Konjunktiv 1 oder 2 bei Vergleichen

Begonnen von Wolfgang Schifferdecker, 2005-03-11, 10:55:36

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Wolfgang Schifferdecker

Schön auf dieses Forum von Gralshütern der deutschen Grammatik gestoßen zu sein!

Sicher kann mir jemand meine Frage beantworten:

Benutzt man bei Vergleichen der aus den Beispielen hervorgehenden Art besser den Konjunktiv 1 oder den Konjunktiv 2, oder ist das egal?

Beispiele:
Er lief, als sei (wäre) jemand hinter ihm her.
Er sah aus, als habe (hätte) er Angst.
Es schien, als laufe (liefe) er um sein Leben.

Ich selbst tendiere zum K 2, also den eingeklammerten Formen, weil hiermit das "nicht Wirkliche" besser zum Ausdruck kommt, denn aus den Nebensätzen geht ja hervor, dass das Gesagte nicht wirklich der Fall ist.
Aber ich finde überall in Literatur und Presse beide Formen ziemlich gleich häufig.

Wolfgang

amarillo

#1
Intuitiv zöge auch ich es vor, den Konj II dort zu setzen, wo der gesamte Vorgang in der Vergangenheit liegt und nicht-real ist:

Er lief, als wäre er in Eile. als hätte er ein Gespenst gesehen.

Allerdings benutze ich den Konj I eben für gegenwärtig nicht-Reales:

Er läuft, als sei er in Eile, als habe er ein Gespenst gesehen.

Aber, wie gesagt: alles intuitiv, ich werde mich hüten, das in einer Grammatik zu überprüfen.  ;)
Das Leben strebt mit Urgewalt nach Entstehung und Musik.

gehabt gehabt

Wenn etwas nicht real ist, benutzt man standardmaessig den
Konjunktiv II:

Wenn ich ein Voeglein waer und auch zwei Flueglein haett, floeg ich zu dir.
(habe ich nicht und tue es auch nicht.
...als waers ein Stueck von mir   (ists aber nicht)

Er laeuft als haette er ein Gespenst gesehen (er hat es aber nicht)

Konj. I nimmt man fuer indirekte Rede

Das ist standardmaessig. Punkt.  Ansonsten ist man im taeglichen Gebrauch (auf allen Stilebenen: familiaer, umgangssprachlich, hochsprachlich) relativ frei, den Indikativ oder Konj I oder II zu benutzen, z.B. um den Wahrscheinlichkeitsgrad auszudruecken:

Der Finanzminister sagte, es gibt keine Steuerhoehungen (Der Bundespressesprecher)

Der Finanzminister sagt, es gebe ...  (Die Nachrichten)

Der Finanzminister behauptet, es gaebe ... (die Opposition)

Ein weiterer Grund den Konjunktiv zu vermeiden, koennen ungewoehnlich Formen sein:

Er roechelt als stuerbe er gleich  --> er roechelt als wuerde er gleich sterben  oder: er roechelt als sterbe er gleich oder gar: er roechelt als stirbt er gleich

Obwohl dies Abweichungen sind, wuerde ich es eher als eine stilistische denn eine grammatikalische Frage sehen. Die gute Literatur ist voll davon. Ich wuerde einfach denselben Rat geben, den auch die Mutter dem Rotkaeppchen gegeben hat: weiche nur nicht zusehr vom Weg ab, besonders wenn du ihn noch nicht besonders kennst.


versucher

Ich nähme gefühlsmäßig das von Wolfgang in Klammern gesotzene, aber ich bin Emotionsgrammatiker, also Dilettant. Daher bin ich auch dafür, einen neuen Grammatik-Fall einzuführen:
Den Intuitiv.

Ly

Zitat von: versucher in 2005-03-11, 13:18:52
Ich nähme gefühlsmäßig das von Wolfgang in Klammern gesotzene, aber ich bin Emotionsgrammatiker, also Dilettant. Daher bin ich auch dafür, einen neuen Grammatik-Fall einzuführen:
Den Intuitiv.

Gute Idee +g+
It isn't always how you look. Look at me. I'm handsome like anything, and I haven't got anybody to marry me yet.

MrMagoo

Wie wär's auch zusätzlich mit dem "Energikus", den's in einigen Sprachen tatsächlich als eigenen Fall gibt! ... wollte ich nur mal besonders betont haben! :D
Wâ mag ich mich nu vinden? wâ mac ich mich nu suochen, wâ? nu bin ich hie und bin ouch dâ und enbin doch weder dâ noch hie. wer wart ouch sus verirret ie? wer wart ie sus zerteilet mê?
(Gottfried von Straßburg)

Kilian

Mir scheint es, als führe man mit dem Konjunktiv II grammatisch immer sicherer, als klinge er aber manchmal zu distanziert für das, was man inhaltlich ausdrücken will.

Präziser: Der Konjunktiv I in irrealen Vergleichssätzen (sind das dann überhaupt noch welche?) kommt mir dann richtig vor, wenn der Vergleichssatz von einem bestimmten Verb wie aussehen, oder scheinen abhängt. Stören tut er mich vor allem dann, wenn der Vergleichssatz mit als ob eingeleitet wird, weil ich ihn dann sinnwidrig finde: "Die Nazis propagierten weiter, als ob nichts geschehen sei."

Ly

Zitat von: MrMagoo in 2005-03-11, 14:33:14
Wie wär's auch zusätzlich mit dem "Energikus", den's in einigen Sprachen tatsächlich als eigenen Fall gibt! ... wollte ich nur mal besonders betont haben! :D

Erklären, bitte. :D
It isn't always how you look. Look at me. I'm handsome like anything, and I haven't got anybody to marry me yet.

MrMagoo

Zitat von: Ly in 2005-03-11, 16:22:20
Zitat von: MrMagoo in 2005-03-11, 14:33:14
Wie wär's auch zusätzlich mit dem "Energikus", den's in einigen Sprachen tatsächlich als eigenen Fall gibt! ... wollte ich nur mal besonders betont haben! :D

Erklären, bitte. :D

Einige Sprachen haben als Kasus einen "Energikus" mit dem bestimmte Sachverhalte oder Beziehungen besonders stark hervorgehoben werden können.
Wâ mag ich mich nu vinden? wâ mac ich mich nu suochen, wâ? nu bin ich hie und bin ouch dâ und enbin doch weder dâ noch hie. wer wart ouch sus verirret ie? wer wart ie sus zerteilet mê?
(Gottfried von Straßburg)

Ly

Zitat von: MrMagoo in 2005-03-11, 23:41:11
Zitat von: Ly in 2005-03-11, 16:22:20
Zitat von: MrMagoo in 2005-03-11, 14:33:14
Wie wär's auch zusätzlich mit dem "Energikus", den's in einigen Sprachen tatsächlich als eigenen Fall gibt! ... wollte ich nur mal besonders betont haben! :D

Erklären, bitte. :D

Einige Sprachen haben als Kasus einen "Energikus" mit dem bestimmte Sachverhalte oder Beziehungen besonders stark hervorgehoben werden können.

Sowas ist toll, sowas müssen wir uns für deutsch auch ausdenken... +g+
It isn't always how you look. Look at me. I'm handsome like anything, and I haven't got anybody to marry me yet.

MrMagoo

Es gibt weiterhin in manchen Sprachen auch einen Suppositiv; ein Kasus mit dem man Vermutungen ausdrücken kann.

Es sind also noch einige Gebiete da, mit denen man die Sprache bereichern könnte ;)
Wâ mag ich mich nu vinden? wâ mac ich mich nu suochen, wâ? nu bin ich hie und bin ouch dâ und enbin doch weder dâ noch hie. wer wart ouch sus verirret ie? wer wart ie sus zerteilet mê?
(Gottfried von Straßburg)

gehabt gehabt

Wenn man sagt, mir schein als sei es an der Zeit ...

Dann ist das was man ausdruecken will nicht so sehr das irreale (den es ist ja tatsaechlich an der Zeit deiner Meinung nach. Wenn du es so sagst, dann bist du so bescheiden, es "neutral" im KonjI auszudruecken. Ein Alphamensch wuerde sicherlich sagen: Mir scheint es ist an der Zeit ...

Wenn ich uebrigens oben sagte, der Gebrauch des Konjunktivs sei im Deutschen mehr eine Frage des Stils denn der Grammatik, will ich nicht in den Kreis der Indifferenten einreihen. Es ist auch eine Frage des Stils, ob man Sandalen und Tennisstruempfe zum Anzug anzieht. Manchen steht das vielleicht..., aber verboten ist es nicht.

amarillo

#12
@MrMagoo

Es wäre an der Zeit, daß Du mal ein paar Beispiele für "Energikus" und "Suppositiv" hervorzürbest.
"Energikus" erinnert mich stark an "Energiekuss", das macht ihn mir schon mal sehr symathisch.  ;D
Das Leben strebt mit Urgewalt nach Entstehung und Musik.

Wolfgang Schifferdecker

So, ich nochmal, der Verursacher der Diskussion!

Dank an alle, es hat mir geholfen: Ich werde (im Sinne der Frage) in Zukunft den Konjunktiv II benutzen, denn ich vergleiche stets mit Unrealem (wie ich in meinem Beitrag schrieb, tendierte ich ohnehin dazu).

Eine Ausnahme bildet das dritte Beispiel:  "Es schien, als laufe (liefe) er um sein Leben." - denn es ist keins.

Das Konstrukt "scheint, als ..." ist ja mehrmals in der Diskussion verwendet worden, und es "scheint, als" gebe (!) es hier Unterschiede.

"scheint, als" trifft nicht den Sinn der Frage, denn es ist  kein Vergleich.
Also ziehe ich vor meiner Diskussion zunächst das dritte Beispiel zurück und ändere es in:
"Er lief, als gehe (ginge) es um sein Leben" (und brauche nach dem vorher gesagten nicht noch einmal zu betonen, dass ich das Eingeklammerte nutzen werde).

Nun zu "scheint, als":

"Es scheint, als wäre es aus Gold" ist im Sinne meiner Frage nur dann ein Vergleich, wenn ich ausdrücken möchte "Es glänzt, leuchtet ..., als wäre es aus Gold".
Möchte ich hingegen ausdrücken, es habe den Anschein, aus Gold zu sein, ergibt sich ein anderer Zusammenhang:

Der Ausdruck "es scheint" kann (leider) sowohl im Sinne von "scheinbar" - also dem mit Sicherheit Unrealen - als auch im Sinne von "anscheinend" - dem vermutlich Realen - verwendet werden.
Das uralte Dudenbeispiel:
Er hört scheinbar aufmerksam zu (er tut es aber nicht).
Er hört anscheinend aufmerksam zu (er tut es wohl wirklich).
Für beides ist "er scheint zuzuhören" möglich, ich kann mich also vor einer Einschätzung drücken.

Was ist nun mit "scheint, als..."?

Hier hat man nach meinem Gefühl die Möglichkeit, zu signalisieren, ob man "scheinbar", oder "anscheinend" meint. Nämlich durch die Verwendung des entsprechenden Konjunktivs:

"Es scheint, als sei es aus Gold" bedeutet für mich, dass es anscheinend aus Gold ist, denn es wird Konjunktiv 1, also nicht der des Unrealen, sondern nur der der Distanz verwendet (übrigens gehabt gehabt: Konjunktiv 1 ist nicht ausschließlich der indirekten Rede vorbehalten).
"Es scheint, als  wäre es aus Gold" bedeutet für mich dagegen, dass es nur scheinbar aus diesem Edelmetall besteht, in Wirklichkeit also nicht.
Wenn es nicht so wäre, brauchte man "es scheint aus Gold zu sein" nicht durch "es scheint, als sei (wäre) es aus Gold" mit Redundanz zu versehen.


Kürzer habe ich es nicht hinbekommen.

Danke nochmal.


     

Kilian

Stimmt, das finde ich auch: Konj. I/II unterscheiden hier nicht zwischen Gegenwärtigem und Vergangenem, sondern nur zwischen vermutlich Realem und mit Sicherheit Unrealem. Ob sich das jetzt auf Es scheint, ..., Es sieht aus, ... und solche speziellen Fälle beschränkt, darüber kann man sich streiten.

"Er lief, als sei jemand hinter ihm her." ("Es muss jemand hinter ihm her gewesen sein, so, wie er lief.") finde ich auch korrekt.