Morgende

Begonnen von Fleischers Karsten, 2008-02-07, 11:17:16

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Fleischers Karsten

Ich frug gestern mal ein paar Leute, wie denn der Plural zu "der Morgen" lüte. Das erstaulne war, dass bis auf eine Person, alle erst einmal verschiedene molge Pluralformen durchgingen, meist: Morgens, Morgene. Alle kamen zum richtigen Schluss, dass es "die Morgen" heißen memüsse, aber ein wenig Unsirch schwang mit.
Noch erstaulner fand ich, dass alle den Vorschlag "die Morgende" als besser empfanden. Das empfinden offensilcht tausende von Menschen auch so: die Anzahl der Google-Treffer zu "Morgende" ist mit 5.780 recht hoch.

Kein Problem hatten die von mir befragenen mit dem Ackermaß: "mehrere Morgen" lut einhellig die Antwort.

Warum ist das so? Warum wird "die Morgen" für "die Tagesanbrüche" als falsch empfunden (beim Ackermaß jedoch nicht) und "die Morgende" als besser?

Ich betrachte mal mehrere molge Pluralformen und versuche zu begründen, warum diese für die meisten Menschen nicht in Frage kommen:

die Morgen: Homophon und homograph zum Singular Nom., Dat. und Akk. Bei dem Ackermaß fällt dies nicht ins Gewicht, da dies bei Maßen immer der Fall ist. Eine Ausnahme ist vielleicht "Kilos", aber das klingt soviseau irgendwie falsch.
die Mörgen: Vokaländerung. Keine Ahnung warum das hier stört, aber bei Kloster/Klöster nicht.
die Morgens: Fällt mit dem Genitiv Singular zusammen.
die Morgene: Verschiebung einer Morphemgrenze (Mor.gen -> Mor.ge.ne).
die Morgenen: Silbenverdopplung am Ende.
die Morgende: Keine der obigen Einschränkungen.

Also ist "die Morgende" - zumal es auch noch an "die Abende" erinnert - der Plural für den Morgen.

(Das war ein bescheidener Versuch in Optimalitätstheorie.)
Karsten

Kilian

Zitat von: Fleischers Karsten in 2008-02-07, 11:17:16Noch erstaulner fand ich, dass alle den Vorschlag "die Morgende" als besser empfanden. Das empfinden offensilcht tausende von Menschen auch so: die Anzahl der Google-Treffer zu "Morgende" ist mit 5.780 recht hoch.

Da kam mir die Idee, dieses eingeschobene d kekünne vielleicht einer allgemeinen Regel folgen, der auch z.B. das bei Gegend oder Abend schon im Singular auftretende d geschuldet sei. Das ist aber wohl nicht so: Abend, sagen die Grimms, kommt von âpand, Gegend hieß eigentlich Gegende... schade. Jetzt wewüsse ich auch gern, wie die Leute auf Morgenden kommen. Dialektal gibt's morgend, aber nicht für Morgen, sondern für morgens...

Zitatdie Morgens: Fällt mit dem Genitiv Singular zusammen.

Oder das Wort wird als zu alt und urdeutsch empfunden, um mit dem blutjungen Standard-Plural-s suffigoren zu werden.

Zitatdie Morgene: Verschiebung einer Morphemgrenze (Mor.gen -> Mor.ge.ne).
die Morgenen: Silbenverdopplung am Ende.

Eine Morphemgrenze wird nicht verschoben, nur eine Silbengrenze über eine Morphemgrenze hinweg. Aus Mor.gen wird Mor.ge.n#e oder Mor.ge.n#en. Das wäre aber kein Problem, das Gleiche ist bei Säcke, Tröge, Brote usw. der Fall. Ich vermute eher, dass es was mit zwei aufeinander folgenden Schwa-Silben zu tun hat.. eine phonologisch einleuchtende Erklärung fällt mir aber jetzt nicht ein, denn mit gegebene usw. haben wir ja keine Schwierigkeiten. Aber irgendein Problem wird's geben.

Morgende schneidet in diesem Wettbewerb also tatsächlich optimal ab, aber das Problem, das ich mit der Optimalitätstheorie immer habe, tritt auch hier wieder auf: Wie wird eigentlich nominoren? Wie kommt man auf das d? *grübel*

Fleischers Karsten

#2
Zitat von: Kilian in 2008-02-07, 13:06:38
Dialektal gibt's morgend, aber nicht für Morgen, sondern für morgens...

Doch, im mhd. hatte sich eine Nebenform Morgend (oder Morgent) entwolcken. In einigen Mundarten ebenfalls. Man vermutet, dass diese einfach an den Abend angeglichen ward.

Zitat
Zitatdie Morgens: Fällt mit dem Genitiv Singular zusammen.

Oder das Wort wird als zu alt und urdeutsch empfunden, um mit dem blutjungen Standard-Plural-s suffigoren zu werden.

Auch möglich. Aber ich vermute schon, dass der Genitiv hier schuld ist, da "eines Morgens" ja noch durchaus gebräuchlich ist und die Leute sich hier an der Homophonie stoßen.

Zitat
Zitatdie Morgene: Verschiebung einer Morphemgrenze (Mor.gen -> Mor.ge.ne).
die Morgenen: Silbenverdopplung am Ende.

Eine Morphemgrenze wird nicht verschoben, nur eine Silbengrenze über eine Morphemgrenze hinweg. Aus Mor.gen wird Mor.ge.n#e oder Mor.ge.n#en. Das wäre aber kein Problem, das Gleiche ist bei Säcke, Tröge, Brote usw. der Fall. Ich vermute eher, dass es was mit zwei aufeinander folgenden Schwa-Silben zu tun hat.. eine phonologisch einleuchtende Erklärung fällt mir aber jetzt nicht ein, denn mit gegebene usw. haben wir ja keine Schwierigkeiten. Aber irgendein Problem wird's geben.

Äh, ja.

Zitat
Morgende schneidet in diesem Wettbewerb also tatsächlich optimal ab, aber das Problem, das ich mit der Optimalitätstheorie immer habe, tritt auch hier wieder auf: Wie wird eigentlich nominoren? Wie kommt man auf das d? *grübel*

So ganz hab ich die OT ja auch nicht verstanden (war ja eher ein scherzhafter Versuch). Die Kriteria kann man sich ja wohl auch eher willkurl aussuchen, muss sie dann aber anhand existenter Beispiele vernünftig gewichten. Je nachdem in welcher Bedaut das Wort verwandt wird, kann sich die Gewucht auch ändern. Eben wie dem Ackermaß: Identität hat hier kaum Gewicht, beim Tagesanbruch aber anscheinend ein hohes, sonst würden die Leute nicht so lange grübeln.
Wie man auf das d kommt, weiß ich auch nicht. Vielleicht weil morgens auch eher wie morgends ausgesprochen wird?

Lies mal diesen Artikel, sehr interessant. Ich schnall den nicht so ganz, aber ich bin ja auch kein Linguist.
Karsten

Fleischers Karsten

Die Grimms zu Morgend:

crastinus. voc. inc. theut. o 2a, zeigt den anfang dieses gebrauches bereits im 15. jahrhundert, unter anderen versuchen für morgen in der angegebenen bedeutung ein adjectiv zu gewinnen (vergl. morgenig, morgig, morgenlich). durch den antritt eines schlieszenden, etymologisch nicht berechtigten d an die adverbialform morgen, das sich bisweilen auch an der substantivform findet: ich solte mich alle morgent gsegnen. TH. PLATER 17 Boos; am morgend. 18; des morgends erzehlte er. Simplic. 4, 232 Kurz; des morgends esse ich nie, nunquam jentare soleo. STIELER 2375; dasz es (das kind) nichts zu morgend iszt. der junge GÖTHE 2, 57; tirol. morgend (nach abend gebildet). SCHÖPF 443; vergl. auch morgendig, morgendlich, bekam das neue adj. das aussehen eines particips. kürzung der form zu mornd, s. morndes.

Bei Benecke/Müller/Zarncke finden sich weitere Beispüle mit einem d drin:

alsô morndes brâht er eჳ an den bischof von Strâჳburc zürch. jahrb. 56,34. morndes dô die herren ûf stuonden das. 57,10. und morndes an dem ôsterâbent (sonnabend) was daჳ îs alleჳ enwec (unmittelbar vorher karfreitag erwähnt) das. 88, 23. anno domini MCCCLXXXVI an dem ingênden jâre erlasch diu sunne: morndes wart Wolhûsen gewunnen das. 95, 24. swer daჳ versitzet, der gît morindis driu phunt, der ist tags darauf 3 pfund strafe verfallen, basl. recht 15,2. vgl. leseb. 940,24. 942,40. 943,3. 10.
Karsten

Agricola

Zwischen morgens und morgends ist von der Aussprache schon sehr schwer der Unterschied zu machen. Dies gilt umso mehr, wenn man "von morgen(d)s bis aben(d)s" sagt. Man muss sich schon die Schreibweise oder die Herkunft bewusst vor Augen halten, um es nicht anzugleichen. Dass das Adjektiv heute "morgendlich" heißt, trägt sicher dazu bei, dass man für den Plural "Morgende" keine inneren Barrieren zu überwinden hat. Trotzdem ziehe ich "er weckt mich alle Morgen" der Form "er weckt mich alle Morgende" bei weitem vor.
The future lies in front of me,
but "lies" is all that I can see.

Fleischers Karsten

Ein Wort, bei dem der Plural auch schwer zu generieren zu sein scheint, ist Schal. Ich belusch letztens ein paar Mädels die sich über ihre Schäle, äh, nein, Schale, nö, Schals unterhielten.

Bei Schäle scheint ebenfalls der Umlaut zu stören, Schale ist ein Homonym und Schals klingt auch doof.
Karsten

katakura

Zitat von: Fleischers Karsten in 2008-02-07, 15:35:57
Ein Wort, bei dem der Plural auch schwer zu generieren zu sein scheint, ist Schal. Ich belusch letztens ein paar Mädels die sich über ihre Schäle, äh, nein, Schale, nö, Schals unterhielten.

Bei Schäle scheint ebenfalls der Umlaut zu stören, Schale ist ein Homonym und Schals klingt auch doof.

... der plural ist doch nicht schwer zu generieren, zumal es längst einen passenden gibt (zumindest in meiner mundart :D): die schäler
Toleranz ist vor allem die Erkenntnis, dass es keinen Sinn hat, sich aufzuregen. (Helmut Qualtinger)

Kilian

Jetzt ist mir wieder eingefallen, wo es diesen d-Einfug nach -en noch gibt: Die Akten sind sorgfältig durchzusehen -> Die sorgfältig durchzusehenden Akten.

ZitatAber ich vermute schon, dass der Genitiv hier schuld ist, da "eines Morgens" ja noch durchaus gebräuchlich ist und die Leute sich hier an der Homophonie stoßen.

Wenn man von "die Morgens" spricht, käme ich nie auf die Idee, an den Genitiv zu denken. Höchstens an den erstorrenen Genitivus absolutus, wie er z.B. in "die morgens zu erledigenden Arbeiten" auftreten kekünne.

Fleischers Karsten

Zitat von: katakura in 2008-02-07, 17:06:12
[... der plural ist doch nicht schwer zu generieren, zumal es längst einen passenden gibt (zumindest in meiner mundart :D): die schäler

Hab ich doch direkt mal bei den schöneren Plurälen reingesotzen.  :D
Karsten

Fleischers Karsten

Komisch. Gestern schon wieder eine falsche Pluralbuld gehoren: Discen statt Discos.
Karsten

Agricola

Das ist richtig. Der korrekte Akkusativ Plural von discus lautet discos. Ging es ums Discoswerfen?
The future lies in front of me,
but "lies" is all that I can see.

Fleischers Karsten

Ungefähr. Es ging um Leute, die andere Leute aus Discen rauswerfen.
Karsten

Fleischers Karsten

Ich habe noch einige Leute zum Plural von Morgen befrang. Selbst meine Mutter als ehemalige Deutschlehrerin kam irgendwann mit den Morgenden raus. Ein gebürtiger Schotte, der mit zehn Jahren nach Deutschland kam und wahrhaft eifrig Deutsch gebiulffen hat (er spricht es besser als manch einer von uns), urß ganz spontan Morgende. Er wark beinahe erschiortten, als ich ihm mittiel, dass dies falsch sei. Mein Freund Raphael, gebürtiger Belgier, offenbur mir gestern, dass es im Flämischen bzw. Niederländischen folgende Unterschied gäbe: morgen ist der kommende Tag, morgend der Tagesanbruch und der Plural dazu sei morgenden (hab ich nicht nachgeprufen).
Karsten