Partizip mit ge-

Begonnen von Arnymenos, 2005-02-17, 20:13:05

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Arnymenos

Ich las gerade in der Starkverbliste "transgepiroren" als Partizip von transpirieren. Da hat jemand nicht aufgepasst. Ich hoffe, klarmachen zu können, warum das so nicht sein kann, auch bei aller Freiheit nicht.

Das ge- ist im Englischen ganz verschwunden, die Bayern sprechen nur noch ein k- (das könnte man genauer ausführen... wann die was sprechen, wann es ganz wegfällt). MrMagoo wird uns sicher auch sagen können, wie diese Vorsilbe früher aussah. Ich vermute, sie hatte einen Vollvokal, also etwa gi-. Sowas ähnliches habe ich mal gilêzan. Punctum saliens: Diese Silbe wurde phonetisch abgestuft, geschwächt. Sie hat heute nur noch ein Schwa als Vokal, und das ist absolut unbetonbar. Partizipien mit ge- beginnen also immer mit einer unbetonten Silbe.

Und das ist schlecht. Bei längeren Wörtern wird ein nebenbetonter Fuß gebaut, wenn dafür Platz ist ("Automation" etc.). Ich kenne kein Wort im Deutschen, dass mit zwei unbetonten Silben anfängt. Es ist in jedem Fall besser und immer möglich, diesen metrischen Fuß zu dort haben. Und mit der Nebenbetonung ist das Problem wieder gelöst.
Universell gesprochen gibt es Sprachen mit Wörtern, deren erste drei Silben un-, un- und hauptbetont sind, aber eben nur mit Hauptbetonungen, nie un-, un- und nebenbetont (soweit ich weiß; das ist wieder so eine Theorie für die ich momentan weder die Quelle noch einen einleuchtenden Beweis nennen kann. Nehmt es als Kuriosum hin; glaubt es oder glaubt es nicht; untersucht und/oder diskutiert es, wenn ihr wollt; wir brauchen es nicht weiter.). Für das Deutsche sind zwei unbetonte Silben am Wortanfang tabu.

Wir können schnell feststellen, dass eine vorhandene, untrennbare Vorsilbe das ge- blockiert wie in verlaufen vs. gelaufen. Das ist eine Regel, die man als Deutschlernender braucht. Mit noch ein paar Regeln schafft man es nun, zu lernen, warum es nicht "getranspiriert", nicht "gepunktiert", aber "gesehen" und "gearbeitet" heißt.

Die Verallgemeinerung all dieser regeln ist aber ebenso simpel wie konsistent: ge- steht immer dann vor dem Verbstamm (abzüglich alles trennbaren wie z.B. "vor-" in "vorstell-", aber nicht des untrennbaren wie etwa "ver-" in "verstell-"), wenn es dort stehen darf. Das ist genau dann der Fall, wenn dieser Stamm mit der hauptbetonten Silbe beginnt.
Kurzum, eine unbetonte Silbe ist am Wortanfang nur möglich, wenn direkt danach die Hauptbetonung kommt. Weil wir viel zusammensetzen, wird das Ganze noch etwas komplizierter. Das kann ich im Moment nicht alles überblicken.

Die Nebenbetonung auf "trans" in "transpiriert" erlaubt kein "ge-", wohl aber die Hauptbetonung auf "ar" in "ge-arbeitet". "gepunktiert" begänne mit zwei unbetonten Silben, ist daher kein gültiges Wort. Ebenso ist "gepiroren" bei abtrennbarem "trans" nicht möglich.

Die Regel noch einmal: Das Partizip ist gekennzeichnet durch das Präfix "ge-" direkt vor dem Verbalstamm, welches aber nur dann auch wirklich auftaucht, wenn es direkt vor der Hauptbetonung steht.

Man könnte jetzt über "transpigeroren" nachdenken, da das "ge-" ja vor die Hauptbetonung soll. Aber das mit dem "soll" stimmt so nicht. Es "soll" einzig und allein vor den Verbalstamm. Wenn danach nicht die Hauptbetonung käme, dann ist das nicht erfüllbar, und das "ge-" verzichtet. Es hat also eine sehr wichtige Funktion, ist aber erstens sehr unbeweglich und zweitens so schwach, dass es sich an eine Hauptbetonung anlehnen muss. Und die kriegt es nur sehr selten, meistens eben bei guten, einheimischen, einsilbigen Verbalstämmen wie "seh-". Und da wird auch verständlich, warum es im Englischen ganz abgetreten ist: Es war einfach zu schwach.

Ich denke, es sprengt den Rahmen des Verben Stärkens, wenn man die rhythmische Struktur des Deutschen verändern will. Man könnte nur dem "ge-" per Vollvokal zur Betonbarkeit verhelfen, dann könnte man "GIpunkTIERT" mit Nebenbetonung auf "gi" sagen. Aber wieso diese Silbe überstrapazieren, wenn sie von einem trennbaren Verbpartikel ohnehin "verdrängt" wird? Es bleibt bei "transpiroren", und "transgepiroren" müsste spätestens nach dem Lesen dieser Zeilen in eurer aller Ohren komisch klingen.

versucher

Hallo Arnymenos!

Ein Lob der Ausführlichkeit!

Kann man bei "transpirieren" nicht eine Ausnahme machen? Wäre es nicht schön, wenn es

"transpiporen" oder "transporen"

hieße, wenn also irgendwie "Poren" drin vorkämen?

Sprachliche Grüße
Der Versucher

P.S.: Ich glaube, wir alle hier hielten uns einstmals für die Erfinder des Verbenstärkens (weil du in einem andern Thread, glaube ich, mal davon sprachst). Eine alte "geheime" Liste besitzt wohl jeder...

gehabt gehabt

gilt die Konjugationsregel eigentlich auch fuer die Woerter
stieren und gieren, und wie konjugiert man, wenn ja, gaeren?

Arnymenos

schwach: transpiriert (nicht getranspiriert, transgepiriert)
stark: transpiroren (nicht transgepiroren, getranspiroren)

Hier bin ich natürlich für die starke Form.


Die Regel mit dem ge- gilt immer; sie hat mit Morphologie kaum etwas zu tun, sondern nur mit Phonetik (ge- ist eine reduzierte Silbe und damit unbetonbar)  und Metrik (kein Wort beginnt zwiefach unbetont). Das ist ein Beispiel dafür, was ich meine, wenn ich davon spreche, dass Verbstärkung nicht beliebig ist, sondern sich im Großen und Ganzen an die deutsche Sprache hält.
Also ganz regelmäßig und stark:

stieren - stor - gestoren
gieren kollidiert mit gären, da hat gehabt gehbat Recht gehabt gehabt, als er das gesagt gehabt hat. Wer hat einen Vorschlag? Meiner wäre gieren - gar - gegaren, aber das ist mir zu nahe an garen. Man könnte auch gären auf gur - geguren ûswîchen lân. Und was ist dann mit garen? Irgendwie wollen die alle auf ein Präteritum gor hinaus.


gehabt gehabt

Ich piriere trans
ich piror trans
ich pir"ore trans
transpriroren

Arnymenos

Zitat von: gehabt gehabt in 2005-02-18, 13:07:19
transpriroren

Ist das Absicht oder vertippt?

Der Rest ist gut und richtig.

Kilian

Ich glaube, das Problem ist, dass unfeste Partikelverben immer auf dem Präfix, transpirieren aber nicht auf trans betont wird. Das führt zu dem Problem im Partizip II - also mache ich das Verb lieber wieder ganz untrennbar.

Des Versuchers Vorschlag mit den Poren gefällt mir. Was haltet ihr von folgender Version?

transpirieren, transpipar, transpipäre, transpiporen

Arnymenos

Das sieht ja fast nach Reduplikation aus... aber wie unterscheiden wir das dann von transpipieren? Bzw. warum ist es NUR im Präsens NICHT P statt R?

Kilian

Solange es das Verb transpipieren nicht gibt, sehe ich darin kein Problem.

versucher

Das erklärt sich volksetymologisch: Natürlich hat Arnymenos recht, es hieß bis zur Mitte des 17. Jahrhunderts "transpiroren", aber nach einem Streit zwischen den Nürnberger Pegnitzschäfern ("transpiroren ist richtig!") und dem Weimarer Palmenorden ("transpiporen!") intrigor bei der Abstimmung innerhalb der Pegnitzschäfer einer der Genossen. Da die Mitglieder Decknamen und Masken trugen, waren sie nicht zu erkennen, jedenfalls gab die eine Stimme den Ausschlag für  "transpiporen", das der Palmenorden bevurzog (?), weil es die Bevölkerung favorisor. Es lœch den Leuten schlichtweg mehr ein. Dem Volksmund eine Chance! (Als den Intriganten vermot man übrigens Harsdörffer, der in beiden Gruppen Mitglied war, aber gelonchen wurde ein anderer, dessen Name mir jetzt leider entschlopfen ist.)

Kilian

Genau. Wusstest du das nicht, Arnymenos? ;) :P

MrMagoo

Zitat von: Arnymenos in 2005-02-17, 20:13:05
Das ge- ist im Englischen ganz verschwunden, die Bayern sprechen nur noch ein k- (das könnte man genauer ausführen... wann die was sprechen, wann es ganz wegfällt). MrMagoo wird uns sicher auch sagen können, wie diese Vorsilbe früher aussah. Ich vermute, sie hatte einen Vollvokal, also etwa gi-. Sowas ähnliches habe ich mal gilêzan. Punctum saliens: Diese Silbe wurde phonetisch abgestuft, geschwächt. Sie hat heute nur noch ein Schwa als Vokal, und das ist absolut unbetonbar. Partizipien mit ge- beginnen also immer mit einer unbetonten Silbe.

Ja, das ist richtig - die Silbe hatte vorher den Vollvokal i: "gi-"

Daß mir da aber jetzt keine Mißverständnisse aufkommen - nur zur Verdeutlichung:
Betont war sie auch mit Vollvokal nicht!
Bei der Silbe wurde der Vokal "i" zum Schwa "e" geschwächt und zwar gerade deshalb, weil sie unbetont war.



ZitatUnd das ist schlecht. Bei längeren Wörtern wird ein nebenbetonter Fuß gebaut, wenn dafür Platz ist ("Automation" etc.). Ich kenne kein Wort im Deutschen, dass mit zwei unbetonten Silben anfängt. Es ist in jedem Fall besser und immer möglich, diesen metrischen Fuß zu dort haben. Und mit der Nebenbetonung ist das Problem wieder gelöst.
Universell gesprochen gibt es Sprachen mit Wörtern, deren erste drei Silben un-, un- und hauptbetont sind, aber eben nur mit Hauptbetonungen, nie un-, un- und nebenbetont (soweit ich weiß; das ist wieder so eine Theorie für die ich momentan weder die Quelle noch einen einleuchtenden Beweis nennen kann. Nehmt es als Kuriosum hin; glaubt es oder glaubt es nicht; untersucht und/oder diskutiert es, wenn ihr wollt; wir brauchen es nicht weiter.). Für das Deutsche sind zwei unbetonte Silben am Wortanfang tabu.


Grund: Das Deutsche (eigentlich sämtliche germanische Sprachen) hat "Initialbetonung", d.h. daß generell die erste Silbe die Betonung trägt.
Ausnahmen sind Fremdwörter aus vornehmlich nichtgermanischen Sprachen und Wörter mit unbetonten Präfixen wie z.B. "ge-". Die Erklärung hierzu hast Du, Arnymenos ja bereits geliefert.  ;)
Wâ mag ich mich nu vinden? wâ mac ich mich nu suochen, wâ? nu bin ich hie und bin ouch dâ und enbin doch weder dâ noch hie. wer wart ouch sus verirret ie? wer wart ie sus zerteilet mê?
(Gottfried von Straßburg)

gehabt gehabt

Zitat von: Arnymenos in 2005-02-18, 14:46:38
Zitat von: gehabt gehabt in 2005-02-18, 13:07:19
transpriroren

Ist das Absicht oder vertippt?

Der Rest ist gut und richtig.

vertippt, wie so oft

amarillo

Zitat von: Arnymenos in 2005-02-18, 14:46:38
Zitat von: gehabt gehabt in 2005-02-18, 13:07:19
transpriroren


Der Rest ist gut und richtig.[/color]

Also doch "richtig". Dann sind dem Linguisten diese Kategorien
letztendlich nicht so fremd?
Das Leben strebt mit Urgewalt nach Entstehung und Musik.

MrMagoo

#14
Zitat von: Arnymenos in 2005-02-17, 20:13:05
Und das ist schlecht. Bei längeren Wörtern wird ein nebenbetonter Fuß gebaut, wenn dafür Platz ist ("Automation" etc.). Ich kenne kein Wort im Deutschen, dass mit zwei unbetonten Silben anfängt. Es ist in jedem Fall besser und immer möglich, diesen metrischen Fuß zu dort haben. Und mit der Nebenbetonung ist das Problem wieder gelöst.
...
Für das Deutsche sind zwei unbetonte Silben am Wortanfang tabu.



Hmm, wie sieht's denn dann mit "Lokomotive" aus?
Die betonte Silbe ist "ti", alle anderen sind unbetont.

Jaja, es ist ein Fremdwort - aber: 3 unbetonte Silben, denen eine betonte folgt? Das hätte zwischenzeitlich doch mal ausgeglichen werden müssen...
Demnach würde auch "ge+ 2 unbetonte Silben" nicht so fremd klingen, wie Du vielleicht annimmst.


ZitatWir können schnell feststellen, dass eine vorhandene, untrennbare Vorsilbe das ge- blockiert wie in verlaufen vs. gelaufen. Das ist eine Regel, die man als Deutschlernender braucht. Mit noch ein paar Regeln schafft man es nun, zu lernen, warum es nicht "getranspiriert", nicht "gepunktiert", aber "gesehen" und "gearbeitet" heißt.

Nun, diese Regel interessöre mich jetzt mal...


ZitatDie Verallgemeinerung all dieser regeln ist aber ebenso simpel wie konsistent: ge- steht immer dann vor dem Verbstamm (abzüglich alles trennbaren wie z.B. "vor-" in "vorstell-", aber nicht des untrennbaren wie etwa "ver-" in "verstell-"), wenn es dort stehen darf. Das ist genau dann der Fall, wenn dieser Stamm mit der hauptbetonten Silbe beginnt.

Was ist denn dann mit "geverlich"? *hahaha*
(Sorry, aber ich konnte grad nicht anders...  :-[ :-[ :-[)

Schnell zurück zum Thema:

ZitatDie Nebenbetonung auf "trans" in "transpiriert" erlaubt kein "ge-", wohl aber die Hauptbetonung auf "ar" in "ge-arbeitet". "gepunktiert" begänne mit zwei unbetonten Silben, ist daher kein gültiges Wort.

Na, hier weiß ich nicht so recht - das Fehlen des "ge-" bei Verben, die auf -ieren enden hat womöglich andere Gründe.
Ich möchte auf das recht nah verwandte Niederländische verweisen:
--> Das Niederländische hat, wie das Hochdeutsche, nicht aber wie das Englische und dem ihm noch näher verwandten Niederdeutschen die Vorsilbe "ge-" im Partizip behalten - und zwar auch bei den Verben, die auf -ieren enden!
Im Niederländischen heißt es demnach
telefoneren - getelefoneerd
studeren - gestudeerd
konserveren - gekonserveerd
parkeren - geparkeerd und auch
transpereren - getranspereerd

Daß das Verb also nicht mit einer Hauptbetonung beginnt, wird wohl weniger ausschlaggebend gewesen sein; ich vermute eher, daß "ge- oder nicht ge-" (ums mal mit Shakespeare zu sagen) einfach eine Grammatisierungsfrage ist bzw. war.


Zitat... nur sehr selten, meistens eben bei guten, einheimischen, einsilbigen Verbalstämmen wie "seh-". Und da wird auch verständlich, warum es im Englischen ganz abgetreten ist: Es war einfach zu schwach.

Dann wäre es aber sicher auch im Deutschen schon längst verlorengegangen...
Wâ mag ich mich nu vinden? wâ mac ich mich nu suochen, wâ? nu bin ich hie und bin ouch dâ und enbin doch weder dâ noch hie. wer wart ouch sus verirret ie? wer wart ie sus zerteilet mê?
(Gottfried von Straßburg)