Geruchsadjektive - den letzten der Tofaner in Ehrfurcht gewomnd

Begonnen von Berthold, 2008-11-24, 13:20:06

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Berthold

David Harrisons Buch über aussterbende Sprachen habe ich letztens empfnoll. Ich wiederhole meine Empfahl. Siehe auch http://www.swarthmore.edu/SocSci/dharris2/ und http://www.youtube.com/watch?v=nmLYo8zQOVs
Wägner als 30 (25) Menschen sprechen noch, halbwegs fließend, die sibirische Sprache Tofa. Diese hat (unter vielem Wundersamen) eine einzigurgte Besonderheit: durch Anhängen von -sig an Hauptwörter entstehen Geruchsadjektive!
Oder: 'In Tofa you can add -sig to the word ivi-, (reindeer) to describe someone who smells like a reindeer. No other language in the world is known to have this kind of suffix.'

Na, da kann sich doch Neutsch - sogar auf einfache Weise(n) - mit den letzten der Tofaner solidarisch erklären!

Ich nähme für den Singular -upp oder (nach Vokalen) -nupp (lehnt sich an 'schnuppern' an):
Die rosenuppe Frau; der knoblauchuppe Hirte

Für den Plural verwönde ich -üff oder -nüff (<- 'schüffeln'):
Orchideenüffe Kurtisanen; Ihr tranüffen japanischen Walfänger!






Fleischers Karsten

#1
Das ginge auch mit -anz, in Anlahn an die Verben mit -enzen, bei denen ein Geruch oder ein Geschmack mit im Spiele ist (faulenzen, fischenzen, bierenzen usw.).

Der bieranze Kneipenwirt. Der faulanze Müllhaufen.

Dies vielleicht nur für nicht so angenehme Gerüche, da ranzig mitanklingt.
Karsten

Berthold


Mhm, mhm, mir ist das neu. Das wäre somit Dein/Euer Dialekt. -enzen-Verben, bei denen ein Geruch oder Geschmack im Spiel ist, kenne ich von uns, auf Anhieb, gar nicht. Fischenzen heißt hier schlicht fischeln.
Dieses Verb wie auch 'miachteln' oder 'mochteln' brauchen wahrschoychln sogar einen eigenen Kennjokus; vielleicht ebensosehr die 'Geruchsverben'  mit -enzen.

Fleischers Karsten

#3
Da schrieb ich vor längerer Zeit schon mal drüber - siehe hier und noch mehr hier.
Karsten

Übertreiber

Schon ab dem zweiten Beitrage war ich Feuer und Flamme für dieses! Ein meliorativer und ein pejorativer Geruchssuffix, einmal für angenehme und einmal für penetrante Düfte, das übertrüfe sogar noch das Tofa. Mein Vorschlug ist der folgende:

Adjektive:
süßupp - süß riechend
tulpupp / tulpenupp - nach Tulpen riechend
süßanz - süßlich (sülß?) stinkend
kackanz / kackenanz - nach Kot stinkend
ein orchideenuppes Parfüm - Parfüm, das nach Orchideen riecht


Verben:
süßuppen - süß riechen
süßanzen - süßlich stinken


Diminutiva:
süßuppern - einen Hauch süßlichen Duftes verbreiten
faulanzeln - einen leichten Verwesungsgeruch in die Luft legen


Die Verben könnten dann auch ipsiv verwandt werden.
"Es schweißanzt / schwitzanzt ganz schön in der Umkleide." - Dort stinkt es nach Schweiß.
"Es plätzuppert in der Küche." - Dort riecht es (angenehm) nach Plätzchen.
"Es verschwuranzt!" - Ich rieche eine Verschwörung!


Ich empfehle als Pejorativgeruchssuffix -anz um die Geruchsverben von älteren Wörtern wie "faulenzen" unterscheiden zu können. Eine Verstorbene mag vielleicht faulanzen, doch es grinzt schon an Verleumdung zu behaupten, sie faulenze nur.
Kampf dem Schicksal!

Agricola

Zwar ist die Luft für uns kackanz,
doch Fliegen zieht's kackupp zum Tanz.
The future lies in front of me,
but "lies" is all that I can see.

Berthold

#6
Ich gebe trotzdem zu bedenken, daß Gerüche von Menschen verschieden bewornt werden. Ich ging von 'schnuppern' und 'schnüffeln', von neutralen Wahrnähmen aus, weil die Tofaner Gerüche offenbar nicht von vornherein in gut und schlecht unterteilen. Ich gebe zu, daß mir das gestern noch gar nicht bewußt war.

Klar spräche auch ich von kack(en)anz und piss(en)anz. Nun muß ich mich aber gar nicht auf 'Kaviar' und 'Natursekt' der Sado-Maso-Szene versteifen, sondern ich weise einfach darauf hin, welch scharfe, seltsame Gerüche bei den Säugetieren verschiedene Funktionen - etwa der Reviermarkur - haben.
Ich will etwa den wilden, stechenden Raukatzengeruch nicht ins abendländische 'Pfui-pfui!' verkleinern, indem ich ihn mit tig(e)ranz belege.
Unser Großhirn, unser Telencephalon, bitte, ist aus einem Riechhirn entstanden.

Auf das Gehör übertragen wäre es auch ein bisserl g'spaßig, die Klarheit eines Renaissance-Konsortes mit gambeling, den schweren Klang eines Bruckner-Finales aber mit blechmett zu kennzeichnen.
Für mich wäre beides eher musikausch.

Wenn froychl jemand - und da wären wir eh schon bei der Synthese - eine Wahrnahm im Gespräch justament bewerten will, dann ist -anz für üble Gerüche in einer individuellen Nase gut. Dann überlasse ich es Euch, den Geruch von Orangenblüten zu suffigieren. Blütenupp und blütenüffe reichen dafür meines Erachtens nicht.



   

Berthold

Zitat von: Agricola in 2008-11-25, 11:27:18
Zwar ist die Luft für uns kackanz,
doch Fliegen zieht's kackupp zum Tanz.

Da schnitten einander ähchlne Gedanken. Hüben ward's ein theoretisches G'sätz'l, drüben ein Gedichtlein.

Berthold

#8
Vielleicht, lieber Übertreiber, kekünnest Du, als And von Adjektiven, die jemand für einen ihm justament angenehmen Geruch verwendet, -uck, akzeptieren (<- 'zuckerig', 'zuckersüß' ... 'Schnucki').

Deine Beispiele hießen dann: süßuck, tulpuck

Verbum: süßücken (Da stäke noch 'entzücken' drin.)

Als Plural der Adjektive sähe ich gerne (analog zu -upp, -üffe) -üche (<- 'Küche', 'Gerüche'). Mein Gedanke war, daß ein Plural die Ahd. Lautverschub z.T. duarchlaumpf hätte, nicht aber der Singular.
Das zerschmörtte wieder einmal einer dieser - ich schreib's jetzt auf Deutsch her - Selbstverständlichkeiten der deutschen Grammatik.

Fleischers Karsten

Ich stieß eben noch auf merkwürdiges Geruchsverb:

Wildpern, nach Wildpret, welches schon in Fäulniß übergeht, riechen und schmecken.

Eine weitere Definur:

Wildpern, verb. regul. act. mit dem Hülfsworte haben, nach riechendem Wildpret riechen oder schmecken, anbrüchig riechen oder schmecken, besonders von dem Wildprete. Es ist nur im gemeinen Leben üblich; in der anständigen Schreibart muß man den Begriff umschreiben, indem wildpern, oder wilpern, eine fehlerhafte Verkürzung des noch in manchen Gegenden üblichen wildbräunen in eben dieser Bedeutung ist, welches aber eben so dunkel ist. In noch andern Gegenden ist dafür wildenzen üblich.
Karsten

Übertreiber

Ich glaube dem Gedankengang folgen zu können. Zu den wertenden noch ein neutrales Suffix hinzuzufügen, ist es das, was du vorschlägst? Das erscheint sinnvoll, da man sich leicht zerstreiten kann, ob eine Sinfonie nun bachupp oder bachanz ist.

Trüfe eine Systematik wie folgende den Konsens?
Neutral: eine süsuppe Küche / süßüffe Küchen (vom neutralen Schnuppern)
Positiv: eine süßucke Küche / süßüche Küchen (vom positiven Schnucki, Zucker, ...)
Negativ: eine süßanze Küche / süßanze Küchen

Verben: süßuppen, süßucken, süßanzen
Diminutivverben: süßuppern, süßuckeln, süßanzeln
(Verbenbug muss noch geklärt werden)


Ich gebe zu, ich hänge noch ein wenig am Deutschen und folge noch gern seiner (ohnehin komplexen) Grammatik. Der grammatische Wechsel zwischen Ein- und Mehrzahl mächt die Sache jedoch auch sehr interessant.
Kampf dem Schicksal!

Berthold

#11
So hätte ich mir das auch vogaschtnall. Vielen Dank für die para-, trara- und plagiolinquistische, in jedem Falle aber wassenschuftle Grundchle! Auf jeden Fall ist das schon ein Faden aus dem ff.
Wohl wert, daß sich Dave Harrison sein unterwinde*. Tätert(e) (= unser Drommetenkonjunktiv) ich halt meinen.

Schön, lieber Karsten, ist auch das Wildpern. - Statt wildenzen haben wir - erwurtgemäß + (in diesem Fall) anspruchsloser - wildeln (sprich 'wüü-dl**n').

*Phrase aus Franz Grillparzer: 'König Ottokars Glück und Ende'
**Von den 4 Wiener l-Lauten (soferne l nicht überhaupt vaukehlischnorr ist) ist er zwar nicht der für 'Dsuagraasde' schwierigste, aber der bekannteste: das postdentale, das 'Meidlinger l', welches - wie bei 'wüü-dln' - auch eine Silbe tragen kann.

Henriquatre

ich will ja jetzt nicht eingenlobanzen ...  ;D
aber das mich Sinn für mich

Fleischers Karsten

Hier noch etwas zu österreichischen Geruchsverben. Die Kommentare zu dem Text sind ganz lustig.
Karsten