Mehr als die Hälfte "kam" oder "kamen"?

Begonnen von Agricola, 2006-11-25, 20:12:38

Vorheriges Thema - Nächstes Thema

Agricola

Ich storlp gerade über folgenden Satz:

Solche skurrilen Erklärungsversuche erlebten die Tester laut SPIEGEL auch bei dem Ford-Claim "Feel the difference", dem einzigen, den immerhin mehr als die Hälfte korrekt mit "Spür den Unterschied" übersetzen konnten.

Ich hätte ein "konnte" erwartet. Nach dem Subjekt des Satzen fahndend fand ich nur "mehr". Das könnten "mehr Menschen als die Hälfte aller Deutschen" sein, aber es könnte auch "ein größerer Anteil als die Hälfte" sein.

Gibt es hier eine Regel, was standardsprachlich richtig ist? Oder ist vielleicht der Ausdruck "mehr als die Hälfte" in diesem Kontext selbst eine schlechte Wahl?
The future lies in front of me,
but "lies" is all that I can see.

caru

constructio ad sensum, dächte ich mal... mehr als die hälfte [der getesteten] sind hoffentlich mehr als eine person, also stört der plural nicht. jedenfalls nicht bei einem etwas komplizierten satz, wo man sich erst überlegen muß, was das subjekt ist. probiern wir mal einen einfacheren.

"ein viertel der deutschen kann nicht bruchrechnen."

"ein viertel der deutschen können nicht bruchrechnen."

da dünkt es mich, als wäre der erste standardmäßig (subjekt in einzahl -->verb in einzahl), der zweite eher umgangssprachlich (das verb kommt direkt nach "deutschen", also stimmt man's damit überein). wo, wo sind die berufsgermanisten?
(\___/)
(>´x´<)
('.')__('.')

Nijntje - de echte nederlandse konijn

Kilian

Hier nicht. :) Ich kann auch nur mit Intuitionen dienen, und sie decken sich mit deinen.

Agricola

#3
Zitat von: caru in 2006-11-25, 20:31:31
constructio ad sensum, dächte ich mal... mehr als die hälfte [der getesteten] sind hoffentlich mehr als eine person, also stört der plural nicht. jedenfalls nicht bei einem etwas komplizierten satz, wo man sich erst überlegen muß, was das subjekt ist. probiern wir mal einen einfacheren.

"ein viertel der deutschen kann nicht bruchrechnen."

"ein viertel der deutschen können nicht bruchrechnen."

da dünkt es mich, als wäre der erste standardmäßig (subjekt in einzahl -->verb in einzahl), der zweite eher umgangssprachlich (das verb kommt direkt nach "deutschen", also stimmt man's damit überein). wo, wo sind die berufsgermanisten?
Hier wäre meine Entscheidung für die "standardmäßige" Konstruktion ziemlich eindeutig, "ein Viertel können ..." geht mir doch sehr gegen den Strich. Das wäre ja ebenso wie "Paul mit seinen Schwestern kamen zehn Minuten später." Auch da spielt es keine Rolle, ob die Schwestern vor dem Verb stehen und wie viele Leute kamen, jedenfalls ist das Subjekt "Paul" und deswegen muss auch das Verb im Singular stehen.

Bei "mehr als die Hälfte" fällt diese Eindeutigkeit allerdings fort. Noch einige weitere Beispiele zum Nachdenken, wobei nicht bei allen die Wahl schwerfällt:

Mehr als einer muss/müssen den Text korrekturgelesen haben.

Mindestens zwei muss/müssen den Text korrekturgelesen haben.

Mehr als einer von uns muss/müssen den Text korrekturgelesen haben.

Wenn weniger als zwei anwesend ist/sind, fällt der Unterricht aus.

Wenn einer oder gar keiner anwesend ist/sind, fällt der Unterricht aus.

Wenn Fritz oder Hans da ist/sind, findet der Unterricht statt.

Wenn Fritz und Hans da ist/sind, findet der Unterricht statt.

Es war(en) noch mehr als 30 Liter im Tank.

Es war(en) noch mehr als 30 Kinder in der Schule.

Es war(en) noch mehr als 1 Liter im Tank.

Es war(en) noch mehr als ein Kind in der Schule.

Es war(en) noch mehr Kinder als dieses eine in der Schule.
The future lies in front of me,
but "lies" is all that I can see.

caru

ZitatWenn weniger als zwei anwesend ist/sind, fällt der Unterricht aus.


den finde ich besonders aufschlußreich. weniger als zwei ist entweder einer - das wäre dann singular. oder es ist gar niemand, das ist auch singular, weil schließlich kein mensch sagt "keiner sind zum unterricht erschienen".

die regel scheint also zu sein, daß bei ausdrücken vom typ "weniger/mehr als X" sich der numerus nach dem X richtet:

weniger als zwei sind anwesend.

weniger als ein viertel ist zur wahl gegangen.


aus irgendwelchen gründen zögere ich gerade bei der hälfte:


"weniger als ein drittel der deustchen wäscht sich täglich" dünkt mich richtig.

"weniger als die hälfte der schüler können bruchrechnen" dünkt mich auch richtig, und "kann" klingt mir in diesem satz hart vorm ohr. hilfe!
(\___/)
(>´x´<)
('.')__('.')

Nijntje - de echte nederlandse konijn

Agricola

Zwei Stühle sind mehr als ein Stuhl.

Mehr als ein Stuhl ist? mindestens zwei Stühle.
The future lies in front of me,
but "lies" is all that I can see.

caru

#6
und wie ich oben sagte:

"weniger als zwei ist einer." mehr als einer sind zwei.


und sagt man eigentlich "zweimal drei ist sechs" oder "zweimal drei sind sechs"?

imgleichen, sagt man "die hälfte von sechs ist drei" oder "die hälfte von sechs sind drei"?
(\___/)
(>´x´<)
('.')__('.')

Nijntje - de echte nederlandse konijn

Agricola

#7
Zitat von: caru in 2006-11-26, 11:31:20
und wie ich oben sagte:

"weniger als zwei ist einer." mehr als einer sind zwei.
Damit widersprichst Du aber Deiner Regel:
Zitat von: caru in 2006-11-26, 11:31:20
die regel scheint also zu sein, daß bei ausdrücken vom typ "weniger/mehr als X" sich der numerus nach dem X richtet:
Denn das X bei "mehr als einer" ist ja "einer". Aber bei "A ist B" hat man ja immer das Problem:

Ein Ehepaar ist eine Frau und ein Mann.
Ein Ehepaar sind eine Frau und ein Mann.
Zitat von: caru in 2006-11-26, 11:31:20
und sagt man eigentlich "zweimal drei ist sechs" oder "zweimal drei sind sechs"?
Geht glaube ich wirklich beides. "zweimal drei sind sechs" ist konkret: zweimal drei Kinder sind sechs Kinder. "zweimal drei ist sechs" ist abstrakt: Das Ergebnis von "zweimal drei" ist "sechs". Deshalb ist "zweimal drei sind sechs" eher umgangssprachlich, "zweimal drei ist sechs" eher mathematisch.

Bei Mengenangaben ist aber überhaupt der Singular oft zulässig, insbesondere wenn es sich um kontinuierliche Maße handelt.

"In dem Fass ist/sind noch 10 Liter Bier." scheint mir beides möglich. Oft werden diese Maße nicht in den Plural gesetzt: Ein(en) Fuß lang, zwei Fuß lang ..., in anderen Fällen aber doch: Eine Elle lang, zwei Ellen lang, oder es ist beides möglich: 10 Pfennig oder 10 Pfennige. Das Verb wird davon aber anscheinend nicht berührt: Zwei Fuß entspricht/einsprechen 60 cm; zwei Elllen ist/sind mehr als ein Meter; 10 Pfennig(e) hat/haben mir gerade noch gefehlt.

Aber wahrscheinlich eben doch nicht "Zehn Pfennige hat mir gerade noch gefehlt." Ausnahmen bestätigen die Regel.

Zitat von: caru in 2006-11-26, 11:31:20
imgleichen, sagt man "die hälfte von sechs ist drei" oder "die hälfte von sechs sind drei"?
Auch hier würde ich beides durchgehen lassen, obwohl es im Fall von "die Hälfte von sechs sind drei" nur deshalb geht, weil man die drei als Subjekt ansehen kann. "Die Hälfte von zwei sind eins" wäre doch ganz unmöglich, oder?

Na ja, bei echten Zahlangaben geht es wirklich drunter und drüber, das haben wir schon aus dem Lateinischen geerbt.

Hundert und ein Gast ist?sind? erschienen.

Als Ausweg gilt:

Hunderteins Gäste sind erschienen.

Die Hälfte von hundert und einem Gast sind???ist??? fünfzig und ein halber Gast???
The future lies in front of me,
but "lies" is all that I can see.

caru

#8
Zitat von: Agricola in 2006-11-26, 11:55:27
Zitat von: caru in 2006-11-26, 11:31:20
und sagt man eigentlich "zweimal drei ist sechs" oder "zweimal drei sind sechs"?
Geht glaube ich wirklich beides. "zweimal drei sind sechs" ist konkret: zweimal drei Kinder sind sechs Kinder. "zweimal drei ist sechs" ist abstrakt: Das Ergebnis von "zweimal drei" ist "sechs". Deshalb ist "zweimal drei sind sechs" eher umgangssprachlich, "zweimal drei ist sechs" eher mathematisch.
jetzt kommen wir zu den lokalen unterschieden: in österreich sagt niemand, also wirklich niemand "zweimal drei sind sechs". wer das sagt, outet sich als piefke (oder als bewußter schriftsprache-sprecher, der sich seines österreichischen schämt).

Zitat
"In dem Fass ist/sind noch 10 Liter Bier." scheint mir beides möglich.
mir nicht. "zehn liter ist im faß" klingt mir nach kanaksprach. "bier ist im faß", klar, aber nicht "zehn liter bier ist im faß".


die letzten beiden beispiele kommen mir wieder vollkommen eindeutig vor und müßten in meinem deutsch heißen:

Hundert und ein Gast sind erschienen.

Hundertundein Gäste sind erschienen.

(aber, sinnigerweise: "Shahrazâds Erzählungen dauerten tausend und eine Nacht", nicht etwa "tausendundeine Nächte".)


nebenbei: die hälfte von drei kindern sind eineinhalb kinder, aber die hälfte von tausendundein nächten sind fünfhundert und eine halbe nacht.
(\___/)
(>´x´<)
('.')__('.')

Nijntje - de echte nederlandse konijn

Agricola

Zitat von: caru in 2006-11-26, 12:25:00
nebenbei: die hälfte von drei kindern sind eineinhalb kinder

Das führt uns jetzt zwar vom grammatischen Thema ab, aber dieses Paradox interessiert mich schon: Die Hälfte von keinen halben Kindern sind?ist? keine halben Kinder, aber obwohl man keine halben Kinder hat, wenn man drei Kinder hat, sind/ist die Hälfte von drei Kindern anderthalb Kinder. Somit kann die Hälfte von keinen halben Kindern dennoch halbe Kinder enthalten. Schreckliche Vorstellung.

Wie eigentlich, 0,5 Kinder (ein Unterplural?), 0,1 Kind oder 0,1 Kinder?
The future lies in front of me,
but "lies" is all that I can see.

caru

#10
"Fünfzig Prozent von einem Kind sind null Komma fünf Kinder, aber zehn Prozent von einem Kind ist null Komma ein Kind."

langsam dürften wir die letzten klarheiten ausgeräumt haben. ::)

übrigens hab ich mich grad dabei ertappt, daß ich zu mir selbst gesagt habe "achteinhalb und achteinhalb sind siebzehn".
(\___/)
(>´x´<)
('.')__('.')

Nijntje - de echte nederlandse konijn