Aorist

Begonnen von leppom, 2005-02-12, 16:53:25

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amarillo

Passé simple ist ins Französische nur noch in sehr gehobener Sprache und literarischer Form erhalten. (Mitterand sprach es noch in seinen Reden, und die Nation hat ihn dafür bewundert)

Stell Dir vor, jemand ging durch Paris:

Il voyait (er sah) les gens qui traversaient (das taten sie die ganze Zeit) les rues. Tout à coup il vit (er erblickte, ist aber auch von "voir" , nur eben die passé simple Form) son vieux copain Marius.
Das Leben strebt mit Urgewalt nach Entstehung und Musik.

Ly

Zitat von: amarillo in 2005-02-12, 21:52:13
Passé simple ist ins Französische nur noch in sehr gehobener Sprache und literarischer Form erhalten. (Mitterand sprach es noch in seinen Reden, und die Nation hat ihn dafür bewundert)

Stell Dir vor, jemand ging durch Paris:

Il voyait (er sah) les gens qui traversaient (das taten sie die ganze Zeit) les rues. Tout à coup il vit (er erblickte, ist aber auch von "voir" , nur eben die passé simple Form) son vieux copain Marius.

Ah, jetzt hab ichs.

So ne Form ist aber auch so sinnvoll wie'n Regenschirm unter der der Dusche...
It isn't always how you look. Look at me. I'm handsome like anything, and I haven't got anybody to marry me yet.

amarillo

Zitat von: Ly in 2005-02-12, 21:52:11

Also savoir - je sus?

Das ist traurig, aber im Moment nicht zu ändern. Die Formen des passé simple muß man sich - mehr oder weniger mühevoll - gesondert draufschaffen. Zu meiner Zeit (Abitur 1973) wurde das passé simple noch wie von selbstverständloch gelehrt. Später in den 70ern hat man das dann eingestellt - dem Himmel sei's geklagt.
Das Leben strebt mit Urgewalt nach Entstehung und Musik.

Ly

Zitat von: amarillo in 2005-02-12, 21:57:36
Zitat von: Ly in 2005-02-12, 21:52:11

Also savoir - je sus?

Das ist traurig, aber im Moment nicht zu ändern. Die Formen des passé simple muß man sich - mehr oder weniger mühevoll - gesondert draufschaffen. Zu meiner Zeit (Abitur 1973) wurde das passé simple noch wie von selbstverständloch gelehrt. Später in den 70ern hat man das dann eingestellt - dem Himmel sei's geklagt.

Na ja, ich hab erst 2 1/2 Jahre französisch gelernt, vielleicht kommt das auch noch....
It isn't always how you look. Look at me. I'm handsome like anything, and I haven't got anybody to marry me yet.

amarillo

Eigentlich hast Du recht, man kann das passé simple getrost durch das passé composé ersetzen (was im alltäglichen Französisch auch geschieht), dem Verständnis tut das keinen Abbruch.

Ich frage mich allerdings immer noch, warum es im Spanischen (das pretérito indefinido) so überaus lebendig ist; uns Deutschen scheint es einfach so überflüssig wie ein Kropf.
Das Leben strebt mit Urgewalt nach Entstehung und Musik.

MrMagoo

#20
Zitat von: amarillo in 2005-02-12, 22:01:36
Eigentlich hast Du recht, man kann das passé simple getrost durch das passé composé ersetzen (was im alltäglichen Französisch auch geschieht), dem Verständnis tut das keinen Abbruch.

Ich frage mich allerdings immer noch, warum es im Spanischen (das pretérito indefinido) so überaus lebendig ist; uns Deutschen scheint es einfach so überflüssig wie ein Kropf.

Das pretérito indefinido ist das "pretérito perfecto simple", oder?
Also der Aorist.

Wir hatten auch dies schon einmal kurz angerissen - war's im Doppelperfekt-Strang? Ich weiß es nicht mehr genau - wie auch immer:
Das Spanische gehört zur südlichen Zone der synthetischen Vergangenheitstempora.
Ich mußte das mal in einem Referat darlegen - ich will's mal kurz wiederholen:

Für das Erzähltempus
(und NUR dafür - mittlerweile auch nur noch theoretisch --> dazu komme ich gleich noch)
wird in den zentraleuropäischen Sprachen, namentlich das Süddeutsche, das Norditalienische und das Nordfranzösische, eine analytische (d.i. eine aus zwei Formen, Hilfs- und Vollverb bestehende) Vergangenheitsform bevorzugt;
im Süddeutschen: das Perfekt
im Norditalienischen: das Passato Prossimo
im Südfranzösischen: das Passé Composé.

Die Sprachen nördlich dieses zentraleuropäischen Kerns, z.B. Englisch, Norddeutsch, Schwedisch, Niederländisch, etc., bevorzugen eine synthetische (d.i. eine aus einer Verbform bestehende) Vergangenheitsform, welche man im Grunde mit dem deutschen Präteritum gleichsetzen kann.

Die Sprachen südlich des Kerns (z.B. Süditalienisch, Südfranzösisch, Portugiesisch, Bulgarisch) weisen eine Besonderheit auf:
Neben der analytischen Vergangenheitsform, dem Perfekt, besitzen sie zwei synthetische, von denen die eine generell als Imperfekt bezeichnet wird (so z.B. das Imparfait im Französischen, das Imperfecto im Spanischen, das Imperfetto im Italienischen), die andere generell als Aorist (z.B. das Passé Simple im Französischen, das Pretérito Perfecto Simple im Spanischen und das Passato Remoto im Italienischen).

Der Aorist ist hier die Zeit, die als Erzähltempus (theoretisch!!) bevorzugt wird.

--> Daher ist im Spanischen das Pretérito Perfecto bzw. Indefinido noch immer üblicher als im Deutschen das Präteritum - mit dem es aber nicht gleichgesetzt werden darf! (Daher übrigens auch die Neubenennung des "Imperfekt" in "Präteritum" im Deutschen!)

So und nun noch ein Wort zum "theoretischen Erzähltempus":
Theoretisch deshalb, weil die Untersuchungen, die ich für das Referat verwandte einerseits schon ein paar Jahre auf dem Buckel haben und andererseits es diese klare Abgrenzung der Erzähltempora nicht mehr gibt: Das Perfekt, d.h. also die analytischen Zeitformen sind in vielen Sprachen auf dem Vormarsch, selbst im südlichsten Italien wird mittlerweile das Passato Prossimo bevorzugt, das Passé Simple im Französischen stirbt ab, auch im Niederländischen verdrängt das Perfekt die synthetische Bildungsweise genauso wie im norddeutschen Sprachraum.
Im süddeutschen Sprachraum ist das Präteritum schon (fast) völlig geschwunden, man spricht vom "Oberdeutschen Präteritumschwund", und durch das Perfekt ersetzt.
Wâ mag ich mich nu vinden? wâ mac ich mich nu suochen, wâ? nu bin ich hie und bin ouch dâ und enbin doch weder dâ noch hie. wer wart ouch sus verirret ie? wer wart ie sus zerteilet mê?
(Gottfried von Straßburg)

gehabt gehabt

im Spanischen ist es deshalb lebendig weil  notwendig um einen Unterschied zu machen zwischen ich kannte ihn (lo conocia) und ich lernte ihn kennen (lo conoci). Fuer einen Spanier ist es anscheinend auch wichtig ob Zarathustra gewohnheitsmaessig so gesprochen hat oder zu dem und dem Anlass an dem und dem Ort. Aus "Also sprach Z." wird das nicht ersichtlich. Man muss im deutsche den Kontext kennen oder es umschreiben.

Natuerlich hatte und habe ich als Deutscher grosse Schwierigkeiten zwischen den beiden Formen "hablaba" (so sprach er immer oder damals) und hablo ("so sprach er dann und dort"). Die Testfrage ist fuer das pret. indef. :"Was war?" hablaba   und "was geschah?" hablo

Vermutlich ist "was geschah?" auch fuer den Aorist die Testfrage.

MrMagoo

Zitat von: gehabt gehabt in 2005-02-12, 23:30:40
im Spanischen ist es deshalb lebendig weil  notwendig um einen Unterschied zu machen zwischen ich kannte ihn (lo conocia) und ich lernte ihn kennen (lo conoci). Fuer einen Spanier ist es anscheinend auch wichtig ob Zarathustra gewohnheitsmaessig so gesprochen hat oder zu dem und dem Anlass an dem und dem Ort. Aus "Also sprach Z." wird das nicht ersichtlich. Man muss im deutsche den Kontext kennen oder es umschreiben.

Natuerlich hatte und habe ich als Deutscher grosse Schwierigkeiten zwischen den beiden Formen "hablaba" (so sprach er immer oder damals) und hablo ("so sprach er dann und dort"). Die Testfrage ist fuer das pret. indef. :"Was war?" hablaba   und "was geschah?" hablo

Vermutlich ist "was geschah?" auch fuer den Aorist die Testfrage.


Hättest Du das nicht eher schreiben können, gehabt gehabt? Ich glaube das ist genau das, wonach Ly ganz am Anfang frug! ;)
Wâ mag ich mich nu vinden? wâ mac ich mich nu suochen, wâ? nu bin ich hie und bin ouch dâ und enbin doch weder dâ noch hie. wer wart ouch sus verirret ie? wer wart ie sus zerteilet mê?
(Gottfried von Straßburg)

amarillo

Genau, aber wenn Du hier mit regelmäßigen Verben das indefinido bildest, darfst Du wirklich nicht den Akzent verschludern, sonst ist die ganze Geschichte nicht mehr vom Präsens unterscheidbar, solange man nur liest.

Pedro (él) habló (indefinido)

(yo) hablo  (presente)
Das Leben strebt mit Urgewalt nach Entstehung und Musik.

Caspar Jordan

Die neuesten Forschungen über den Aorist im Altindischen (Vedischen) haben ergeben, dass der Aorist eine Handlung beschreibt, die vor ziemlich kurzer Zeit passor, während der Imperfekt eine schon weiter zurückliegende Handlung beschreibt. So kann man im Rgveda 10 107, 1 folgendes lesen (gesprochen durch die PaNis, welche die Kühe Indras gestolen haben, zu SarámA, der Hündin Indras, die gekommen ist, um die Kühe wiederzuholen):
kím ichántI sarámA prédám AnaD (3. sg. aorist ind.akt.) ... katháM rasÁyA ataraH (2. sg. imperfekt akt.) páyAMsi "Mit welchem Ziel ist SarámA hierher gekommen (gerade angekommen)? ... Wie überquorst du die Fluten der Rasa (ein Fluss; dies liegt schon weiter zurück, nämlich bevor SarámA zu den PaNis kam)?
hm, warscheinlich keine Hilfe für den, der Klassisches Griechisch lernen will, aber meines Erachtens doch interessant...

caru

himmel. ist es schon so weit gekommen? ein vedist, der "DER imperfekt" schreibt? mach das ja nicht in wien, unser lokaler vedist würde schäumen  :D


ähm, wo finden sich denn diese neuen forschungen betreffs aorist im vedischen? gibts da einen netten artikel in irgendeiner zeitschrift, oder so? täte mich interessieren.
(\___/)
(>´x´<)
('.')__('.')

Nijntje - de echte nederlandse konijn

gehabt gehabt

Fuer mich beschreibt der Aorist so wie ich glaube verstanden zu haben keine Zeit sondern einen Aspekt: ob eine Begebenheit ein Zustand ist oder eine Aenderung desselben. Wenn dem so ist muesste man ihn in untergegangenen Formen auch in der gegenwart und der Zukunft konstruieren koennen. Ich bin ja kein Profi aber wenn der Aorist eine Zustandsaenderung beschreibt, haette ich ein Beispiel im Deutschen. Mal schae, ob das fuer die Experten im Forum Sinn ergibt:

Angenommen sein und werden sind Formen desselben Verbs naemlich der Infinitiv Gegenwart nicht Aorist und Aorist. Dann ist:

Ich bin krank      Gegenwart nicht-Aorist
Ich werde krank  gegenwart Aorist
Ich war krank      Vergangenheit nicht-Aorist
Ich wurde krank   Vergangenheit Aorist


Im Spanischen gibt es ja bekanntlich kein extra Wort fuer werden aber in der Vergangenheit kann man es durch die beiden vergangenheitsformen ausdrucken:

en 1804 era emperador    1804 war er Kaiser
en 1804 fue emperador     1804 wurde er kaiser

beide formen fue und era sind Vergangenheitsformen von ser (sein). In der Gegenwart kann man aber nur sagen:
Es emperador (er ist Kaiser), wenn man sagen will, dass einer Kaiser wird muss man es umschreiben: Se hace oder se convierte en emperador.


(Die Faelle, un denen im Deutschen Werden eher einen Zustand denn eine Zustandsaenderung ausdruecken, muss man an den Haaren herbeiziehen: ueber Jahrhunderte wurden meine Vorfahren Bauern, der Spanier wuerde in diesem Falle auch sagen: ueber Jahrhunderte waren sie Bauern ).

Frage an die Experten: sind die Saetze  "es wurde Licht" und "es ward Licht" eigentlich identisch?

caru

sind die Saetze  "es wurde Licht" und "es ward Licht" eigentlich identisch?

ich würde sagen, ja.
(\___/)
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Nijntje - de echte nederlandse konijn

Caspar Jordan

- "der Imperfekt": Eigentlich das Imperfekt? Bin nur zur Hälfte deutsch und lebe in Schweden...

- zum Aorist: Die Theorie über den sog. "aktuellen Aorist" im Vedischen stammt von E. Tichy. Leider weiß ich nicht, ob sie etwas zum Thema veröffentlicht hat, ich habe es von meiner Vedischlehrerin erzählt bekommen und die kann es auch direkt von Frau Tichy haben... Ich könnte natürlich mal fragen...

amarillo

Zitat von: gehabt gehabt in 2005-02-14, 23:05:44
Frage an die Experten: sind die Saetze  "es wurde Licht" und "es ward Licht" eigentlich identisch?

Für meinen Geschmack beinhaltet "es wurde Licht" eine Nuance, die meht den Aspekt des Vorgangs beleuchtet, während "es ward Licht" das Resultat eben jenes Vorgangs hervorhebt.

Etwas Ähnliches gibt es ins Englische "he has gone" und "he is gone"
Das Leben strebt mit Urgewalt nach Entstehung und Musik.