Wustmann - Zitate

Begonnen von MrMagoo, 2006-08-31, 00:50:16

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MrMagoo

Wie bereits angekündigt, hier ein paar Zitate aus Wustmanns "Allerhand Sprachdummheiten";
Aus der 1. Auflage von 1891:


"... fast jeder Tag gebiert neues, was den Freund der Sprache mit Trauer, ja mit Zorn erfüllt."

"Pfuscher und Schmierer hat es immer gegeben, auch damals; aber der Gesamteindruck der damaligen litterarischen Erzeugnisse ist doch, was die Sprache betrifft, durchaus erfreulich. Unsre heutige Sprache erscheint dagegen nicht nurdurch und durch anders, sie erscheint geradezu wie verkommen und verrottet."

"... eine Anzahl süddeutscher und österreichischer Provinzialismen, wie das häßliche jener (statt der) vor Genetiven, das garstige würde mit dem Infinitiv in Bedingungssätzen, können einem ja fast den Magen umkehren."

"Über unsre Ausländerei, über diese Erbschwäche der Deutschen, ist schon viel geklagt worden, aber immer vergebens. Der Deutsche mag so alt werden, wie er will, er wird immer und ewig der Affe der anderen Nationen bleiben, wird immer das, was andre Völker haben, für besser, feiner und vornehmer halten, als was er selber hat. Wenn er ein paar Monate im Auslande zugebracht hat, so thut er bei seiner Rückkehr, als ob er seine Muttersprache verlernt hätte; bleibt er vollends draußen, so hat er nichts eiligeres zu thun, als den Deutschen auszuziehen und in der Sprache, den Sitten und den Gebräuchen des Auslandes aufzugehen..."

"Trotz aller Bemühungen des Allgemeinen deutschen Sprachvereins ist die Fremdwörterei und namentlich die Sucht, alles französisch zu bezeichnen, eher schlimmer als besser geworden. Das Gelände und der Bahnsteig thuns nicht, so lange unsre Geschäftswelt in diesem Punkte aller Einsicht und alles Ehrgefühls bar ist."

"... und das schlimmste, wenn einem Gallicismus zuliebe, wie der gämzlich undeutschen Verbindung eines unflektirten Personennamens mit einem Appellativum (Buchhandlung Fock) mit verwüstender Hand in unsern Satzbau eingebrochen wird."

"Dann kam der englische Sport, der Rudersport und der Radfahrsport mit all seinen Narrheiten, dann die englische Kleidermode - seit einigen Jahren sieht ja unser großstädtisches Straßenpublikum aus, als ob uns England alle seine dummen Jungen herübergeschickt hätte! - und neuerdings beginnt nun auch die englische Sprache einen bedenklichen Einfluß auf die unsrige auszuüben."

"Seit länger als einem Menschenalter ist in unsrer Sprache eine Macht am Werke, die schon unsäglichen Schaden angerichtet hat und auch noch ferner anrichten wird: die Tagespresse.
Es mag für alle, die an ihrer Herstellung beteiligt sind, bitter zu hören sein, aber es ist doch die Wahrheit, was schon so oft ausgesprochen worden ist: die Hauptursache der Verwilderung unsrer Sprache, der eigentliche Herd und die Brutstätte dieser Verwilderung sind die Zeitungen, ist die Tagespresse in der Gestalt, die sie seit Einführung der Preßfreiheit (1848), nach mehr seit Einführung der Gewerbefreiheit und vor allem seit der politischen Erregung der Kriegsjahre 1864, 1866, 1870 und der sozialen und wirtschaftlichen Erregung, die darauf folgte, angenommen hat."

"... Aber was will das alles sagen gegen die Verrottung, in die unsre Sprache dadurch geraten ist! Die Herstellung einer Zeitung, die früher eine litterarische Leistung war, ist zu einem Gewerbe herabgesunken, und in keinem Gewerbe der Welt giebt es so viele Pfuscher, wie im Zeitungsgewerbe. Was die Berichterstatter der Tagespresse leisten [...], dabei kann schon längst nicht mehr von Handwerk, geschweige denn von Kunst die Rede sein, es ist nach Inhalt und Form nur noch Fabrikarbeit, und zwar meist schlechte Fabrikarbeit."



Später mehr ;)
Wâ mag ich mich nu vinden? wâ mac ich mich nu suochen, wâ? nu bin ich hie und bin ouch dâ und enbin doch weder dâ noch hie. wer wart ouch sus verirret ie? wer wart ie sus zerteilet mê?
(Gottfried von Straßburg)

MrMagoo

Weitere Zitate:

"Aber bei der unendlich großen Masse der mittlern und kleinern Blätter ist es ja schon ein Glück, wenn der Redakteur oder - der Korrektor ein leidlich gebildeter Mann ist; die Mitarbeiter sind meist litterarische Kräfte der untergeordneten Art, und ganz ohne solche können auch unsre größten und besten Zeitungen nicht auskommen. Meist sind es Leute, die vorher schon alles mögliche versucht hatten, bis sie endlich im Zeitungsgewerbe hängen geblieben sind, verfehlte Existenzen aller Art. Zum Zeitungsgewerbe drängt sich alles, was anderwärts Schiffbruch gelitten hat. Noch nie wird man gehört haben, daß ein deutscher Junge auf die Frage: was willst du werden? geantwortet hätte: ich will Zeitungsschreiber werden. [...] Verpfuschte Akademiker aller Fakultäten, alte wie junge, fortgejagte Gymnasiasten, grüne Burschen, die nichts, gar nichts gelernt haben, am wenigsten eine Zeile anständiges Deutsch schreiben, Beamte, die ihre Stellung verloren haben, wo schlüpfen sie unter? Bei einer Zeitung. Wer sechsjährigen Kindern das ABC beibringen will, muß sich vorher einer Staatsprüfung unterziehen und seine Befähigung dazu nachweisen. Die, die Tag für Tag in den zeitungen die Erwachsenen unterrichten und belehren - nach ihrer Befähigung fragt niemand. [...] Ein Grauen befällt einen ja, wenn man gelegentlich in solche Blätter einen Blick wirft."

"Auf den Leipziger Messen war früher bei einem Straßenbuchhändler eine Lithographie zu sehen: das kranke Pferd. Es war die Abbildung eines Pferdes, an dem alle Krankheiten und Gebrechen, die das Pferd überhaupt befallen können, gleichzeitig dargestellt waren: ein unglückliches Geschöpf mit Buckeln und Beulen, Verrenkungen und Versteifungen. Unsre heutige Zeitungssprache gleicht diesem kranken Pferd aufs Haar."

"Einem denkenden mann kann freilich auch die schlechteste Sprache nichts anhaben. Wer wirklich denkt, der ruht nicht eher, als bis er für seine Gedanken den zutreffendsten, knappsten, saubersten Ausdruck gefunden hat. Aber wie viele denken denn?"

"Ein sprachkundiger und sprachfühlender Mann kann heute getrost eine Wette eingehen: man nehme aus dem Schaufenster einer Buchhandlung blindlings ein neu erschienenes, in deutscher Prosa geschriebnes Buch, gleichviel welches Inhalts, gleichviel von wem verfaßt, von einem Universitätslehrer, einem Schulmann, einem Beamten, einem Baumeister, einem Musiker, einem Techniker, einem Fabrikanten, einem unsrer "führenden" Schriftsteller, einem Blaustrumpf, man schlage es auf, wo man will, und setze den Finger hinein: in einem Umkreise von fünf Centimetern Durchmesser um die Fingerspitze soll ein grober grammatischer Fehler zu finden sein, die Geschmacklosigkeit ganz ungerechnet - so weit sind wir jetzt!"

"Wo stammen sie denn her, die Deutschverderber, wenn nicht aus der deutschen Schule? Wir haben ja gar keinen deutschen Unterricht! Wir treiben Latein und Griechisch, Französisch, Englisch und Hebräisch, aber wann und wo in aller Welt lernt der deutsche Knabe seine eigene Sprache?"

"Hoffentlich sind solche "wissenschaftliche" Anschauungen noch nicht in die Schule gedrungen. Bei dem kurzen Gedärm, das manche Schulmeister haben, ist alles möglich."

"Und wenn ein Engel vom Himmel käme und schriebe das beste Buch für das deutsche Volk in der besten Sprache, ein Buch, das in vielen hunderten von Auflagen gekauft und - gelesen (!) würde, der erdrückenden Übermacht der Tagespresse gegenüber würde seine Macht verschwinden wie ein Tropfen im Meere, die Tagespresse macht alle Bücher tot."
Wâ mag ich mich nu vinden? wâ mac ich mich nu suochen, wâ? nu bin ich hie und bin ouch dâ und enbin doch weder dâ noch hie. wer wart ouch sus verirret ie? wer wart ie sus zerteilet mê?
(Gottfried von Straßburg)

Kilian

Das ist ja wunderbar. :) Inhaltlich erinnert mich das erste Zitat im letzten Beitrag an eine Textstelle bei Max Goldt, die ich leider gerade nicht zum Zitieren zur Hand habe. Es heißt darin, viele Menschen, die vor 100 Jahren vielleicht Bierkutscher oder Näherin geworden wären, fühlten sich heute wg. Abitur für solche normalen Tätigkeiten für alle Zeiten überqualifiziert und wollten schreiben, analysieren, aufdecken, in der heimlichen Gewissheit, doch nur das Altpapier von übermorgen zu produzieren, alles und jeden in die lauwarme Brühe der eigenen Hausfraulichkeit herunterziehen wollend (kein sprach-, sonder medienkritischer Zusammenhang).

MrMagoo

Ein medienkritischer Zusammenhang ist's bei Wustmann ja auch - allerdings auf die Sprache bezogen.
Bisher waren es nur Zitate aus dem Vorwort des Buches, weitere Zitate folgen beizeiten! ;)
Wâ mag ich mich nu vinden? wâ mac ich mich nu suochen, wâ? nu bin ich hie und bin ouch dâ und enbin doch weder dâ noch hie. wer wart ouch sus verirret ie? wer wart ie sus zerteilet mê?
(Gottfried von Straßburg)