Neue Bräuche mit "bräuchte"

Begonnen von Arnymenos, 2005-04-27, 22:55:10

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Arnymenos

Es gibt im Deutschen extrem abgefahrene Dinge, die oft auch zusammen auftreten: Modalverben, Präterito-Präsentia, Ersatzinfinitiv und Extra-Umlaut im Konjunktiv II. Einige bis alle dieser Eigenschaften haben "sollen, dürfen, können, müssen, wollen".

In einem Kurs zur diachronischen Morphologie des Deutschen erfuhr ich heute die jüngere Geschichte des Verbes "brauchen". Die Konstur "etwas zu tun brauchen", meist negiert als "etwas nicht zu tun brauchen" ist neu genug. Noch neuer ist die Verwendung mit nacktem Infinitiv an Stelle des zu-Infinitives. In zweierlei Hinsicht erstreitet sich "brauchen" noch mehr Geltung als Modalverb:

1. Ersatzinfinitiv
Die Formul "ich habe das nicht tun brauchen" ist m.E. besser als "ich habe das nicht (zu) tun gebraucht"

2. Der Konjunktiv II lautet unregelmäßigerweise "bräuchte". Trotz der schwachen Endung tritt hier ein zusätzlicher Umlaut auf.


Dies mag man auffassen als eine Tendenz, die uns sehr entgegen kommt. Schwache Verben sind eigentlich die einzige offene, produktive Klasse. Das heißt: Jedes neu erfundene Verb ist schwach (außerhalb dieser Domäne hier) --- und sei es nur mit einer neuen Bedeutung belegt wie "senden" im Sinne von Rundfunk. "Gestern sandte der SWR ..." ist ganz unmöglich. Wenigstens ein Beispiel für Stärkung der Verben: brauchen.

gehabt gehabt

Brauchen ohne zu, da bin ich algerisch gegen. Es ist merkwuerdig, dass senden ueberhaupt stark gebraucht wird, da es eigentlich eine Art Kausativ ist und deshalb schwach sein sollte.

Wahrig:

'sen·den <V. t. 237; hat gesandt; Funk, TV: gesendet> schicken, übermitteln, zukommen lassen, mit Auftrag weggehen lassen; durch Radio od. Fernsehen verbreiten, übertragen; jmdm. Glückwünsche, Grüße ~; er hat den Brief mit einem Boten, mit der Post gesandt; der Rundfunk hat eben eine Durchsage gesendet; er ist von Gott gesandt [<mhd., mnddt., mndrl. <ahd. senten, sendan <got. sandjan <germ. *sandjan ,,gehen lassen"; zu germ *sinþan ,,gehen, reisen"; ? Gesinde, Sinn]

Von Bismarck soll das Urteil ueber einen Diplomaten stammen: "Er ist zwar Gesandter, aber kein geschickter"

versucher

Ich will den Ausgangspunkt dieses Fadens nicht stören, betrachtet das folgende als bloße Fußnote:

Warum bilden wir
senden - gesandt - Gesandtschaft
wenden - gewandt, verwandt - Gewandtheit, Verwandtschaft


ABER
das Gewand
beredt - Beredsamkeit?
Warum fehlt hier das "t"?


MrMagoo

Zitat von: gehabt gehabt in 2005-04-28, 09:03:49
Brauchen ohne zu, da bin ich algerisch gegen. Es ist merkwuerdig, dass senden ueberhaupt stark gebraucht wird, da es eigentlich eine Art Kausativ ist und deshalb schwach sein sollte.

"senden" ist schwach, sowohl in den Formen sandte - gesandt als auch in sendete - gesendet.

Senden ist tatsächlich Kausativ, nämlich zu "sinden" (= [selbst] gehen), wie gehabt gehabt aus dem Wahrig zitierte. "senden" bedeutet daher: etwas sinden (=gehen) machen, schicken.

Das "e" in senden ist Umlaut, der im Präteritum und Partizip 2 fehlt (bis ins Mittelhochdeutsche eine ganz normale Bildung), sog. "Rückumlaut".
(s. auch http://verben.texttheater.net/forum/index.php?board=5;action=display;threadid=107;start=0)

Die Formen "sendete - gesendet" sind Neubildungen nach heutigem Vorbild: der Umlaut des Präsens ist, wie bei fast allen heutigen schwachen Verben, auch ins Präteritum und Partizip 2 übergegangen.
Da sich die Form ohne Umlaut auch weiterhin gehalten hat, war's möglich den Formen ohne Umlaut eine leicht andere Bedeutung zuzuschreiben als denen mit Umlaut. Diese Unterscheidungen sind aber neu, hat nichts mit stark und schwach zu tun...
Wâ mag ich mich nu vinden? wâ mac ich mich nu suochen, wâ? nu bin ich hie und bin ouch dâ und enbin doch weder dâ noch hie. wer wart ouch sus verirret ie? wer wart ie sus zerteilet mê?
(Gottfried von Straßburg)

MrMagoo

Zitat von: versucher in 2005-04-28, 15:46:59
Ich will den Ausgangspunkt dieses Fadens nicht stören, betrachtet das folgende als bloße Fußnote:

Warum bilden wir
senden - gesandt - Gesandtschaft
wenden - gewandt, verwandt - Gewandtheit, Verwandtschaft


ABER
das Gewand
beredt - Beredsamkeit?
Warum fehlt hier das "t"?




Das "t" bei Gewand fehlt, weil Gewand von winden abgeleitet ist, zu dem "wenden" Kausativ ist.

Warum's bei Beredsamkeit fehlt, weiß ich nicht... es werden ja nicht immer alle Rechtschreibregeln konsequent durchgeführt - und da wir momentan gar keine Rechtschreibung haben, allerhöchstens ein Rechtschreibchaos, kannst Du es sicher auch mit "t" schreiben. ;)
Wâ mag ich mich nu vinden? wâ mac ich mich nu suochen, wâ? nu bin ich hie und bin ouch dâ und enbin doch weder dâ noch hie. wer wart ouch sus verirret ie? wer wart ie sus zerteilet mê?
(Gottfried von Straßburg)