Futur II

Begonnen von gehabt gehabt, 2004-12-14, 17:12:55

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gehabt gehabt

Eine Frage an die Experten. Da gibt es ja den beruehmten Spruch von
Gellert, (glaube ich):

Lebe, wie du, wenn du stirbst, wuenscht, gelebt zu haben.

Wie ist das eigentlich grammatikalisch wasserdicht:

Lebe, wie du, wenn du sterben wirst, wuenschen wirst, gelebt haben zu werden.

oder

Lebe, wie du, wenn du sterben wirst, wuenschen wirst, gelebt werden zu haben.

?

caru

#1
selbst aufs strengste genommen kann der satz so stehen bleiben.

die infinitivgruppe "gelebt zu haben" muß ohnedies stehen bleiben, wie die beiden versuchsversionen zeigen. ich kann sagen:

"ich wünsche alles richtig erklärt zu haben." (präsens)

"er wünschte anders gelebt zu haben, als er gelebt hatte." (präteritum)

"ich werde einst ebenso gelebt zu haben wünschen, wie ich lebe und gelebt habe und weiterzuleben gedenke." (futur)

einen eigenen infinitiv für etwas, das zu einem künftigen zeitpunkt abgeschlossene vergangenheit sein wird, müßte man erst mal erfinden.

auch die bedingung kann im präsens stehen bleiben, wie in "wenn es schön ist, werden wir schwimmen gehen."
da man aber auch sagen kann "wenn es morgen schön ist, gehen wir schwimmen" (weil aus dem kontext, dem "morgen", hervorgeht, daß sich dies in der zukunft abspielen wird), muß man nicht einmal sagen "wenn du sterben wirst" - denn das sterben ist als zukünftig gedacht, wenn man den angesprochenen noch auffordert, in bestimmter weise zu leben; dann liegt er klarerweise noch nicht im sterben.

wenn man also größerer klarheit halber etwas ins futur setzen will, dann den hauptsatz: "wünschen wirst". dann kriegt das ganze gefüge (zufällig?) auch gleich einen hübschen trochäischen rhythmus und läßt sich in zwei verszeilen abteilen:

Lebe, wie du, wenn du stirbst,
wünschen wirst, gelebt zu haben.
(\___/)
(>´x´<)
('.')__('.')

Nijntje - de echte nederlandse konijn

gehabt gehabt

Das hat mir keine Ruhe gelassen.




Infinitiv Futur I:

ich werde leben, du wirst leben, er wird leben   ---> leben werden

also:

Ich hoffe, mich richtig entscheiden zu werden.

analog zu:

Ich hoffe, mich richtig entschieden zu haben.



Das Futur II wird aus Futur I folgendermassen gebildet


Fut I                                  Fut II
Ich werde leben     ---->   Ich werde gelebt haben

Fut I inf                             Fut II inf
leben werden         -----> gelebt haben werden


Also :"ich werde wuenschen, gelebt haben zu werden"


was ist daran falsch?


amarillo

Zitat von: gehabt gehabt in 2004-12-16, 09:00:56

Also :"ich werde wuenschen, gelebt haben zu werden"


was ist daran falsch?



ist das das berüchtigte Futur zwölf?

Die Frage müßte doch lauten: "Was ist daran noch vertretbar?"
Das Leben strebt mit Urgewalt nach Entstehung und Musik.

MrMagoo

Diese Frage stellt sich doch IMMER, amarillo - sonst gäbe es ja keine normativen Grammatiken, die einem sagen: Bis hierhin und nicht weiter! ;-)
Wâ mag ich mich nu vinden? wâ mac ich mich nu suochen, wâ? nu bin ich hie und bin ouch dâ und enbin doch weder dâ noch hie. wer wart ouch sus verirret ie? wer wart ie sus zerteilet mê?
(Gottfried von Straßburg)

gehabt gehabt

Ebend! Um seine Grenzen zu kennen, muss man sie doch
gelegentlich mal ueberschreiten. (dieser Satz koennte
von meiner 16 jaehrigen Tochter stammen).  

Das machen wir doch andauern mit den gestorkenen Verben.
Indem wir im Forum kreative Grammatik betreiben, werden wir
doch im Alltag viel instinktsicherer im Gebrauch des Vertretbaren.

Das ist wie mit Czerny Etuden, die jeder Klavierspieler, zu Hause spielt , aber
wohl kaum in der Oeffentlichkeit vertritt.

amarillo

Ich sehe schon Prüfungsfragen des Goethe-Instituts vor mir, die  lauten könnten:

Bilden Sie zu der Bedingung (Irrealis der Gegenwart):
"Wenn mir nicht so schlecht wäre..."

eine Konsequenz, die eine für die Zukunft vergangene, aber auch irgendwie präsente Möglichkeit beinhaltet.

Viel Spaß dabei, und: brechen Sie sich bitte nicht das Zungenbein.
Das Leben strebt mit Urgewalt nach Entstehung und Musik.

amarillo

#7
Zitat von: gehabt gehabt in 2004-12-16, 11:45:38
 Das machen wir doch andauern mit den gestorkenen Verben.
Indem wir im Forum kreative Grammatik betreiben, werden wir
doch im Alltag viel instinktsicherer im Gebrauch des Vertretbaren.

Sollte doch auch keine Kritik an Dir sein. Ich kann die vorgeschlagene Form nur nicht mehr zuordnen.
Ich habe auch mit manchen gestorkenen Formen so meine Schwierigkeiten, aber irgendwie gelingt es dann doch noch, auf den Infinitiv zu schließen.

Und Grenzen muß man auch überschreiten (Gruß an's Fräulein Tochter), um später die Ideallinie zu finden. In den meißten Fällen reicht es aber doch, die Leitplanke (in Form des Herrn Papa oder der Frau Mama) kräftig zu touchieren.
Das Leben strebt mit Urgewalt nach Entstehung und Musik.

caru

der unterschied zwischen gestorkenen verben und neu gebildeten hilfsverbkonstruktionen à la "gelebt haben zu werden" liegt, meine ich, in der ökonomie.

gestorkene verbalformen sind meist kürzer als ungestorkene ("es nieselte"/"es nals") und signalisieren (für mein empfinden jedenfalls) nachhaltiger, daß es sich um eine vergangenheitsform handelt (größerer unterschied zum präsens: ein -e kann ich leicht überhören, den stammvokalwechsel kaum.)

in ausdrücken wie "gelebt haben zu werden" nehmen die hilfsverben noch mehr raum ein, als sie es im deutschen ohnehin schon tun - zuungunsten der sinntragenden wörter.
mich erinnert das ein bißchen an meinen philosophielehrer im gymnasium, der, wenn er komplizierte sach- und denkverhalte erklären wollte, gern ein gewaltiges satzgefüge anfing - mit vielen ineinandergeschachtelten nebensätzen, denen meist das ende fehlte - und zum schluß eine kette von hilfswörtern wie "haben müssen werden zu sollen" anhängte, in der hoffnung, er könnte damit die offenen satzenden schließen.
(\___/)
(>´x´<)
('.')__('.')

Nijntje - de echte nederlandse konijn

gehabt gehabt

Herbert Wehner selig hat es seinerzeit
geschafft, seine Schachteln auf diese Art zu schliessen.

caru

beim schreiben kriegt man sie ja relativ leicht zu, aber beim reden vergißt man manchmal, wieviele man aufgemacht hat.  ;D

wer war herbert wehner? nie gehört  :o
(\___/)
(>´x´<)
('.')__('.')

Nijntje - de echte nederlandse konijn

amarillo

Beim Reden gehen sie auch leicht zu, weil sich ohnehin kein Aas an den Anfang des Satzes erinnern kann.

Herbert Wehner war sozialdemokratisches Urgestein in der BRD. Er gilt als der am häufigsten gerügte Parlamentarier der deutschen Geschichte. Wohlwollende Zungen (ich zähle mich dazu) nennen ihn den begnadetsten Beleidiger der Nachkriegsgeschichte.
Ob er im Grunde seines Herzens wirklich Demokrat war, sollen die Historiker herausfinden - ich habe da so meine Zweifel.
Das Leben strebt mit Urgewalt nach Entstehung und Musik.

MrMagoo

#12
Zitat von: caru in 2004-12-16, 20:28:16
der unterschied zwischen gestorkenen verben und neu gebildeten hilfsverbkonstruktionen à la "gelebt haben zu werden" liegt, meine ich, in der ökonomie.

gestorkene verbalformen sind meist kürzer als ungestorkene ("es nieselte"/"es nals") und signalisieren (für mein empfinden jedenfalls) nachhaltiger, daß es sich um eine vergangenheitsform handelt (größerer unterschied zum präsens: ein -e kann ich leicht überhören, den stammvokalwechsel kaum.)


Genau richtig, Caru!

Die Unterscheidung vom Präsens ist (so nehmen es viele Linguisten an) die Ursache, oder zumindest eine der Hauptursachen des Präteritumschwundes im Oberdeutschen.
Da im Oberdeutschen das "-e" im Präteritum sehr oft wegfällt (es wird gesprochen: er lebt', er macht', er sagt' - vgl. z.B. bayerische oder österreichische Mundarten), kommt es hier zu einem Formenzusammenfall mit dem Präsens:
er macht(e), lebt(e), sagt(e) => er macht', lebt', sagt' = er macht, lebt, sagt

Um dies zu vermeiden, wird die "synthetische" Vergangenheitsform (bestehend aus einem Wort) durch die "analytische" (aus zwei Wörtern bestehend) mehr und mehr ersetzt:
er lebte => er hat gelebt, er machte => er hat gemacht, er sagte => er hat gesagt.

Durch Analogie greift diese Methode dann auch über auf die starken Verben:
er sprach => er hat gesprochen, er trank => er hat getrunken, etc.

Letztendlich wird auch die synthetische Form im Plusquamperfekt (hatte oder war) angegriffen und durch die jeweilige analytische ersetzt (hat gehabt, ist gewesen):
ich hatte gemacht => ich habe gemacht gehabt
ich hatte gehabt => ich habe gehabt gehabt
ich war gekommen => ich bin gekommen gewesen.

Einzig die Form für das Vollverb "sein":
ich war gewesen => *ich bin gewesen gewesen
ist noch recht unüblich, wird sich allerdings im Zuge der Analogie bald durchsetzen.


Diese Prozesse breiten sich übrigens vom Oberdeutschen in Richtung Norden aus, das Präteritum gibt seine Stellung zunehmend an das Perfekt, das Plusquamperfekt zunehmend an das Doppelperfekt ab.
Wâ mag ich mich nu vinden? wâ mac ich mich nu suochen, wâ? nu bin ich hie und bin ouch dâ und enbin doch weder dâ noch hie. wer wart ouch sus verirret ie? wer wart ie sus zerteilet mê?
(Gottfried von Straßburg)

amarillo



Zitatich war gekommen => ich bin gekommen gewesen.

Einzig die Form für das Vollverb "sein":
ich war gewesen => ich bin gewesen gewesen
ist noch recht unüblich, wird sich allerdings im Zuge der Analogie bald durchsetzen.

Das halte ich aber für äußerst apodiktisch und abwartungswürdig. Wie wir alle hier mußte auch ich mir schon vielen deutschen Quark anhören, die zitierten  Formen gehörten - dem Herrn sei's gedankt - noch nicht dazu.
Das Leben strebt mit Urgewalt nach Entstehung und Musik.

MrMagoo

Zitat von: amarillo in 2004-12-17, 17:51:27


Zitatich war gekommen => ich bin gekommen gewesen.

Einzig die Form für das Vollverb "sein":
ich war gewesen => ich bin gewesen gewesen
ist noch recht unüblich, wird sich allerdings im Zuge der Analogie bald durchsetzen.

Das halte ich aber für äußerst apodiktisch und abwartungswürdig. Wie wir alle hier mußte auch ich mir schon vielen deutschen Quark anhören, die zitierten  Formen gehörten - dem Herrn sei's gedankt - noch nicht dazu.


Wie muß ich das nun auffassen?  ???
Wâ mag ich mich nu vinden? wâ mac ich mich nu suochen, wâ? nu bin ich hie und bin ouch dâ und enbin doch weder dâ noch hie. wer wart ouch sus verirret ie? wer wart ie sus zerteilet mê?
(Gottfried von Straßburg)