NOTBREMSE

Begonnen von amarillo, 2007-03-14, 11:54:24

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amarillo

Liebe Freunde, verohrene Mitstärker, Exzellenzen, Magnifizenzen, oh Großer Administrator,

anlalß der Lektüre des Pinkerschen Werkes "Wörter und Regeln" troff es mir plöltz eiskalt von der Stirn in der Kragen. Ich fürchte, daß wir weite Teile unserer bislang gestorkenen Verben einer hastigen Revision werden unterziehen müssen, da sich selbige anheischig machen, durch vielfache Analogiebildung einer unerwünschten Regelhuft anheim zu fallen und somit dem Hohen Ziel des Hauses - der hemmungslosen Verkomplizur deutscher Zunge - nicht länger gerecht zu werden drohen.

Nur ein eiliges Beispiel (ich muß gleich wech):

steigen - stieg - gestiegen
neigen - nieg - geniegen 

Sowas darf doch eigelnt nicht geschehen, oder? Da könnte sich ja der unbedorfene Leser und Lerner gleich ein Regelchen ableiten - wo kämen wir denn da hin?
Mein Vorschlag zu obigem Fall: neigen - nigg - genoggen

Ich habe - wie schon angekondagen - wenig Zeit, das jetzt auszuwalzen. Ich melde mich dann später noch zu diesem Thema. Nur soviel vorab:

FÜR EINEN WESENTLICH VIRTUOSEREN UMGANG MIT HAHNEBÜCHENEN VERBFORMEN UNTER EINBEZUG ALLER ZUR VERFUG STEHENDEN MITTEL (Reduplikate; Sonderzeichen; Umlaute...)
Das Leben strebt mit Urgewalt nach Entstehung und Musik.

Agricola

Grundsätzlich: d'accord.

Aber ich sehe da ein offenes Problem, in welche Richtung eigentlich gebremst werden soll. Wenn man eine wirkliche Verkomplizur will, muss man sich von dem Gedanken der Anarchie verabschieden. Denn komplizoren ist nur, was zahlreiche Regeln hat, die man befolgen muss, solange sie nicht durch die ggf. noch zahlreicheren Ausnahmen aufgehoben werden.

Eine Verkomplizur kekünne etwa so aussehen, dass man die verschiedenen Formvarianten, die hier zu bestimmten Verben in Gebrauch sind, bedeutungsdifferenziert verwendet, so dass in bestimmten Zusammenhängen nur die eine, in anderen nur die andere korrekt ist. Dafür haben wir vereinzelte Beispiele in der Liste (beschäftigen), und es gibt ja auch schon einige Beispiele in der Standardgrammatik.

Nur sehe ich da Dissens zwischen Leuten wie Berthold (der, wenn mich nicht alles täuscht, auf dem von Dir gewunschenen Weg schon weiter gegangen ist als Du selbst zu gehen wünschst) und eher anarchisch denkenden Mitgliedern vorprogrammoren ...
The future lies in front of me,
but "lies" is all that I can see.

katakura

... DAS ist tatsalch nicht einfach von der hand zu weisen *bedelnk das haupt wieg* ...

... nach kurzem überlegen fiel mir dann ein, daß wir ja bereits zuoberst in der verbenliste eine ganz billige regel stehen haben - und zwar für die verben auf -ieren:

-ieren
-or / -ar / -öre / -äre / -oren

... allein damit führen wir ja unser erklorenes ziel der wiederverkomplizur ad absurdum, denn diese stärkungsregel ist einfacher als einfach anzuwenden (und wir haben uns dazu noch selbst um so viele schöne zu verunregelmäßigende wörter gebracht!) ... insofern wäre amarillens einwurf durchaus bedenkenswert und die bisherige praxis der stärkung per analogie vielleicht zu ändern ...

... indes würden wir damit womolg ein faß ohne boden aufblättern, dem es dann die krone durchs gesäß ins gesicht schlägt ... auch das DUBEN-projekt (das kilian ja vielleicht auf der anstehenden perVers ansprechen wollte) dürfte dann aufgrund der zunehmenden regellosigkeit noch schwieriger zu realisieren sein ...

... tja, bin gespannt, wie wir uns aus dieser misere (wenn's denn überhaupt eine ist) wieder rauswinden *grübel* ...
Toleranz ist vor allem die Erkenntnis, dass es keinen Sinn hat, sich aufzuregen. (Helmut Qualtinger)

Kilian

Zitat von: amarillo in 2007-03-14, 11:54:24Sowas darf doch eigelnt nicht geschehen, oder? Da könnte sich ja der unbedorfene Leser und Lerner gleich ein Regelchen ableiten - wo kämen wir denn da hin?

Das finde ich nicht schlimm, er wird früh genug auf eine Ausnahme oder eine konkurrierende Regel stoßen. Wie Agricola schon sagte, auch eine Vielzahl von Regeln macht die Sache schön komplizoren. Ein großer Teil der wünschenswerten Uneinhielt der Liste kommt übrigens gerade dadurch zustande, dass der Grundstorkschatz - höchstens mal einzelne Paradigmen - niemals einer kompletten Revision unterzogen wurde. Im starken Alltagsgebrauch neigt man ja dazu, schnell die Verbform zu bemühen, die einem klanglich spontan am meisten einleuchtet, das ist natürlich in vielen Fällen eine Analogieform. Das ist auch gut so, nur mit einer gewissen Ähnlichkeit zum Deutschen kann das Neutsche ja neue Anhänger gewinnen. Aber auch im Alltagsgebrauch droht die Vielfalt nicht zugrunde zu gehen, oder? Es sei denn, man memüsse irgendwann konstatieren, dass die neutsche Sprechergemiensch - auch nur Menschen - selbst den Gesetzen der Sprachverfiench (weit verschobenes f) anheimgefallen ist. Ist es wirklich schon so weit? Ich habe nicht den Eindruck.

amarillo

Zitat von: Kilian in 2007-03-14, 14:43:10
Es sei denn, man memüsse irgendwann konstatieren, dass die neutsche Sprechergemiensch - auch nur Menschen - selbst den Gesetzen der Sprachverfiench (weit verschobenes f) anheimgefallen ist. Ist es wirklich schon so weit? Ich habe nicht den Eindruck.

Wehret den Anfängen (deshalb auch "Notbremse"). Im Folgenden meine ich, mal ganz locker ein Postulat  hinsilcht der deutschen/neutschen Sprachlehre formulieren zu müssen:

DIE MENGE DER ZU EINER REGEL GEHÖRIGEN AUSNAHMEN HAT STETS GRÖSSER ZU SEIN, ALS DIE MENGE DER REGELKONFORMEN FORMEN
;D
Das Leben strebt mit Urgewalt nach Entstehung und Musik.

katakura

#5
Zitat von: Kilian in 2007-03-14, 14:43:10
Im starken Alltagsgebrauch neigt man ja dazu, schnell die Verbform zu bemühen, die einem klanglich spontan am meisten einleuchtet, das ist natürlich in vielen Fällen eine Analogieform.

... selbst wir stärker bemühen ja durchaus auch unterschielde formen - ganz wie es einem jeden eben am genehmsten und einleuchtendsten ist ... der eine stärkt halt etwas konservativer, der andere lieber progressiver und komplizorener ... allein dadurch geht wahrschieln die vielfalt nicht so schnell verloren wie beforchten ... in diesem sinne würde ich dudens spruch abwandeln:

"Stärke, wie du denkst!" 8)
Toleranz ist vor allem die Erkenntnis, dass es keinen Sinn hat, sich aufzuregen. (Helmut Qualtinger)

Fleischers Karsten

Ich lese momentan das Original des angesprochenen Buches ("Words and rules").

Pinker iert eigelnt nur Refer über zwei Regeln: Den Anhang -t im Deutschen, äkwiwalent dazu das -ed im Englischen, dann die Notpluralendung (so heißt es auch - interssanterweise - im englischen Original) -s. Er geht noch ein wenig auf die französische Pluraland -aux ein (welche ich auch gans hübsch finde) und noch viel weniger auf andere Sprachen. Auf Jiddisch geht er nur über den amerkanischen Sprachwurstler Richard Lederer ein, obwohl ich finde, dass diese Sprache weselnt mehr Beacht finden sesölle.

Dadurch, dass wir viel mehr Regeln als nur diese beiden aufgestollen haben, sehe ich unser Ziel mehr als bestatogen.
Karsten

Fleischers Karsten

Ich schrieb gerade mal Steven Pinker eine Mail, dass er sich unsere Bemuh doch mal anschauen sesölle. Mal gucken, was der so sacht.
Karsten

Agricola

Zitat von: amarillo in 2007-03-14, 14:57:25
Zitat von: Kilian in 2007-03-14, 14:43:10
Es sei denn, man memüsse irgendwann konstatieren, dass die neutsche Sprechergemiensch - auch nur Menschen - selbst den Gesetzen der Sprachverfiench (weit verschobenes f) anheimgefallen ist. Ist es wirklich schon so weit? Ich habe nicht den Eindruck.

Wehret den Anfängen (deshalb auch "Notbremse"). Im Folgenden meine ich, mal ganz locker ein Postulat  hinsilcht der deutschen/neutschen Sprachlehre formulieren zu müssen:

DIE MENGE DER ZU EINER REGEL GEHÖRIGEN AUSNAHMEN HAT STETS GRÖSSER ZU SEIN, ALS DIE MENGE DER REGELKONFORMEN FORMEN
;D
Jetzt stehst Du aber in der Pflicht, wenigstens zwei Ausnahmen von diesem Postulat zu benennen!  ;D
The future lies in front of me,
but "lies" is all that I can see.

Fleischers Karsten

Steven Pinker wurt ant:

Dear Karsten,

Your email made my day! Thank you for letting me know about this noble effort.

Best wishes,

Steve Pinker


Karsten

Kilian

Ah hüschb! :)

amarillo

Zitat von: Kilian in 2007-03-14, 14:43:10
Im starken Alltagsgebrauch neigt man ja dazu, schnell die Verbform zu bemühen, die einem klanglich spontan am meisten einleuchtet, das ist natürlich in vielen Fällen eine Analogieform.

Das mag für die Verben durchaus Gult haben, bei den Nomen kommt Pinker zu einem bemerkenswert anderen Ergebnis, nämlich daß das Plural 's' auch dem Deutschen als zunächst einmal probatestes Mittel erscheint, wenn er Pluräle unbekannter Nomen zu bilden hat; und das, obwohl nur 2% der deutschen Nomen einen sauberen Plural auf "s" bilden. Möglicherweise ist ja die Vielzahl der deutschen Pluralformen daran Schuld, aber aus 2%iger Referenzmenge eine Analogie zu bilden, das finde ich schon verblüffend.
Das Leben strebt mit Urgewalt nach Entstehung und Musik.

Agricola

Damit wäre einem Fass der Boden ausgestoßen: Stärkt die Pluralformen der bisher mit -s gebildeten Fremdwörter! Zum Beispiel:

Das Auto - die Äuten
Der Profi - die Pröfie (dreisilbig zu sprechen)
Das Hotel - die Hotellen
Die Disco - die Discöen (auf der zweiten Silbe zu betonen)
Das Gnu - die Gnuen
Der Host - die Höster
The future lies in front of me,
but "lies" is all that I can see.

Berthold

Zitat von: amarillo in 2007-03-14, 11:54:24
Liebe Freunde, verohrene Mitstärker, Exzellenzen, Magnifizenzen, oh Großer Administrator,

anlalß der Lektüre des Pinkerschen Werkes "Wörter und Regeln" troff es mir plöltz eiskalt von der Stirn in der Kragen. Ich fürchte, daß wir weite Teile unserer bislang gestorkenen Verben einer hastigen Revision werden unterziehen müssen, da sich selbige anheischig machen, durch vielfache Analogiebildung einer unerwünschten Regelhuft anheim zu fallen und somit dem Hohen Ziel des Hauses - der hemmungslosen Verkomplizur deutscher Zunge - nicht länger gerecht zu werden drohen.

Nur ein eiliges Beispiel (ich muß gleich wech):

steigen - stieg - gestiegen
neigen - nieg - geniegen 

Sowas darf doch eigelnt nicht geschehen, oder? Da könnte sich ja der unbedorfene Leser und Lerner gleich ein Regelchen ableiten - wo kämen wir denn da hin?
Mein Vorschlag zu obigem Fall: neigen - nigg - genoggen

Ich habe - wie schon angekondagen - wenig Zeit, das jetzt auszuwalzen. Ich melde mich dann später noch zu diesem Thema. Nur soviel vorab:

FÜR EINEN WESENTLICH VIRTUOSEREN UMGANG MIT HAHNEBÜCHENEN VERBFORMEN UNTER EINBEZUG ALLER ZUR VERFUG STEHENDEN MITTEL (Reduplikate; Sonderzeichen; Umlaute...)
Erzähl das meinetwegen den meisten anderen, nur mir, bitte, nicht! Was meinst Du, was da noch alles im Kilianschen Archiv schlummert...

amarillo

Daß ich speziell Dich nicht anzusprechen hatte, war mir schon klar, aber erst jetzt erschließt sich mir der Ansatz Deiner Bemoh. Ich bin eben etwas langsamer. :-\
Das Leben strebt mit Urgewalt nach Entstehung und Musik.