Auf der Suche nach dem verlorenen Artikel

Begonnen von philemon, 2008-05-03, 21:27:10

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philemon

Es gibt etwas, was mich seit langem wirklich ärgert. Und das muss ich hier loswerden!

Im Deutschen gibt es Länder ohne Artikel wie "Deutschland", "Frankreich" usw... Das könnte man vielleicht als "die Regel" bezeichnen. Es gibt aber auch Ausnahmen, nämlich Länder mit Artikel, so z. B.: die Niederlande (Plural), die USA (Plural), der Iran, der Irak, die Schweiz, die Ukraine,  ... Das Ganze hat dann Auswirkungen auf die Präpositionen: "Ich fahre nach Frankreich", aber "Ich fahre in die Schweiz".

In letzter Zeit ist mir vor allem auf SpiegelOnline aufgefallen (bei der FAZ oder ZEIT habe ich das auch schon gelesen), dass da einfach die Artikel weggelassen werden. Ich weiß nicht, warum, aber es regt mich auf ;) Da steht immer wieder: in Irak. aus Iran... usw. Diese Länder werden einfach wie die anderen behandelt.

Kann man diesem Treiben irgendwie Einhalt gebieten? Meint ihr, es würde was nützen, da mal hinzuschreiben?

Kilian

#1
Spiegel Online selbst - genauer: der Zwiebelfisch - schreibt Interessantes und Aufschlussreiches dazu: http://www.spiegel.de/kultur/zwiebelfisch/0,1518,327185,00.html Zu dem Grund des Weglassens allerdings nur Folgendes:

ZitatHeute gehen immer mehr Redaktionen und Verlage dazu über, "Iran" artikellos zu gebrauchen, da es im Persischen selbst keine Artikel gibt.

Die Begründung ist unbelegt und überzeugt mich nicht besonders... findet jemand eine bessere Erklärung? Oder wird in deutschen Redaktionen und Verlagen tatsächlich so viel aus dem Persischen übersotzen? Ich verdächtige ja eher den Einfluss des Englischen.

philemon

Danke für den Link, Kilian!

Diese Argumentation ist für mich nicht nachvollziehbar. Es geht hier erstmal um die deutsche Sprache, nicht um die persische.

Dann müssten wir zum Beispiel bei allen Fremdwörtern, die wir aus anderen Sprachen geholt haben, die Artikel anpassen. Das wird ne Arbeit... ;) Außerdem ist "Iran" nicht mal ein persisches Fremdwort.

Und.. ob man Persien/persisch mit dem Iran gleichsetzen kann, müsste man vielleicht mal einen Perser/Iraner fragen.

Verstehe ich an Sicks Argumentation vielleicht was falsch?

Ich staune!  :o

Berthold

#3
Zitat von: philemon in 2008-05-03, 21:27:10

Im Deutschen gibt es Länder ohne Artikel wie "Deutschland", "Frankreich" usw... Das könnte man vielleicht als "die Regel" bezeichnen. Es gibt aber auch Ausnahmen, nämlich Länder mit Artikel, so z. B.: die Niederlande (Plural), die USA (Plural), der Iran, der Irak, die Schweiz, die Ukraine,  ... Das Ganze hat dann Auswirkungen auf die Präpositionen: "Ich fahre nach Frankreich", aber "Ich fahre in die Schweiz".


Das ist manchmal seltsam: 'Ich fahre in die Steiermark' ist rachgt. 'Ich fahre in die Dänemark' hingegen erscheint falsch. Herr Dr. F. S., ein Kollege und Freund, hat sich dennoch auf 'die Dänemark' vurstimpf.


Übertreiber

Irgendwie lustig, dass die Steiermark die Weilb (Weiblichkeit so richtig?) des Ursprunges "die Mark" behalten hat, "Dänemark" hingegen zu einem Neutrum mutoren ist.

Richtig skurril wird's bei folgenden. Man verwendet Deutschland, England, Finnland, Estland, Russland und Weißrussland allesamt ohne Artikel, alldieweil sie sächlich sind, und doch sagt man, aus mir völlig unbekannten Gründen das Saarland.
Kampf dem Schicksal!

Agricola

Und in das Rheinland.
Auch fährt man in Berlin nach Mitte oder in die Gropiusstadt; aber in die Mitte von Gropiusstadt.
The future lies in front of me,
but "lies" is all that I can see.

Übertreiber

Es könnte damit zusammenhängen, ab wann eigentlich gewöhnliche Bezeichnungen zu Eigennamen werden. Bei dem Saarland impliziert das Bild "des Landes an der Saar", "Dänemark" steht jedoch eher als Eigenname da - genauso wie "Paul". Süge man "die Dänemark", so dächte der Hörende wiederum eher an "die Mark der Dänen", "der Dänen Gemark" und "Saarland" ist eher Eigenname als "das Saarland". So können auch Mitte und Gropiusstadt eher als Eigennamen denn als die Mitte Berlins und die Stadt Gropius betrachtet werden.

Weil ich gerade in so einem Redeschwall bin: Einerseits ist unsere Stadt hier eingeteilt in Alt- und Neustadt, andererseits gibt's in der Nähe auch ein Dörflein namens "Neustadt" und beide zeichnen sich durch unterschiedlichen Gebrauch aus. "Der Bus fährt in die Neustadt", und ,"Der Bus fährt nach Neustadt."
Kampf dem Schicksal!

Kilian

Mir scheint, man kann drei Stufen von Artikelhaftigkeit unterscheiden:

1. Gattungsnamen wie Tisch, Tuch, Tier usw. haben Artikel.
2. Bei Eigennamen wie Saarland, Rheinland, Gropiusstadt steht normalerweise ein Artikel, aber er kann auch schon mal verschwinden, etwa nach Präpositionen (Vertretung von Saarland bei der Europäischen Union, Mitte von Gropiusstadt...)
3. Eigennamen wie Deutschland, Dänemark, Darmstadt haben keine Artikel.

Die Zugehörigkeit zur Gruppe 3 scheint bei Ländern und Städten mit nationaler bzw. kommunaler Eigenständigkeit zu korrelieren.

Übertreiber

Personennamen ordnetete ich entweder einer eigenen vierten Gruppe oder der zweiten zu, denn sowohl im gehobenen Genitive als auch in der Umgangssprache können sie einen Artikel erhalten.
"Kennst du die Lisa?"
"Ich habe dem Paul schon sein Geschenk gegeben." (Nicht zu verwechseln mit: "Ich habe dem Paul sein Geschenk schon [jemandem] gegeben.")
Die Leiden des jungen Werthers (Im Original bekam der Eigenname sogar noch ein Genitiv-S)
Kampf dem Schicksal!

Agricola

Auch Ländernamen, die sonst keine Artikel tragen, tragen diese ja in bestimmten Satzkonstruktionen. So wohnt man heute gut in Deutschland, aber im Deutschland der 50er Jahre konnte man auch gut wohnen.

Das mit der Eigenständigkeit von Ländernamen stimmt zwar im Sinne einer Korrelation, aber eben nur statistisch, nicht auf jedes Einzelbeispiel bezogen. So ist man auch in Pommerland, und (nicht das) Pommerland ist abgebrannt, obwohl noch niemand behauptet hat, dass es ein Land dieses Namens gebe. Und die Schweiz und die Niederlande wären ja ohnehin klassische Gegenbeispiele in der anderen Richtung.
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Übertreiber

Nun gut, die Verwendung "<Land> der ...er Jahre" suggeriert auch, dass es mehrere Deutsche Länder gibt, daher erscheint hier ein Artikel auch logisch.

Doch Schweiz und Niederlande sind unpassende Beispiele, da sie nichtsächlichen Geschlechtes sind. Der Artikel kann meines Wissens nur bei sächlichen Ländern im Singular entfallen. Gegenbeispiele sind also die Schweiz, die Niederlande, die Monolei, die USA, der Jemen, der Irak, der Iran, ...
Kampf dem Schicksal!

Fleischers Karsten

Karsten

amarillo

Zitat von: Übertreiber in 2008-11-07, 14:34:16
Personennamen ordnetete ich entweder einer eigenen vierten Gruppe oder der zweiten zu, denn sowohl im gehobenen Genitive als auch in der Umgangssprache können sie einen Artikel erhalten.
"Kennst du die Lisa?"
"Ich habe dem Paul schon sein Geschenk gegeben." (Nicht zu verwechseln mit: "Ich habe dem Paul sein Geschenk schon [jemandem] gegeben.")
Die Leiden des jungen Werthers (Im Original bekam der Eigenname sogar noch ein Genitiv-S)

Diese Verwund des Artikels mit dem Vornamen halte ich persoln ja für den Ausdruck manirierten Psycho-Geschwalles. Wird vor allem gern nach einem intimitätsheuchelnden 'Du' verwonden. "Du, der Paul hat die Lisa heute zum Essen eingeladen; Du, ich weiß nicht, irgendwie finde ich das ja ein Stück weit total toll für die Lisa..." *würg, kotz, ächz*
Das Leben strebt mit Urgewalt nach Entstehung und Musik.

Kilian

Zitat von: Agricola in 2008-11-07, 19:16:26Auch Ländernamen, die sonst keine Artikel tragen, tragen diese ja in bestimmten Satzkonstruktionen. So wohnt man heute gut in Deutschland, aber im Deutschland der 50er Jahre konnte man auch gut wohnen.

Stimmt, und das gilt für alle Eigennamen, z.B. sagt man ja auch Der Peter, den ich kenne, macht so etwas nicht - wenn man also entweder von dem bezinchenen Individuum nur in einer bestimmten Zeit, Erscheinungsform oder möglichen Welt sprechen oder mehrere gleichnamige Individuen voneinander unterscheiden will.

Agricola

#14
Dementsprechend kann man im Falle von Deutschland durchaus unterscheiden:

Deutschland, das ich liebe, steckt in einer tiefen Krise.

und

Das Deutschland, das ich liebe, steckt in einer tiefen Krise.

Während bei der Schweiz:

Die Schweiz, die ich liebe, steckt in einer tiefen Krise.

nicht deutlich ist, welche von beiden Aussagen gemeint ist. Im Englischen würde der Unterschied zwischen beiden Aussagen in der Kommasetzung ausgedrückt, falls mich meine rudimentären Englischkenntnisse nicht täuschen:

The United Kingdom, which I love, is experiencing a fundamental crisis.

The United Kindom which I love is experiencing a fundamental crisis.
The future lies in front of me,
but "lies" is all that I can see.