Deutsche Rechtschreibung

Begonnen von Arnymenos, 2005-03-08, 14:58:59

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Arnymenos

Ich bin heute wieder auf Forderungen zur Abschaffung der Rechtschreibreform gestoßen. Daher wollte ich einmal fragen, wie ihr dazu steht.

Ihr erhaltet meine Meinung im Voraus: Ein System mit einem geringen Anteil an echt totalem, aber lernbaren Schwachsinn wurde durch ein neues System ersetzt, das etwa den selben Anteil an totalem Schwachsinn enhält und  ebenso erlernbar ist. Unter dem Strich steht das Nebeneinander vieler Formen und das der beiden Rechtschreibungen als großer Schwachpunkt der Rechtschreibung als Ganzes.

Reform ja, aber mit Prinzip. Ich schreibe so, wie ich es für richtig halte, das heißt, ich folge den Verbesserungen (in meiner subjektiven Sicht) der Reform und ignoriere den Rest einfach. Ich bin ja kein Lehrer und auch sonst nicht in offizieller Position.

Und wenn ihr noch ein Beispiel für den "totalen Schwachsinn" braucht, dann nehmt "Trenne nie st, denn es tut ihm weh" aus der alten und "ein Wort zusammen (gemeinsam??) schreiben" aus der neuen. Da kann ich nur den Kopf schütteln und sagen: Das ist nicht meine Sprache. Wenn das von mir verlangt wird, dann verzichte ich darauf, Muttersprachler des Deutschen zu sein. Oder ich starte eine Inquisition der Vernunft... aber die Masse lässt sich ja nciht belehren.

gehabt gehabt

Mich tangiert die Reform nur perifer. Am meisten ereifern sich diejenigen, die ansonsten keinen korrekten Satz mit Konjunktiv bilden koennen (Wolf Biermann fasste diese Gruppe zusammen als vertrottelte Oberlehrer und gebildete Zahnaerzte). [Jetzt bitte ich meinen Schoepfer nur, dass in diesem Forum keine Zahnaerzte sind].

Ich denke, alle 100 Jahre sollte man alle Regeln aendern duerfenegal obs Sinn amcht oder nicht.  Sonst passierts uns wie dem Franzoesischen, wo die Ortografie inzwischen zur Unkenntlichkeit fossilisoren ist.

Kilian

Zitat von: Arnymenos in 2005-03-08, 14:58:59Und wenn ihr noch ein Beispiel für den "totalen Schwachsinn" braucht, dann nehmt "Trenne nie st, denn es tut ihm weh" aus der alten

Wurde diese Regel nicht anno Tobak mit Rücksicht auf die st-Ligatur der Druckmaschinen mit beweglichen Lettern eingeführt? Dann hätte sie ja ursprünglich einen gewissen Sinn, wenn sie natürlich auch heute in die Tonne gehört.

Ich schreibe, so wie du, wie ich es für sinnvoll halte. Die derzeitige Verwirrung hat auch ihr Gutes. Ob sie nun zum Dauerzustand und die deutsche Schreibweise allgemein individueller und weniger regelgläubig wird - oder ob sich für die nächten hundert Jahre wieder ein festes Regelwerk etabliert, das wird interessant zu beobachten. Keins von beidem würde mich zu Leidenschaftsausbrüchen bewegen.

ZitatDa kann ich nur den Kopf schütteln und sagen: Das ist nicht meine Sprache. Wenn das von mir verlangt wird, dann verzichte ich darauf, Muttersprachler des Deutschen zu sein.

Ach was! Wer das von dir verlangt, hat ganz gewiss keine Entscheidungsgewalt darüber, was das Deutsche ist.

versucher

Ich weiß gar nicht, was ich zur Reform schreiben soll, sie scheint mich also nicht so zu berühren.
Ich finde die "ss"-Regelung sinnvoll und befolge sie, schreibe aber "zusammenschreiben" zusammen, und wer sagt, ich sölle es trennen, dem antworte ich: Nee, das hab ich grade erfunden, das ist Dichterfreiheit.
Die FAZ-Haltung mit ihrem "Wir verteidigen als letzte die Festung" halte ich trotzdem für ein wenig angeberisch-arrogant.

Die wahre "Bildungs"-reform leisten wir ja hier.

Kilian

Darüber, was inhaltlich an der Reform sinnvoll war und was nicht, scheinen wir ja ziemlich auf einer Wellenlänge zu liegen. :)

Wie die FAZ es begründet, weiß ich nicht - ich lese sie nicht. Aber dass sie die NR nicht von Anfang an mitgemacht hat, finde ich noch relativ respektabel: Abwarten, bis das Chaos vorbei ist. Völlig idiotisch finde ich dagegen, nach Jahren des Neuschreibens zu der genau so schwachsinnigen AR zurückzukehren, wie es z.B. der Spiegel und eine gewisse vollends unaussprechliche Zeitung getan haben, statt z.B. zu einer sinnvollen Mitte zu finden wie wir klugen Privatpersonen. ;D

caru

die nicht ganz so niewoovollen tageszeitungen sind zum privaten chaos übergegangen, zumindest österreichs älteste zeitung.

die alte ortogravieh hatten sie nie verstanden, die neue verstehen sie noch nicht  ;D - und so schreiben sie denn, wie die druckerschwärze fließen will. man kann's lesen, wenn man weiß, worum's geht.

bis weit ins 19. jh. schrieb ja ohnehin jedermann und jedefrau deutsch nach schnauze - die erste erwähnung des gedankens, daß eine allgemeine rechtschreibung was nettes wäre, geht auf die regierungszeit maria theresias zurück.

wer früher schrieb, setzte sich selbst seine regeln und folgte ihnen dann - wer las, war gebildet genug, auch mal den regeln des anderen zu folgen. allgemeingültige rechtschreibregeln tauchen erst mit der massenproduktion von druckschriften und dem ruf nach "bildung für die massen" auf, glaube ich - wenn jeder liest und so viel textmasse da ist, daß man nicht zum nachdenken kommt, müssen mehr regeln her. und auch diese oren quer durch zeit, gegend und gemüsegarten fluktu. sie per dekret für den ganzen sprachraum zu verändern, ist, tut mir leid, ein akt der dööfe, des hochmuts und der bornorenheit.
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(>´x´<)
('.')__('.')

Nijntje - de echte nederlandse konijn

Kilian

Düsseldorfs größte Zeitung ihrer Seits schreibt alles aus ein ander, was nicht Niet und Nagel fest ist.

Arnymenos

"Düssels Dorfs" Zeitung, bitte.

Die Idee, dass da eine Ligatur Schuld (noch ein abgetrenntes Verbalsubstantiv... all die, bei denen man nicht weiß, ob man sie groß oder klein schreiben soll, wie auch "Angst machen" etc.) gewesen ist, kam mir auch, als ich vorhin nochmal drüber nachdachte, woher das wohl kommen möge. Danke, Kilian. Das klingt plausibel.

Wî mag ich nu reht scrîben? (evtl. etwas zu frei nach Gottfried)

versucher

In einem Satz:

Dass das dass, das das daß ersetzt, das neue dass ist, das iere ich Akzept.

gehabt gehabt

Zitat von: versucher in 2005-03-08, 23:17:07
In einem Satz:

Dass das dass, das das daß ersetzt, das neue dass ist, das iere ich Akzept.
Es ist merkwuerdig, dass das dass so mit Haenden und Klauen verteidigt wird, es aber jeder ok findet, keinen Unterschied zwischen dem Artikel und dem Relativpronomen "das" zu machen.

Arnymenos

Dabei ist es doch ein und das selbe Wort, zumindest gewesen. Oder irre ich da, MrMagoo? (Irgendwann kommt man immer an den Punkt, da man den Experten braucht)

Ly

Zitat von: Arnymenos in 2005-03-09, 13:46:29
Dabei ist es doch ein und das selbe Wort, zumindest gewesen. Oder irre ich da, MrMagoo? (Irgendwann kommt man immer an den Punkt, da man den Experten braucht)

Ich nehme es stark an, auf Englisch z.B. entspringen sowohl "the" als auch "that" der angelsächsischen form "þæt", die dem deutschen "das" mit einem s entspricht. Obwohl auf den romanischen Sprachen das Relativpronomen que oder ähnlich ja was ganz anderes als ein Personalpronomen ist...
It isn't always how you look. Look at me. I'm handsome like anything, and I haven't got anybody to marry me yet.

Kilian

ZitatJetzt habe ich, zum ersten Mal, im Duden nachgeschaut, wie man ein Wort in neuer Rechtschreibung schreibt, nämlich »wiedererkennen«. Es steht auf Seite 830, 21.Auflage. Ergebnis: Der Duden weiß es auch nicht. Sie haben zwischen dem »wieder« und dem »erkennen« zwar eine Lücke gelassen, aber die Lücke ist deutlich kleiner als die zwischen »wieder« und »entdecken« in dem Wort genau darüber. Sie ist allerdings eine Spur größer als die Lücke im Wort »wiedererlangen« genau darunter. Ich habe den Duden mehreren Kollegen mit rasierklingenscharfen Augen gezeigt. Sie haben auf die Lücke geschaut. Sie haben den Duden ganz nahe an ihre Augen gehalten, dann ganz weit weg. Schließlich sagten sie: »Wahnsinn. Aus dem Duden geht nicht eindeutig hervor, wie wiedererkennen zu schreiben ist.« Wo also ist das Problem?

aus: Harald Martenstein, Dass das klar ist

Ähnlich ist es im Wahrig mit der Abkürzung für zum Beispiel. Es ist zum Verrücktwerden. Die Lücke zwischen dem z. und dem B. ist kleiner als die in z. E., aber auch deutlich größer als die in z.b.V.. Wie also schreibt man: z.B. oder z. B.? Weiß das zufällig jemand? Ich wäre sehr dankbar, wenn mir das endlich mal jemand klüre - ich zweifle jedes Mal! ;)

MrMagoo

Arny...
ZitatReform ja, aber mit Prinzip. Ich schreibe so, wie ich es für richtig halte, das heißt, ich folge den Verbesserungen (in meiner subjektiven Sicht) der Reform und ignoriere den Rest einfach. Ich bin ja kein Lehrer und auch sonst nicht in offizieller Position.

Genau das ist auch meine Meinung.
Ich habe das Recht, meine Gedanken usw so zum Ausdruck zu bringen, wie ich das möchte.
Wenn es sich also nicht um ein 'offizielles' Schreiben handelt, dann schreibe ich so, wie es für mich richtig ist.
In dem Fall kann der Leser dann ja immer noch entscheiden, ob er weiterlesen will, oder nicht - auch das bleibt ihm ja weiterhin unbenommen.
Wâ mag ich mich nu vinden? wâ mac ich mich nu suochen, wâ? nu bin ich hie und bin ouch dâ und enbin doch weder dâ noch hie. wer wart ouch sus verirret ie? wer wart ie sus zerteilet mê?
(Gottfried von Straßburg)

gehabt gehabt

Das Gute an der Reform, ist dass anscheinend, wenn ich icht irre, der Duden nicht mehr alleinverantwortlich zeichnet, sondern, dass Duden und Wahrig oder wer auch immer gleichberechtigt sind, das fuehrt zu einer gewissen Liberalisierung und Flexibilisierung.

In meinem Amerikanischen Woerterbuch (Miriam-Webster) steht regelmaessig bei Zweifelsfragen des Stils und Gebrauchs, dass sie ihr Editorial Board befragt haben, in dem Sprachwissenschaftler und -Praktiker (zB Journalisten) sind. In einigen Faellen kommt dann als Antwort heraus, dass 2/3 die fragliche Wendung fuer richtig finden und selbst benutzen wuerden und 1/3 sie fuer falschen Gebrauch handeln.

Sprache als Stilfrage und nicht als Katechismus.