Präteritum/Perfekt

Begonnen von philemon, 2005-06-05, 17:54:08

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philemon

Nun, da ich so nett begrüßt wurde, traue ich mich doch, was los zu werden:

Auf der Suche nach einer Karte zum Präteritumsschwund (Präteritum wird im süddeutschen Sprachgebiet so gut wie garnicht mehr benutzt, sondern durch das Perfekt ersetzt) bin ich hier in diesem Forum gelandet. Die Karte habe ich immer noch nicht gefunden, da muss ich wohl doch in ein Buch schauen *ihh*  8)

Aber da sich hier scheinbar Menschen treffen, die sich mit Sprache beschäftigen, möchte ich folgende Frage los werden:

Seht ihr einen Unterschied zwischen den beiden folgenden Sätzen:

Ich aß gestern ein Stück Kuchen.
Ich habe gestern ein Stück Kuchen gegessen.
(Beispielsituation beliebig ;) )

Ich habe mich schon in Duden usw. kundig gemacht über den Unterschied zw. Präteritum und Perfekt. Mir geht es hier nur darum, wie und ob dieser Unterschied auch empfunden wird.

Bin mal gespannt :)

Und... Ohne Tempus keine Stärkung der Verben


;)

caru

nö, ich seh keinen unterschied, außer daß der erste satz für mich schriftsprachlich klingt und der zweite nach normaler alltagsrede (ich wohne aber auch im präteritumgeschwundenen süden, wo "aß" ein exotisches vokabel ist).

allerhöchstens könnte das perfekt die abgeschlossenheit der handlung betonen (darauf hinweisen, daß das stück kuchen jetzt aufgegessen ist), während das präteritum ganz allgemein von einer vergangenen handlung berichtet, ohne sich den kopf drüber zu zerbrechen, ob ihr resultat erkennbar ist oder nicht.
doch daß vom kuchen nix mehr da ist, kann man sich ohnehin denken, wenn man "gestern" dabeistehen sieht.
(\___/)
(>´x´<)
('.')__('.')

Nijntje - de echte nederlandse konijn

VerbOrg

Grundsätzlich ist es ja so, dass man mit dem Präteritum (oder Imperfekt) Vergangenes ausdrückt, ohne eine Aussage zu treffen, ob dies auch auf die Gegenwart noch Auswirkungen hat.

Beispiel:

Ich lernte in der Schule acht Jahre Russisch.
(Damit ist noch nicht gesagt, dass ich es immer noch kann).

Ich aß gestern Kuchen.
(Das heißt noch lange nicht, dass ich heute satt bin.)


Im Perfekt dagegen drückt man Vergangenes mit Fortwirkung bis in die Gegenwart aus.

Beispiel:

Ich habe sprechen gelernt.
(Deshalb quatsche ich immer noch, wie mir der Schnabel gewachsen ist.)

Ich habe gestern Kuchen gegessen.
(Heute habe ich keinen Appetit drauf. - oder
Der hat mir geschmeckt. Ich möchte deshalb heute auch welchen.)


Im normalen Sprachgebrauch unterscheidet man allerdings - nicht nur in Süddeutschland - kaum noch oder gar nicht mehr zwischen den Situationen. Alles, was in der Vergangenheit war, wird im Perfekt ausgedrückt. So empfinde ich das jedenfalls.

Schade, aber immerhin stärken wir hier ja nicht nur die Verben, sondern auch zusätzlich das Präteritum.

Ly

Diese Frage schwirrt mir seit Wochen im Kopf herum. Im Französischunterricht musste ich mich wochenlang plagen um den Unterschied zwischen j'était und je suis été zu verstehen, da kann es doch nicht sein, dass hier gar kein Unterschied besteht...

Wenn ich rede, mache ich es jedenfalls so, dass Hilfsverben im Präteritum stehen und der Rest im Perfekt. "Ich war zu Hause als du gekommen bist." Ganz einfach.

Aber ich habe bemerkt, dass mir, seit ich hier bin, auch mal ein gestorkenes Präteritum von den Lippen gerotschen ist ;D
It isn't always how you look. Look at me. I'm handsome like anything, and I haven't got anybody to marry me yet.

MrMagoo

Wâ mag ich mich nu vinden? wâ mac ich mich nu suochen, wâ? nu bin ich hie und bin ouch dâ und enbin doch weder dâ noch hie. wer wart ouch sus verirret ie? wer wart ie sus zerteilet mê?
(Gottfried von Straßburg)

philemon

oh danke, habe gestöbert, aber wohl nicht intensiv genug ;)

Ly

Trotzdem öre es mich mal interess, ob es da eine feste Regel für den Unterschied zwischen den beiden Formen gibt/gab wie in den romanischen Sprachen...
It isn't always how you look. Look at me. I'm handsome like anything, and I haven't got anybody to marry me yet.

amarillo

Zitat von: Ly in 2005-06-05, 18:14:37
Im Französischunterricht musste ich mich wochenlang plagen um den Unterschied zwischen j'était und je suis été zu verstehen, da kann es doch nicht sein, dass hier gar kein Unterschied besteht...

Wieso, für das Verständnis des zeitlichen Ablaufs ist es vollkommen unerheblich zu wissen, ob ein Verb einen bereits bestehenden Umstand ausdrückt, oder ob eine Handlung nun beginnt oder fortgeführt wird. Der Zusammenhang bereinigt jegliche Mißverständnisse.

Im Amerikanischen schert sich kaum noch ein Aas um das present perfect. Die jahrelange Quälerei Englischlernender, ob es nun heißen muß "I have written" oder "I wrote" sollte so allmählich zu einem Ende kommen.

Nur am Rande: es heißt: j'étais und j'ai été. Nur damit Du in der nächsten Klassenarbeit nicht unnötigerweise Punkte läßt.  :D
Das Leben strebt mit Urgewalt nach Entstehung und Musik.

Ly

Zitat von: amarillo in 2005-06-05, 18:52:03
Zitat von: Ly in 2005-06-05, 18:14:37
Im Französischunterricht musste ich mich wochenlang plagen um den Unterschied zwischen j'était und je suis été zu verstehen, da kann es doch nicht sein, dass hier gar kein Unterschied besteht...

Wieso, für das Verständnis des zeitlichen Ablaufs ist es vollkommen unerheblich zu wissen, ob ein Verb einen bereits bestehenden Umstand ausdrückt, oder ob eine Handlung nun beginnt oder fortgeführt wird. Der Zusammenhang bereinigt jegliche Mißverständnisse.

Im Amerikanischen schert sich kaum noch ein Aas um das present perfect. Die jahrelange Quälerei Englischlernender, ob es nun heißen muß "I have written" oder "I wrote" sollte so allmählich zu einem Ende kommen.

Stimmt. Wenn ich einfach so frei Schnauze englisch mit meiner Ami-Tante rede, versteht sie alles.

Zitat

Nur am Rande: es heißt: j'étais und j'ai été. Nur damit Du in der nächsten Klassenarbeit nicht unnötigerweise Punkte läßt.  :D

Hach Gott, das ist mir jetzt peinlich ;D
Dass es j'etais heißt (grummelmurmelscheißrechtschreibungrummelmurmel) wusste ich sogar noch, aber dass es "ich habe gewesen" (wie unnatürlich) heißt, war mir total entgangen.
It isn't always how you look. Look at me. I'm handsome like anything, and I haven't got anybody to marry me yet.

MrMagoo

Zitat von: Ly in 2005-06-05, 18:44:57
Trotzdem öre es mich mal interess, ob es da eine feste Regel für den Unterschied zwischen den beiden Formen gibt/gab wie in den romanischen Sprachen...

Jein - wenn es Regeln gibt, dann decken sie sich ungefähr mit denen aus dem Lateinischen (also grob gesagt wie oben geschildert: Präteritum für abgeschlossene Handlungen, Perfekt mit Bezug zur Gegenwart).

Da die germanischen Sprachen aber ursprünglich nur zwei Zeiten kannten, nämlich Vergangenheit (formal unser Präteritum) und Nicht-Vergangenheit (formal unser Präsens), gelten diese Regeln für das Deutsche nur "auf dem Papier".

Das Süddeutsche zieht bei Erzählungen das Perfekt vor (vielleicht weil's stärker vom Latein beeinflußt wurde?!), das Norddeutsche zog das Präteritum vor (sicher weil's stärker durch germanische Regeln beeinflußt war) - tendentiell geht jetzt alles zum Perfekt über (d.i. der Präteritumschwund) weil a) die süddeutschen Mundarten, also das Hochdeutsche, näher am Standard ist als die norddeutschen Mundarten und b) eine analytische Zeitform (Hilfsverb+Vollverb) generell 'einfacher' zu verwenden ist, als eine analytische (nur eine Verbform).
Wâ mag ich mich nu vinden? wâ mac ich mich nu suochen, wâ? nu bin ich hie und bin ouch dâ und enbin doch weder dâ noch hie. wer wart ouch sus verirret ie? wer wart ie sus zerteilet mê?
(Gottfried von Straßburg)

versucher

Was sich allmählich als der "wahre" Unterschied herauskristallisiert, wurde oben schon angesprochen: die Domäne des Präteritums ist die (gehobene) erzählende Schriftsprache, die des Perfekts die gesprochene Sprache. Zumindest geht die Tendenz in diese Richtung, dass die jeweilige Zeitform keinen Bedeutungs-, sondern einen Stilunterschied anzeigt.

Kilian

Hallllo, philemon! Herzlich willkommen! Ich schließe mich auch in der Vergangenheiz-Frage meinen Vorrednern an, möchte beim Versucher aber noch ergänzen: In der gehobenen Schriftsprache gibt's noch ein paar Fälle, wo mich das Präteritum nicht akzeptabel dünkt - vor allem in Fällen, in denen die Fortdauer in die Gegenwart sehr deutlich ist, die klassische Domäne des Perfekts.

Falsch ist m.E. z.B.:
*Schröder kam dieser Aufforderung bis heute nicht nach.

Dass es bestimmt Journalisten gibt, die trotzdem so schreiben, zeigt, dass auch hier die von der Bedeutung gezogene Grenze sich am Auflösen ist.

Ly

Das liest sich wirklich komisch, ja...
It isn't always how you look. Look at me. I'm handsome like anything, and I haven't got anybody to marry me yet.

gehabt gehabt

In den meisten Situationen kann man Perfekt und Praeteritum benutzen wie man will. Aber es gibt einige ins Auge springende Wendungen, wo das Perfekt notwendig ist: Ich habe mir gestern ein Auto gekauft (und bin der stolze Besitzer) aber: als ich gestern das Auto kaufte, merkte ich, dass ich zu wenig Geld hatte.  Oder: man schaut aus dem fenster und ruft: Es schneite!!   Das geht natuerlich nicht.

War wird aber meist im praeteritum benutzt: Gestern waren wir in der Stadt. Gestern sind wir inder Stadt gewesen klingt a bisserl Kraxlhuberisch.

philemon

Mir ging es jetzt einfach darum, zu erfahren, wie ihr das benutzt, nicht wie es genau in den Regeln steht.