderwerk sein. Beispiel: Manchmal denke ich nach, welche Woerter eigentlich noch alles mit Genitivobjekt stehen koennen. Dann faellt mir eins ein, von dem ich mir 100% sicher bin, es geht. Ich bin mir aber auch sicher, das Wort habe ich im ganzen Leben nie aktiv gebraucht und habe es hoechstens ein, zwei Mal an obskurer Stelle gelesen. Das Merkwuerdige dabei ist, welch ein starkes Gefuehl das Sprachgefuehl ist: es ist ungefaehr so stark wie der Geruchssinn, der einem in den meisten Faellen eindeutig Auskunft gibt, ob ein Stueck Fleisch geniessbar ist oder ncht.
Titel: Re:Konsonantenverschiebung
Beitrag von: Kilian in 2005-02-10, 18:18:34
Willkommen, Arnymenos! :) Ich will mal das Meiste hier überspringen und nur auf den Anfangsbeitrag eingehen:

Zitat von: Arnymenos (unlogged) in 2005-02-09, 15:27:48
Da die deutsche Sprache dies in ihrer Geschichte nie getan hat (Gegenbeispiele bitte ich zu nennen), passt es nicht hinein. Man muss unterscheiden, was im Rahmen der Sprache moeglich ist, damit sie konsistent und erlernbar bleibt, und was sie grundlegend aendert.

Ich kann diese Unterscheidung zwischen "konsistenzerhaltenden" und "grundlegenden" Änderungen nicht recht nachvollziehen. Änderung ist Änderung, und die betreiben wir hier - aus Freude am Jux, ich schließe mich amarillo an. Ob sich nun z.B. eine erfundene Konjugation stark an einer wirklich bestehenden anlehnt oder zusätzlich das Moment der Konsonantenverschiebung hineinbringt - die Änderung ist nur mehr oder weniger umfangreich, vertrauter oder fremder, leichter oder schwieriger zu erlernen. Einen "Rahmen der Sprache", der hier klare Grenzen zöge, halte ich für ein wackeliges Konstrukt.

ZitatIch halte dafuer -- und stelle mich nach Eingang meiner Forumsanmeldungsbestaetigung der Diskussion -- dass diese Art der Konjugation muttersprachlich im Rahmen des Deutschen nicht erlernbar ist.

An sich halte ich sie für sehr gut erlernbar. Wenn ich wollte, könnte ich mir angewöhnen, sie im Alltag zu gebrauchen, und die Formen kämen mir intuitiv über die Lippen. Die Konsonantenverschiebung folgt in unserer Liste ja auch relativ festen Regeln. Es ist eine Frage von Beschäftung damit und Gewöhnung daran. Was du nun einschränkend unter "muttersprachlich" und "Rahmen des Deutschen" verstehst, bleibt mir ein wenig schleierhaft - siehe oben.

Ah, ich sehe gerade: Du hast die Grenze zwischen "natürlich/quasi-natürlich" und "künstlich" selbst als schwer zu fassen bezeichnet. Das ist sie in der Tat, deswegen bin ich dafür, sie überhaupt nicht zu ziehen. Ich weiß nur a priori, dass wir hier eine künstliche Weiterentwicklung der bestehenden deutschen Sprache vornehmen - ohne den Anspruch darauf, ein quasi-natürliches oder leicht erlernbares Ergebnis zu erhalten. Im Gegenteil: Wir wollen die Dinge ja gerade komplizorener machen! :D Die Motive hat amarillo ja erklärt.
Titel: Re:Konsonantenverschiebung
Beitrag von: Arnymenos in 2005-02-10, 18:51:14
Es gibt einen Ansatz zur Beschreibung von Sprache namens Optimalitaetstheorie bzw. optimality theory, der strenge Aussagen ueber Sprache macht. Damit verliert die Linguistik den Grossteil ihrer Beschreibungsfreiheit,der Raum moeglicher Sprachen wird enorm beschnitten. Und verwunderlicherweise funktioniert es: Alle Sprachen halten sich daran, mit der Ausnahme von fremdsprachlichen Kontexten. Also, wenn ich ein fremdes Wort originalgetreu aussprechen will, dann kann ich das (ich wuesste auch, wie ich das innerhalb der OT ausdrak (? ausdrueckte)).

Im Wesentlichen jedoch gibt es fuer jede Sprache exakt eine "Aussprachegrammatik", der alle Woerter unterliegen. Das nimmt man an, modelliert Sprachen dementsprechend, beraubt sich der eigenen Willkuer und erhebt so die Linguistik zur "ernsthaften" Wissenschaft.

Es gibt nun Neuerungen, die in die bestehende Sprache "passen". Ob ich nun "Backte" oder "buk" sage, oder gar analog "huk", das macht keinen Unterschied. Man muss hier sogar schon von Suppletivformen sprechen, fuer die keine Regeln mehr gelernt werden; es ist einfach so. So zum Beispiel echt Unregelmaessiges: sein-bin-war (dieses Wort geht auf drei verschiedene Staemme zurueck, die sich das Paradigma teilen. Keiner dieser Staemme darf Terrain der anderen betreten.).

Da die OT aber noch sehr neu ist (12 Jahre) sucht man immer noch fleissig nach guten Gegenbeispielen bzw. versucht sie zu verbessern. Es geht der OT um eine gute Umsetzung von Erkenntnissen aus der Psycholinguistik und der Spracherwerbsforschung. Was Kinder zuerst sagen, muss ja irgendwie "einfacher" sein. Mit der Zeit lernen sie die Aussprachegrammatik ihrer Muttersprache. Wenn sie dann auf die GSV treffen, werden sie einige Formen sehr amuesant finden, weil sie verstehen, wie ihr darauf gekommen seid. Anderes wie die Konsonantenverschiebung ist voellig neu, das gab es bisher nicht. Aber es koennte ja sein, dass das eine zufaellige Lucke der deutschen Sprache ist, und das Ableitungsregeln mit Konsonantenverschiebung genauso akzeptabel sind wie solche ohne. Niemand hat eine komplette OT-Grammatik des Deutschen; gaebe es sie, dann koennte ich schnell nachpruefen, ob Konsonantenverschiebung erlaubt oder verboten ist. Vielleicht ist sie auch unspezifizoren, weil bisher kein Sprecher/Hoerer damit konfrontoren ward.

Wenn ich sage, die Vergangenheit von "ich dichte" sei "ich bumm", waere das fuer euch moeglich? Und wenn nicht, WAS verbietet es? Da liegt mein noch junges Forscherinteresse.

Und ihr seid alle nur selbsterkorene Versuchskaninchen ;D Und ich bin jetzt auch eins... Die Maenner mit den weissen Kitteln kommen gleich, keine Sorge...

Titel: Re:Konsonantenverschiebung
Beitrag von: Kilian in 2005-02-10, 20:06:39
Sehr interessant, danke. Es kann also niemand überprüfen, ob Konsonantenverschiebung erlaubt ist. Dann können wir die Frage natürlich auch nicht beantworten. :D

Zitat von: Arnymenos in 2005-02-10, 18:51:14
Wenn ich sage, die Vergangenheit von "ich dichte" sei "ich bumm", waere das fuer euch moeglich? Und wenn nicht, WAS verbietet es?

Möglich ja, aber, und darauf willst du sicher hinaus, es bekäme keinen Platz auf unserer Liste. Was verbietet es? Meine Willkür als GSV-Vorsitzender, diktatorischer Webmaster - ich spreche auch gerne von der "Abteilung für Ästhetik und Originalität" der GSV, wenn ich Stärkungsansinnen, die mir schlicht und einfach nicht gefallen, zurückweisen will. ;) Im Fall von ich bumm wäre meine subjektive Grenze der Nachvollziehbarkeit und der Anlehnung an die bestehenden Konjugationsmuster überschritten. Auch der außenstehende Betrachter der Listen soll sich ja immer auch eine gewisse Erklärung für das Zustandekommen der erfundenen Formen zusammenreimen können.

ZitatUnd ihr seid alle nur selbsterkorene Versuchskaninchen ;D Und ich bin jetzt auch eins... Die Maenner mit den weissen Kitteln kommen gleich, keine Sorge...

Genau. ;D
Titel: Re:Konsonantenverschiebung
Beitrag von: gehabt gehabt in 2005-02-11, 09:13:58
In einem anderen Faden diskutoren wir, wie die deutsche Sprache zu ihrer Komplexitaet gekommen ist und kamen zu dem Schluss, dass es im Mittelalter eine Volkssprache gab und eine elitaere Gruppe von Klerikern, die dem Deutschen Ausdruecke und grammatikalische Formen aus dem Latein aufpfropften. Zunaechst hat dies niemand als Muttersprache gesprochen und es dauerte einige Zeit bis diese "von oben aufoktroyierten" (dreifach gemoppelt haelt besser!) Formen Teile der Muttersprache wurden.

Man koennte sich also denken, dass aus irgendeinem Grund diese Gesellschaft in Deutschland "in" wird und sich alle moeglichen Leute einen Jux daraus machen gestorkene verben zu gebrauchen und einige davon es schliesslich in den Duden schaffen, incl. omp.  

Mir scheint, die beschriebene Theorie ist eher etwas Statisches und vermag eine Sprache nur waehrend derjenigen Phasen zu beschreiben in denen es keine rapiden Aenderungen gibt.
Titel: Re:Konsonantenverschiebung
Beitrag von: Arnymenos in 2005-05-07, 17:39:58
Konsonantenverschiebung jetzt auch im Infinitiv:

ZitatSegeln, Banane fahren, surfen, tauchen oder schnorlchen stehen zur Wahl.

gefunden hier (http://www.partymoon.net/kalender/ausgabe_event.php?6205).[/color]
Titel: Re:Konsonantenverschiebung
Beitrag von: Kilian in 2005-05-07, 18:04:12
*shtüeclt den Kopf*
Titel: Re:Konsonantenverschiebung
Beitrag von: amarillo in 2005-05-07, 18:10:49
besinnungslos
Titel: Re:Konsonantenverschiebung
Beitrag von: Arnymenos in 2005-05-07, 18:10:51
Nicht beliebig, sondern nach dem hiesigen Muster. Sonst erwähnte ich es ja nicht. Also den Kopf bitte schültten.
Titel: Re:Konsonantenverschiebung
Beitrag von: Kilian in 2005-05-07, 18:15:01
Stimmt, das wäre viel passender gewesen. Hab ich gar nicht dran gedacht. In dem einzigen Chat, in dem ich früher mal regelmäßig verkohr, war das geschulttene schüttelt ein feststehender Ausdruck, daher. :)
Titel: Re:Konsonantenverschiebung
Beitrag von: MrMagoo in 2005-05-08, 21:18:39
Zitat von: Arnymenos (unlogged) in 2005-02-09, 15:27:48
Lautvertauschungen sind im internationalen Sprachvergleich moeglich, aber selten. Da die deutsche Sprache dies in ihrer Geschichte nie getan hat (Gegenbeispiele bitte ich zu nennen), passt es nicht hinein.


Aber sicher gibt es Lautvertauschungen auch in der deutschen Sprache - in der Konjugation zwar selten (oder gar nicht?), wohl aber in einigen Wörtern.
Es gibt z.B. die "r-Metathese", den Umsprung des Lautes "r" in verwandten Wörtern, Beispiele:

Brunnen - Born (häufig als Endung in Ortsnamen z.B. Paderborn)
Träne - Zähre (mit verschobenem t-->z und Wegfall des n)
Dorf (plattdt: Dorp) - Drup, Trop (meist als Endung in Ortsnamen: Bottrop)

Solche Lautumsprünge gibt's auch bei "l":
Blag - Balg
blöken - bölken usf.

Diese Formen können natürlich semantisch anders besetzt werden - dann erkennt man die Verwandtschaft auch nicht mehr so leicht...
Titel: Re:Konsonantenverschiebung
Beitrag von: MrMagoo in 2005-05-08, 21:22:52
Zitat von: amarillo in 2005-02-09, 17:21:12
Aber Du glaubst doch wohl nicht, daß ich außerhalb des Rahmens meines Bildschirmes mich in wahrnehmungsfähigem Umfange des Gebrauchs gestorkener Verben befleißige - oder?

"Gestorkener" vielleicht nicht, aber transformierter... man denke da an:

trinko
trinkas
trinka
trinkamos
trinkaís
trinkan  ;D
Titel: Re:Konsonantenverschiebung
Beitrag von: amarillo in 2005-05-08, 21:35:48
Schelm! ;D
Titel: Re:Konsonantenverschiebung
Beitrag von: MrMagoo in 2005-05-08, 22:07:32
Zitat von: Arnymenos in 2005-02-10, 18:51:14
Es gibt nun Neuerungen, die in die bestehende Sprache "passen". Ob ich nun "Backte" oder "buk" sage, oder gar analog "huk", das macht keinen Unterschied. Man muss hier sogar schon von Suppletivformen sprechen, fuer die keine Regeln mehr gelernt werden; es ist einfach so. So zum Beispiel echt Unregelmaessiges: sein-bin-war (dieses Wort geht auf drei verschiedene Staemme zurueck, die sich das Paradigma teilen. Keiner dieser Staemme darf Terrain der anderen betreten.).


Ich weiß zwar jetzt nicht genau, ob ich Dich richtig verstanden habe, daher frage ich mal nach: Was meinst Du bei "sein" mit: Keine Form darf das Terrain einer anderen Form betreten?
Heißt das, daß jeder Stamm für bestimmte Verbformen vorgesehen ist?
Dann muß ich Dir widersprechen (jedenfalls zum Teil):

Richtig ist, daß "sein" aus drei Stämmen besteht, die sich zu einem Paradigma vereinen. Im Standarddeutschen gelten folgende Regeln:

Die Form "bin" taucht auf nur in der 1. und 2. Person Singular Indikativ,
"sein" wird benutzt für die übrigen Präsensformen im Indikativ und den kompletten Konjunktiv I.
Alle restlichen Formen werden von "wesen" gebildet.

Aber jetzt:
Heutzutage ist dieses Paradigma zusammengesetzt, doch bildete früher das Verb "wesen" sein eigenes - vollständiges!! - Paradigma, wie jedes andere starke Verb auch.
"sein" und "bin" bildeten schon in früheren Zeiten nur Präsensformen, wobei ich mir fast sicher bin, daß "bin" einst ein "Präterito-Präsens" war, demnach also "bin, bist" Formen des Präteritums sind, zu denen es sicher mal ein Präsens gegeben hat. Damit gäbe es auch für "bin" ein vollständiges Paradigma.

Über "sein" vermag ich näheres über ein volles Paradigma nicht zu sagen, doch sind Formen für die 1. und 2. Person Präsens im Konjunktiv vorhanden, wenn nicht aus dem Indikativ gebildet, woher dann?! Das Präsens wäre somit vollständig.

Zu allen drei Stämmen gab's bis ins Mittelhochdeutsche noch Imperative (sei! wis! bis!), von denen sei! heute Standardform geworden ist, wis! und bis! sich v.a. mitteldeutsch aber noch mundartlich halten.
Ebenso ein Partizip2: "gesîn, gewesen" (ob's auch eins von "bin" gab, weiß ich jetzt nicht).

Es wurden also, wenn es doppelte Formen gab, diese auch durcheinander benutzt - demnach betreten diese Formen tatsächlich "fremdes Terrain".



ZitatWenn ich sage, die Vergangenheit von "ich dichte" sei "ich bumm", waere das fuer euch moeglich? Und wenn nicht, WAS verbietet es? Da liegt mein noch junges Forscherinteresse.

Natürlich wäre das möglich, NICHTS würde verbieten, daß "ich bumm" die Vergangenheit von "ich dichte" ist - warum nicht?
Weil Sprache auf Conventio beruht, also auf einem "code" - wenn Dein Gesprächspartner weiß, also gelernt hat (egal ob muttersprachlich oder fremdsprachlich oder aus Jux), daß "ich bumm" die Vergangenheitsform von ich dichte ist, dann klappt das ohne Probleme.

Der Fall liegt heute vor in dem Beispiel, das Du oben gegeben hast: "sein".
Wenn diese früher auch eigene Formen mit eigenen Paradigmen waren, heute sind sie nicht mehr als solche erkennbar.
Da ich irgendwann mal gelernt habe, daß "ich war" die Vergangenheit von "ich bin" ist und dies (flapsig gesagt) alles Formen sind von "sein", weiß ich auch, was mein Gegenüber meint, wenn er beispielsweise sagt "ich war krank".

Diese "Stamm"-Bildungen sind das älteste Wortbildungsprinzip der indogermanischen Sprachen.
Sprache hat einen Drang nach Ökonomie, tendiert dazu, einfacheren Bildungen den Vorzug zu geben, Paradigmen zu verregelmäßigen usw., daher ist dieses Stamm-Prinzip aufgegeben worden und durch die Flexion (maßgeblich: Ablaut) ersetzt worden - denn es ist einfacher, durch Abwandlungen einzelner Vokale eine neue Vergangenheit zu formen (ich binde - ich band), als sich dafür ein ganz neues Wort merken zu müssen (ich bin - ich war).

Das Verb "sein" ist ein letzter Rest dieser alten Bildungsweise, der sich deshalb so lange halten konnte, weil dieses Verb im täglichen Sprachgebrauch SO häufig verwendet wird, daß es nur schwerlich regelmäßige Formen annehmen kann.
Titel: Re:Konsonantenverschiebung
Beitrag von: Ly in 2005-05-08, 22:24:52
Zitat von: MrMagoo in 2005-05-08, 22:07:32

Richtig ist, daß "sein" aus drei Stämmen besteht, die sich zu einem Paradigma vereinen. Im Standarddeutschen gelten folgende Regeln:

Die Form "bin" taucht auf nur in der 1. und 2. Person Singular Indikativ,
"sein" wird benutzt für die übrigen Präsensformen im Indikativ und den kompletten Konjunktiv I.
Alle restlichen Formen werden von "wesen" gebildet.

Also könnte man - wie auf altenglisch z.B. - auch sagen "ich wese" oder "er bit" oder "wir seiten" (anstatt von "ich bin", "er ist" und "wir waren")? ???

Zitat von: MrMagoo in 2005-05-08, 22:07:32
Ebenso ein Partizip2: "gesîn, gewesen" (ob's auch eins von "bin" gab, weiß ich jetzt nicht).

Auf altenglisch gab es das: "gebeon". Wird hier wohl ähnlich gewesen sein ???
Titel: Re:Konsonantenverschiebung
Beitrag von: Arnymenos in 2005-05-08, 22:36:39
Die Formen von "sein" haben im Gegenwartsdeutschen keine Nebenformen anderer Stämme. Nun gut, du schriebst schon "ich wese", aber mehr ist mir da nicht bekannt. Ich wollte darauf hinaus, dass Suppletivformen erstarrt sind. So wird der Stamm der Formen "bin/bist" sich in Zukunft nicht zu einem Paradigma erweitern können. An einem Punkt muss ich mich revidieren: Offensichtlich wurden Formen von "wesen" und dem "in"-Stamm verdrängt. Wie das von Statten ging, wäre nun höchst interessant.


Das Vereinfachungsargument führt mich direkt zu einer Frage an dich: Denkst du, dass die Sprache unserer Vorfahren "schwieriger" war? "unregelmäßiger"? Mit mehr Suppletivformen?

Eine Eigenschaft von Sprache ist, dass sie für alles eine offene Klasse hat. Im Beispiel: Ein neues Verb ist immer zu einem Paradigma erweiterbar. Diese offene Klasse ist bei unseren Verben die schwache, und im Allgemeinfall sollte sie "regelmäßiger" sein als andere Klassen. Nur mit analogen Bildungen bzw. abstrakten Bildungsregeln (beide könnten auf das selbe hinauslaufen) kann man ein neues Verb für alle verständlich verwenden. Meine Behauptung ist, dass keine Sprache ausschließlich suppletiv arbeiten kann.
Titel: Re:Konsonantenverschiebung
Beitrag von: Ly in 2005-05-09, 15:53:55
Zitat von: Arnymenos in 2005-05-08, 22:36:39
Das Vereinfachungsargument führt mich direkt zu einer Frage an dich: Denkst du, dass die Sprache unserer Vorfahren "schwieriger" war? "unregelmäßiger"? Mit mehr Suppletivformen?

Gute Frage. Eigentlich ist es ja so, dass Sprachen mit der Zeit regelmäßiger und einfacher werden, wie man beim Übergang von altenglisch zu neuenglisch, Latein zu Italienisch, Koine zu Neugriechisch, etc. sehen kann. Und die Indogermanische Ursprache scheint noch viel schlimmer gewesen zu sein. Wenn nun aber Sprachen, je älter sie waren, auch komplexer waren, dann ist das auch irgendwie unlogisch, weil es für mich einfacher wäre, davon auszugehen, dass die ersten Sprachen simpler waren als die darauffolgenden. In einem Wort: Ich habe keine Ahnung.
Titel: Re:Konsonantenverschiebung
Beitrag von: Kilian in 2005-05-09, 15:56:32
Kann es vielleicht sein, dass Sprachen desto mehr zum Regelmaß neigen, je weiter sie verbritten sind und je offener die Sprachgemeinschaft ist?
Titel: Re:Konsonantenverschiebung
Beitrag von: Ly in 2005-05-09, 16:06:34
Im ganzen römischen Reich wurde zuerst Latein, dann Griechisch gesprochen. Beides nicht wirklich einfach...

Das Volk sprach zwar Vulgärlatein, aber ich kann mir denken, dass das auch nicht viel einfacher war...
Titel: Re:Konsonantenverschiebung
Beitrag von: Arnymenos in 2005-05-09, 16:21:17
Verbritten vielleicht nicht, aber im Verbritt ('der Ritt auf den Verben') befindlich. Um es in meiner Heimatsprache zu sagen: verbritte am werde.
Denn der Druck der Vereinfachung geht von den Sprachlernern aus. Was wir fließend beherrschen, müssen wir nicht vereinfachen. Läben wir ewiglich, verören wir das Deutsche immer Komplizer1. Sprachen müssen sich aber Generat für Generat als erlernbar beweisen.
Im äußersten Fall stehen sich die Sprache und mehrere Millionen Zweitsprachlerner (ohne Bildungsanspruch; ausländische Studenten sprechen oft ein sehr elaboriertes Deutsch, wie ich jüngst erlebte) gegenüber. Und dabei geht alles, was Regeln übertritt und einzeln gelernt werden muss, über Bord. Als erstes -- und das fällt kaum auf -- geht die Bildhaftigkeit drauf. Beispiel: Ich spreche zwar ein verständliches Englisch, aber die Bedeutung der meisten Idiome ist mir unbekannt. Ich kann sie einfach nicht verstehen, geschweige denn sicher verwenden.

Als Beispiel einer großen Sprachgemeinschaft können wir das Englische oder Spanische nehmen. Der radikale Vereinfuch der Morphologie des Englischen steht aber vor dem British Empire. Unsere Spanischkundigen wären jetzt auch nach ihrem Senf gefragt.
Das "internationale" Englisch muss regelmäßig sein; es ist eine Kunstsprache als Kompromiss einer großen Gemeinschaft, die es sich nicht erlauben kann, jedem diese Sprache mit voller Kompetenz beizubringen. Dagegen bilden sich lokale Dialekte als zwar eng verwandte, aber sich auseinanderentwickelnde Sprachen heraus. Diese Entwicklung wird durch gegenseitige Anlehnung verlangsamt (wie auch eine gemeinsame Schriftsprache den deutschen Sprachraum -- sehr zum leidwesen der Schweizer -- zusammenhält), findet aber statt. In Dublin waren wir Deutschen, die Iren und der amerikanische Prof oft uneins über seltene Konstruktionen.


Ly hat Recht: Glauben wir an die ewige Vereinfachung der Sprache, dann war homo erectus unglaublich intelligent, um derart komplex sprechen zu können. Eine umgekehrte Entwicklung wäre plausibler. Da müssen wir aber die verschiedenen Teilbereiche der Sprache betrachten:

Die Phonologie ist an unsere physischen Gegenbenheiten gebunden. Da dürfte sich seit dem ersten homo sapiens nicht mehr viel getan haben. Einige entlegene, aussterbende Sprachen erscheinen mir aber entsetzlich komplex in dieser Hinsicht (man google mal nach Nootka, das ist ein echter Dinosaurier unter den Sprachen. Die haben nichtmal transitive Verben... naja, fast). Das kann aber auch daran liegen, dass alles, was vom Gewohnten abweicht, fremd erscheint. Im Deutschen haben wir Kodakonsonantenkombinationen, bei denen es anderen Menschen die Sprache verschlägt ("(des) herbst(s)").

Syntax und Semantik sind immer so kompliziert wie die Gedanken der Menschen. Das stelle ich mal als These auf. (Genehm, manche reden geschwollener als sie denken können. Auch ich?) Da mag man jetzt spekulieren, seit wann der Mensch ein Vergangenheitstempus brauchte, weil er plötzlich in der Lage war über die Vergangenheit nachzudenken... oder über Ähnliches.

Signifikant zugenommen hat aber der Wortschatz, insbesondere der spät erworbene. Früher mag man mit 10 Jahren 90% der Wörter der eigenen Sprache getroffen haben, heute lernt man nie aus. Plötzlich erfährt man vom "Konklave" etc.
Es kann daran liegen, dass menschliche Sprecher heutzutage weniger Aufwand in andere Teile der Sprache stecken. Die Wörter werden mehr, rücken näher zusammen. Wir erfahren das täglich beim Verbstärken: Wir müssen aufpassen, dass sich neue Formen nicht mit alten überschneiden. Stammveränderungen mögen früher praktisch gewesen sein, heute ist der Stamm heilig im grenzenlosen Wortchaos. Dafür verwendet man dann -lichkeiten, um trotz einfachen Lautsystems und belegter Stammformen noch neue Wörter bilden zu können. Die Wortlänge ist nach oben offen. Wir vertreten ja die Ansicht, dass dies nicht das eleganteste Mittel sei. Aber es erweist sich momentan als das ökonomischste, in vielen Sprachen, die unter der Aufblähung des Wortschatzes leiden.



1) Das ist die Vergleichsform eines Substantives!!
Titel: Re:Konsonantenverschiebung
Beitrag von: Ly in 2005-05-09, 19:24:57
Zitat von: Arnymenos in 2005-05-09, 16:21:17
Als Beispiel einer großen Sprachgemeinschaft können wir das Englische oder Spanische nehmen. Der radikale Vereinfuch der Morphologie des Englischen steht aber vor dem British Empire.

Die schlimmste Vereinfuch (aus meiner Sicht eindeutig der Verlust von "thou" - welche andere Sprache ist derart radikal und schmeißt einfach die komplette 2. Person Singular raus?) fand aber erst im Empire statt. In den amerikanischen Kolonien wurde eine Zeit lang noch "thou" gesagt.

Zitat von: Arnymenos in 2005-05-09, 16:21:17
Ly hat Recht: Glauben wir an die ewige Vereinfachung der Sprache, dann war homo erectus unglaublich intelligent, um derart komplex sprechen zu können.

Vielleicht war es ja so, dass die Grunzlaute unserer Vorfahren immer komplizierter wurden, bis sie in Sanskrit, Latein, etc. ein Maximum an Schrecklichkeit erreichten, woraufhin ein rückläufiger Trend zur Vereinfachung einsetzte, auf den vielleicht, wenn wir wieder bei ganz stupiden Grunzlauten angekommen sein werden (Wie der Verlust der englischen Konjugation uns ja toll zeigt), wieder ein neuer Trend zum Komplizierten anfängt, und so weiter, und so fort.

Zitat von: Arnymenos in 2005-05-09, 16:21:17Einige entlegene, aussterbende Sprachen erscheinen mir aber entsetzlich komplex in dieser Hinsicht (man google mal nach Nootka, das ist ein echter Dinosaurier unter den Sprachen. Die haben nichtmal transitive Verben... naja, fast).

:o

Wie soll DAS denn gehen?

Zitat von: Arnymenos in 2005-05-09, 16:21:17
Das kann aber auch daran liegen, dass alles, was vom Gewohnten abweicht, fremd erscheint. Im Deutschen haben wir Kodakonsonantenkombinationen, bei denen es anderen Menschen die Sprache verschlägt ("(des) herbst(s)").

Das ist immer noch besser als die Bantusprachen, die den Klicklaut als eigenes bedeutungstragendes Morphem kennen. ;D

Zitat von: Arnymenos in 2005-05-09, 16:21:17

Syntax und Semantik sind immer so kompliziert wie die Gedanken der Menschen. Das stelle ich mal als These auf. (Genehm, manche reden geschwollener als sie denken können. Auch ich?) Da mag man jetzt spekulieren, seit wann der Mensch ein Vergangenheitstempus brauchte, weil er plötzlich in der Lage war über die Vergangenheit nachzudenken... oder über Ähnliches.

Klingt toll. Erklärt die Genialität griechischer Philosophen und die Dummheit der chinesischen Regierung. ;D
Titel: Re:Konsonantenverschiebung
Beitrag von: MrMagoo in 2005-05-09, 19:58:56
Zitat von: Ly in 2005-05-08, 22:24:52
Also könnte man - wie auf altenglisch z.B. - auch sagen "ich wese" oder "er bit" oder "wir seiten" (anstatt von "ich bin", "er ist" und "wir waren")? ???

Genau!
Die Verben waren bis ins Mittelhochdeutsche austauschbar - eine kleine Schwierigkeit: "wesen" ist, soweit ich weiß, in allen Formen überliefert, doch leider nicht alle Formen der von "sein" oder "bin", daher ist es schwierig, genauer anzugeben, inwieweit diese tatsächlich angewandt wurden.

Übrigens ist "wesen" ja bis heute nicht vollkommen ausgestorben:
Mit einem kleinen Bedeutungsunterschied "(meist: wie ein Geist) anwesend sein, umhergehen" gibt es 'wesen' noch immer, allerdings als schwaches Verb.
Titel: Re:Konsonantenverschiebung
Beitrag von: MrMagoo in 2005-05-09, 20:00:14
Mehr morgen, habe momentan nicht so viel Zeit... bis dann! ;)
Titel: Re:Konsonantenverschiebung
Beitrag von: caru in 2005-05-09, 20:17:57
ZitatKlingt toll. Erklärt die Genialität griechischer Philosophen und die Dummheit der chinesischen Regierung. ;D

chinesisch ist erst so simpel, seit es in die hände linker regierungen gefallen ist. zu kaisers zeiten war es viel, viel arbeit, die chinesische schriftsprache beherrschen zu lernen, heute kenne ich einen typen, der ohne sprachkenntnisse nach china fuhr und auf einer fahrradtour durchs land binnen monaten alles alltagsnotwendige aufschnappte.

manche kulturen verdummen gezielt.


Titel: Re:Konsonantenverschiebung
Beitrag von: Ly in 2005-05-09, 21:57:13
Zitat von: MrMagoo in 2005-05-09, 19:58:56
Zitat von: Ly in 2005-05-08, 22:24:52
Also könnte man - wie auf altenglisch z.B. - auch sagen "ich wese" oder "er bit" oder "wir seiten" (anstatt von "ich bin", "er ist" und "wir waren")? ???

Genau!
Die Verben waren bis ins Mittelhochdeutsche austauschbar - eine kleine Schwierigkeit: "wesen" ist, soweit ich weiß, in allen Formen überliefert, doch leider nicht alle Formen der von "sein" oder "bin", daher ist es schwierig, genauer anzugeben, inwieweit diese tatsächlich angewandt wurden.

Das ist ja genau wie auf altenglisch :D

Da waren beon, sindon und wessan auch absolut austauschbar - aber jedes der Verben war unvollständig - sindon und beon hatten weder Präteritum noch Konjunktiv II, sindon hatte keinen Imperativ, und sindon und wessan hatten kein Partizip Perfekt.


Zitat von: MrMagoo in 2005-05-09, 19:58:56Übrigens ist "wesen" ja bis heute nicht vollkommen ausgestorben:
Mit einem kleinen Bedeutungsunterschied "(meist: wie ein Geist) anwesend sein, umhergehen" gibt es 'wesen' noch immer, allerdings als schwaches Verb.

Das kannte ich gar nicht  :o

wesen - was - wäse - gewesen

Wie wär's? ;D Passt doch toll zu englisch und dem heutigen "sein"  :D
Titel: Re:Konsonantenverschiebung
Beitrag von: Kilian in 2005-05-09, 22:02:47
Zitat von: Ly in 2005-05-09, 19:24:57ein Maximum an Schrecklichkeit erreichten, woraufhin ein rückläufiger Trend zur Vereinfachung einsetzte

Aber wer könnte diesen Trend auslösen, wenn nicht die Fremdsprachlerner - indem sie mehr werden, z.B. indem die Römer immer mehr Völker unterwarfen. Oder indem sie Handelsbeziehungen suchten. Oder indem Wohlstand oder Glücksritter Schmelztiegel erschufen... ich glaube nicht, dass eine Sprache ohne solche Faktoren anfangen würde, sich zu vereinfachen. Eine isolierte Sprachgemeinschaft wird dagegen wohl der ideale Nährboden für eine Verunregelmäßigung sein, die solange anhält, bis die Nachkommen einer Generation nicht mehr mitkommen. Und dann bleibt die Sprache so unregelmäßig - das könnte das Nootka erklären...
Titel: Re:Konsonantenverschiebung
Beitrag von: Ly in 2005-05-09, 22:32:09
Zitat von: Kilian in 2005-05-09, 22:02:47
Zitat von: Ly in 2005-05-09, 19:24:57ein Maximum an Schrecklichkeit erreichten, woraufhin ein rückläufiger Trend zur Vereinfachung einsetzte

Aber wer könnte diesen Trend auslösen, wenn nicht die Fremdsprachlerner - indem sie mehr werden, z.B. indem die Römer immer mehr Völker unterwarfen. Oder indem sie Handelsbeziehungen suchten. Oder indem Wohlstand oder Glücksritter Schmelztiegel erschufen... ich glaube nicht, dass eine Sprache ohne solche Faktoren anfangen würde, sich zu vereinfachen. Eine isolierte Sprachgemeinschaft wird dagegen wohl der ideale Nährboden für eine Verunregelmäßigung sein, die solange anhält, bis die Nachkommen einer Generation nicht mehr mitkommen. Und dann bleibt die Sprache so unregelmäßig - das könnte das Nootka erklären...

Schon wieder dieses Nootka. Erklären, bitte. Jetzt bin ich neugierig  ;D
Titel: Re:Konsonantenverschiebung
Beitrag von: Kilian in 2005-05-09, 22:38:16
Äääh, ich hab keine Ahnung, ich hab nur Arnymenos nachgeplappert! ;D
Titel: Re:Konsonantenverschiebung
Beitrag von: Ly in 2005-05-09, 23:06:25
Zitat von: Kilian in 2005-05-09, 22:38:16
Äääh, ich hab keine Ahnung, ich hab nur Arnymenos nachgeplappert! ;D

+seufz+

http://en.wikipedia.org/wiki/Nootka#Language

Das da sieht schon mal abschreckend aus. ;D
Titel: Re:Konsonantenverschiebung
Beitrag von: gehabt gehabt in 2005-05-10, 09:39:29
Im Spanischen sehe ich keinen starken Trend zur Vereinfachung. Zum Ersten ist diese Sprache schon relativ logisch. Zum anderen stehen ich hunderten von Millionen von "native Speakers", die also die Sprache koennen *relativ* wenige gegenueber, die diese Sprache erlernen, und die das tun sind Studenten aber kein einfaches Volk mehr, seitdem die Kolonisation abgeschlossen ist. Desweiteren haben fruehere Kolonialregierungen in lateinamerika die Kultur recht "gleichgeschaltet". Viele sind der Meinung, dass man in den ehemaligen kolonien ein besseres Kastilisch spricht als auf der Halbinsel. Der Konjunktiv ist nicht vom Austterben bedroht und im Vergleich zum Deutschen sind bislang wenige engische Worter ins Spanische wirklich eingedrungen. Der Durchschnittspanier beherrscht jedenfalls seine Zeitenfolge und seinen Konjunktiv besser als der deutsche Durchschnittsnachrichtensprecher.
Titel: Re:Konsonantenverschiebung
Beitrag von: Arnymenos in 2005-05-10, 10:45:19
Nootka hat ja erfrischend übersichtliche Vokale *gg* Da haben die also gespart. Das Deutsche hat immerhin 16 plus vokalisches R (LehrER) plus 3 echte Diphtonge plus ca. 15 Diphtonge mit vokalischem R (i:r, Ir, e:r, ...).

Manche Sprachen können 1000 Silben bilden, und ich glaube es war Thai, das 25000 verschiedene Silben erlaubt. Das erechnet sich aus den erlaubten Silbenanlautskombinationen mal erlaubte Silbengipfel (Vokale) mal erlaubte Silbenauslaute. Längst nicht alle davon sind auch sinnvolle Wörter; das gilt für jede Sprache.


Stellen wir fest, dass Sprachen dann einfacher werden, wenn sie in Kontakt mit anderen Sprachen stehen (Pidgins, Kreolsprachen, keltisches Vulgärlatein, iberisches Vulgärlatein, italisches Vulgärlatein, Deutsch in Berlin-Kreuzberg)?

Oder ist es die Gesetztheit einer Sprechergemeinschaft, welche die Ecken und Kanten der Sprache langsam abschleift (Spanisch)?


Oder ganz anders gefragt: Wenn Sprachen immer nur einfacher werden, können wir uns dann in 200 Jahren noch unterhalten, und das überhalb des Blöd-Zeitungs-Niveaus?
Titel: Re:Konsonantenverschiebung
Beitrag von: versucher in 2005-05-10, 11:33:39
Eins davon wollte ich auch fragen: Ist Kreolisierung eine Vereinfachung? Schließlich sind die romanischen Sprachen auch Kreolisierungen des Lateinischen.
Und zur Einfachheit: Leute wie Wolf Schneider betreiben darüberhinaus eine (m. E. zweifelhafte) professionelle Vereinfachung der Satzstrukturen zugunsten einer "Verständlichkeit". (Er lobt einsilbige Wörter, aber das schadet der Vielfalt!)
Titel: Re:Konsonantenverschiebung
Beitrag von: Arnymenos in 2005-05-10, 15:05:17
best: steh erst verb
mach verständlich das, struktur von satz
ist frei von nicht nötig form
Titel: Re:Konsonantenverschiebung
Beitrag von: Ly in 2005-05-10, 15:05:43
Zitat von: versucher in 2005-05-10, 11:33:39
Eins davon wollte ich auch fragen: Ist Kreolisierung eine Vereinfachung? Schließlich sind die romanischen Sprachen auch Kreolisierungen des Lateinischen.

... und sehr viel einfacher als Latein.
Titel: Re:Konsonantenverschiebung
Beitrag von: Ly in 2005-05-10, 15:14:47
Zitat von: Arnymenos in 2005-05-10, 10:45:19
Nootka hat ja erfrischend übersichtliche Vokale *gg* Da haben die also gespart. Das Deutsche hat immerhin 16 plus vokalisches R (LehrER) plus 3 echte Diphtonge plus ca. 15 Diphtonge mit vokalischem R (i:r, Ir, e:r, ...).

Manche Sprachen können 1000 Silben bilden, und ich glaube es war Thai, das 25000 verschiedene Silben erlaubt.

Wieviele sind das denn bei uns?
Zitat von: Arnymenos in 2005-05-10, 10:45:19
Stellen wir fest, dass Sprachen dann einfacher werden, wenn sie in Kontakt mit anderen Sprachen stehen [...] Deutsch in Berlin-Kreuzberg?

;D ;D ;D

Ey guckstu habisch konkret fettes Vereinfachung!

Zitat von: Arnymenos in 2005-05-10, 10:45:19

Oder ist es die Gesetztheit einer Sprechergemeinschaft, welche die Ecken und Kanten der Sprache langsam abschleift (Spanisch)?

Also, mit meinem noch nicht mal ein Jahr alten Spanisch verstehe ich das Cantar del Mio Cid eigentlich überraschend gut...

Zitat von: Arnymenos in 2005-05-10, 10:45:19
Oder ganz anders gefragt: Wenn Sprachen immer nur einfacher werden, können wir uns dann in 200 Jahren noch unterhalten, und das überhalb des Blöd-Zeitungs-Niveaus?[/color]

Wenn es mit der Volksverdummung so weiter geht, wollen wir uns in 200 Jahren gar nicht mehr oberhalb des Bild-Niveaus unterhalten...
Titel: Re:Konsonantenverschiebung
Beitrag von: Arnymenos in 2005-05-10, 15:59:40
Okay, dann versuche ich die Frage mal zu beantworten: Wie viele Silben gibt es im Deutschen?

Eine Silbe besteht aus Anlaut, Gipfel und Auslaut (Onset, Peak, Coda im Angelsächsischen). Manchmal behandle ich etwas als einen einzelnen Laut, das aber nach zweien aussieht. Bei "z" und "x" seht ihr das Motiv dafür. Ich habe auch schon ein p mit Hacek gesehen, fürs pf :)

Im Anlaut stehen an Einzellauten (alle dt. Konsonanten außer N0: p,b,pf,f,w,m,t,d,ts,z1,S2,n,l,r,k,g,ks,C3,j. insg. 18
selten: tS
An Doppellauten: {p,b,pf,f,S,k,g}+l,{p,b,pf,t,d,S,k,g}+r, kn, Sn, tsw, kw
An seltenen Doppellauten: pn (Pneu...), tm (Tmesis), km (Khmer), wr (wringen, Wrack)
An Dreifachlauten: Str,Spr,Spl
Einige davon sind sehr selten, andere kommen nur in Fremdwörtern vor. Rechnen wir mit ca. 40.

Im Silbengipfel stehen die oben aufgelisteten Vokale und Diphtonge, also ca. 20 (das r behandeln wir mal als Konsonanten; dafür kommt vielleicht das "ey" bald in unserer Sprache an).

Im Auslaut wird's kompliziert. Der ist bekanntlich verhärtet:
Einfach: p,pf,f,m,t,ts,tS,s,S,n,l,r,k,ks,C/x4,N. insg. 16
Doppelt: {r,l}+{p,f,m,t,ts,s,S,n,C}, ft, m+{p,pf,t,s,S}, rl, {C,kt,ks,p,s,S}+t, n+{t,ts,s,C}, Nk. insg. 35
selten: sp

Ein paar Beispiele für noch mehr:
Dreifach: {r,l,m,n,p,C,N}+st
Vierfach: rnst, rpst
Da steckt dann oft WortFORMbildung dahinter, wir können also keine neuen Stämme daher kriegen. Echte Stämme mit so vielen Konsonanten sind (relativ) selten; deswegen zählen wir die mal nicht mit, und rechnen mit ca. 50.

Ohne all das, was ich vergessen habe, können wir ca. 40x20x50 = 40.000 Silben bilden. Dabei sind sehr viele unaussprechbare, weil ich Gipfel und Auslaut nicht voneinander abhängig gemacht habe ("Baunk" geht nicht, oder?). Es sind aber erschreckend viele. Ich hätte auf maximal die Hälfte getippt.


Uff! Das war eine schwere Geburt. Ich brauche eine Pause.



0) ng
1) stimmhaftes s
2) sch
3) (i)ch
4) (a)ch
Titel: Re:Konsonantenverschiebung
Beitrag von: Kilian in 2005-05-10, 16:50:43
Zitat von: Arnymenos in 2005-05-10, 10:45:19
Stellen wir fest, dass Sprachen dann einfacher werden, wenn sie in Kontakt mit anderen Sprachen stehen (Pidgins, Kreolsprachen, keltisches Vulgärlatein, iberisches Vulgärlatein, italisches Vulgärlatein, Deutsch in Berlin-Kreuzberg)?

Oder ist es die Gesetztheit einer Sprechergemeinschaft, welche die Ecken und Kanten der Sprache langsam abschleift (Spanisch)?

Oder ganz anders gefragt: Wenn Sprachen immer nur einfacher werden, können wir uns dann in 200 Jahren noch unterhalten, und das überhalb des Blöd-Zeitungs-Niveaus?

Kommt drauf an, was du mit "einfacher" meinst. Das Abschleifen von Ecken und Kanten, wie es durch Kontakt mit anderen Sprachgemeinschaften passiert, dürften eigentlich keinen Verlust an Niveau zur Folge haben, solange die Sprache nicht ausstirbt.

Was meinst du mit "geht nicht"... ich kann Baunk schon aussprechen, aber besonders deutsch klingt es nicht, das stimmt.
Titel: Re:Konsonantenverschiebung
Beitrag von: Arnymenos in 2005-05-10, 16:54:43
"Baunk" sollte als überschwere Silbe unmöglich sein. Aber das Deutsche ist für sowas aufnahmefähig, wie's scheint.
Titel: Re:Konsonantenverschiebung
Beitrag von: MrMagoo in 2005-05-10, 17:02:33
Zitat von: Arnymenos in 2005-05-08, 22:36:39
Das Vereinfachungsargument führt mich direkt zu einer Frage an dich: Denkst du, dass die Sprache unserer Vorfahren "schwieriger" war? "unregelmäßiger"? Mit mehr Suppletivformen?

Nein, jein, ja.
Ich denke nicht, daß die Sprache unserer Vorfahren "komplizierter" war, jedenfalls nicht im Ganzen - wir hatten doch dazu schon einen Faden lang diskutiert... muß ich später mal nach wühlen; ganz knapp:
"Vereinfachung" auf der einen Seite hat meist auch Änderungen auf anderen Ebenen der Sprache zur Folge (Beispiel: Das Englische hat in der Substantivflexion die Fälle fast vollständig aufgegeben, diese "Vereinfachung" hatte zur Folge, daß die Wortfolge strikt gergelt werden mußte, sonst gäb's Mißverständnisse. etc)

Also "schwieriger" war sie nicht, "unregelmäßiger" war sie vielleicht, aber wenn, dann nur in Bezug auf die heutige Sprache, denn in sich war sie sicher nicht unregelmäßiger: Bis zu einem gewissen Grad muß Sprache gewissen Regeln folgen (seien sie auch noch so wirr), damit sprachliche Kommunikation überhaupt möglich ist.
Zu den Suppletivformen kann ich nicht viel sagen, ich denke schon, daß es derer in früheren Sprachstufen mehrere gab - sie haben aber sicher dem ökonomischerem Prinzip  der Flexion Platz gemacht.



ZitatEine Eigenschaft von Sprache ist, dass sie für alles eine offene Klasse hat. Im Beispiel: Ein neues Verb ist immer zu einem Paradigma erweiterbar. Diese offene Klasse ist bei unseren Verben die schwache, und im Allgemeinfall sollte sie "regelmäßiger" sein als andere Klassen. Nur mit analogen Bildungen bzw. abstrakten Bildungsregeln (beide könnten auf das selbe hinauslaufen) kann man ein neues Verb für alle verständlich verwenden. Meine Behauptung ist, dass keine Sprache ausschließlich suppletiv arbeiten kann.

Dies ist jetzt nur eine Vermutung und zudem meine persönliche Meinung, aber:
Doch, das glaube ich schon, daß das geht - es wäre nur absolut unökonomisch und der menschliche Organismus vielleicht damit überfordert.
Theoretisch gesehen ginge das meiner Meinung nach trotzdem.
Ich kenne mich leider nicht mit den asiatischen Sprachen aus, dennoch gibt es, soweit ich das behalten habe, beispielsweise im Chinesischen Unmengen an Suppletivformen.
Titel: Re:Konsonantenverschiebung
Beitrag von: Arnymenos in 2005-05-10, 17:12:33
Wie erfinden die Chinesen dann neue Wörter?

Affixe haben sie nicht, Morphologie auch nicht. Es gibt ein paar wenige Partikeln. Ich denke, deren Regelfall ist, die Wortart au dem Kontext zu erschließen. Ein neuer Wortstamm wird einfach gar nicht flektiert und damit hat es sich. Das ist mir offene Klasse genug.
Suppletivformen sind ja nicht vorhersagbar (denk ich mal, wäre ein sinnvoller Definitionspunkt). Wären sie die einzige Möglichkeit, dann könnte man ein neues Wort gar nicht in allen Formen verwenden. Das ist unproduktiv, und Sprache muss produktiv sein. Ausnahme: Tote Sprachen; Altgriechisch ist nicht mehr produktiv. Ausnahme dazu: rauchein.
Titel: Re:Konsonantenverschiebung
Beitrag von: Kilian in 2005-05-10, 17:22:42
Solange es noch kleine Kreise gibt, die eine "tote" Sprache pflegen, ist auch deren Produktivität keine Grenze gesetzt. Es gibt z.B. lateinische Konversationsklubs und demzufolge auch lateinische Wörter für Telefon und Motorrad, sogar im Langenscheidt.
Titel: Re:Konsonantenverschiebung
Beitrag von: Arnymenos in 2005-05-10, 17:28:27
dia touto to paradeigma. Hellenikos.
Daher das Beispiel: Griechisch
Titel: Re:Konsonantenverschiebung
Beitrag von: VerbOrg in 2005-05-10, 18:03:25
Zitat von: versucher in 2005-05-10, 11:33:39Und zur Einfachheit: Leute wie Wolf Schneider betreiben darüberhinaus eine (m. E. zweifelhafte) professionelle Vereinfachung der Satzstrukturen zugunsten einer "Verständlichkeit". (Er lobt einsilbige Wörter, aber das schadet der Vielfalt!)
Der Mann bezieht sich hauptsächlich auf die Sprache der Medien. Und deren Ziel sollte es nicht sein, sich in hochgestolzenen Formulierungen zu ergehen, unter dem Motto: "Sehr her, ich bin viel schlauer als ihr und beherrsche viele Langwörter", sondern Inhalte rüberzubringen. Einen Zeitungstext, bei dem man in einem Satz mehrere Fachwörter liest, die man alle erst im Lexikon nachschlagen muss, würde man nach wenigen Augenblicken wieder weglegen. Der Zweck der Zeitung, zu unterrichten, ist damit nicht erfüllt.
Die Kritik an langen Wörtern und Sätzen hängt mit der Aufmerksamkeitsspanne eines normalen Menschen zusammen, der sich einfach nur informieren will.
Wolf Schneider geht es m.E. hauptsächlich darum, dass die Sprache auch dazu geiegnen sein muss, den ihr zugedachten Zweck zu erfüllen.
Das heißt: Fachwörter in Fachkreisen benutzen und sich ansonsten so ausdrücken, dass auch der Laie versteht, worum es geht.

Damit sagt er noch lange nicht, dass der Leser/Hörer/Zuschauer mit einem Deutsch konfront georen werden soll, das selbst vierjährige Kinder verstehen. (Eine Philosophie, die man allerdings leider sehr oft bei privaten Radio- und Fernsehsendern findet.)
Titel: Re:Konsonantenverschiebung
Beitrag von: Norbert Mappes-Niediek in 2006-04-06, 10:24:05
Der ostwestfälische Ort Bad Salzuflen wird in der gesamten Region "Salzuffeln" ausgesprochen. Ein Fall von Liquida-Metathese, wie im Slawischen (Milch - mleko) oder im Niederländischen (presse - pers).
Titel: Re:Konsonantenverschiebung
Beitrag von: Arnymenos in 2006-04-06, 11:06:49
Liquida-Metathese wie die genannte finde ich durch den Schwa-Vokal begünstigt. Die Aussprache der unbetonten Silbe liege irgendwo bei [zalts'ufln], also mit silbischem L, vermute ich.

Gestern gooolg ich nach recyclebar vs. recycelbar. Ersteres ist ein wenig häufiger. Hier spräch' ich niemals von einer Metathese, das ist nur orthographische Konvention. Wer süge schon [rIsaIklebar]?
Titel: Re:Konsonantenverschiebung
Beitrag von: amarillo in 2006-04-06, 14:11:30
Siehe spanisch corbata (Krawatte) und cocodrilo (Krokodil)
Titel: Re:Konsonantenverschiebung
Beitrag von: FinnCrisp in 2006-04-06, 15:35:36
Das mit dem Kokrodil kannte ich noch nicht!

Aber ich habe schon mehrere Amerikaner intregal statt integral sagen hören.

PS: Ist das eigtl. korrekt - "sagen hören"? Oder sagt man "sagen gehoren"?
Titel: Re:Konsonantenverschiebung
Beitrag von: Fleischers Karsten in 2006-04-06, 16:00:28
Intregieren statt integrieren ist mir auch im Deutschen schon untergekommen.

Mir passiert's schon mal, dass ich rekutrieren statt rekrutieren sage. In ganz schlimmen Fällen wird's sogar zu rekrutrieren.

Mit dem Kokodril hat der amarillo was angerochten! Als Krokodil will's mir jetzt gar nicht mehr über die Lippen kommen.
Titel: Re:Konsonantenverschiebung
Beitrag von: Fleischers Karsten in 2006-04-06, 16:40:12
Zitat von: FinnCrisp in 2006-04-06, 15:35:36
PS: Ist das eigtl. korrekt - "sagen hören"? Oder sagt man "sagen gehoren"?

Eigentlich sagen gehoren.

Ich gooolg eben mal nach

Ich habe schon Pferde kotzen gesehen

und

Ich habe schon Pferde kotzen sehen.

Letzteres ist weitaus häufiger vertreten.
Kann mal jemand erklären, wohin das ge- verschwunden ist?
Titel: Re:Konsonantenverschiebung
Beitrag von: Kilian in 2006-04-06, 17:59:10
Nein, eigentlich nicht sagen gehoren. sagen hören ist völlig korrekt. Nach einer Infinitivkonstruktion - in diesem Fall mehrere Amerikaner intregal statt integral sagen - ersetzt bei den Modalverben sowie den Verben sehen, hören, brauchen und fühlen meist die Infinitivform das Partizip II. Man nennt das Ersatzinfinitiv (http://de.wikipedia.org/wiki/Ersatzinfinitiv).
Titel: Re:Konsonantenverschiebung
Beitrag von: Fleischers Karsten in 2006-04-06, 18:00:37
Ah so. Danke!
Titel: Re:Konsonantenverschiebung
Beitrag von: FinnCrisp in 2006-04-06, 18:56:19
Mysteriöserweise gibt es auch Verben, deren Infinitv formal mit dem Part. II identisch ist:
- verlassen
- vergessen
- zerfallen
Auch hier ist Neuregulierung gefragen!
Titel: Re:Konsonantenverschiebung
Beitrag von: Kilian in 2006-04-06, 19:31:28
Und Verben, deren Part. II mit dem des zugehörigen Simplex identisch ist:
- gebrauchen
- gehören
- gerinnen
- ...
Kann man aber beides so lassen, finde ich.
Titel: Re:Konsonantenverschiebung
Beitrag von: Ly in 2006-04-06, 23:47:49
Zitat von: amarillo in 2006-04-06, 14:11:30
Siehe spanisch corbata (Krawatte) und cocodrilo (Krokodil)

Oder griechisch Korkondilos.
Titel: Re:Konsonantenverschiebung
Beitrag von: caru in 2006-04-07, 10:43:40
oder auch lateinisch corcodrillus.
Titel: Re: Konsonantenverschiebung
Beitrag von: Fleischers Karsten in 2008-07-01, 21:16:47
Kann es sein, dass die Sachsen einen merkwurden Konsonantenverschub bei Worten auf -en haben?
Mein Scheff (der sächsich und bairisch gemoschen redet) nennt mich, wenn er mich laut ruft, immer Karstne, bei normaler Lautstärke allerdings - richtig - Karsten.

Ein Bauleiter, der auch aus Sachsen stammt, verdreht das n und e ständig bei Verben im Infinitiv am Satzende:

- Wir müssen das Deckenfries da runterholne.
- Das werden wir dann an der Decke anschraubne.
Titel: Re: Konsonantenverschiebung
Beitrag von: katakura in 2008-07-02, 10:57:33
Zitat von: Fleischers Karsten in 2008-07-01, 21:16:47
Kann es sein, dass die Sachsen einen merkwurden Konsonantenverschub bei Worten auf -en haben?
Mein Scheff (der sächsich und bairisch gemoschen redet) nennt mich, wenn er mich laut ruft, immer Karstne, bei normaler Lautstärke allerdings - richtig - Karsten.

Ein Bauleiter, der auch aus Sachsen stammt, verdreht das n und e ständig bei Verben im Infinitiv am Satzende:

- Wir müssen das Deckenfries da runterholne.
- Das werden wir dann an der Decke anschraubne.

... nein, auch wenn es sich für ungeobene ohren so anhören memug, ist dies kein konsonantenverschub! ...

... das phänomen tritt auch in den meisten thüringischen mundarten auf, vor allem, wenn lauter gesprochen oder gerufen wird ... grundsätzlich gilt erst einmal, das sachsen wie thüringer zielm maulfaul sind und bei worten, die auf -en enden, so gut wie immer das e verschleifen oder ganz unterschlagen und somit alles auf -(e)n endet (essn, betn, schlafn, gehn, lesn, machn, redn) ...

... wird nun lauter gesprochen oder gerufen, d.h. eine besondere betonung auf das gesagte gelegt, wird an die endung -(e)n (sofern das betreffende wort am satzende steht) noch ein -e angehängt, denn es geht für die sachsen und thüringer (denen man aufgrund ihrer eigentümlichen sprachmelodie tatsächlich nachgesagt, daß sie nicht sprechen, sondern singen) nicht an, einen satz abrupt mit einem nasal enden zu lassen ... es klingt nicht flüssig genug, also heißt es folgerichtig komm ess(e)ne! eh, karst(e)ne! etc. ...

... also: kein simpler verdreher, sondern ein verschleifer und ein anhänger :D
Titel: Re: Konsonantenverschiebung
Beitrag von: Berthold in 2008-07-02, 11:51:32
'Boativ' - und nochmals ein großer Zoologe:

Jener 'thüringisch-sächsische Vokativ' findet auch in Wien ein Analogon (wohl sogar ein Homologon) - natchlur nicht nur als Vokativ, sondern, allgemeiner, als 'Boativ' (Schreifall).
In normaler Rede hieße der Karsten* bei uns 'Ghās-tn'. Der Verschluß des 't' löst sich dabei nasal; 'tn' ist eine Silbe.
Der 'Boativ' ginge 'Ghāās-tnα'. Die zweite Silbe erhält durch einen 'unsauberen', a-haltigen Schwalaut eine zusätzliche Betun.
Lautstärke: 'Ghās-tn' in ruhiger Rede: 3'1; 'Boativ': >3'>2.

*Ganz so selten und 'piefkinesisch' ist dieser Vorname bei uns nicht. Ich studor etwa zusammen mit einem Herrn Karsten Kuba, der zweifellos 'vom Grund' herstammt. 'Karsten', täte ich meinen, ist in Wien ungefähr gleich häufig wie 'Berthold'.
Warum 'Berthold' bei den Juden in Wien beliebt war, kekünne ich nicht sagen. Ich schrieb einmal in diesem Forum ein paar Worte über den großen Zoologen Berthold Hatschek (1854-1941), der am Ende seines Berufslebens das Vergleichend-Anatomische Institut an der Universität Wien liet (litt).
'Nach dem Einmarsch der Nationalsozialisten in Österreich am 12. März 1938 wurde er auf Veranlassung des österreichischen Unterrichtsministeriums (Ich kann mir nicht vorstellen, daß es das überhaupt noch gegeben hat. That's Wikipedia.) am 22. April seines Postens enthoben. Drei Jahre später wurde der 86-Jährige aus seiner Wohnung deportiert, starb aber noch im gleichen Jahr in Wien.' (Was da genau ablief, verschweigt uns Wikipedia.)
Titel: Re: Konsonantenverschiebung
Beitrag von: Kilian in 2008-07-02, 13:52:39
Ich kenne das auch von meinem aus Weimar stammenden Chef, aber durchaus nicht aufs Anreden oder Rufen beschracht.

Zitat'Nach dem Einmarsch der Nationalsozialisten in Österreich am 12. März 1938 wurde er auf Veranlassung des österreichischen Unterrichtsministeriums (Ich kann mir nicht vorstellen, daß es das überhaupt noch gegeben hat. That's Wikipedia.)

Ja, in solchen Fällen muss man in eine Bibliothek gehen. Man könnte beispielsweise hier (http://www.doew.at/thema/thema_alt/wuv/maerz38_2/instiantisem.html) anfangen und wiederum die Quellen prüfen.
Titel: Re: Konsonantenverschiebung
Beitrag von: Berthold in 2008-07-02, 14:57:04
Zitat von: Berthold in 2008-07-02, 11:51:32
*(...) Ich studor etwa zusammen mit einem Herrn Karsten Kuba, der zweifellos 'vom Grund' herstammt.

Falsch, er heißt Kersten Kuba.

Titel: Re: Konsonantenverschiebung
Beitrag von: Agricola in 2008-07-02, 16:07:30
Zitat von: Kilian in 2008-07-02, 13:52:39
Man könnte beispielsweise hier (http://www.doew.at/thema/thema_alt/wuv/maerz38_2/instiantisem.html) anfangen und wiederum die Quellen prüfen.
Sehr interessante Lektüre, mal ganz unabhängig von dieser Frage!
Titel: Re: Konsonantenverschiebung
Beitrag von: Berthold in 2008-07-02, 18:31:55
Danke, lieber Kilian! Dem Wortlaut nach hat Wikipedia - im Aufsatz über Prof. Berthold Hatschek - also recht. Am 22. 4. 1938 hieß das Ministerium 'Österreichisches Unterrichtsministerium'. - Da hänge ich Euch einen Abschnitt eines - wenn's gut kommt - Romankapitels dazu - ohne die Schriftarten dem Original anzupassen:

'Vieles bleibt mir nun nicht mehr zu fragen, mir wichtiges aber doch noch:
   G: Jarmila, da Sie sich doch so sehr mit der Materie befassen - müßten Sie doch zwangsläufig auch von Professor Mordechaj Meisel gelesen haben? /

   - Der große Mykologe. Diesem Vorbild nacheifernd, verlagerte Klara Maria den größeren Teil ihrer Forschungen von den Kulturpflanzen auf die Pilze.

   J: Mordechaj Meisel! Wie hab ich seine Publikationen verschlungen - gleich aus welcher seiner Perioden: Philadelphia - Tel Aviv - Wien. Aber solch ein Riesenwerk ganz zu lesen, ist unmöglich. - Ich weiß auch Biographisches.
   G: Ich kann ein bißchen ermessen, wie umfassend gebildet Meisel gewesen sein muß - aber - Biographisches -?
   J: Doch. Aber beginnen wir anderswo: Es ist bei uns so, daß ein Knabe mit dem Familiennamen Štúr sicherlich oft L’udovít getauft, oder genannt wird. Eine Nĕmcova nennt man in Tschechien wahrscheinlich oft-
   G: -Božena, nicht wahr? Und ein Sachs heißt bei uns oder in Deutschland wohl öfters Hans. Viel seltener Gunther. Aber - Ja gibt es denn einen berühmten Mordechaj Meisel?/

   Ja, liebe A., Georg hätte nun befürchten können, in die ultimative Schwärze, nach Auschwitz (Oświęcim)-Birkenau, oder in irgendein anderes Vernichtungslager, mitgerissen zu werden. Ich muß die Namen aufschreiben: Belzec, Kulmhof (Chelmno), Majdanek, Sobibór, Treblinka. - Lager dem Wortsinn nach waren das keine, weil auch im schlimmsten Lager noch ein letzter Rest an Ruhe liegt. - Vernichtungsstätten? Auch in der Stätte ist wenigstens der Augenblick eines Innehaltens in Würde. Vernichtungsschwärze... Eine Schwärze, vor der Georgs Teerschwarz - mitsamt einer möglichen Bedrohung durch jenes Experiment - wie ein Mückenfurz verpufft. Auschwitzade man legede, kamnahi man te tharel, singen die Roma im Burgenland. Doch war da jetzt nicht ein Gedanke, andere KZs wären irgendwie gewöhnlicher, von minderem Rang? Hier eine systematische Betrachtungsweise - ins Hirn eingefressenes Systema Nathurae -, ein Vergleich mit der aufgegliederten, gestaffelten Danteschen Hölle, eine Dämonarchie? Fluchtversuche eines Zoologen?... - Es geht um etwas, das nie, auf keine Weise, wieder ganz gut zu machen ist. Die Emma, die Tante des lieben, alten Horvath, hätte dem Georg einfallen können. Der hat’s nichts geholfen, sozusagen die, wenn auch nur vermutete, Schwägerin des Grafen Vándorsólyom zu sein. Auf der Psychiatrie war’s, als die Nazis gleichsam die Vernichtung noch probten. - Doch halt, in solche Schwärze und auch noch mitgerissen, mitgesogen? - Nein, er konnte tief atmen. - Georg war doch im Čingov, mit scharfsinnigen Frauen, unter vielen jungen Menschen. Es ging doch - wie romantisch und anheimelnd - ins alte Prag, ins Goldene Zeitalter, vom letzten Viertel des 16. bis ins erste Jahrzehnt des 17. Jahrhunderts. Der Hohe Rabbi Loew/Löw/Löbe war damals geistliches und Mordechaj (-ai) Markus Ben Samuel Meis(e)l/Maisel/Meyzl politisches Oberhaupt der jüdischen Gemeinde. Auf dem Grabstein des letzteren steht zu lesen:
Während seines Lebens gab es keinen Riß, kein Klaggeschrei in unseren Straßen.

   Auch Drahoslava beteiligt sich plötzlich lebhaft am Gespräch. Mit Spott in Stimme und Miene, sagt sie zu ihrer Freundin:
   D: Er kennt wirklich Mordechaj Meisel nicht, Jara (wäre D. Tschechin, hätte sie ihre Freundin mit Jaro oder Jarko angeredet.). [und mich anblickend:] Leo Perutz können Sie dann auch nie gelesen haben, nämlich Nachts unter der-
   G: -steinernen Treppe
   D: Nein, Brücke
   G: Brücke? - Ja, Brücke. Meiner Mutter hab ich das Buch einmal geschenkt. Aber selber gelesen hab ich’s nie. - Kein Werk von Leo Perutz. Noch nicht.
   D [erneut zu Jarmila]: Denk dir, Jaruša, er hat Leo Perutz nie gelesen. [Zu mir:] In dem Büchl ist der Meisl-Jude, der Mordechäus, des Kaisers Kammerknecht, eine der vier Hauptgestalten. [Wer sind die anderen drei? Sobald Zeit ist, werd ich das lesen ... Nun prasseln rhetorische Fragen auf mich.]
   D: ...Wer ließ die Hohe Synagoge erbauen? Wer errichtete die Meisel-Synagoge [mit höhnischer Betonung], die Židovska Radnice? [Wohl irgendein jüdisches Rathaus, eine Beratungshalle]
   J: Wer ließ das jüdische Viertel pflastern?
   D: Wer galt überhaupt als führender Philanthrop und Vater der Armen?-
   J: -Ließ ein Hekdesch, ein Armen-Krankenhaus, bauen? Hat jährlich zwei armen Bräuten die Mitgift bezahlt? Der Posener Gemeinde 10.000 Taler geschenkt? Der Gemeinde von Krakov...?... Wer spendete selbst der christlichen Gemeinde, den Jesuiten?-
   G: -Das hat alles Mordechaj Meisel, der Erste, getan? Ja, war denn der so reich?'
   - Siehe Fortsetzung
Titel: Re: Konsonantenverschiebung
Beitrag von: Berthold in 2008-07-02, 18:32:47
Fortsetzung:

'J: Wahrscheinlich hat er, professionell und wohl auch glücklich, Goldhandel betrieben; später jedenfalls Geldverleih und Immobilienhandel. Meisel ist überhaupt der Glückspilz [Glückspilz!] der Legenden. Selbst wenn alle Menschen im Unglück leben, heißt es, badet Mordechai Meisel in der weißen Milch der Frühe. [Ich kenne nur eine Schwarze Milch der Frühe, die von Paul Celan.] Ein bißchen anders geht die Redensart bei Leo Perutz. ... Rudolf II. gilt als freigiebiger und toleranter Herrscher, trotz seiner Sonderbarkeiten; - gerade als Medizinerin möchte ich nicht leichtfertig das Schlagwort Schizophrenie verwenden. Meisel wurde der Privatbankier des Kaisers, unterstützte diesen während der Türkenkriege. Der Kaiser stellte einen Majestätsbrief aus, damit Meisel, der kinderlos blieb, Erben seiner Wahl einsetzen konnte...
   D [deren Blick sich verdüstert hat, läßt ihre Freundin nicht weiterreden.]: Ob er nun Schübe von Geisteskrankheit gehabt hat oder nicht, Rudolf II. war habgierig und gewissenlos. [Ihre Stimme klingt nun rauh.] Er bevormundete die Prager Juden, ließ Meisel nur deshalb eine gewisse Handelsfreiheit, weil er wußte, daß das derart erwirtschaftete Geld schließlich in die kaiserlichen Kassen fließen würde. Als Meisel auf dem Totenbett lag, also noch lebte, wurde der Majestätsbrief bereits getilgt. Meisels Neffe Samuel, der Haupterbe, hatte später unter der Folter Auskunft über sein Vermögen zu geben. Mehr als eine halbe Million Gulden - und mehrere Häuser - mußten der böhmischen Kammer abgeliefert werden. Goldenes Zeitalter? Pah! Glückspilz? Weiße Milch der Frühe? -
   J [nachdem sie auf die Uhr gesehen hat]: Liebe Drahuša, beruhig dich doch! -  Eigentlich wollte ich ein paar Worte über Professor Meisel erzählen. Unglaublich arbeitsam war der, nimmermüde, sicher kein Glückspilz. Alle seine Großeltern sind im Ghetto von Třebíč, in Mo-... Mähren geboren. Kennen Sie den Ort?
   G: Ich bin in Třebíč gewesen, hab das Ghetto besucht -
   J: Dann kennen Sie wohl ein wenig die Gäßchen dort. Meisels Großeltern stammten nicht aus den Hauptgassen, drunten bei der-
   G: -Alten Synagoge-
   J: -Ja, das heißt: Nein. - Sie waren aus winzigen Häusern, dort wo ein Gewirr von Weglein und Stiegen den felsigen Hang hinaufführt. Wie Rauchschwalbennester klebt das dort. [Nun, hier ging es wohl um Bescheidenheit, Weisheit, vielleicht um Kontraste zum Prager Meisel. Mir fallen die Roma ein, die gegenwärtig in vielen der Schwalbennester wohnen. - Vom Orellanin ist Jarmila weit weg geraten. - Piešt’any ist längst vorbei. Nun kehrt sie zum Thema zurück:]
   J : ...Schon als Taxonomen stelle ich Meisel noch über Meinhard Moser [!] und Bruno Cetto [!] - und dann erst seine toxikologischen Werke! So daß mir - [Ich ahne, was nun kommen wird]
   G: So daß was?
   J: So daß mir dieser grau-en-haf-te Selbstversuch - ganz unbegreiflich ist.
   G [Kälte hockt auf mir, von den Zehen bis hoch zu Kreuz und Nabel - und kriecht, über Rücken und Bauch, weiter aufwärts. Ein Heer eisiger Nacktschnecken will mich ganz umhüllen.] - - : Ja, halten Sie es denn für unmöglich, daß es gegen Orellanin irgendein einfaches Gegenmittel geben könnte: alternativ, Homöopathie oder Kräutermedizin? - Wie damals - bei diesem - Franzosen, mit dem Karottenbrei - gegen das Gift des Grünen Knollenblätterpilzes - ?
   J: Mein lieber Herr G.! [Nun verläßt die Ruhe J., vermeine ich zu spüren.] Dr. Bastiens Therapie war revolutionär; aber weit weg von einfacher Naturmedizin! Da gab’s intravenöse Injektionen von Vitamin C, orale Desinfektion mit Nifuroxazide und anderen Mitteln - sechs Mal täglich! - Hefepräparate - Injektionen von - äh - Metoclopramid. [Noch heftiger wird sie.] Auch ich habe Heilkräuter gesammelt, in der Hohen Tatra oder im Bergland von Kremnica. ABER - Sehen Sie, wenn ein Fluß eine Stadt überschwemmt, genügt es nicht, ein paar Kräuter in die Fluten zu werfen! - Eine Kugel, die auf dein Herz gezielt ist, prallt von Allermannsharnisch oder Alraunwurzel nicht ab! Und: [Nun wird wohl die Predigt kommen, denn begriffen hat Jarmila längst:] Ich muß nun bald, in Trnava, aussteigen, weil ich dort in einem Spital praktiziere. Ich weiß, wie übel es ist, jemandes Freiheit einzuschränken, und kann Ihnen nichts verbieten. Aber Orellanin - und gar in einer Dosis, die die einer normalen Vergiftung übersteigt... [Was hab ich denn davon, wenn die junge Frau wirklich um mich bangt?]... /
   Der Zug rast durch die Ebene, nähert sich Trnava. Die Zeit (wie oft wird das gedacht oder geschrieben) ist verflogen. Natürlich war’s auch kein glatt fließendes Gespräch oder Erzählen - war öfters vom Nachtigallenschluchzen von Jarmilas Handy und vom folgenden slowakischen (schreib ich halt:) Wohlklang - zerhackt (Ein Wohlklang zerhackt etwas, na sowas!). Doch über Wohl- oder Mißklang des Slowakischen fürs Ohr eines Niederösterreichers will ich jetzt nicht urteilen. Immer näher kommt Jarmilas Ziel - und Drahoslava, über deren Beruf ich nichts weiß, wird sich wahrscheinlich ihrer Freundin anschließen. Da spricht sie mich an:
   D: Lang schau ich Ihnen schon ins Gesicht. - Sie erinnern mich an eine Gestalt aus der slowakischen Geschichte [- Ich hab mich nur als Georg vorgestellt -], und jetzt, knapp vor unserem Abschied - [Ach, dieses lange Gesicht, diese großen Augen; Eule, - doch die Regenbogenhäute der meisten Eulenarten sind gelblich oder rötlich, - und trüb und von falscher Milde, wie beim Habichtskauz, sind Drahas Augen schon gar nicht. - Wahrscheinlich hat sie in der Mitte der Brust und neben den bräunlichen Brustwarzen ein paar lange, schwarze Borsten, länger als die Haare auf ihren Unterschenkeln -] (D:) Gift paßt nicht für Ihren Tod. - Ein Fleischerhaken - am linken Rippenbogen, beim ersten Hahnenkrähen, beim Gerassel der Kleinen Trommel. - Eine Vila soll Dir den Schmerz wegzaubern, tapferer, armer Jurko!
   J: Drahuša! [verbittend] /
   Der Zug wird langsam. Die Telefonnummern sind ausgetauscht, aber was macht das noch für einen Sinn? - Jarmila steigt in die Nacht, oder, genauer, in die Abenddämmerung  hinab. (Die Sonne im Widder geht langsam unter.) Mein Dank und das Ahoi Jurko! verhallen. - Doch Drahoslava - als wär das hier eine Kitschgeschichte - ja - und Wange - und zarter Kuß, - der freilich heftiger einschlägt als manch eine Zungenspitze. - Dann hat der Dämmer auch Drahuša verschluckt. Blöde starre ich aus dem Türfenster des weiterfahrenden Zuges. -'