Satznegation

Begonnen von Fleischers Karsten, 2008-12-09, 17:54:34

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Fleischers Karsten

Im Mhd. wurde ein Satz in der Regel durch die heute nicht mehr gebraulchen Negationspartikel ne/en vernienen, die unmittelbar vor dem Verb auftoochen. Dies kekunn auf zwei Weisen passieren:

1.) proklitisch mit dem Verb verbunden:
   nu enwelle got ,das möge Gott nicht zulassen'
   ich enweiz ,ich weiß nicht'
2.) enklitisch mit dem vorhergehenden Wort verbunden:
   erne kumt ,er kommt nicht'

Das ist schön und sesölle auch im Neutschen wieder so sein:
   Das enmöge Gott zulassen.
   Ich enweiß.
   Erne kommt.


Im Mhd. wurde auch häufig noch ein zusaltzes niht dazugestollen, welches in Nhd. Die Standardnegation ist:
   Erne kumt niht.

Umgangssprulch setzen auch wir heute gerne noch ein zusaltzes Ne an den Anfang des Satzes:
   Ne, er kommt nicht.

Dieses Ne wandert jetzt im Neutschen quasi ein wenig weiter im Satz bis vor das Verb:
   Erne kommt nicht.

Aber es kekünne durchaus noch davorne stehenbleiben, um der Vernien noch stärkeren Ausdruck zu verleihen:
   Ne, erne kommt nicht.

(Wir schmeißen somit die erbsenzählerische Pedanterie des Nhd., die Negationen quasi mathematischen aufzufassen und paarweise gegeneinander aufzuheben zu wollen, über Bord – wie es ja in der Umgangssprache auch der Fall ist.)

Im Mhd. kekunnen dann noch verschiedene Negationsadverbien oder –pronomen dazutreten.
Negationsadverbien sind im Mhd.:
nie ,niemals'
niemer ,niemals'
niender(t) ,nirgendwo', ,absolut nicht'
niene ,absolut nicht'
niener ,nirgendwo', ,absolut nicht'
niergen(t) ,nirgendwo', ,absolut nicht'

Und Negationspronomina:
nehein/dehein ,kein'
nieman ,kein'
neweder/deweder ,keiner von beiden'

Im Nhd. Sind Negationsadverbien:
   nie, niemals
   nirgends, nirgendwo
   nicht


Und Negationspronomina:
   nichts
   niemand
   nirgendwas
   nirgendwelche
   nirgendwer


(Die letzten drei sind wohl standardspralch nicht ulb, werden aber umgangsspralch häufig verwandt.)

Da fällt doch was auf: Zu fast allen dieser Adverbien und Pronomina gibt es Antonyme (niemals – jemals, nie – je, nirgends – irgends, niemand – jemand), nur zu nicht und nichts nicht. Die gab's damals aber und hießen – oh, Wunder – icht und ichts. Diese gehören naturl auf wiedereingefiohren!

Umgangssprachlich hat sich zumindest icht glaubich noch erhalten – in Sätzen wie:
   Der macht das echt.

So keine Zeit mehr. Morgen vielleicht noch ein paar mehr Ideen.
Karsten

Agricola

Unentspicht das mittelhochdeutsche en- dem neuhochdeutschen un-? Falls echt, öre ich eher für die moderne Lautung pläd, unwollen wir denn die gesamte mittelhochdeutsche Sprache wieder einführen. Ansonsten finde ich es eine sehr gute Idee, die zur Eleganz des Neutschen beiträgt!
The future lies in front of me,
but "lies" is all that I can see.

Übertreiber

Wenn ich mich recht entsinne, entstammt die Un-Vorsilbe einem verkorzenen und verschliffenen "ohn": ohnunterbrechen, ohngut, etc.

Was ne/en angeht, so wäre ich bei Verbindungen wie "erne" vorsichtig, da man unterscheiden muss zwischen:
Er kommt nicht. --> Er enkommt. / Er kommt nicht.
einerseits und andererseits
Nicht er kommt. (sondern ein anderer) --> Erne kommt.

Der Nachteil von "en" ist, dass es leicht mit "ent" verwolchsen wird, aber ichtsdestomehr enmissfällt mir dieser Vorschlag.
Kampf dem Schicksal!

Fleischers Karsten

Zitat von: Agricola in 2008-12-10, 04:43:35
Unentspicht das mittelhochdeutsche en- dem neuhochdeutschen un-? Falls echt, öre ich eher für die moderne Lautung pläd, unwollen wir denn die gesamte mittelhochdeutsche Sprache wieder einführen.

Un- scheint sowohl aus en-, und, wie Übertreiber richtig bemork, aus ohn- hergelitten zu sein. Beides hat negierenden Charakter, also kann man un- auch gelten lassen.
Karsten

Fleischers Karsten

Zitat von: Übertreiber in 2008-12-10, 09:12:29
Was ne/en angeht, so wäre ich bei Verbindungen wie "erne" vorsichtig, da man unterscheiden muss zwischen:
Er kommt nicht. --> Er enkommt. / Er kommt nicht.
einerseits und andererseits
Nicht er kommt. (sondern ein anderer) --> Erne kommt.

Das habe ichne nirgends noch so gelesen, aber wir können es ja genau so wie du es beschrieben hast benutzen.
Karsten

Berthold

#5
Zitat von: Übertreiber in 2008-12-10, 09:12:29
(...)
Der Nachteil von "en" ist, dass es leicht mit "ent" verwolchsen wird, aber (...)

Über die Verneinungspartikel ne (en, in, -n, n-) gäb's vielerlei abzuschreiben, wofür mir Zeit und Lust fehlt. Ebenso möcht ich da jetzt gar nix umherkritisieren. ('un-' war schon im Gotischen eine eigene ...) -

Irgendwo gibt's doch auch einen Verein der 'FreundInnen des Ö'. Damals, am Weissensee in Kärnten, als ich meine ersten Deutschinnen & Deutschen kennenlorn, fiel mir auf, daß es darunter welche gab, die 'nee', andere aber, die 'nöö' sugen.
'Ich nöliebe dich' oder auch 'Ichnö liebe dich' - stächen doch besonders hervor.

Beide Sätze, das schreib ich jetzt doch noch her, mienen zwar bei Herrn Martin Opitz, wohl auch bei Herrn Johann Christoph Gottsched und Herr Bastian Sick etwas anderes, nicht aber im Mhd. Da lese ich in §330 der Paulschen Grammatik:
'Die Hss wechseln zwischen Zusammenschreibung der Partikel mit dem folgenden Verbum, Zusammenschreibung mit dem voraufgehenden Wort und getrennter Schreibung. Auch innerhalb einer Hs. besteht in dieser Hinsicht kaum eine absolute Konsequenz. Die kritischen Ausgaben ändern nicht selten gegen die Überlieferung, sowohl in Hinsicht auf Zusammenschreibung oder Trennung als auch in Hinsicht auf die Gestalt der Partikel. indem sie z.B. aus metrischen Gründen den Vokal tilgen, vgl.:
'mirn kome mîn holder geselle, in hân der summerwünne niet' - Des Minnesangs Frühling, 1954: 3,23. (...) gegenüber anderswo: 'mir enkome'.
'Ichnö liebe dich' gibt dir also noch nicht die Gewißheit, daß da ein Mensch ist, der dich doch liebt. Zumindest im Mittelalter. Außerdem, bitte: Satznegation; nicht Ich doch nicht.   




 

Fleischers Karsten

Zitat von: Berthold in 2008-12-12, 14:14:39
Außerdem, bitte: Satznegation; nicht Ich doch nicht.

Mir fiel keine fernünftige Überschrift ein, erst hieß der Faden nur Negationen - aber da gips schon einen anderen, der so heißt. Und Satznekatz verstünde wieder keiner.
Karsten

Berthold

#7
Zitat von: Fleischers Karsten in 2008-12-12, 14:28:43
Zitat von: Berthold in 2008-12-12, 14:14:39
Außerdem, bitte: Satznegation; nicht Ich doch nicht.
Mir fiel keine fernünftige Überschrift ein, erst hieß der Faden nur Negationen - aber da gips schon einen anderen, der so heißt. Und Satznekatz verstünde wieder keiner.

Lieber Karsten! Gemach! Alles in Urnd! Ich mein doch eh, daß (die) 'Satznegation' rachgt ist. Das zum Schluß hieß doch nur, daß im Mhd. bei Ich nöliebe dich und Ichnö liebe dich wohl das gleiche muwurn/mawarn.

Fleischers Karsten

Karsten

Kilian

Zitat von: Fleischers Karsten in 2008-12-09, 17:54:34Im Mhd. wurde auch häufig noch ein zusaltzes niht dazugestollen, welches in Nhd. Die Standardnegation ist:
   Erne kumt niht.

Dann ist das also schon mindestens einmal geschehen... Sprachgeschichte wiederholt sich. ;)

Kilian

Zitat von: Berthold in 2008-12-12, 14:14:39Irgendwo gibt's doch auch einen Verein der 'FreundInnen des Ö'.

http://www.rettet-dem-oe.de/

Kilian

#11
Unsere Ahnen negoren also im Grunde genau so wie die Franzosen - nur war das Deutsche schneller damit, die Verneinungsklitika über Bord zu werfen. Fraszinierend! Bin mal gespannt, ob das Neutsche sie tatsalch wieder reinholen und ob es ihrer freien klitischen Wanderschaft ein Ende machen wird, das Wirtswort fokussierend.

Berthold

#12
Zitat von: Kilian in 2008-12-12, 16:06:12
Zitat von: Berthold in 2008-12-12, 14:14:39Irgendwo gibt's doch auch einen Verein der 'FreundInnen des Ö'.

http://www.rettet-dem-oe.de/

Jöööh! Sö ist das! - Dört bekömm ich ja Mitleid mit dem o.

Fleischers Karsten

Mir fielen da gerade noch ein paar Pronomen auf, die auch eine Negation vertragen kekünnen:

irgendein - nirgendein
irgendjemand - nirgendjemand (beide umgangsspralch durchaus gebraulch)

vielleicht sogar: nirgendkein und nirgendniemand

jeder - nieder
jedweder - niedweder
jeglicher - nieglicher
jedermann - niedermann
einige - keinige
etliche - ketliche
etwas - ketwas
irgendetwas - nirgendetwas oder nirgendketwas
etwelche - ketwelche

Vielleicht auch:

einander - keinander
miteinander - mitkeinander

Da kann man richtig toll klingende Sätze mit bauen:

Die Königskinder ensesullen nicht niemals zukeinander finden können.
Er enließ sich nicht durch niedermann einschüchtern.
Karsten

Kilian

Exzellent! Ich biete noch nieweils an: "Für Studiengänge der Gruppen I und III ist nieweils keine gesonderte Bescheinigung erforderlich."