Stärke und Vorsilben

Begonnen von Anne, 2006-10-06, 16:09:02

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Agricola

Ich kenne Lieschen Müller nicht und weiß auch nicht, was ein Normalbürger ist. Aber dass "regelmäßig" "einer Regel gemäß" bedeutet, verstehen wahrscheinlich auch Lieschen Müller und ein Normalbürger. Vielleicht kümmert sich Lieschen Müller nicht um die Ablautregeln, aber wenn man ihm sagt, dass es welche gibt, findet es es vielleicht trotzdem interessant? Ich würde jedenfalls versuchen, es ihm zu erklären. Und wenn es dann gar kein Interesse daran hat, würde ich mich vielleicht um Lieschen Müller nicht mehr kümmern.
The future lies in front of me,
but "lies" is all that I can see.

VerbOrg

Ich schätze mal, Lieschen Müller wäre nicht böse darüber, dass Du Dich um sie nicht kümmerst, wenn es Dir so wichtig ist, dass sie sich für Ablautregeln interessierst.

Da auch ich keine große Lust habe, mich näher damit zu beschäftigen - wer zwingt mich dazu - gehe ich davon aus, dass Deine Unlust hinsichtlich des Kümmerns auch mich betrifft.
So sei es denn. Es muss ja nicht jeder Deine Vorlieben teilen.

Agricola

Es ist ja immer noch ein Unterschied, ob man sich "für Ablautregeln interessiert" oder dafür, "dass es sie gibt". Bisher hatte ich nicht den Eindruck, dass Du diesen Dingen so indifferent gegenüberstehst.
The future lies in front of me,
but "lies" is all that I can see.

Anne

Herr Agricola, Sie sind der Meinung, daß Sie sich nicht um Leute kümmern müssen, wenn die sich nicht für Ablautregeln interessieren, wenn Sie Ihnen das erklärt haben.

Gut, dann gebe ich Ihnen mal eine Chance, denn ich verstehe auch nicht, warum starke Verben von allen als regelmäßige Verben anerkannt werden sollen.

Regelmäßig konjugiert man zum Beispiel:

wehen – wehte – geweht
flehen – flehte – gefleht.

Aber Sie sind seit gestern der Meinung, daß auch folgende (starke) Verben regelmäßig konjugiert werden:

sehen – sah – gesehen
gehen – ging – gegangen
stehen – stand – gestanden

Nun erklären Sie mir bitte mal die Regel, nach der diese Verben konjugiert werden, damit ich alle vier Konjugationsmuster als regelmäßig erkennen kann. Für mich sind die letzten drei nämlich schon immer unregelmäßig gewesen.

Sie sind da ja jetzt Experte, nachdem Verborg Ihnen den Link zu den Ausführungen von MrMagoo geliefert hat.


(Tut mit leid, daß mir hier nach der Art, wie Sie sich über Verborg und Lieschen Müller erheben, das "Du" im Halse stecken bleibt)

An Verborg:
Das mit der Bauchgrammatik verstehe ich gut. Ich finde, man muß nicht Sprachwissenschaftler sein, um sich über die Sprache Gedanken machen zu dürfen.

Agricola

#34
Ich habe mich über niemanden erhoben, ich habe auch nicht behauptet, dass starke Verben von allen als regelmäßige Verben anerkannt werden müssen. Ich habe im Gegenteil gesagt, dass es regelmäßige Verben "an sich" nicht gebe, sondern nur in bezug auf bestimmte Regeln; und da es anscheinend Ablautregeln gebe (davon weiß ich auch kaum mehr, als was in dem Link steht, den mir Verborg dankenswerterweise genannt hat), sei es sinnvoll, die Verben, die diesen Regeln folgen, als regelmäßig zu bezeichnen.

Im übrigen hat VerbOrg mich (zu Recht und dankenswerterweise) zurechtgewiesen, dass ich das Wort "starke Verben" falsch verwendet habe, und hat dazu auf einen sehr interessanten und differenzierten Beitrag hingewiesen, in dem aber eben (anders als VerbOrg vorschlug) steht, dass starke Verben ebenso wie Verben mit Rückumlaut von den Germanisten unter die regelmäßigen Verben eingeteilt werden. Und ich frage mich, ob man sich in einer Sache auf einen in sich stimmigen Beitrag berufen kann und gleichzeitig in einer anderen Sache diesem Beitrag nicht folgt. Nachdenken ist ja wohl noch erlaubt, damit erhebt man sich über niemanden.

Und im übrigen bin ich tatsächlich der Meinung, dass ich mich nicht um alle Leute kümmern muss. Wie sollte ich auch müssen, was ich ohnehin nicht kann. Aber ich habe wiederum auch nicht behauptet, dass ich mich nicht um Leute kümmere, die mir erklären, dass sie sich nicht für Ablautregeln interessieren, sondern ich habe gesagt, dass ich versuchen würde, es ihnen so zu erklären, dass sie es verstehen und anfangen, sich dafür interessieren. Und dass ich, wenn diese Person sich dann trotzdem nicht dafür interessiert, mich um diese Person vielleicht (!) nicht mehr kümmern würde. Das betrifft aber ganz sicher weder Sie, Anne, noch VerbOrg, da ich mich immer um Leute kümmere, die mir sinnvolle Fragen stellen. Ich hatte allerdings den Verdacht, dass das mir unbekannte Lieschen Müller zu den Leuten gehört, die gar keine Fragen stellen.

Nun gibt es vielleicht die Auffassung, dass nur diejenigen Verben als regelmäßig anerkannt werden dürfen, bei denen man alle Formen ohne weitere Hinweise aus einer gegebenen Grundform ableiten kann. Diese Auffassung scheint mir aber nicht zwingend zu sein. Im Lateinischen beispielsweise werden die Verben auch erst dann als unregelmäßig anerkannt, wenn sich nicht alle Formen aus der Grundform und der Deklinationsklasse ableiten lassen, bei den Substantiven aus Nominativ und Genitiv, und bei den Adjektiven aus den drei Geschlechtern des Nominativ oder ersatzweise (falls diese gleichlauten) aus Nominativ und Genitiv.

Als Nichtgermanist und Nichtsprachwissenschaftler möchte ich mich lieber auf die Details der starken Konjugation nicht einlassen, aber ich habe aus den Diskussionen in diesem Forum gelernt, dass es nicht eine Regel für die starke Konjugation gibt, sondern ein Bündel von Regeln, wobei die Frage, welche Ablautklasse angewandt wird und wie sich die Stammendkonsonanten gegebenfalls verändern (z.B. gehen ging, stehen stand) unter anderem (?) von den Anlautkonsonanten abhängt. Wie dies genau funktioniert, habe ich auch noch nicht verstanden, aber es interessiert mich schon.
The future lies in front of me,
but "lies" is all that I can see.

Anne

"Im übrigen hat VerbOrg mich (zu Recht und dankenswerterweise) zurechtgewiesen, dass ich das Wort "starke Verben" falsch verwendet habe, und hat dazu auf einen sehr interessanten und differenzierten Beitrag hingewiesen, in dem aber eben (anders als VerbOrg vorschlug) steht, dass starke Verben ebenso wie Verben mit Rückumlaut von den Germanisten unter die regelmäßigen Verben eingeteilt werden. Und ich frage mich, ob man sich in einer Sache auf einen in sich stimmigen Beitrag berufen kann und gleichzeitig in einer anderen Sache diesem Beitrag nicht folgt. Nachdenken ist ja wohl noch erlaubt."

Eben:
Nachdenken ist erlaubt. Ich denke, daß Sie das auch Verborg erlauben sollten. Wenn ich das recht verstanden habe, ist sie keine Germanistin. Warum sollte sie da gezwungen werden, deren Auffassung vollständig zu teilen, was Regelmäßigkeit angeht, nur, weil sie auf die in dem Beitrag angesprochene Abgrenzung zwischen starken und schwachen Verben hinweist?

"Und im übrigen bin ich tatsächlich der Meinung, dass ich mich nicht um alle Leute kümmern muss. Wie sollte ich auch müssen, was ich ohnehin nicht kann. Aber ich habe wiederum auch nicht behauptet, dass ich mich nicht um Leute kümmere, die mir erklären, dass sie sich nicht für Ablautregeln interessieren, sondern ich habe gesagt, dass ich versuchen würde, es ihnen so zu erklären, dass sie es verstehen und anfangen, sich dafür interessieren. Und dass ich, wenn diese Person sich dann trotzdem nicht dafür interessiert, mich um diese Person vielleicht (!) nicht mehr kümmern würde. Das betrifft aber ganz sicher weder Sie, Anne, noch VerbOrg, da ich mich immer um Leute kümmere, die mir sinnvolle Fragen stellen. Ich hatte allerdings den Verdacht, dass das mir unbekannte Lieschen Müller zu den Leuten gehört, die gar keine Fragen stellen."

Das von Ihnen hervorgehobene "vielleicht" liest sich für mich in Ihrem Beitrag wie ein Wort, das zwar hingeschrieben, aber nicht wirklich gedacht wurde.
Wenn Sie Lieschen Müller nicht kennen, können Sie doch auch nicht pauschal urteilen, daß sie gar keine Fragen stellt.

"Vielleicht kümmert sich Lieschen Müller nicht um die Ablautregeln, aber wenn man ihm sagt, dass es welche gibt, findet es es vielleicht trotzdem interessant? Ich würde jedenfalls versuchen, es ihm zu erklären. Und wenn es dann gar kein Interesse daran hat, würde ich mich vielleicht um Lieschen Müller nicht mehr kümmern."

Wie wollen Sie Lieschen Müller die Sache mit den Ablautregeln erklären, wenn Sie – wie Sie gerade geschrieben haben – selbst nicht mehr wissen, als in dem Beitrag von MrMagoo steht, und daher keine Erklärung für diese Regeln abgeben können?
Ich kann eine Regel nur dann als Regel anerkennen, wenn ich sie auch verstehe, ich weiß nicht, wie es Ihnen da geht.
Mich haben Sie jedenfalls nicht für Ablaute interessieren können. Und da ich kein Interesse daran habe, werden Sie sich VIELLEICHT um mich nicht mehr kümmern.

Machen Sie's gut.

VerbOrg

Hallo Anne,

danke für Deine Fürsprache, aber ich denke, ich bin alt genug, um für mich selbst zu sprechen. Ich finde es übrigens schön, dass Du mich verstehst. Deine Ausführungen - egal, ob es um das erlaubte Nachdenken oder um die "Bauchgrammatik geht - treffen voll ins Schwarze.

Interessant finde ich Dein Beispiel mit den -ehen-Verben, das wunderschön verdeutlicht, wie unterschiedlich Konjugationen sein können, die von den Germanisten als völlig regelmäßig dargestellt werden.
Ist es da nicht normal, dass - außer den Germanisten, die sich schließlich damit beschäftigen, Regeln für diese Ausnahmen zu finden - die meisten Menschen die starken Verben als unregelmäßig empfinden?

Hätte ich mich für solche Regeln interessiert, dann hätte ich wahrscheinlich Sprachwissenschaft studiert. Allerdings interessieren mich die Auswüchse der Gegenwartssprache mehr als das wissenschaftliche Aufdröseln der Sprachentwicklung. (Ich bin halt keine Sprachtheoretikerin, sondern hauptsächlich Praktikerin. Dass ich da hin und wieder auch mal in die Theorie reinschnuppere, ist normal, denn die Theorie ist ja normalerweise Grundlage der Praxis, aber ich will selbst entscheiden, wie tief ich in die Theorie eintauche.)

Ich hoffe, dass Du jetzt nicht allzu abgeschreckt bist von der GSV.
Schau doch weiter hin und wieder mal rein. Und wenn Du eine Frage hast, trau Dich, sie zu stellen.

Agricola

Zitat von: Anne in 2006-10-08, 12:35:25
Nachdenken ist erlaubt. Ich denke, daß Sie das auch Verborg erlauben sollten.
Habe ich es ihr verboten? Ich habe mir nur erlaubt, eine andere Meinung zu vertreten als sie.
ZitatWenn ich das recht verstanden habe, ist sie keine Germanistin. Warum sollte sie da gezwungen werden, deren Auffassung vollständig zu teilen, was Regelmäßigkeit angeht, nur, weil sie auf die in dem Beitrag angesprochene Abgrenzung zwischen starken und schwachen Verben hinweist?
Gezwungen werden soll sie nicht, aber die Meinungen von Leuten, die mehr von der Sache verstehen (damit meine ich jetzt nicht mich, aber zum Beispiel MrMagoo), wiegen unter Umständen etwas mehr als die Meinungen von Leuten, die von sich selber sagen, dass sie sich für die Sache weniger interessieren.
Zitat
Das von Ihnen hervorgehobene "vielleicht" liest sich für mich in Ihrem Beitrag wie ein Wort, das zwar hingeschrieben, aber nicht wirklich gedacht wurde.
Ich pflege solche Wörter nur hinzuschreiben, wenn ich sie auch denke.
ZitatWenn Sie Lieschen Müller nicht kennen, können Sie doch auch nicht pauschal urteilen, daß sie gar keine Fragen stellt.
Nein. Es war nur mein Eindruck nach dem, wie mir Lieschen Müller von VerbOrg geschildert würde. Wie ich bereits sagte, würde ich mit Lieschen gerne diskutieren, falls Lieschen mit mir diskutieren will.
Zitat
Wie wollen Sie Lieschen Müller die Sache mit den Ablautregeln erklären, wenn Sie – wie Sie gerade geschrieben haben – selbst nicht mehr wissen, als in dem Beitrag von MrMagoo steht, und daher keine Erklärung für diese Regeln abgeben können?
Ich würde ihr erklären, dass es Regeln für den Ablaut gibt und dies mit einigen Beispielen erläutern, die zeigen, dass manche Wörter nach denselben Vokalumwandlungen konjugiert werden, also z.B.
helfen, hilf, half, geholfen
schelten, schilt, schalt, gescholten
bersten, birst, barst, geborsten
bergen, birgst, barg, geborgen
brechen, bricht, brach, gebrochen
nehmen, nimmt, nahm, genommen
sprechen, spricht, sprach, gesprochen
sterben, stirbt, starb, gestorben
treffen, trifft, traf, getroffen
verderben, verdirbt, verdarb, verdorben
werben, wirbt, warb, geworben
und würde dann darauf hinweisen, dass die Germanisten der Ansicht sind, dass die meisten starken Verben nach gewissen Regeln gebeugt werden, obwohl man als Laie nicht leicht erkennt (und ich als Laie jedenfalls nicht weiß), warum zum Beispiel vergessen, vergisst, vergaß genauso beginnt, aber nicht mit vergossen endet. Man muss nicht alle Regeln bis zum Letzten durchschauen, um denjenigen, die sehr viel tiefer geblickt haben, Glauben zu schenken.
Zitat
Mich haben Sie jedenfalls nicht für Ablaute interessieren können. Und da ich kein Interesse daran habe, werden Sie sich VIELLEICHT um mich nicht mehr kümmern.
Wenn Sie zu lange immer wieder behaupten, dass es Sie nicht interessiert, was ich hier hinschreibe, könnte Ihnen das in der Tat passieren. Allerdings komme ich mit dem Widerspruch noch nicht ganz zurecht, dass Sie sich auf all dies einlassen, obwohl Sie sich doch nicht dafür interessieren. Vielleicht ist das Desinteresse nur vorgeschoben? Jemand, der darauf beharrt, dass man aus Ablauten keine Regel ableiten kann, ist ja offensichtlich an der Frage interessiert, ob es derartige Regeln gibt.
The future lies in front of me,
but "lies" is all that I can see.

VerbOrg

Zitat von: Agricola in 2006-10-08, 13:07:23Vielleicht ist das Desinteresse nur vorgeschoben? Jemand, der darauf beharrt, dass man aus Ablauten keine Regel ableiten kann, ist ja offensichtlich an der Frage interessiert, ob es derartige Regeln gibt.
Bist Du Dir da ganz sicher, Agricola?
Ich kann mir gut vorstellen, dass es mehr Leute gibt, die wie Anne keine Regel sehen, dies auch zugeben und sich dann trotzdem nicht für diese Regel interessieren. Eine Regel ist nun mal nur für denjenigen eine Regel, der eine gewisse Regelmäßigkeit erkennen kann. Und gerade das Beispiel, das Anne da gebracht hatte, zeigt doch, wie schwierig es ist, hier Regeln zu erkennen.
Nicht jeder ist daran interessiert, dafür eine Regel präsentiert zu bekommen, die - so wie's aussieht - bei dem einen Verb zutrifft, im nächsten Fall aber wiederum völlig versagt. Eine Regel, die nur auf Einzelfälle anwendbar ist, ist auch für mich keine Regel. Denn für mich ist eine Regel etwas, das bei ähnlich gelagerten Sachverhalten (fast) immer anwendbar ist. Die Zahl der Ausnahmen sollte dabei auf ein überschaubares Minimum begrenzt sein.

Im Spanischen habe ich Verben, die einen Wechsel des betonten Stammvokals, z.B. von o zu ue, aufweisen, als unregelmäßige Verben kennengelernt, obwohl dieser Wechsel mit schönster Regelmäßigkeit auftaucht.
Andernorts werden diese Verben zwar gesondert aufgeführt, allerdings nicht als unregelmäßige Verben sondern als Klasseverben bezeichnet.

Und ich bin mir ziemlich sicher, dass Ausländer, die die deutsche Sprache lernen, starke Verben ebenfalls als unregelmäßige Verben auswendig lernen dürfen.

Tiefer gehende Regeln kann man meiner Meinung nach getrost den Sprachwissenschaftlern überlassen. Wer sich sonst noch ganz intensiv damit beschäftigen will, darf meinetwegen auch von Regelmäßigkeit sprechen.
Für normale Leute, die sich auf Sprachtheorie nicht so tief einlassen wollen (und es ja auch nicht müssen) sollten die starken Verben weiterhin getrost als unregelmäßig gelten dürfen.

Agricola

#39
Zitat von: VerbOrg in 2006-10-08, 13:32:23
Zitat von: Agricola in 2006-10-08, 13:07:23Vielleicht ist das Desinteresse nur vorgeschoben? Jemand, der darauf beharrt, dass man aus Ablauten keine Regel ableiten kann, ist ja offensichtlich an der Frage interessiert, ob es derartige Regeln gibt.
Bist Du Dir da ganz sicher, Agricola?
Vielleicht nicht ganz, aber ziemlich. Das Leben lehrt, dass man auch Offensichtliches nie für ganz sicher halten sollte. Ein Desinteresse drückt sich aber sicher nicht darin aus, dass jemand lange Beiträge in einem Forum schreibt.
Zitat
Ich kann mir gut vorstellen, dass es mehr Leute gibt, die wie Anne keine Regel sehen, dies auch zugeben und sich dann trotzdem nicht für diese Regel interessieren.
Wenn man keine Regel sieht, kann man sich natürlich auch nicht für sie (für welche denn?) interessieren. Aber wie ich bereits schrieb, geht es mir ja zunächst um das Interesse dafür, ob es Regeln gibt oder nicht. Jemand, der sich partout nicht dafür interessiert, ob es eine Regel gibt, muss mir mal erklären können, warum ihm daran liegt, Verben als unregelmäßig zu betrachten.
ZitatEine Regel ist nun mal nur für denjenigen eine Regel, der eine gewisse Regelmäßigkeit erkennen kann.
Und das nehme ich nicht nur für mich in Anspruch, sondern ich nehme auch an, dass ich sogar unser Lieschen, wenn ich es denn träfe und es bereit wäre, mir einige Minuten zuzuhören, davon überzeugen könnte, dass es eine gewisse Regelmäßigkeit gibt. Damit ist ja noch nicht gesagt, dass alles aus Regeln erklärbar wäre.
ZitatUnd gerade das Beispiel, das Anne da gebracht hatte, zeigt doch, wie schwierig es ist, hier Regeln zu erkennen.
Ja, es ist ein sehr schönes Beispiel. Vielleicht sind ja auch nicht alle der dort genannten Verben vollständig regelmäßig. Eine Regel schließt ja Ausnahmen nicht aus.
ZitatNicht jeder ist daran interessiert, dafür eine Regel präsentiert zu bekommen, die - so wie's aussieht - bei dem einen Verb zutrifft, im nächsten Fall aber wiederum völlig versagt. Eine Regel, die nur auf Einzelfälle anwendbar ist, ist auch für mich keine Regel. Denn für mich ist eine Regel etwas, das bei ähnlich gelagerten Sachverhalten (fast) immer anwendbar ist.
Dann gibt es im Deutschen gar keine regelmäßigen Verben. Denn Du wirst doch nicht behaupten, dass fast alle Verben im Deutschen schwach und ohne Besonderheiten der Konjugation seien.
ZitatDie Zahl der Ausnahmen sollte dabei auf ein überschaubares Minimum begrenzt sein.
Ich jedenfalls habe es bisher noch nicht geschafft, das ganze Gestrüpp von nichtschwachen Verben im Deutschen zu überschauen, sofern man unter überschauen nicht das das diagonale Lesen einer Tabelle versteht.
ZitatUnd ich bin mir ziemlich sicher, dass Ausländer, die die deutsche Sprache lernen, starke Verben ebenfalls als unregelmäßige Verben auswendig lernen dürfen.
Das trifft ab heute für meine Studenten nicht mehr zu.  :D
ZitatTiefer gehende Regeln kann man meiner Meinung nach getrost den Sprachwissenschaftlern überlassen. Wer sich sonst noch ganz intensiv damit beschäftigen will, darf meinetwegen auch von Regelmäßigkeit sprechen.
Für normale Leute, die sich auf Sprachtheorie nicht so tief einlassen wollen (und es ja auch nicht müssen) sollten die starken Verben weiterhin getrost als unregelmäßig gelten dürfen.
Da bin ich ja auch dafür! Und das habe ich ja auch gemacht, sogar in der umgekehrter Richtung! Und dafür hast Du mich getadelt! Und ich finde, zu Recht! Und jetzt freue ich mich darüber, etwas Neues kapiert zu haben! Und jetzt werden meine Studenten jedenfalls nicht mehr fälschlich lernen, dass alle nichtschwachen Verben stark seien! Und dafür bin ich Dir auch dankbar! Und trotzdem versuchst Du mich die ganze Zeit von dem Pfad der Tugend wieder abzubringen ...
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but "lies" is all that I can see.

VerbOrg

Zitat von: Agricola in 2006-10-08, 14:18:23Und jetzt werden meine Studenten jedenfalls nicht mehr fälschlich lernen, dass alle nichtschwachen Verben stark seien! Und dafür bin ich Dir auch dankbar!
Kannst Du mir das jetzt mal genauer erklären?
Bei mir sind nichtschwache Verben starke Verben.

Ob es so gut ist, Deinen Studenten zu erklären, dass die starken Verben regelmäßig sind, weiß ich nicht. Wenn man von einer Regelmäßigkeit spricht, sollte man Sie auch erklären können, und zwar so, dass derjenige, dem man die Sache mit der Regelmäßigkeit erzählt, es auch versteht.
Ob es zum Lernen der Sprache (zwecks praktischer Beherrschung, schließlich unterrichtest Du nicht Germanistik) notwendig ist? Ich glaube es nicht.
Alles, was der Student nicht wie ein regelmäßiges schwaches Verb ohne Rückumlaut konjugieren kann, wird wohl für ihn immer eine Unregelmäßigkeit sein, die er gesondert lernen muss.
Ich denke mal, wenn Du den Studenten diese sprachwissenschaftlichen Unterschiede beibringen willst, verwirrst Du sie nur. Die deutsche Sprache ist schließlich schwierig genug zu erlernen, wenn man sie nicht schon mit der Muttermilch in sich aufgesogen hat.

ZitatDann gibt es im Deutschen gar keine regelmäßigen Verben. Denn Du wirst doch nicht behaupten, dass fast alle Verben im Deutschen schwach und ohne Besonderheiten der Konjugation seien.
Nein, regelmäßige Verben gibt es in der deutschen Sprache schon; die Überschaubarkeit der Ausnahmen heißt ja nicht gleichzeitig, dass man sie mit einer Hand abzählen muss.
Wenn Du aber mal die Liste der von uns gestorkenen Verben der Liste der unregelmäßigen Verben gegenüberstellst, die Deine Studenten lernen dürfen, dann bin ich fest davon überzeugt, dass die Starkverbliste der GSV (also eine Liste, in die ausschließlich schwache regelmäßige Verben zwecks Stärkung aufgenommen werden) um ein Vielfaches länger ist.
Daran allein kannst Du schon sehen, dass die Mehrzahl der deutschen Verben schwach ist.
Dass bei einer so großen Anzahl von Verben dann auch eine etwas längere Liste mit unregelmäßigen/starken Verben herauskommt, ist doch nur natürlich. Prozentual gesehen dürften diese allerdings (auch wenn's GSVler betrüben dürfte) nicht so stark ins Gewicht fallen.

Vielleicht fallen Dir die vielen starken Verben vor allem deshalb so ins Auge, weil es sich - übrigens nicht nur im Deutschen - hauptsächlich um die am häufigsten gebrauchten grundlegenden Verben handelt, man denke da an

- liegen, sitzen, stehen
- gehen, laufen, rennen, fahren, fliegen, schwimmen
- sprechen, verstehen
- sehen, riechen

Komischerweise hören oder fühlen nicht.

Verben, die später in die Sprache eingedrungen sind, und die ähnliche Bedeutungen haben wie die oben genannten, aber eventuell noch genauer sind oder auf einer anderen Stilebene angesiedelt sind, sind dagegen meist schwach, z.B.

- rumlümmeln, hocken
- spazieren, flitzen, flattern
- reden, labern
- schauen, erblicken, schnüffeln

Kilian

#41
Hoch interessante Diskussion! Zuerst zu einem Detail:

Zitat von: Agricola in 2006-10-08, 12:01:51wobei die Frage, welche Ablautklasse angewandt wird und wie sich die Stammendkonsonanten gegebenfalls verändern (z.B. gehen ging, stehen stand) unter anderem (?) von den Anlautkonsonanten abhängt.

Echt? Woher? Ich kenne das mit den Anlautkonsonanten nur aus der KKkK, die ja eine Erfindung von uns ist, elegant, aber künstlich herumgebaut um den dürren Tatsachenbestand gehen und stehen.

Nun, kein Grund zu streiten, jedenfalls nicht um die Grenze zwischen regelmäßig und unregelmäßig, die ist in der Tat nicht so scharf und hängt von der Blickrichtung ab. So tief MrMagoo geblickt hat, so entspringt seine Unterteilung auch nur einer bestimmten, nämlich sprachhistorischen Sichtweise. Lieschen Müllers Sichtweise hat ebenso gute wissenschaftliche Absicherung.

Ich finde die Unterscheidung zwischen Kopfgrammatik und Bauchgrammatik gut. Regeln zu erlernen und bewusst anzuwenden, würde ich als Kopfgrammatik bezeichnen. Aber wer eine Sprache wirklich zu sprechen lernt, dem gehen die Regeln allmählich in Fleisch und Blut über, er bekommt eine Bauchgrammatik für diese Sprache und kann die Regeln anwenden, ohne über sie nachzudenken. Kleine Kinder erwerben eine Bauchgrammatik durch Zuhören und Nachplappern, ältere Menschen müssen i.d.R. den Umweg über die Kopfgrammatik nehmen.

Kopfgrammatisch kann man vielleicht mit viel Mühe ein System konstruieren, das alle Verbformen des Deutschen korrekt vorhersagt. Es würde aber vor "Ausnahmeregeln" strotzen, die sich teilweise nicht viel anders läsen als eine schlichte Aufzählung der "unregelmäßigen" Formen.

Die Frage ist, ob ein Sprecher des Deutschen so ein System im Bauch hat? Ob es Regeln sind, die uns auch bei Verben wie werden, gehen oder tun zu den korrekten Formen führen? Wie Steven Pinker in seinem populärwissenschaftlichen Buch Wörter und Regeln bin ich der Meinung, dass es plausibler ist, anzunehmen, wir hätten die "unregelmäßigen" Formen solcher Verben einfach in Form von "Lexikoneinträgen" gespeichert, schlicht auswendig gelernt. Dann wäre es aus psycholinguistischer Sicht sinnvoll, diese Verben als unregelmäßig zu bezeichnen, weil in unserem Bauch (in Wahrheit natürlich in unserem Kopf) nicht Regeln arbeiten, sondern Wörter (Wortformen) abgerufen werden.

(Ganz kurz gefasst und im Kern lautet Steven Pinkers "Wort-und-Regel-Theorie": Wir schlagen in einem mentalen Lexikon nach, ob die Form, die wir brauchen, gespeichert ist - wenn nicht, dann wenden wir die uns bekannte Regel an, z.B. Präteritum bilden durch Anhängen von -te an den Stamm.)

Die sogar von MrMagoo als unregelmäßig bezinchenen Verben sind ja nicht so strittig. Was aber ist zum Beispiel mit starken Verben und ihren verschiedenen, aus den Grundformen nicht wirklich vorhersagbaren Ablautreihen? Aus didaktischer Sicht sind auch sie ganz klar unregelmäßig, da es für Benutzer und Erlerner des heutigen Deutsch offensichtlich sinnvoller ist, eine schlichte Auflistung zu bekommen und zu erlernen als ein Studium der Ablautreihen. Aus sprachhistorischer Sicht sind sie ganz klar regelmäßig, da die Formen sich nicht x-beliebig, sondern nach bestimmten Mustern entwickelt haben.

Nun eine psycholinguistische Einschätzung der starken Verben: Was geht bei ihrem Gebrauch in unserem Bauch (eigentlich Kopf) vor? Haben unsere alt- und mittelhochdeutsche Dialekte sprechenden Vorfahren uns die bei ihnen noch produktiven Ablautreihen in Form eines tiefen Urwissens vererbt, das wir als kleine Kinder der Sprache ablauschen, sodass wir die Formen starker Verben nach bauchgrammatischen Regeln bilden? Oder ist die Schwächung des Neuhochdeutschen so fortgeschritten, dass junge Bäuche (eigentlich Gehirne) keine Zusammenhänge erkennen und alle Formen sturheil auswendig lernen?

Ich glaube, dass die Wahrheit hier in der Mitte liegt. Ganz scharf abgrenzen lassen sich die "Wörter" von den "Regeln" dann doch nicht. Ein Beleg dafür wäre, wenn kleine Kinder starke Formen benötzen, die sie nie gehört haben, also starke Formen "übergenerieren" würden. Den Beleg habe ich leider nicht zur Hand (Memo an mich selbst: noch Pinkers Buch ausleihen und nachgucken). Das wiese darauf hin, dass sie die starke Konjugation "bäuchlings" durchschaut hätten und auch aktiv anwändten.  Beleg zwei: Wir geübten Verbenstärker stärken doch auch gerne aus dem Bauch heraus, da wird oft nicht lange nachgedacht. Hab ich Recht? Und die Ergebnisse sind sehr oft mit den Inhalten unserer Listen, oft sogar mit tatsächlich existenten Ablautreihen in Einklang zu bringen. Beleg drei: Man hört immer wieder, dass auch in relativ junger Zeit schwache Verbformen erstorken sind, wie z.B. gewunken oder - humoristisch - gekrischen. Ganz überzeugend ist das nicht, da sich doch meistens herausstellt, dass alles in Dialekten schon mal da war und sich wahrscheinlich "nur" ausgebreitet hat, aber dieses Ausbreiten zeugt ja ebenso dafür, dass die starken Formen irgendwie einleuchten, wie die Existenz unserer Gesellschaft. 8) Wir scheinen da schon ein gewisses "Regelsystem" im Bauch zu haben.

Umgekehrt kann ich mir nicht vorstellen, dass eine schwache Form wie gelacht keinen mentalen Lexikoneintrag zeitigen sollte, wenn sie sehr häufig gebraucht wird. Oder wendet man jedes Mal eine "Bauchregel" an, wenn man gelacht sagt, die aus dem Stamm lach- das regelmäßige Partizip II bildet? Jedoch wird gesungen immer per Abruf aus dem Speicher gesagt? So scharf formuloren würde die "Wort-und-Regel-Theorie" vielleicht unser Sprechen zufriedenstellend erklären, jedoch - so vermute ich ganz subjektiv - die psychische Realität außer Acht lassen, also davon abweichen, was wirklich in unseren Bäuchen (eigentlich Köpfen) vor sich geht.

Agricola

Zitat von: VerbOrg in 2006-10-08, 14:47:21
Zitat von: Agricola in 2006-10-08, 14:18:23Und jetzt werden meine Studenten jedenfalls nicht mehr fälschlich lernen, dass alle nichtschwachen Verben stark seien! Und dafür bin ich Dir auch dankbar!
Kannst Du mir das jetzt mal genauer erklären?
Bei mir sind nichtschwache Verben starke Verben.
Lassen wir doch den Berufeneren sprechen:
Zitat von: MrMagoo in 2005-02-16, 21:37:32
..., die Bezeichnungen schwach, stark und unregelmäßig werden nur immer gern wieder durcheinandergeworfen - also:

Es gibt im Deutschen folgende Verbgruppen:

1) Die SCHWACHEN VERBEN
...
1a) Untergruppe der schwachen Verben: Verben mit sogenanntem Rückumlaut
...
2) Die STARKEN VERBEN
...
3) Die sog. Präterito-Präsentia
...
4) Die unregelmäßigen Verben
Demnach sind die Präterito-Präsentia und diejenigen Verben, die MrMagoo als unregelmäßig durchgehen lässt, weder schwach noch stark. Nimmt man die Gruppe 1a) aus, sind die schwachen Verben eben die, die Du als regelmäßig bezeichnest, und alle anderen unregelmäßigen Verben sind unschwach, auch diejenigen, die (wie Du selbst angemahnt hast) nicht stark sind.
Zitat

Ob es so gut ist, Deinen Studenten zu erklären, dass die starken Verben regelmäßig sind, weiß ich nicht. Wenn man von einer Regelmäßigkeit spricht, sollte man Sie auch erklären können, und zwar so, dass derjenige, dem man die Sache mit der Regelmäßigkeit erzählt, es auch versteht.
Ob es zum Lernen der Sprache (zwecks praktischer Beherrschung, schließlich unterrichtest Du nicht Germanistik) notwendig ist? Ich glaube es nicht.
Alles, was der Student nicht wie ein regelmäßiges schwaches Verb ohne Rückumlaut konjugieren kann, wird wohl für ihn immer eine Unregelmäßigkeit sein, die er gesondert lernen muss.
Ich denke mal, wenn Du den Studenten diese sprachwissenschaftlichen Unterschiede beibringen willst, verwirrst Du sie nur. Die deutsche Sprache ist schließlich schwierig genug zu erlernen, wenn man sie nicht schon mit der Muttermilch in sich aufgesogen hat.
Es ist sicherlich ein schwieriges Problem, was man Studenten beibringen soll und was nicht. Sicher werden sie die starken Verben alle gesondert lernen, zumal ich ja nicht einmal kompetent bin, ihnen zu erklären, wie die Regeln wirklich alle gehen. Aber ich habe immer einige sprachwissenschaftlich interessierte Leute unter den Studenten, auch solche, die gleichzeitig mehrere andere indogermanische Sprachen einschließlich Latein, Altgriechisch und Sanskrit lernen, und die sollte man nicht mit leichter Kost abspeisen.
Zitat
ZitatDann gibt es im Deutschen gar keine regelmäßigen Verben. Denn Du wirst doch nicht behaupten, dass fast alle Verben im Deutschen schwach und ohne Besonderheiten der Konjugation seien.
Nein, regelmäßige Verben gibt es in der deutschen Sprache schon; die Überschaubarkeit der Ausnahmen heißt ja nicht gleichzeitig, dass man sie mit einer Hand abzählen muss.
Wenn Du aber mal die Liste der von uns gestorkenen Verben der Liste der unregelmäßigen Verben gegenüberstellst, die Deine Studenten lernen dürfen, dann bin ich fest davon überzeugt, dass die Starkverbliste der GSV (also eine Liste, in die ausschließlich schwache regelmäßige Verben zwecks Stärkung aufgenommen werden) um ein Vielfaches länger ist.
Dass eine Liste total unüberschaubar ist bedeutet ja nicht, dass eine kürzere Liste überschaubar ist.
ZitatDaran allein kannst Du schon sehen, dass die Mehrzahl der deutschen Verben schwach ist.
Ich dachte, es ginge um (fast) alle, nicht nur um die Mehrzahl. Dann müsste man jetzt ersteinmal nachweisen, dass man nicht mit einigen schönen und leicht verständlichen Regeln für starke Verben die Mehrzahl dieser Verben erfassen kann, ehe man behauptet, die starken Verben seinen unregelmäßig.
ZitatVielleicht fallen Dir die vielen starken Verben vor allem deshalb so ins Auge, weil es sich - übrigens nicht nur im Deutschen - hauptsächlich um die am häufigsten gebrauchten grundlegenden Verben handelt, man denke da an

- liegen, sitzen, stehen
- gehen, laufen, rennen, fahren, fliegen, schwimmen
- sprechen, verstehen
- sehen, riechen

Komischerweise hören oder fühlen nicht.
und lieben und küssen auch nicht. :-[
Dafür aber schlafen und essen. :D
Und jetzt hatte ich gerade gedacht, ich hätte das kapiert mit den starken Verben, und jetzt möchtest Du mir erklären, dass rennen stark ist? Rennen, rann, geronnen? Und wo bleibt dann rinnen?
ZitatVerben, die später in die Sprache eingedrungen sind, und die ähnliche Bedeutungen haben wie die oben genannten, aber eventuell noch genauer sind oder auf einer anderen Stilebene angesiedelt sind, sind dagegen meist schwach, z.B.

- rumlümmeln, hocken
- spazieren, flitzen, flattern
- reden, labern
- schauen, erblicken, schnüffeln
The future lies in front of me,
but "lies" is all that I can see.

VerbOrg

Ich schätze, die Bauchgrammatik erwerben wir uns aus beiden Quellen: dem Nachplappern und dem bewussten Lernen von Regeln.

Mit einem gewissen Maß an Sprachpraxis geht das Gelernte dann - wie Du schon schriebst - in Fleisch und Blut über. Und das ist es, was ich als Bauchgrammatik bezeichne.

Wäre ich nicht Mitglied der GSV, könnte ich die Grammatik zwar problemlos anwenden, Regeln könnte ich allerdings kaum formulieren, weil ich diese nicht mehr benötige, um mir zu überlegen, wie denn nun ein bestimmter Satz grammatikalisch aufgebaut sein muss oder wie ein Wort flektiert wird. Erst durch die GSV ist auch die Kopfgrammatik wieder aktiviert worden, weil ich seit meinem Einstieg hier wieder überlege, warum ich etwas so und nicht anders sage/schreibe.

Als unsere Russischlehrerin anfing, uns anhand der englischen Zeitformen zu erklären, wann man welche Verbformen in der russischen Sprache benutzt, konnte ich damit nichts anfangen. Die Regeln, nach denen ich den Gebrauch der englischen Zeitformen gelernt hatte, waren zwar in den praktischen Sprachgebrauch eingeflossen, aber in der Theorie hätte ich sie nur noch mit größter Mühe erklären können.
Ich hätte also einen Satz, den ich auf Russisch sagen/schreiben wollte, zunächst einmal ins Englische übertragen müssen, um ihn dann irgendwann auf Russisch zusammenzukriegen. Ganz schön umständlich, kann ich Euch sagen.
Kein Wunder, dass ich irgendwann grammatisch nicht mehr viel hinbekommen habe...

Ich bin übrigens sehr gespannt auf das Büchlein, Kilian. Es ist schon vorgemerkt.

@Agricola

Sorry, das mit dem Rennen war mein Fehler, da hab ich mich wohl verronnen. Natürlich ist's NICHT stark. Gehört wohl eher in die zweite Liste.
Ich sehe es übrigens - auch wenn Du mir da jetzt wieder widersprechen wirst - als unregelmäßiges Verb an, schließlich heißt's nicht

rennen - rennte - gerennt, wie es
flennen - flennte - geflennt oder
trennen - trennte - getrennt heißt.

Rückumlaute sind für mich extra zu lernenden Besonderheiten, es gibt also eine - wenn auch nur geringfügige - Abweichung von der Regel.

"Fast alle" heißt für mich "die überwältigende Mehrheit", nicht unbedingt "alle bis auf zwei, drei Hanseln".

Agricola

Zitat von: Kilian in 2006-10-08, 15:01:00
Hoch interessante Diskussion! Zuerst zu einem Detail:

Zitat von: Agricola in 2006-10-08, 12:01:51wobei die Frage, welche Ablautklasse angewandt wird und wie sich die Stammendkonsonanten gegebenfalls verändern (z.B. gehen ging, stehen stand) unter anderem (?) von den Anlautkonsonanten abhängt.

Echt? Woher? Ich kenne das mit den Anlautkonsonanten nur aus der KKkK, die ja eine Erfindung von uns ist, elegant, aber künstlich herumgebaut um den dürren Tatsachenbestand gehen und stehen.

Vielleicht habe ich da etwas durcheinandergebracht ... Ich hatte das irgendwie so aufgefasst, dass die Frage, zu welcher Ablautreihe ein Verb gehört, auch von den Konsonanten des Verbstamms abhängt. Aber da habe ich vielleicht wirklich etwas zusammengebracht, was nicht zusammengehört.
The future lies in front of me,
but "lies" is all that I can see.