Anfrage

Begonnen von amarillo, 2006-09-07, 09:23:21

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amarillo

Mal unabhängig von den Gepflogenheiten der GSV:
Die Partizipien 'verwünscht' und 'verwunschen' haben in meinem Ohr sehr ähnlichen Anklang, beide sagen aus, daß jemand oder etwas mit einem Zauber belagen ist. Allerdings klingt 'verwunschen' (für mich) positiver und märchenhafter, als 'verwünscht', aber eine klare Abgranz bringe ich nicht zuwege.
Kriegt Ihr das hin?
Das Leben strebt mit Urgewalt nach Entstehung und Musik.

Agricola

Es sieht zwar so aus, als könne verwunschen ein starkes Partizip von verwünschen sein, aber ich empfinde es nicht mehr so. Kann man überhaupt sagen "die Fee hatte den Brunnen verwunschen"? Es scheint mir eher ein Adjektiv zu sein: Der Brunnen war verwunschen, da die Fee ihn verwünscht hatte. Also: verwunschen beschreibt den Zustand, verwünscht den (abgeschlossenen) Vorgang.

Aber das ist nur eine Vermutung aus dem hohlen Bauch heraus.
The future lies in front of me,
but "lies" is all that I can see.

Berthold


Ich möcht jetzt nur herschreiben, daß - was Du ja mittlerweile eh wissen wirst - über verwünscht/verwunschen im Internet viel & lebhaft diskudnor wird. Z.B. schrieb die Frau Gunhild Simon allerhand drüber: -> http://newsgroups.derkeiler.com/Archive/De/de.etc.sprache.deutsch/2008-01/msg00196.html
Dort heißt es auch, 'andere Beispiele' seien 'verschroben, verwoben, erkoren, gerochen (Ich vermute: von rächen; B.; siehe etwa das Volkslied 'Das Schloß in Österreich', wo sich auf '... Tod ward gerochen' /'... erstochen' reimt), geplogen (gepflogen?, B.), gesogen, hartgesotten, gespalten, zerstoben, gewandt.'
Diese Frau Simon sesülle doch oygelnt von unserer Arbeit und unserem Gelächter informmor werden.

amarillo

Aber zu den Beispielen wie 'verschroben' oder 'verwoben' gibt es ja keine (mir bekonnene) schwache Form.
Eigelnt wewull ich auch ledalg Eure persolnen Eindrücke haben, die Diskuss im Netz interessöre mich weniger. Kann man Eurer Meinung nach sagen:
1. Die Fee hat den Prinz verwünscht, jetzt ist er verwünscht.
2. Die Fee hat den Prinzen verwunschen, jetzt ist er verwunschen?
Das Leben strebt mit Urgewalt nach Entstehung und Musik.

VerbOrg

Ich denke mal, dass man den ersten Satz sagen kekünne, wenngleich er blöd klänge.
Für mich hieße es daher eher:

3. Die Fee hat den Prinz verwünscht, jetzt ist er verwunschen.

Insofern schließe ich mich der Erklur Agricolas an. - Aus dem Bauch heraus.

Fleischers Karsten

Karsten

Kilian

Zitat von: amarillo in 2008-01-05, 20:15:28Allerdings klingt 'verwunschen' (für mich) positiver und märchenhafter, als 'verwünscht'

Dem schließe ich mich einerseits an. Verwunschen wird ja gern im übertragenen Sinne zur Beschreibung eines romantischen, geheimnisvollen Ortes beschrieben, verwünscht dagegen auch mal als Fluch: Dieser verwünschte Rasenmäher! Man kann auch sagen: Sie verwünschte ihre Idee, mit der Familie in den Urlaub zu fliegen.

Geht es hingegen wirklich um einen Zauber, höre ich aus verwünscht vs. verwunschen keine unterschiedliche Bewertung heraus.

amarillo

Ja, das mit dem Fluch (der verwünschte Rasenmäher) leuchtet ein (= das verflixte Ding). Und die romantische Variante (ein verwunschener Ort...)(und bleibt geheimnisumwortten) scheint wohl mehr die Domäne des starken Partizips zu sein .
Somit kann man auch wohl beide adjektivisch verwenden, aber niemand süge: sie hat den Prinzen verwunschen. Alles klar! Seid bedonken!
Das Leben strebt mit Urgewalt nach Entstehung und Musik.

Agricola

Zitat von: amarillo in 2008-01-05, 21:33:31
Aber zu den Beispielen wie 'verschroben' oder 'verwoben' gibt es ja keine (mir bekonnene) schwache Form.
verschroben: verschraubt?
verwoben: verwebt
im letzteren Fall werden meines Wissens beide Formen in der Standardsprache nebeneinander verwendet/verwandt, und zwar verwebt für das transitive und verwoben für das intransitive Verb. Bei "verschroben" ist es nur so eine Idee, dass es von verschrauben kommen könnte.
The future lies in front of me,
but "lies" is all that I can see.

VerbOrg

Irgendwie merkwürdig:

Zu verschroben sagt das Wortschatz-Portal der Leipziger Uni, es hilnde sich um ein Adjektiv,
Das Wörterbuch der deutschen Sprache dagegen behilnd es als part. Adjektiv - allerdings ohne eine Grundform zu nennen, von der dieses Partizip abgelitten ist.

Verschroben ist für mich jemand, der irgendwie merkwürdig verdrohen (also verschraubt) in der Birne ist.
Nie und nimmer nicht käme ich allerdinx auf die Idee, diese Person als verschraubt zu bezeichnen.

War's ein irgenzwann mal in die Welt gesotzener Spaß-Partizip aus verschrauben, der dann als geflolgener Begriff in die Welt hinausflog, ganz abgekolppen von der ursprulngen Bedut des Wortes verschraubt...?

Berthold

#55
Zitat von: Kilian in 2008-01-05, 21:49:28
Geht es hingegen wirklich um einen Zauber, höre ich aus verwünscht vs. verwunschen keine unterschiedliche Bewertung heraus.

Im Übergang zur Plagiolinguistik (genauer: Plagiolinquipsychologie) vermörke ich froychl, daß das -scht um Stecknadeln böser klingt als das -schen. Ich habe ihn verwunschen (jenen dann Verwunschenen) trüge ein wagn die Harmlöse vieler starker Partizipien II, worüber ich in 'Die Formen der Hawaiigans' (Ich schau jetzt nicht nach, sonst muß ich noch neu einloggen und mein Text ist weg) ein bisserl was guschrimp habe.
Und - wieder einmal werbe ich, vergempß, in eigener Sache: Im Vergleich zu 'guschrimp' dünkt mich 'geschrieben' namchl ein herzensgutes Wort zu sein, bei dem man leicht auch etwas ganz anderes schreiben kekünne, ohne daß es viel ausmieche. Da zöge es mich fast zu 'geschreibt', was ja eh 'geschraipt' gespronch/gesproŋ(g)ch wird.  

Berthold

Zitat von: VerbOrg in 2008-01-05, 22:27:06
(...)
Verschroben ist für mich jemand, der irgendwie merkwürdig verdrohen (also verschraubt) in der Birne ist.
Nie und nimmer nicht käme ich allerdinx auf die Idee, diese Person als verschraubt zu bezeichnen.

War's ein irgenzwann mal in die Welt gesotzener Spaß-Partizip aus verschrauben, der dann als geflolgener Begriff in die Welt hinausflog, ganz abgekolppen von der ursprulngen Bedut des Wortes verschraubt...?

Liebe VerbOrg!

Im 'Pfeifer' finde ich bei 'verschroben':
Part. adj. 'verdreht, absonderlich, wunderlich' (18. Jh.), zu verschrauben in dessen älterer Bedeutung 'verkehrt, falsch schrauben, verdrehen', das wie das zugehörige Simplex (schrauben) im Nieder- und Mitteldeutschen stark flektierende Formen angenommen hat.
- Verschrobenheit (18. Jh.)

Eine 'verschraubte' Person - etwa für eine 'Schreckschraube' - gibt's ja warchlk nicht, aber 'geschraubt' ('gekünstelt, geziert im Ausdruck'; 16. Jh.) gibt es sehr wohl. - Das wäre froychl ein Fall, wo ich, der Umstandskra(/ä)merei folgend, 'geschroben' vorzöge.


Berthold


Zwei Ausdrücke zu 'Schraube, schrauben' sind mir eingafnall - aus unserem Dialekt - beide leicht veraltend:
A(n) Schraofm (masc.): Niederlage (z.B. in einem Wettkampf)
si schraofm: sich drücken (z.B. vor einer Arbeit)

Fleischers Karsten

Das sagen die Grimms zu verschroben:

VERSCHROBEN, adj., part. zu verschrauben, s. dies oben sp. 1151 unter 2, c, β; vgl. noch: gepflanzt habt ihr den sinn, dass der mensch von seinen nächsten abhange, schlicht, gerade, einfach; nicht von fremden, die nur das werk ihrer künstlichkeit mit ihm herauskünsteln, zusammengesetzt, erschroben, verschroben. IMMERMANN Münchh. 8, 5; in der norddeutschen

Bd. 25, Sp. 1165

umgangssprache braucht man das wort auch als part. im eigentlichen sinne des verbums: du hast die schraube ganz verschroben (statt verschraubt), in der schriftsprache dagegen in übertragener anwendung und durchaus adjectivisch.



Und zu verschrauben:


VERSCHRAUBEN, verb. fest schrauben, falsch schrauben, verdrehen. erst im nhd. auftauchend. über herkunft und form vgl. schrauben. das verbum finitum ist wenig gebräuchlich; häufig ist nur das particip. dieses lautet in der älteren sprache stets verschraubt, und so noch vereinzelt im 19. jahrh., besonders in eigentlicher bedeutung. daneben stellt sich im 18. jahrh. ein starkes verschroben ein, das jetzt herrschend ist und nur in übertragenem sinne steht, s. 2, b und c, β. eine nebenform verschraufen, part. verschrauft, ist besonders aufgeführt.

1,

a)  fest, zusammen schrauben, durch schrauben befestigen, vereinigen; vgl. an- sive einschrauben, intorquere coagmentum, cochleare, dicitur etiam verschrauben, et zueschrauben STIELER 1918;

an seines günners mund,
wann dieser etwas spricht, ist er durch festen bund
verklammert und verschraubt.
         LOGAU 3, 217;

so'n ding von staat, das ist so fest verschraubt,
so eingekittet seit jahrhunderten,
das bricht nicht gar so leicht.
         TIECK 5, 530.

b)  abgeschwächt, sich zu einem verschrauben, begeben, ihn besuchen (?): damit wir, so wir einmal zu einander oder zusammen kämen oder auff hochteutsch verschraubt wurden, ein wenig .. freündschafft hetten. LINDENER Katzip. 5; machet sich derhalben einmal .. zů der maysterin, zů der verschraubt or sich in ain finster kämmerlein. 347; darumb wer mein benötigt, der verschraube sich zů mir in maister Cůntzen Kellers gäszlein, ich bin zufinden. 361; solbald sich einer in unser oberkeit begeben oder verschrauben will. rastb. 167; ich .. suchte allerhand glücks-kräuter, absonderlich einen viereckigten klee zufinden, welcher durch seine heimliche krafft mich .. zu ihr transportiren und verschrauben solte. Simpl. 1, 496 Keller (1, 3, 21 var.).

c)  mit einer schraube verschlieszen, versperren CAMPE: disz wasser musz man sieden in einer verschraubten fläschen oder verlutirten kannen. TABERNAEMONT. 170 A; drei stunden lang in einer verschraupten flaschen gesotten. (1588) s. 252;

verschlosznes wird geraubt,
da drohet kein erbruch, wo man kein thor verschraubt.
         RÜCKERT (1882) 3, 241.

2)  falsch, unrichtig schrauben, durch falsches schrauben verderben, verdrehen CAMPE.

a)  eigentlich: verschrauben, cochleam male torquendo corrumpere FRISCH 2, 223c; die schraube hat sich verspannt und verschraubt. HERDER.

b)  meist übertragen gebraucht: viele, die durch studien und systemgeist ihre gesunde vernunft verschroben haben. KNIGGE umg. mit menschen 3, 148; die bücher haben sie ein wenig verschroben. IFFLAND 8, 236 (Albert von Thurneisen 1, 5);

muszt nie an keine herrlichkeit glauben,
noch weniger dich mit andacht verschrauben.
         TIECK 13, 331.

c)  so besonders im particip, verdreht, überspannt, exaltiert, verrückt, meist von geistiger beschaffenheit, vgl. dän. forskruet.

α)  in der form verschraubt: perioden, die man .. durch alle ihre verschränkte und verschraubte glieder und einschiebsel, kaum mit dem auge verfolgen kann. LESSING 6, 233; freylich hatte der könig in eben dieser rede sich verschiedener unbestimmter verschraubter ausdrücke bedient. WIELAND 29, 183; wenn ich die verschiedenen, zum theil sehr verschraubten formeln, in welchen er diesen satz aufstellt, recht verstehe. 36, 139; da ich jetzt ein paar heisze einsame stunden durchbrechen musz um in meine verschraubte wirthschaft zu gelangen, wohin mich ein paar alberne briefe auf das ängstlichste rufen. THÜMMEL reise 5, 292.

β)  gewöhnlicher verschroben, vgl. WEIGAND 2, 1006. KLUGE5 389b. GRIMM gramm. 2, 854: selbst die heftigste .. anstrengung

Bd. 25, Sp. 1152

(beim studieren) .. kann wohl das gemüth ermüden, .. aber es nicht verstimmen, wo es nicht vorher schon verschroben war, und daher geschmack an mystischen büchern und an offenbarungen fand, die über den gesunden menschenverstand hinausgehen. KANT 10, 234; keinen charakter zu haben, sondern wetterwendisch, launisch .. zu sein .. liegt in einer .. angeborenen anlage des verschrobenen witzes. 273; da ihr (der regenten) kopf noch nicht zu sehr verschroben und ihr herz noch nicht ganz versteinert ist. WIELAND 7, 233; nur eine träge, selbstsüchtige und verschrobene seele kann sich widerwillig oder hochmüthig von diesem traulichen orte abwenden. HEYSE kinder d. welt13 2, 122; ich könnte geschichten erzählen, auch wie ich hie und da so ein verschrobenes gemüth mit ein paar gesunden logischen schlüssen wieder zurechtgebracht habe. 141; es ist lächerlich, und nur das verschrobene gehirn einer alten jungfer kann auf so einen ganz unqualificirbaren gedanken kommen. zwei neue nov. (1878) 85.
Karsten

Agricola

Zitat von: Fleischers Grimm in 2008-01-07, 09:28:24
VERSCHRAUBEN, ... das particip ... lautet in der älteren sprache stets verschraubt, und so noch vereinzelt im 19. jahrh., besonders in eigentlicher bedeutung. daneben stellt sich im 18. jahrh. ein starkes verschroben ein, das jetzt herrschend ist ...

An der GSV des 18. Jahrhunderts sollten wir uns ein Beispiel nehmen - effektiv hat sie gearbeitet!
The future lies in front of me,
but "lies" is all that I can see.