-ieren Substantiv ieren

Begonnen von Fleischers Karsten, 2006-03-27, 19:03:29

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#16
... hmmm, 'n paar fielen mir auch noch ein:

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Toleranz ist vor allem die Erkenntnis, dass es keinen Sinn hat, sich aufzuregen. (Helmut Qualtinger)

Agricola

#17
Mal im Ernst: Ich finde, man sollte bei den vielen -ieren-Wörtern auch an die Etymologie denken, wenn man nicht nur sinnlose Konstrukte haben will. Manche Endungen, die hier arverbitten wurden, leiten sich direkt von lateinischen Endungen ab, die jeweils ihre eigene Bedeutung haben, so

Aquädukt von aquaeductus

Induktion von inductio

beides Substantivierungen, die vom Perfektpartizip des Verbes "dûcere" abgeleitet sind. Die entsprechende Verbform leitet sich sinnvollerweise vom Infinitiv dieses Verbes ab und ist deshalb bekanntermaßen bei "Induktion" "induzieren" und muss entsprechend bei "Aquädukt" "aquäduzieren" oder noch besser "aquamduzieren" heißen (da es im Lateinischen "aquae ductus" und "aquam ducere" heißt).

Ganz analog leiten sich z.B. konstruieren, Konstruktion und Konstrukt (construere, construo, construxi, constructus, Substantivierungen constructio und constructum, wobei sich das Geschlecht und die minimale Bedeutungsdifferenz auf das Deutsche überträgt), diskutieren und Diskussion (discutere, discutio, discussi, discussum, Substantivierung discussio), fingieren und Fiktion usw. her. Es handelt sich also um starke lateinische Verben, die man nicht schwächen, sondern respizieren (s.u.) sollte. Es gibt allerdings Ansätze, hier stärkend zu wirken, ohne sich an der lateinischen Sprache zu versündigen, so z.B. bei den Ableitungen von schwachen Frequentativis bzw. Intensivis, die auf ihre starken Grundformen zurückgeführt werden können, etwa akzeptieren von acceptare, Frequentativum von accipere, besser also von accipere, accipio, accepi, acceptum / acceptio abzuleiten. Es ergibt sich

akzipieren, Akzept(ion)
entsprechend
respizieren (statt respektieren) und davon bereits korrekt Respekt
dieren (statt datieren), davon konsequenterweise Dat statt Datum
kurrieren (statt kursieren), davon bereits korrekt Kurs
deserieren, Desertion statt desertieren, Desertation
dizieren, Dikt statt diktieren, Diktat
primieren statt pressieren, davon korrekt bereits Pression

obwohl einige von Frequentativa abgeleitete Wörter wie "agitieren, Agitation" eine etwas andere Bedeutung entwickelt haben als die Grundformen "agieren, Aktion" und somit neben den Grundformen geduldet werden können. Dazu gehört auch "konversieren, Konversation" (die dazugehörige einfache Form ist "konvertieren, Konversion", ursprünglich praktisch gleichbedeutend)

Umgekehrt könnte man für manche Wörter die Intensiva bzw. Frequentativa fruchtbar machen, um eben eine Intensivation zu schaffen:
Für häufige Konkurse "konkursieren, Konkursat"
Für häufige Übungen "exerzitieren, Exerzitat"
Für eine starke Tendenz "tentieren, Tentanz"
Für das Schreiben komplexer Fugen "fugitieren, Fugitation"
Für intensives suggerieren "suggestieren, Suggestation"
Für Epidemien "infektieren, Infektation"
Für häufige Additionen "additieren, Additation"
Für Schnüffeleien "inspektieren, Inspektation"
usw.

Gänzlich abzulehnen ist "editieren" als falsche Rückbildung von "Edition"; richtig heißt es "edieren".

Auch die anderen Endungen wie -at, -ur usw. sind von lateinischen Substantivierungsformen abgeleitet, deren genaue Bedeutung jeweils zu ergründen wäre, ehe man weitere Formen hinzufügt und die Sprache somit mit neuen Ausdrucksmöglichkeiten ditiert.
The future lies in front of me,
but "lies" is all that I can see.

Kilian

Zitat von: Agricola in 2006-07-21, 15:35:55Manche Endungen, die hier arverbitten wurden, leiten sich direkt von lateinischen Endungen ab, die jeweils ihre eigene Bedeutung haben

"Eigene Bedeutung" finde ich zu hoch gegriffen.

-at und -ukt deuten auf ein lateinisches Partizip Perfekt Passiv hin (jeweils verschiedener Verben), im Substantivat mithin auf das Resultat der jeweiligen Handlung.

-ur geht, vermute ich, auf das lateinische Partizip Futur Aktiv zurück, somit hieße correctura (von corrigere) eigentlich "im Begriff, zurechtzurichten", verselbständigte sich aber laut den etymologischen Angaben im Wahrig spätestens im Mittellateinischen zu "Amt des Korrektors", mithin zur Bezeichnung einer Tätigkeit. Im Deutschen verselbständigte sich die Endung weiter, wurde zur Substantivur etwa des aus dem Französischen entlehnten gravieren verwandt und sogar grobschlächtig an den Dozenten drangeklatscht, um Dozentur zu bilden, was analog Korrektur besser Doktur hieße.

Aus diesem Grund glaube ich nicht, dass man den hier beschriebenen Verwendungen der Endungen vorwerfen kann, sie versöndägen sich an der lateinischen Sprache oder bälden sinnlose Konstrukte.

ZitatEs handelt sich also um starke lateinische Verben, die man nicht schwächen, sondern respizieren (s.u.) sollte.

Wo und wie werden denn lateinische Verben geschwuchen? *guckt sich gehetzt nach dem Schurken um, der solches tue*

ZitatAbleitungen von schwachen Frequentativis bzw. Intensivis, die auf ihre starken Grundformen zurückgeführt werden können

Exzellente Idee! Auch die Ableitung neuer Intensivorum und Frequentativorum...

*rafft's noch net ganz* Was bedeutet ditieren?

Agricola

#19
Zitat von: Kilian in 2006-07-21, 17:42:04
Zitat von: Agricola in 2006-07-21, 15:35:55Manche Endungen, die hier arverbitten wurden, leiten sich direkt von lateinischen Endungen ab, die jeweils ihre eigene Bedeutung haben

"Eigene Bedeutung" finde ich zu hoch gegriffen.

-at und -ukt deuten auf ein lateinisches Partizip Perfekt Passiv hin (jeweils verschiedener Verben), im Substantivat mithin auf das Resultat der jeweiligen Handlung.
-at: ja. -ukt: nein, da das k (das ursprünglich natürlich ein c war) zum Verbstamm gehört. Deshalb ist -ukt überhaupt keine Endung. Es gibt ja auch noch andere Endungen, so die -enzen und -anzen, die von der Substantivierung des Präsenspartizips abgeleitet sind, in Akzeptanz (besser vom Grundwort akzipieren abgeleitet: Akzipanz), die direkt von den Präsenspartizipien abgeleiteten -anten und -enten bzw. (bei Neutris -ans und -ens), die von Gerundien abgeleiteten -anden und -enden (im Neutrum Sg. -andum), -ar aus der Adjektivendung -aris und deren Substantivierung -arius abgeleitet, -al ebenfalls von der Adjektivendung -alis und der Substantivierung -ale, dann die hier noch nicht genannten -täten aus der Substantivierung mit -tas, insbesondere die -ivitäten (meist mittel- oder neulateinisches Vokabular, obwohl es vereinzelte klassische Vorbilder gibt) und die aus griechischen Adjektiven entstehenden -izitäten, ferner direktere Ableitungen aus dem Griechischen wie kritisieren, Kritik, musizieren, Musik, -ismen, -izismen usw.

Ich bin ja für eine kreative Anwendung dieser Endungen, aber doch im Falle von aus dem Lateinischen und Griechischen abgelittenen Wörtern unter Berücksichtigung ihrer Etymologie und Konjugation.
Zitat von: Kilian in 2006-07-21, 17:42:04
-ur geht, vermute ich, auf das lateinische Partizip Futur Aktiv zurück, somit hieße correctura (von corrigere) eigentlich "im Begriff, zurechtzurichten", verselbständigte sich aber laut den etymologischen Angaben im Wahrig spätestens im Mittellateinischen zu "Amt des Korrektors", mithin zur Bezeichnung einer Tätigkeit. Im Deutschen verselbständigte sich die Endung weiter, wurde zur Substantivur etwa des aus dem Französischen entlehnten gravieren verwandt und sogar grobschlächtig an den Dozenten drangeklatscht, um Dozentur zu bilden, was analog Korrektur besser Doktur hieße.
Oder in manchen Fällen auf die Passivform 3. Pers. Sg. Ohne Zweifel ist dies beim "Imprimatur" der Fall, da es sonst eine "Impressur" wäre; das Wort bedeutet also "es soll gedruckt werden". Beim "Abitur" habe ich das noch nie herausgekriegt falls es jemand weiß, wäre ich begierig, es zu hören. Entweder "abitur" (man geht ab) oder "abiturus" (einer im Begriff es Abgehens befindlicher).
Zitat von: Kilian in 2006-07-21, 17:42:04
Aus diesem Grund glaube ich nicht, dass man den hier beschriebenen Verwendungen der Endungen vorwerfen kann, sie versöndägen sich an der lateinischen Sprache oder bälden sinnlose Konstrukte.
Ich dachte da an Rückbildungen wie viadieren (statt viamduzieren) oder tinktieren (statt tingieren)

Zitat
ZitatEs handelt sich also um starke lateinische Verben, die man nicht schwächen, sondern respizieren (s.u.) sollte.

Wo und wie werden denn lateinische Verben geschwuchen? *guckt sich gehetzt nach dem Schurken um, der solches tue*
Siehe z.B. "tinktieren".
Zitat
ZitatAbleitungen von schwachen Frequentativis bzw. Intensivis, die auf ihre starken Grundformen zurückgeführt werden können

Exzellente Idee! Auch die Ableitung neuer Intensivorum und Frequentativorum...

*rafft's noch net ganz* Was bedeutet ditieren?
Direkt vom lateinischen "ditare" (bereichern) als neues Fremdwort eingeführt.
The future lies in front of me,
but "lies" is all that I can see.

Kilian

#20
Zitat von: Agricola in 2006-07-21, 18:19:02
Zitat von: Kilian in 2006-07-21, 17:42:04-at und -ukt deuten auf ein lateinisches Partizip Perfekt Passiv hin (jeweils verschiedener Verben), im Substantivat mithin auf das Resultat der jeweiligen Handlung.

-at: ja. -ukt: nein, da das k (das ursprünglich natürlich ein c war) zum Verbstamm gehört.

Das ist vielleicht eine Frage der Begrifflichkeiten. Bei mir haben lateinische Verben drei Stämme: Präsensstamm, Perfektstamm Aktiv und Perfektstamm Passiv. Bei einigen Verben endet der Perfektstamm Passiv auf -at, bei anderen auf -ukt, bei wieder anderen Verben wieder anders.

Der Vorschlag in diesem Faden: Beides im Neutschen zu Derivationssuffixen umfunktionieren.

ZitatDeshalb ist -ukt überhaupt keine Endung.

Richtig, im Lateinischen ebenso wenig wie -at. Im Neutschen dann schon.

ZitatIch bin ja für eine kreative Anwendung dieser Endungen, aber doch im Falle von aus dem Lateinischen und Griechischen abgelittenen Wörtern unter Berücksichtigung ihrer Etymologie und Konjugation.

Das ist ein unterstützenswertes, vielleicht zu anspruchsvolles Ansinnen - immerhin sütze das eine ganz schöne Lateinkenntnis voraus, um kreatives Neutsch zu sprechen. Hätte ich zu bestimmen, ich überließe es den Kenntnissen und Lüsten der Einzelnen. In der aktuellen Bauphase der Substantivseite ist unter 2.3.1 der lateinische Stammeswandel bereits in der ersten Variante (sozusagen Standard) rücksbeochtegen, danach wird es beliebiger. Ich denke, unter 2.4, wo dann -at und -ukt auf den Plan treten werden, werde ich es auch so halten.

ZitatOder in manchen Fällen auf die Passivform 3. Pers. Sg. Ohne Zweifel ist dies beim "Imprimatur" der Fall, da es sonst eine "Impressur" wäre; das Wort bedeutet also "es soll gedruckt werden".

Oh, faszinant! Darauf wäre ich nicht gekommen.

ZitatBeim "Abitur" habe ich das noch nie herausgekriegt falls es jemand weiß, wäre ich begierig, es zu hören. Entweder "abitur" (man geht ab) oder "abiturus" (einer im Begriff es Abgehens befindlicher).

Notorischer, aber bequemer Wikipädie-Verweis: Hier wird ein interessanter Stammbaum gezinchen. Ein Infinitiv Futur - hat nicht jede Sprache.

ZitatIch dachte da an Rückbildungen wie viadieren (statt viamduzieren) oder tinktieren (statt tingieren)

Touché! Ich werde auch bei 2.4 ryquärz darauf achten, die Stammmodifikationen relativ weit oben ins Bewusstsein zu rufen.

Andererseits: Gerade bei den Rückbildungen ist der Schalk soviseau schon so groß, dass ich nicht so sehr auf die lateinischen Ursprünge pochen will. Meine tinktieren-Definition zum Beispiel orientiert sich an der Bedeutung von Tinktur und ist nicht mit der des wirklich existierenden Verbs tingieren identisch...

Agricola

Zitat von: Kilian in 2006-07-21, 20:27:01
Das ist vielleicht eine Frage der Begrifflichkeiten. Bei mir haben lateinische Verben drei Stämme: Präsensstamm, Perfektstamm Aktiv und Perfektstamm Passiv. Bei einigen Verben endet der Perfektstamm Passiv auf -at, bei anderen auf -ukt, bei wieder anderen Verben wieder anders.

Der Vorschlag in diesem Faden: Beides im Neutschen zu Derivationssuffixen umfunktionieren.

Zitat:
Deshalb ist -ukt überhaupt keine Endung.

Richtig, im Lateinischen ebenso wenig wie -at. Im Neutschen dann schon.
Es gibt einen Unterschied. -at, abgeleitet von -atus, ist die Endung des Perfektpartizips der regelmäßig konjugierten Verben der ersten Konjugation, und diese Endung wird an den Präsensstamm angehängt. (Na gut, streng genommen gehört das a als Konjugationsvokal zum Stamm dazu.) Entsprechend ist die Endungen -it in Wörtern wie "Kredit" zu bewerten.

In -ukt (oder -ikt, -akt, -ekt und vielleicht -okt) erfüllt hingegen nur das t selber diese Funktion, während das k einen im Präsensstamm enthaltenen Gutturallaut wiedergibt (Dukt von duco, Fakt von facio, Intellekt von intellego, Relikt von relinquo). Es ist also keine Endung. Einem Wort ohne Gutturallaut diese Endung zukommen zu lassen ist widersinnig. Natürlich wäre auch die Endung -at für Verben, die nicht zur ersten Konjugation zählen oder eine unregelmäßige Perfektbildung haben, widersinnig.
Zitat von: Kilian in 2006-07-21, 20:27:01
Notorischer, aber bequemer Wikipädie-Verweis: Hier wird ein interessanter Stammbaum gezinchen. Ein Infinitiv Futur - hat nicht jede Sprache.
Der Link bei "hier" geht leider nicht.
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Kilian

Zitat von: Agricola in 2006-07-21, 20:50:18Es gibt einen Unterschied. -at, abgeleitet von -atus, ist die Endung des Perfektpartizips der regelmäßig konjugierten Verben der ersten Konjugation, und diese Endung wird an den Präsensstamm angehängt. (Na gut, streng genommen gehört das a als Konjugationsvokal zum Stamm dazu.)

Ja, okay, das kann man natürlich so oder so analysieren und benennen.

ZitatIn -ukt (oder -ikt, -akt, -ekt und vielleicht -okt) erfüllt hingegen nur das t selber diese Funktion, während das k einen im Präsensstamm enthaltenen Gutturallaut wiedergibt (Dukt von duco, Fakt von facio, Intellekt von intellego, Relikt von relinquo). Es ist also keine Endung. Einem Wort ohne Gutturallaut diese Endung zukommen zu lassen ist widersinnig. Natürlich wäre auch die Endung -at für Verben, die nicht zur ersten Konjugation zählen oder eine unregelmäßige Perfektbildung haben, widersinnig.

Widersinnig - das kommt darauf an, wie einem der Sinn steht. Ich habe schon in Antwort #20, Absatz 2 und 4 (Zitate nicht eingerinchen) auf diesen Punkt antgewurten. Das hier propagorene Ableitungsmuster argumentiert nicht mit der lateinischen Morphologie, sondern mit gewissen Mustern, die sich in deutschen Wörtern lateinischer Abstammung beobachten und generalisieren lassen.

ZitatDer Link bei "hier" geht leider nicht.

Ups, schulljung, jetzt schon.

Agricola

Zitat von: Kilian in 2006-07-21, 22:43:34

ZitatDer Link bei "hier" geht leider nicht.

Ups, schulljung, jetzt schon.
Vielen Dank, ich hatte schon gedacht, dass es das war. Ja stimmt, ich habe schon Leute "Abiturium" sagen hören. Hochinteressant. Das ist also noch einmal eine andere Ableitung, die mit dem Futurpartizip nur noch mittelbar zu tun hat. "Abiturire" — ein abartiges Wort, das reicht schon fast an dieses Forum heran.
Baldabgehen, gehe baldab, ging baldab, ginge baldab, baldabgegangen.
Ich bin vor 25 Jahren baldabgegangen. Ein Treffen zum 25-jährigen Baldabgehen. Mein Sohn geht im nächsten Jahr baldab.
Ob dieses "Neulatein" für einen guten Lateinunterricht an deutschen Gymnasien spricht, möchte ich mal offen lassen ...
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Kilian

#24
Zitat von: Fleischers Karsten in 2006-03-29, 11:33:09
Wenn das -at der -ur des -ares letztendl irgendwo hineingeht oder aufgenommen wird, kekünne das ein -al oder eine -ale sein:

Der Urinist entsorgt das Urinat im Urinal.
Er benotz ein Papiertaschentuch als Onanal.


Auch hier lassen sich wieder Verben zurückbilden:

annieren - in die Geschichte eingehen
futterieren - etwas (das Futterat) umhüllen

Hieran zweifle ich gerade ein wenig - ist -al als Endung für Aufnehmendes wirklich so verbritten? Weiß jemand Beispiele zuhauf? Oder gute weitere Ausdehungsmöglichkeiten? Nur für ein Papiertaschentuch und zwei - zugegeben sehr reizvolle - Rückzüchtungen mache ich nämlich keinen Punkt auf der Substantivseite auf. :-*

amarillo

#25
Pennal
Hostal
Hospital
Saal
Lokal
Futteral
Pokal

mehr fällt mir im Moment nicht ein.
Das Leben strebt mit Urgewalt nach Entstehung und Musik.

AmelieZapf

Zitat von: Kilian in 2006-08-06, 23:05:02
Hieran zweifle ich gerade ein wenig - ist -al als Endung für Aufnehmendes wirklich so verbritten? Weiß jemand Beispiele zuhauf?

Animal - nimmt mithin die Seele (animus/-a) auf und gibt ihr körperliche Behausung.
Journal - nimmt auf, was den vergangenen Tag über geschah.
Personal - nimmt (umfaßt) die Personen (auf), die bei einem Betrieb angestollen sind.
Pedal - nimmt zwar nicht die Füße auf, aber ist für den Kontakt mit ihnen wie geschaffen. Dito das Manual (z.B. auf der Orgel).
Differential - nimmt Differenzen auf, im Zähler und im Nenner, und läßt sie dann gegen 0 gehen.
Moral - Gesamtheit der Sitten (mores), also quasi ein Aufnehmendes, wo man alle möglichen Sitten aufbewahren kann, und seien sie noch so stupid.
Hospital - Ort, der Gäste (Patienten) aufnimmt, die dort der Heilung ihrer Gebresten harren.
Quartal - umfaßt ein Viertel des Jahres.

Lustiger:
Portugal - umfaßt alle Portugiesen und nimmt sie auch auf.
Nepal - "umfaßt alle Neffen/Enkel": in nepalesischen Bergdörfern ist vermutlich jeder mit jedem verwandt.

Gruß,

Amy
Religion heute:
Ex oriente deus,
ex machina lux.

Fleischers Karsten

Es braucht nicht unbedingt das Aufnehmende sein, sondern kann auch das Mittel, Material oder Werkzeug darstellen, wie z.B. das Lineal.

Vielleicht kekünne man aber auch hier noch eine deultere Differenzust entwickeln.
Karsten

Agricola

Zitat von: Fleischers Karsten in 2006-08-07, 00:13:51
Es braucht nicht unbedingt das Aufnehmende sein, sondern kann auch das Mittel, Material oder Werkzeug darstellen, wie z.B. das Lineal.

Vielleicht kekünne man aber auch hier noch eine deultere Differenzust entwickeln.
Auch hier empfehle ich, die Etymologie zu berücksichtigen. Es gibt unter den aus dem Lateinischen abgeleiteten hauptsächlich zwei Typen:
animal (ist aber kein deutsches Wort, oder?), Tribunal, Kapital (im Sinne von "Kapitalverbrechen") : Lateinische Neutra auf -al; diese Ableitung ist sehr selten, zumal auch die lateinischen Vokabeln dieses Typs nicht sehr häufig sind.

General, Prinzipal, Virginal, Regal, Personal, Original, Ideal, Annalen etc: ursprüngliche Adjektive auf -alis, die erst in modernen Sprachen substantiviert wurden; oft aber wahrscheinlich zuerst im Französischen, ehe sie von dort in Deutsche übernommen wurden; von diesem Typ ist die Mehrzahl der Beispiele

Hinzu kämen wahrscheinlich Beispiele, die von lateinischen Neutra auf -ale (wie penetrale) abgeleitet sind, vermutlich alles Substantivierungen von Adjektiven auf -alis; hierzu fallen mir aber keine Beispiele ein.

Journal ist vermutlich eine französische Bildung analog zu lateinischen Adjektiven auf -alis?


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Agricola

#29
Noch einmal zu den lateinischen Verbis auf -urire, von denen (bzw. deren Partizipiis) Wörter wie "Abitur" abgeleitet sind. Dazu erreicht mich auf meine Anfrage im "Grex Latine Loquentium" ein aufschlussreicher Beitrag von Eduardo Casey:

Zitat von: Eduardus in 2006-08-07, 19:43:57Forma illa verborum temporalium est desiderativa. Nisi fallor originem duxit a participio futuro activo: abiturus > abiturio. Inest quidam sensus futuritatis. Alia exempla: esurio, empturio, Sullaturio, scripturio, et, si licet res rusticas memorare, micturio, cacaturio. Non omnes sunt e Latinitate infima.

Demnach existieren solche Formen also auch im klassischen Latein. In der Tat kennt auch Georges' Lexikon den Ausdruck "Desiderativum" für Verben wie esurire.

Aus diesen ließen sich - analog zu Abiturient/Abitur - schöne weitere Fremdwörter ableiten:
Der Esurient: Der Essbegierige, das Esurium/Esur: dle letzten Essvorbereitungen
Der Empturient: Der Kaufwillige, das Empturium/Emptur: Abschluss eines Kaufvertrages
Der Skripturient: Der Schreiblustige, das Skripturium/Skriptur: Das Internet-Forum
Der Mikturient: der einen Harndrang hat, das Mikturium/Miktur: Halt an einer Ausbuchtung auf der Landstraße
Der Kakaturient: der einen Kotdrang hat, das Kakaturium/Kakatur: Halt auf einer Autobahnraststätte
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