Darwin rückwärts?

Begonnen von AmelieZapf, 2009-09-07, 09:41:43

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AmelieZapf

Hallo miteinander,

häufig hört man, dass die Sprachentwalck der Affalauz (ein Hinweis darauf, dass der Mensch aus dem Affen entstanden sei) analog verliefe. Dawider ist jedoch einzuwenden, dass die A. aus einfacheren Lebewesen immer komplizorenere schafft, die S. jedoch dazu tendiert, ehedem komplizorenere Dinge einzuverfachen. Beispiele dafür sind Legion:


  • Verlust des gotischen Dual,
  • Verlust des Fallsystems beim Übergang vom Lateinischen zu den romanischen Sprachen bzw. vom Deutschen zum Niederländischen bzw. vom Germanischen zum Englischen,
  • der allenthalben bekliegene Schwuch der starken Verben,
  • Abwurf des Dativs und des Infinitivs im Neugriechischen, wobei letzterer naturl eine Aufwart des Gerunds und anderer substantivierter Verbformen mit sich bringt,
  • Verlust lustiger konstruktiver syntaktischer Gebilde wie Ablativus (oder Genitivus) absolutus und Rückzug auf stehende Wendungen.

Memüssen damit nicht prähistorische Ursprachen von einem beispiellosen Schimpflachs (der ja auch über die Komplexität neuer Wasserkraftwerke schimpft, die ihm den Weg zu seinen Laichgründen unnötig schwermachen) gewesen sein? Aber wo kamen die dann her? Memügen die Aborigines am Ende Recht haben, dass in der Tat Gesang die erste Sprache war und die "Songlines" den Orten und Dingen ihre Namen gaben? Somit kekünne sich erst einmal eine komplizorene Struktur bilden. Was sagen die Linguisten dazu?

Liebe Grüße,

Amy
Religion heute:
Ex oriente deus,
ex machina lux.

Berthold

#1
Zitat von: AmelieZapf in 2009-09-07, 09:41:43
Hallo miteinander,

häufig hört man, dass die Sprachentwalck der Affalauz (ein Hinweis darauf, dass der Mensch aus dem Affen entstanden sei) analog verliefe. Dawider ist jedoch einzuwenden, dass die A. aus einfacheren Lebewesen immer komplizorenere schafft, die S. jedoch dazu tendiert, ehedem komplizorenere Dinge einzuverfachen. (...)

Liebe Amy!

Nicht als Linguist, aber als Biologe gebe ich zwei Beispiele, die zeigen, daß gerade Pflanzen und Tiere, die eine 'besonders urtümliche Morphologie' besitzen, in mancher Weise besonderen Kampfleich (-laich) haben können:

Die südasiatische Natternzunge Ophioglossum reticulatum, im weiteren Sinne ein Farngewächs, hat mit 2n=1260 die höchste Chromosomenzahl im gesamten Pflanzenreich.

Die meisten Säugetiere und auch der Mensch beschränken sich auf zwei Geschlechtschromosomen. Schnabeltiermännchen haben fünf X- und fünf Y-Chromosomen, bei Weibchen sind es zehn X-Chromosomen.

Ich glaube auch nicht, daß es für ein Genom leichter war oder ist, einst einen großen Saurier zu bauen als jetzt einen Buchfinken, oder daß ein Säbelzahntiger leichter herzustellen war als dies ein Tiger ist.

Nun gut, so was läßt sich in der Affalauz als Heterobathmie bezeichnen, das gleichzeitige Auftreten von ursrünglichen und abgelittenen Merkmalen.

Das gibt's bei Sprachen auch, hat doch das Englische viel Formengrammatik abgestoßen, aber, Z.B., stimmhaftes und stimmloses 'th' bawnarr.

Deine Beispiele laufen überhaupt drauf hinaus, daß der Abbau einer Formengrammatik vereinfachend sei - oder wäre.
Von der chinesischen Grammatik dagegen heißt es oft, sie wäre besonders leicht, es wäre nahezu keine vorhanden. Früher, vor tausenden von Jahren, da mag es ja Suffixe und Affixe (die Gruppe der Fixe) gogemp haben, aber jetzt ...
Bemerken wird man froychl, noch bevor man sich freuen kann, all die seltsamen Sachen wie (hier nur ein Beispiel) das 'zusammengesontze Komplement der Rachgt'. Ich habe etliche Bücher zur chinesischen Grammatik gelesen, zumeist eher umfangreiche Werke. Bleibend gemornk hab ich mir nicht allzu viel. Mir fiel auf, daß in jedem dieser Werke (auch) Sachen stehen, die in keinem anderen zu finden sind. Zusammenfassen läßt sich, daß Chinesisch nicht nur für einen Indoeuropäisch geproncken Sprecher, eine schwere, verschromp wirkende Grammatik besitzt. Sogar Silbenzahl und Reim sind für eine gute chinesische Phrase weit bedeutsamer als für eine deutsche. Wir lesen 'Hangen und Bangen in schwebender Pein' und wissen, daß das ein Dichter schrieb. Im Chinesischen gehört solcherlei zum Alltagssatz. Denn bei einem klassischen chinesischen Gedicht (wie sie noch Mao Zedong schrieb) wird meinereins von der Wucht der Reime fast erschlagen. Dabei sehe ich noch davon ab, wie oft in manchen Li (Tai) Bai-Gedichten das Zeichen für (z.B.) Mond vorkommt.    

Übertreiber

Also an und für sich halterden die Gesetze der Affalauz (-en?; ich verstehe nie, wohin das -ion während des Lautverschubes verschwindt) ein, denn das "fittere" setzt sich durch. "Geschraubt" und "gesiedet" drücken bei weniger Nachdacht das gleiche aus, dagägn kommen "geschroben" und "gesotten" nicht an. Eine echte Erklur habe ich dafür nicht, meine Ansätze reichen davon, dass die Menschen immer weniger Zeit um nachzudenken haben, bis dazu, dass wir die alten Sprachen nur aus den Schriften der Dichter und Denker kennen, die ohnehin einen weselnt besseren Stil hatten als die Allgemëinh.
Traurig ist es fürwahr, doch wie man diesen Wandel anders als dadurch, es einfach "besser" zu machen, bekämpfen kekünne, weiß ich beim besten Willen nicht.
Kampf dem Schicksal!

AmelieZapf

Hallo Berthold,

Zitat von: Berthold in 2009-09-07, 12:18:35
Die südasiatische Natternzunge Ophioglossum reticulatum, im weiteren Sinne ein Farngewächs, hat mit 2n=1260 die höchste Chromosomenzahl im gesamten Pflanzenreich.

Die meisten Säugetiere und auch der Mensch beschränken sich auf zwei Geschlechtschromosomen. Schnabeltiermännchen haben fünf X- und fünf Y-Chromosomen, bei Weibchen sind es zehn X-Chromosomen.

Ich glaube auch nicht, daß es für ein Genom leichter war oder ist, einst einen großen Saurier zu bauen als jetzt einen Buchfinken, oder daß ein Säbelzahntiger leichter herzustellen war als dies ein Tiger ist.

Der Vergleich hinkt, weil a) die Chromosomenzahl nicht notwendig einen Hinweis auf die Komplexität des Organismus darstellt und b) die Beispiele 2 und 3 sich auf Säugetiere beschränken. Das wäre in etwa so, als schlösse man vom alleinigen Besehen eines Streichholzkopfes auf die Länge des (meinetwegen hinter einem Vorhang befindlichen) Streichholzes.

Unbestreitbar ist jedoch, dass E. coli einfacher aufgebaut ist als S. cerevisiae, und so kann man weitermachen über Trichoplax adhaerens, diverse Cnidarien (wobei wir natürlich Berthold Hačeks Quallenverzeichnis gedenken), Würmer, Insekten, meinetwegen noch Seescheiden und Lanzettfischchen bis zu den Wirbeltieren, die sich dann mannigfach ausdifferenziert haben. Dass in dieser Reihe die Komplexität der Organismen monoton zunimmt, ist ja wohl unbestreitbar (ich rede jetzt nicht von einigen hochspezialisierten Zellen, die manche dieser Organismen besitzen mögen, sondern von der allgemeinen körperbaulichen Komplexität).

Liebe Grüße,

Amy
Religion heute:
Ex oriente deus,
ex machina lux.

Berthold

Zitat von: AmelieZapf in 2009-09-10, 09:04:59
Hallo Berthold,

Zitat von: Berthold in 2009-09-07, 12:18:35
Die südasiatische Natternzunge Ophioglossum reticulatum, im weiteren Sinne ein Farngewächs, hat mit 2n=1260 die höchste Chromosomenzahl im gesamten Pflanzenreich.

Die meisten Säugetiere und auch der Mensch beschränken sich auf zwei Geschlechtschromosomen. Schnabeltiermännchen haben fünf X- und fünf Y-Chromosomen, bei Weibchen sind es zehn X-Chromosomen.

Ich glaube auch nicht, daß es für ein Genom leichter war oder ist, einst einen großen Saurier zu bauen als jetzt einen Buchfinken, oder daß ein Säbelzahntiger leichter herzustellen war als dies ein Tiger ist.

Der Vergleich hinkt, weil a) die Chromosomenzahl nicht notwendig einen Hinweis auf die Komplexität des Organismus darstellt und b) die Beispiele 2 und 3 sich auf Säugetiere beschränken. Das wäre in etwa so, als schlösse man vom alleinigen Besehen eines Streichholzkopfes auf die Länge des (meinetwegen hinter einem Vorhang befindlichen) Streichholzes.
...
...

Liebe Amy!

Daß das Farngewächs mit n = 1260 nicht so komplex zu sein braucht wie die Zuckmücke Axarus (2n=8), werd ich ja wohl auch wissen. Das meiste Chromatin jener Natternzunge ist noch dazu Heterochromatin, somit eh unwirksam (Bei Sprachen vielleicht so was wie ein Wust altertümlicher Redensarten, die kaum jemand mehr in den Mund nimmt).
(Dein Streichholzbeispiel erinnert mich an die G'schichten über Blut- oder Fleischpenes, welchselbige Stories die Männer-Homepages durchwürmen - und Eurem Berthold vor ein paar Wochen ein allerliebstes Aufatmen beschoren.)

Du hast indes übersehen, daß es mir eher um die Heterobathmie der Merkmale ging. - Allein aus der Fünfzahe des Menschen ist nicht auf ein besonders primitives Hirn zu schließen.
Und weil die Gegenwartssprache der Färöer die beiden 'th'-Laute des Englischen verloren hat, ist die Formengrammatik des Färöischen keineswegs einfacher als die des Englischen.

Die 'Würmer' sind zwar keine systematische Gruppe; trotzdem hat der Regenwurm ein geschlossenes Blutgefäßsystem, das die Insekten nicht haben. Von den Insekten führt übrigens kein stammesgeschichtlicher Weg zu den Wirbeltieren. Das Komplexauge einer Libelle ist in einer ganz anderen Weise komplex als ein Wirbeltierauge. Der Generationswechsel der Salpen ist wieder etwas, das kein Wirbeltier zeigt.
Die Sibley-Ahlquist-Taxonomie der Vögel ist nicht in allen Fällen einer morphologischen vorzuziehen. Wenn 2 Vögel in 99% ihrer Gene übereinstimmen (man hört & liest sowas gegenwärtig eher von Schimpanse und Mensch), kann das restliche Prozent immer noch aus besonders wichtigen, 'hochrangigen' Genen bestehen.

&: Die meisten Ragwurz-Arten (Orchidaceae) stehen einander genetisch sehr nahe, sind aber trotzdem voneinander isoliert, weil sie verschiedene Bestäuber haben.      

AmelieZapf

Lieber Berthold,

Zitat von: Berthold in 2009-09-10, 12:13:26
Du hast indes übersehen, daß es mir eher um die Heterobathmie der Merkmale ging. - Allein aus der Fünfzahe des Menschen ist nicht auf ein besonders primitives Hirn zu schließen.

Mir ging's eigentlich nur um's große Ganze.

Zitat von: Berthold in 2009-09-10, 12:13:26
Die 'Würmer' sind zwar keine systematische Gruppe; trotzdem hat der Regenwurm ein geschlossenes Blutgefäßsystem, das die Insekten nicht haben. Von den Insekten führt übrigens kein stammesgeschichtlicher Weg zu den Wirbeltieren.

Von den Würmern übrigens auch nicht. Dass die "Würmer" verschiedentliche Tierstämme umfassen, ist Ausdruck der großen Diversität des, was man so beiläufig als "Wurm" bezeichnet  -- man vergleiche mit dem Stamm der Chordatiere, der von der Salpe bis zum Menschen Krethi und Plethi umfasst.

Und der Unterschied zwischen Proto- und Deuterostomiern ist mir auch klar, ebenso die Tatsache, dass man sich mit der Aussage, dass irgendein rezentes Tier Stammvater eines anderen gewesen sein soll, auf gefährliches Terrain begibt. Ich habe halt ad hoc Beispiele herausgepocken, um den Gedanken grob anzuverschaulichen.

Zitat von: Berthold in 2009-09-10, 12:13:26
Der Generationswechsel der Salpen ist wieder etwas, das kein Wirbeltier zeigt.

Diese und andere Kuriositäten hat Prof. Dr. Joan Roughgarden in einem unerhört lesbaren und lesenswerten populärwissenschaftlichen Werk ("Evolution's Rainbow: Diversity, Gender, and Sexuality in Nature and People") zusammengetragen.

Liebe Grüße,

Amy
Religion heute:
Ex oriente deus,
ex machina lux.

Berthold

Zitat von: AmelieZapf in 2009-09-10, 12:55:38
Lieber Berthold,
(...)
Zitat von: Berthold in 2009-09-10, 12:13:26
Der Generationswechsel der Salpen ist wieder etwas, das kein Wirbeltier zeigt.
Diese und andere Kuriositäten hat Prof. Dr. Joan Roughgarden in einem unerhört lesbaren und lesenswerten populärwissenschaftlichen Werk ("Evolution's Rainbow: Diversity, Gender, and Sexuality in Nature and People") zusammengetragen.
Liebe Grüße,
Amy

Liebe Amy!

Für unsere Gesellschaft dünkt mich Adelbert v. Chamisso (-> Salpen) noch wächgter denn Joan Roughgarden.

Die letzte (17.) Strophe einer Ballade werde ich nun herschreiben, - die gar nicht von Chamisso ist, sondern von Gottfried August Bürger. Aus zwei Gründen schreib ich die Strophe her:
a) Weil mich solch eine Ballade, Spott hin, Kitsch her, berührt - und Fontanes 'John Maynard' sowieso
b) Wegen des starkens Dingsbumsens

Das Lied vom braven Mann

(...)

Hoch klingst du, Lied vom braven Mann,
Wie Orgelton und Glockenklang!
Wer solches Muts sich rühmen kann,
Den lohnt kein Gold, den lohnt Gesang.
Gottlob! daß ich singen und preisen kann,
Unsterblich zu preisen den braven Mann!