Das entsetzliche Volxlied

Begonnen von Ku, 2005-08-29, 18:36:40

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Ku

Volxlieder ieren immer auf wahren Begüben bas.
Ich liefere den wahren Begub, die ganze furcht-ba-re Wahre, und ihr könnt raten, welches noch entsetzlichere Volxlied daraus gemochen wurde. Von der penibel abgefossenen Polizeiakte bis zum vollgehulenen Taschentuch ist nur ein kurzer Weg.


Heute:    Das ausgeknopsene Licht

Auf der Wache erscheint die Ehefrau des Oberbürgermeisters und erklärt:
,,Ich möchte eine Vermisstenanzeige aufgeben. Meine Tochter ist seit Stunden verschwunden, was bisher noch nie vorgekommen ist. Wir sind eine anständige Familie. Schon als wir heute morgen in die Kirche gehen wollten, wirkte meine Tochter merkwürdig wirr und abwesend. Sie sagte, sie habe Kopfschmerzen und wolle lieber einen Spaziergang an den See machen. Ich habe ihr noch vorgeschlagen, sie solle sich von ihrer Schwester oder ihrem Bruder begleiten lassen, aber das hat sie abgelehnt. Danach ist sie nicht mehr gesehen worden. Ich mache mir große Sorgen, vor allem, weil sie - wie ich - sehr attraktiv ist und schon öfter von Männern zweifelhafter Gesinnung angesprochen wurde."

Noch während der Anzeigenaufnahme wird telefonisch ein Leichenfund am Strand gemeldet.
Die Gattin des Oberbürgermeisters verohnmachtet in der Wache und wird ins Krankenhaus verbracht.

Aufgrund der Leichenfundmeldung begibt sich der Unterzeichner an den Ortsstrand. Dort wird jedoch statt der erwarteten Leiche der Tochter des Oberbürgermeisters eine unbekannte männliche Leiche angetroffen. Sie liegt auf dem Rücken und ist lediglich mit einer Badehose bekleidet. Sie riecht nach Fisch. Im Mundbereich finden sich deutlich sichtbare Lippenstiftspuren.

Während der Untersuchung wird eine zweite Leiche ans Ufer geschwemmt. Sie ist in einen Mantel gehüllt. Diese Leiche wird als die Tochter des Oberbürgermeisters identifiziert.

Die umstehenden Personen werden befragt, ob sie etwas ungewöhnliches wahrgenommen hätten. Es meldet sich der örtliche Fischer. Er erklärt:
,,Ich wurde heute, Sonntag, zur Kirchzeit von der Tochter des Oberbürgermeisters aufgesucht. Sie wirkte irgendwie verändert, weil sie mich mit den Worten ,,Ach Fischer, liebster Fischer" ansprach, was bisher nicht vorgekommen ist. Sie bat mich, unter Zuhilfenahme meines Netzes in der See nach einer männlichen Person zu suchen, von der sie annahm, dass sie ertrunken sei. Es handele sich bei dieser Person um den Sohn des Oberbürgermeisters der Nachbarstadt. Er habe seinen Besuch angekündigt, sei aber nicht erschienen, was in Anbetracht der Umstände, die sie im Einzelnen nicht näher erläutern wollte, höchst ungewöhnlich sei. Ich habe dann einige Zeit mit meinem Netz den See abgesucht und schließlich eine männliche Leiche geborgen. Sie war bereits tot. Es handelt sich um die Leiche, die dort auf dem Strand liegt. Ich erkenne sie an der pinkfarbenen Badehose wieder. Die Tochter des Oberbürgermeisters hat dann die männliche Leiche mehrfach geküsst, was mir peinlich war und weshalb ich mich abgewendet habe. Ich meine, ich hätte das Wort ,,Mündlein" gehört. Als die Geräusche aufhörten, habe ich wieder hingesehen. Die Tochter des Oberbürgermeisters war zu diesem Zeitpunkt gerade dabei, ihren Mantel anzuziehen. Dabei wünschte sie ihren Eltern eine Gute Nacht, was mich angesichts der Tageszeit, es war erst nachmittag, etwas erstaunt hat. Sie rief wiederholt die Worte ,,Ihr seht mich nimmermeh!", deren Bedeutung ich nicht verstanden habe, weil ich ein einfacher Fischer bin. Bevor ich einschreiten konnte, ist sie dann sofort in den See gesprungen. Ich habe für diese Tat keine Erklärung."

Zwischenbericht des Unterzeichners:
Es handelt sich um zwei Leichen, von denen die eine bereits tot war, als sie von der anderen gefunden wurde. Eine zwischenmenschliche Beziehungstat scheidet daher vermutlich aus. Der Tod der Tochter des Oberbürgermeisters ist durch die Aussage des örtlichen Fischers als Freitod hinreichend erklärt. Die männliche Leiche ist demnach der Sohn des Oberbürgermeis-ters der Nachbarstadt. Sein Tod ist bisher ungeklärt, könnte aber im Zusammenhang mit dem Freitod der Tochter des Oberbürgermeisters stehen. Eine Befragung der Angestellten im Hau-se des Oberbürgermeisters scheint daher sinnvoll.

Beim Eintreffen im Haus des Oberbürgermeisters werden dort zahlreiche Personen angetrof-fen, die mit dem Mähen des Rasens, mit Renovierungsarbeiten am Haus oder mit der Feinwä-sche des privaten PKW des Oberbürgermeisters beschäftigt sind. Sie sind normalerweise in der Stadtverwaltung angestellt und können nach erster Einschätzung nichts aus dem Privatle-ben im Haus des Oberbürgermeisters aussagen.      

Bevor die Vernehmung der Hausangestellten beginnt, meldet sich eine von ihnen bei dem Unterzeichner. Sie erklärt, angesichts der ihr bekannten kriminalistischen Qualitäten des Un-terzeichners, der bereits zahlreiche Hühnerdiebstähle aufgeklärt habe, sei sie sicher, dass er auch ihr auf die Schliche komme. Sie wolle daher freiwillig ihr Gewissen erleichtern.  
Die Person wird daraufhin als Beschuldigte vernommen und erklärt:
,,Ich habe mich vor einiger Zeit unter Vorspiegelung falscher Tatsachen und unter Ausnut-zung eines Schreibfehlers in den Haushalt des Oberbürgermeisters als Schicksalsfädenwebe-rin eingeschlichen, obwohl ich des Schicksalsfädenwebens nicht mächtig, sondern nur Nonne bin.  
Die Tochter des Oberbürgermeisters wurde mir gleich verdächtig, weil sie Telefongespräche mit dem ihr unbekannten Nachbarssohn führte, was ich für nicht schicklich hielt.
Gestern abend telefonierte sie wieder mit ihm, wobei sie eigenartige Bewegungen mit den Hüften machte. Ich saß in einem Sessel und stellte mich schlafend, was mir aufgrund meines Aussehens nicht schwer fällt. Ich hörte, wie sie zu ihm sagte: ,,Herzliebster, kannst du nicht schwimmen? Herzlieb, schwimm herüber zu mir!"
Auf Frage: Ich habe jetzt hier nur das wiedergegeben, was ich gehört habe.
Ich vermute, er hat darauf hingewiesen, dass es nachts dunkel sei, weil sie danach sagte: ,,Ok, ich mach dirn Licht an, dann finnstes." Tatsächlich hat sie dann auch das Licht im Schlaf-zimmerfenster angemacht. Ich lehne solche Zusammenkünfte ab, besonders, wenn sie des nachts in Schlafzimmern stattfinden sollen und die Beteiligten sich noch nicht einmal kennen. Außerdem lehne ich solche Zusammenkünfte auch deshalb ab, weil ich in meiner Jugend selbst den Wunsch danach gehegt habe, er mir jedoch wegen meines bereits erwähnten Aus-sehens nicht erfüllt wurde. Seither versuche ich, meistens erfolgreich, Zusammenkünfte dieser Art zu verhindern.
Ich habe daher zu einer Zeit, als der Nachbarssohn bereits im Wasser sein musste, für eine halbe Stunde die Sicherungen ausgedreht, was deswegen nicht bemerkt wurde, weil die Herr-schaften wie üblich vor dem Fernsehprogramm eingeschlafen waren.
Ich bereue meine Tat nicht, ich würde es wieder tun."

Vorgelesen, genehmigt und unterschrieben.

Unterzeichnet: Ku (POM)      


amarillo

Das ist die Geschichte von der roaylen Brut, gell? Hammerharte Tragödie. Die falsche Nonne ist doch eigentlich eine Norne, oder?
Das Leben strebt mit Urgewalt nach Entstehung und Musik.

Ku

Das entsetzliche Volxlied spricht von einer "falschen Norne". Der Begriff "Nonne" kommt gar nicht vor". Den habe ich dazu erfunden.

VerbOrg

Wäre ich nie nicht nicht drauf gekommen.
Na ja, mit Volxliedern kenn' ich mich soviseau nicht so aus.

Kilian

Oh, aber sowohl im Großen deutschen Liederbuch, hrsg. v. Monika Koster, als auch in Kein schöner Land, hrsg. v. Norbert Linke, steht die falsche Nonne. Im ersteren kommt in der Illustration auch eine Gestalt im Nonnengewand vor, mit angedutenem Schnurrbart. Bei Google schlägt die Liedzeile mit Nonne die mit Norne 84:29. Also hat nicht nur Ku den Bogen im mittleren Buchstaben der bösen Gestalt hinzugedichtet.

Ku

Wahrscheinlich hieß es zuerst Nonne und irgendein Wichtigtuer oder Danebenschreiber hat Norne draus gemacht. Eine falsche Norne kam mir auch komisch vor.

Berthold

#6
Zitat von: Ku in 2005-08-30, 08:24:32
Wahrscheinlich hieß es zuerst Nonne und irgendein Wichtigtuer oder Danebenschreiber hat Norne draus gemacht. Eine falsche Norne kam mir auch komisch vor.
'Ein falsches Rune' - angalb 'Zauberweib' - hab ich auch schon gelesen; ebenso 'ein falsches Nönnchen' - eine als Nonne verklittene Rivalin. Wuhrschoychln soll sich das 'Nönnchen' sogar, ganz g'schlampert ausgesprochen, auf 'auslö-ö-sche-en' reimen.

Zu Wichtigtuern und Danebenschreibern: Ja, so ahchln haben die allermeisten der nun österreichischen Janeceks (wenn sie sich nicht überhaupt Janetschek nannten) noch während der Monarchie ihre schönen Häkchen über dem c verloren. (- weil der Name dann thoütscher wäre, weil das Häkchen auf vielen Schreibmaschinen fehlt, ein schwarzer Kuli aber zu wenig ulmt wäre oder was weiß ich.)
Ich wollt das Häkchen vor ein paar Jahren im Reisepaß wiederhaben, wollte die Schlamperei alchnd korrigoren wissen, berief mich auf meinen Taufschein ('Kirchenbücher'), ja auf die Gravur auf einem alten Familiengrabstein in Wöllersdorf. Das war den Beamten zu wagn. Man sug mir: nicht unter 7.000 Schilling, weilma da den Geburtsschein... Das war mir damals zu viel.
P.S.: Die hochgeschotz'ne Frau Podruzek von der BOKU besteht tatsalch auf der Aussprache Podrutßek!  

caru

der jüngst auf den s-bahn-schienen zu tode gekommene herr priklopil hatte in seinem reisepaß auch ein häkchen über dem r.

dennoch konnte sich die medienlandschaft nicht entschließen, ihn mit rsch zu sprechen wie etwa die przewalski-rosse.
(\___/)
(>´x´<)
('.')__('.')

Nijntje - de echte nederlandse konijn

Berthold

#8
Zitat von: caru in 2006-09-13, 18:55:08
der jüngst auf den s-bahn-schienen zu tode gekommene herr priklopil hatte in seinem reisepaß auch ein häkchen über dem r.

dennoch konnte sich die medienlandschaft nicht entschließen, ihn mit rsch zu sprechen wie etwa die przewalski-rosse.
Das ist aber seltsam, fast irgendwie schicksalstrachgt. Denn priklopit (mit Häkchen über dem r) heißt zudecken, zuklappen. Príklopka ist der Verschluß, die Klappe.

Príkop (ebenfalls mit Häkchen über dem r), der Graben, den Herr Franzobel in einem 'Standard'-Artikel erwähnt, hat mit dem Namen wohl nichts zu tun.