Entdeckungen/discoveries

Begonnen von Kilian, 2005-05-22, 00:23:52

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Kilian

Ich las gerade eine wortwörtlich-Assoziation von MrMagoo zum Verb entdecken und ward dadurch eines Gedankens erinnert, den ich schon länger mit mir herumtrage: ent-decken entspricht wortwörtlich seiner englischen Entsprechung dis-cover (und entsprechend frz. découvrir etc.). Die Zusammensetzung ist gleich, aber die Wortbestandteile scheinen nicht miteinander verwandt zu sein. Das riecht nach Lehnübersetzung. Die Profis sind gefragt: Wann erfolgte sie und in welche Richtung; gibt es einen Fachterminus für solche Phänomene?

Und alle anderen sind gefragt beim Sammeln weiterer Beispiele, es gibt sicher einige.

Ein ähnliches Phänomen: Die drei deutschen Wörter Kondolenz, Mitleid und Sympathie entsprechen sich ebenfalls wortwörtlich - lateinisch, deutsch, griechisch - tragen aber unterschiedliche Bedeutungen.

amarillo

Mir fällt im Moment nur - weil kürzlich erst verwonden - "outlandish" zu "ausländisch" ein; die Bedeutungen sind allerdings nicht deckungsgleich.
Das Leben strebt mit Urgewalt nach Entstehung und Musik.

VerbOrg

Hm...
hätt' ich's vielleicht wortbestandteilig übersetzen sollen? Hätte dem Anätagramm eine völlig neue Wendung gegeben ;D
Vielleicht doch besser, dass ich's nicht much.

MrMagoo

Zitat von: Kilian in 2005-05-22, 00:23:52
Ich las gerade eine wortwörtlich-Assoziation von MrMagoo zum Verb entdecken und ward dadurch eines Gedankens erinnert, den ich schon länger mit mir herumtrage: ent-decken entspricht wortwörtlich seiner englischen Entsprechung dis-cover (und entsprechend frz. découvrir etc.). Die Zusammensetzung ist gleich, aber die Wortbestandteile scheinen nicht miteinander verwandt zu sein. Das riecht nach Lehnübersetzung. Die Profis sind gefragt: Wann erfolgte sie und in welche Richtung; gibt es einen Fachterminus für solche Phänomene?

Und alle anderen sind gefragt beim Sammeln weiterer Beispiele, es gibt sicher einige.

Ein ähnliches Phänomen: Die drei deutschen Wörter Kondolenz, Mitleid und Sympathie entsprechen sich ebenfalls wortwörtlich - lateinisch, deutsch, griechisch - tragen aber unterschiedliche Bedeutungen.

*g* Hatte mir schon gedacht, daß das jemandem auffallen würde... ;D
Wie alt solche Lehnübersetzungen sind, kann ich nicht sagen, mit Sicherheit haben einige davon aber schon einige Jährchen auf dem Buckel und reichen bis zu den Anfängen der deutschen Sprache zurück.

Der Hauptzweck der deutschen Sprache war in ihren Anfängen (ab ca. 8. Jh. n. Chr.) christliches Gut in die Köpfe der Germanen zu bringen.
Die Germanen allerdings, die ihre eigenen Bräuche und Riten hatten, hatten mit christlicher Lehre natürlich nichts zu schaffen, und somit auch nicht mit der "heiligen Schrift" - in Hebräisch, Griechisch und Latein geschrieben (daher auch die drei heiligen Sprachen genannt)- am Hut hatten.
Um dieses christliche Gut den Germanen einzuverleiben, wurden Teile der Bibel ins (man könnte sagen: 'dafür geschaffene') Althochdeutsche übersetzt. Das Deutsche nämlich hat als Fundament 2 feste Säulen: Die germanischen Dialekte und die lateinische Sprache.

Wenn jetzt also - wie gesagt vornehmlich für religiöse Zwecke - aus dem Lateinischen übersetzt wurde, dann war man bemüht, wann immer es ging, ein Wort der germanischen Dialekte zu benutzen, das der ursprünglichen Bedeutung zumindest zu einem kleinen Teil entsprach -> da aber wie erwähnt die Germanen nichts mit christlichen Bräuchen anzufangen wußten, gab es für viele Begriffe kein passendes Wort aus den germanischen Dialekten - und dann wurde eben das lateinische Wort "wort-wörtlich" übersetzt; sowas sind dann Bildungen wie ent-decken.
(Die Vorsilbe ent- übrigens haben wir aus dem Griechischen; bedeutet nichts anderes als "anti".)

Das Paradebeispiel hier ist lateinisch "gratia":
In alten Übersetzungen konkurrieren mindestens 40 verschiedene, belegte (!) Begriffe aus germanischen Dialekten um wenigstens ansatzweise "gratia" übersetzbar zu machen - und keiner dieser Begriffe deckt die eigentliche Bedeutung vollkommen ab.
Wâ mag ich mich nu vinden? wâ mac ich mich nu suochen, wâ? nu bin ich hie und bin ouch dâ und enbin doch weder dâ noch hie. wer wart ouch sus verirret ie? wer wart ie sus zerteilet mê?
(Gottfried von Straßburg)

Ly

Zitat von: MrMagoo in 2005-05-22, 18:52:45
Das Paradebeispiel hier ist lateinisch "gratia":
In alten Übersetzungen konkurrieren mindestens 40 verschiedene, belegte (!) Begriffe aus germanischen Dialekten um wenigstens ansatzweise "gratia" übersetzbar zu machen - und keiner dieser Begriffe deckt die eigentliche Bedeutung vollkommen ab.

Also soweit ich weiß bedeutet gratia ja soviel wie Gnade - und Gnade ist doch ein germanisches Wort dafür...

Wahrig sagt: [<ahd. ginada, ganada "Wohlwollen, Gunst, göttliche Gnade"; zu got. nidan "helfen"; Ursprung unbekannt]
It isn't always how you look. Look at me. I'm handsome like anything, and I haven't got anybody to marry me yet.

caru

"gratia" heißt viel mehr als nur gnade,unter anderem "anmut, reiz" - immerhin hat ja Luther "gratia plena" mit "du holdselige" übersetzt. "huld" wäre für mein gefühl besser als gnade, wegen des adjektivs "hold". stimmt aber auch nicht ganz.
(\___/)
(>´x´<)
('.')__('.')

Nijntje - de echte nederlandse konijn