Dativ-e bei Ich

Begonnen von abc123, 2010-04-25, 15:20:38

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abc123

Hallo zusammen,

gestern war ich in einer Kneipe, da gab es neben einer hübschen Kellnerin verschiedene Gesellschaftsspiele. Meine Freunde und ich begannen eine Runde Scrabble. Das Spiel verlief mitunter politisch sehr unkorrekt und im großen Finale war die Frage spielentscheidend, ob man dem Wort "ich" das Dativ-e anhängen darf, um z.B. als guter Buddhist dem Iche zu entsagen.

Scrabble.de/rules.php sagt folgendes:
ZitatII. Erläuterungen zur Grammatik
1. Beugungsformen im Allgemeinen
Zulässig sind alle Beugungsformen der deutschen Grammatik. Dazu gehören auch umgangssprachliche, veraltete und landschaftliche Beugungsformen, wenn sie durch die Erläuterungen eines Stichworteintrags belegbar und grammatisch korrekt sind.

3. Substantive
Substantive dürfen in jegliche der deutschen Grammatik entsprechende Deklinationsform gesetzt werden. Ein angehängtes –e im Dativ ist zulässig, wenn der Genitiv mit –es oder –[e]s angegeben wird. Ausnahmen bilden als Fremdwörter gekennzeichnete Begriffe sowie Substantive, deren Stamm auf (mindestens einen) Vokal oder Vokal plus h endet: Bei diesen Wörtern ist das Dativ-e unzulässig (wie z. B. bei Stroh; See; Ai; Ei; Meltau). Bei zusammengesetzten Wörtern, die auf ein Fremdwort mit Genitivangabe –es oder –[e]s enden, ist das Dativ-e zulässig (z. b. <dem> Domchore).

Zulässig sind auch die Formen im Dativ Plural, die der Grammatik entsprechen (z. B. den Leibern, den Adlern, den Händen, den Klöstern, den Circussen). Einige Substantive sind im Dativ Plural allerdings unverändert (z. B. den Öre; den Ewe).

duden.de:
ZitatDie Endung -e im Dativ Singular stark gebeugter Substantive im Maskulinum oder Neutrum ist heute nicht mehr unbedingt erforderlich und wird nur noch relativ selten verwendet. Lediglich in einigen idiomatischen Wendungen ist sie noch zu finden, wie etwa im Grunde genommen, zu Rate ziehen, zu Kreuze kriechen oder im Laufe der Zeit.
Grundsätzlich nicht verwendet wird das Dativ-e bei Substantiven auf -en, -em, -el, -er, etwa dem Garten, dem Vater, dem Gürtel, Substantiven, die auf Vokal enden, wie etwa dem Reh, am Knie, unter dem Schuh und bei stark gebeugten Fremdwörtern, beispielsweise dem Hotel.
In den Fällen, in denen das Dativ-e fakultativ verwendbar ist, hängt es sehr stark vom Textcharakter und vom Satzrhythmus ab, ob man sich für seine Setzung entscheidet, ob man also von dem Kind oder dem Kinde spricht, auf dem Land oder auf dem Lande wohnt, sich im Haus oder im Hause befindet.

Passt ja nicht so schlecht, dachte ich mir, konsultierte aber zur Sicherheit den Scrabble-Schiedsrichter:
ZitatDer Scrabble-Schiedsrichter hat soeben Ihre Anfrage bearbeitet.
Das von Ihnen angefragte Wort ICHE wurde als ungültig erkannt.
Begründung:
Es handelt sich um keine zulässige Ableitung des angegebenen Stichworts.

Wir bedanken uns für Ihr Interesse und wünschen Ihnen weiterhin viel Spaß mit SCRABBLE: www.scrabble.de!

Damit habe ich also verloren, aber man will ja auch nachträglich a) was lernen und b) über Fehlentscheidungen meckern, daher interessiert mich sehr die Meinung dieses Forums der sprachlichen Expertise und mehr noch deren Begründung.

Bitte entschuldigt die entsetzliche Sprache, ich habe noch kein Neutsch gelernt.

Viele Grüße abc123

DU

Eine solche Frage kann nur ICH entscheiden.

Kilian

II.3 ist ja wohl eindeutig, danach ist Iche, abgeleitet von Ich, ganz klar erlaubt. Vielleicht hat der Schiedsrichter nicht gewusst oder nicht daran gedacht, dass es Ich als Substantiv gibt und nicht nur das Personalpronomen ich. Blöderweise steht ja nicht dabei, welches Stichwort angegeben war.

Spaltdeuter

Ganz eindeutig? Ist denn der Genitiv von "das Ich" in deinem Lexikonne mit "-es" oder "-[e]s" angegeben? In dem mir zur Hand sich befindlichen Lexikonne ist der Genitiv mit einem einfachen Esse ("-s") angegeben, hat also weder ein obligatorisches noch ein fakultatives e. Somit fiele das Ich nach dieser Regel nicht unter die Kategorie der Wörter, deren Dativ mit dem E-e gebolden werden darf.

Icke

Schnickschnack! Natürlich kann ein "-e" an das "ich" gehungen werden. Berliner und Thüringer machen sich da gar keinen Kopf, ob das erloben ist oder nicht, und antworten z.B. auf die Frage "Wer war denn das? spontan: "Na icke!" oder eben "Iche!". D.h. sowohl Berliner als auch Thüringer unterscheiden dabei im Gebrauch des betonenen "ich" (was zu "icke/iche" wird) im gleichen Sinne wie die Franzosen zwischen "je" und "moi".

Kilian

Zitat von: Spaltdeuter in 2010-04-25, 16:49:24
Ganz eindeutig? Ist denn der Genitiv von "das Ich" in deinem Lexikonne mit "-es" oder "-[e]s" angegeben? In dem mir zur Hand sich befindlichen Lexikonne ist der Genitiv mit einem einfachen Esse ("-s") angegeben, hat also weder ein obligatorisches noch ein fakultatives e. Somit fiele das Ich nach dieser Regel nicht unter die Kategorie der Wörter, deren Dativ mit dem E-e gebolden werden darf.

Ich nehme mein unqualifizorenes Getöne von oben zurück. Du hast natürlich Recht. Ich hatte das "wenn der Genitiv mit –es oder –[e]s angegeben wird" nicht auf ein Wörterbuch bezogen, wie es wohl gemienen ist, und mein eigenes Sprachgefühl befragen, das "Iches" durchaus zuließ. Aber nach all den Jahren in diesem Forum und im linguistischen Studium kann ich wohl kaum behaupten, dass mein Sprachgefühl irgendetwas mit Standarddeutsch zu tun hätte. :D

Grundsätzlich gilt ja, dass alle Sprachgewalt vom Volke, d.h. von den Sprechern einer Sprache, ausgeht, und Präskriptivisten nichts zu melden haben. Düden und Wahrige dokumentieren den Sprachgebrauch lediglich, sie normieren ihn nicht bzw. nur indem sie als gemeinsame Leitlinie benotzen werden. Dass sie diese Rolle haben, erlegt ihnen die große Verantwortung auf, tatsächlich sorgfältig darauf zu achten, wie die Sprache tatsächlich benotzen wird, und keine willkürlichen Entscheidungen zu treffen, wie sie benotzen werden sollte. Diese Verantwortung füllen sie in der Regel gut aus, wenngleich sie um manche Willkürentscheidung natürlich nicht herumkommen, denn wie soll man sonst aus den 105+ Millionen Deutschs, die auf der Welt gesprochen werden, eine einzige Standardsprache herausziehen?

Für Aussagen wie "das ist richtiges Deutsch" und "das ist falsches Deutsch" ist die sture Orientierung an einem Nachschlagewerk also höchst bedenklich. Für ein Spiel wie Scrabble hingegen ist sie höchst sinnvoll, denn wenn man mit dem Spiel weiterkommen will, braucht man einen eindeutigen und unparteiischen - wenn auch, wohlverstanden, manchmal willkürlichen - Schiedsrichter. Und der hat - auch in Gestalt meiner Wahrig-Ausgabe - gegen Iche entschieden.

Siegmund F.

Es beuge sich das Es dem Iche, so wie sich Letzteres dem Über-Iche unterzuordnen hat.
Ich kann auch noch den Kollegen Descartes zitieren: "Ich schreibe es, also ist es!"

abc123

Also des Ichs, anstatt des Iches! Mit dem e im Genitiv bricht mir auch das romantisch verklärte Dativ-e weg und macht meine Niederlage zu allem Überfluss grammatisch fund...oren (?). Dieser jedenfalls nicht lexikontaugliche, gespriezene Genitiv "des Iches" findet sich bei Google vornehmlich in allerlei Esoterik- und Parapsychologieforen - wohl weil er wichtiger klingt. Soweit man in diesen Kreisen recht haben kann, habe ich wenigstens in diesen Kreisen recht.

Hat mich gefron!

abc123

E-in-e-iger Zwilling

Prächtig stünd' das E dem Iche
Wenn "des Iches" E nicht wiche.
Ob ein-e-ig oder zwei-e-ig,
Egal, nur sei's nicht un-e-lich!
Der Iche e-es E-igentum
Schüf' auch dem E-e sich'ren Ruhm!

Kilian


abc123

Zitat von: E-in-e-iger Zwilling in 2010-04-25, 19:18:09
Prächtig stünd' das E dem Iche
Wenn "des Iches" E nicht wiche.
Ob ein-e-ig oder zwei-e-ig,
Egal, nur sei's nicht un-e-lich!
Der Iche e-es E-igentum
Schüf' auch dem E-e sich'ren Ruhm!

Bravo Deinem lyrischen Talente und Deinem Fehlen von Eitelkeit. Die selbstlose, anonyme Veröffentlichung zeigt die vollkommene Hingabe an die Poesie unter Entsagung des Ichs. Ich versenke mich nach einem ersten Erfolg nun in die Neutschstudien.

Schlendrian von Wegen

Alles gut und schön, aber wenn wir des Genitivs retten wollen, heißt es auf gut Gautamisch (also nach Buddha): "des Iches zu entsagen." Womit hier ein neues Thema aufmächig wäre.

Aber lassen wir auch dem Dativ nicht völlig verkommen.

Grüße allerseits