Freie Dative

Begonnen von Kilian, 2009-10-23, 15:20:11

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Kilian

Den Begriff "freier Dativ" habe ich hier gerade zum ersten Mal gelesen und gleich gemocht. Hat der Dativ also auch seinen Absolutus! Zitat Amy:

ZitatWas nun "das Essen brennt mir an" usw. betrifft, so handelt es sich um einen Dativus incommodi (Pechvogeldativ) resp. einen D. commodi (das Wort Glückskinddativ war meinem Bruder aber nicht bekannt). Dieser gehört mit anderen Konstruktionen wie dem Pertinenzdativ (ich schneide mir die Fingernägel) in die recht schwer fassbare Gruppe der freien Dative.

Ich weiß noch einen schönen: "Dass du mir nicht vor neun nach Haus kommst!"

Übertreiber

Hm, das hätte ich dir aber auch sagen können (oder tat ich's gar und vergaß es wieder?). Abgesehen vom Nennfall, der ja sowieso eine Nummer für sich ist, hat jeder Kasus eine freie Form
Freier Klagefall: Montag, den dreizehnten Gilbhart ...
Freier Gebefall: ... erladog er mir ...
Freier Zeugefall: ... stehendes Fußes ...
... die Arbeit.

Doch darin stimme ich dir zu, das Wort "frei" gefällt mir ebenso und drückt mir die grundlegende Eigenschaft dieser Erscheine weselnt besser aus das dieses länglich-lästige "absolutus". :)
Kampf dem Schicksal!

AmelieZapf

Hallo Kilian,

Zitat von: Kilian in 2009-10-23, 15:20:11
Den Begriff "freier Dativ" habe ich hier gerade zum ersten Mal gelesen und gleich gemocht. Hat der Dativ also auch seinen Absolutus!

Eine schöne Einfuhr in freie Dative und ergative Verben findest Du allhier.

Grüße,

Amy
Religion heute:
Ex oriente deus,
ex machina lux.

AmelieZapf

#3
Hallo Übertreiber,

Zitat von: Übertreiber in 2009-10-24, 19:33:48
Hm, das hätte ich dir aber auch sagen können (oder tat ich's gar und vergaß es wieder?). Abgesehen vom Nennfall, der ja sowieso eine Nummer für sich ist, hat jeder Kasus eine freie Form
Freier Klagefall: Montag, den dreizehnten Gilbhart ...
Freier Gebefall: ... erladog er mir ...
Freier Zeugefall: ... stehendes Fußes ...
... die Arbeit.

stehenden Fußes, so ich bitten dedarf!

Und ich weiß nicht, warum mir deucht, dass "Montag, den dreizehnten Gilbhart" kein Akkusativ sein kann, sondern Dativ sein muss. Ergänze "am"="an dem": Am Montag, den 13... Ich befürchte, ich habe recht.

Liebe Grüße,

Amy
Religion heute:
Ex oriente deus,
ex machina lux.

Übertreiber

Hallo Amy,

Zitat von: AmelieZapf in 2009-10-24, 20:36:20
stehenden Fußes, so ich bitten dedarf!

Nun, ich habe da meine eigene Theorie zum starken Buge des Zeugefalls, welcher ich auch immer noch beharrendlich folge.

Zitat von: AmelieZapf in 2009-10-24, 20:36:20
Und ich weiß nicht, warum mir deucht, dass "Montag, den dreizehnten Gilbhart" kein Akkusativ sein kann, sondern Dativ sein muss. Ergänze "am"="an dem": Am Montag, den 13... Ich befürchte, ich habe recht.

Der Meinung kann ich mich nicht anschließen. So weit mein Gefühl der Sprache reicht, dürfen Zeiten im adverbiellen (also freien) Klagefall stehen:

Ich besuche meine Großmutter jeden Monat.
Jeden Sonntag muss ich Brötchen kaufen.
Sonntag kann ich nie ausschlafen.
Sonntag, den dreizehnten Jänner, war ich krank.

Aber auch:

Am Sonntag, dem dreizehnten Jänner, war ich krank.

Die nachfolgende Datumsbezinch ist eine Apposition, die sich nach dem Fall des vorangehenden Wortes richtet. Regorener Dativ von „an“ oder eben freier Akkusativ. :)

Gruß,

Übertreiber
Kampf dem Schicksal!

Kilian

Zitat von: AmelieZapf in 2009-10-24, 20:36:20Und ich weiß nicht, warum mir deucht, dass "Montag, den dreizehnten Gilbhart" kein Akkusativ sein kann, sondern Dativ sein muss. Ergänze "am"="an dem": Am Montag, den 13... Ich befürchte, ich habe recht.

Fürchte dich nicht, denn siehe, du hast unrecht: http://faql.de/grammatik.html#datum :D

Kilian

Zitat von: AmelieZapf in 2009-10-24, 20:33:43Eine schöne Einfuhr in freie Dative und ergative Verben findest Du allhier.

Danke! Und eine schöne Analyse gibt's hier.

AmelieZapf

Hallo Kilian,

Zitat von: Kilian in 2009-10-25, 20:47:47
Fürchte dich nicht, denn siehe, du hast unrecht: http://faql.de/grammatik.html#datum :D

Ich widerrufe und behaupte hinfort das Gegenteil! Danke!

Liebe Grüße,

Amy
Religion heute:
Ex oriente deus,
ex machina lux.

AmelieZapf

Hallo Kilian,

Zitat von: Kilian in 2009-10-25, 21:26:47
Danke! Und eine schöne Analyse gibt's hier.

Vielen Dank, das ist hochinteressant, auch u.a. deshalb, weil die Wörter "ein-/zwei-/sonstwievielwertig" und "Valenz" in einem ganz anderen Fachgebiet eine Rolle spielen, nämlich in der Chemie der ionischen Verbindungen: Je zweiwertiges (auch v.a. im Englischen bivalent genanntes) Ion müssen zwei entgegengesetzt geladene einwertige Gegenionen vorhanden sein, um zusammen ein Salz (der allgemeine Name dieser Klasse chemischer Verbindungen) zu bilden. Man hat offensichtlich dieses Bezeichnungsschema 1:1 auf die Sprachwissenschaft übertragen. Anders ist jedoch, dass die Gegenionen in der Chemie völlig gleich (-gestaltet) sind, während ein Verb ja fundamental verschiedene Funktionen vergibt (Subjekt, Akk-Objekt, Dat-Objekt, Gen-Objekt). Auch gibt es in der Chemie mehrwertige Gegenionen, aber in der Sprachwissenschaft keine Strukturen, die gleichzeitig die Rolle mehrerer NP im Satz übernehmen. Eine vage Analogie wären reflexive Bildungen: Sie verwöhnte sich mit einem Besuch in der Sauna.

Grüße,

Amy
Religion heute:
Ex oriente deus,
ex machina lux.

Kilian

Ja, der Linguist Lucien Tesnière entlahn der Chemie den Valenzbegriff (Quelle). Für Sprachen wie das Französische und Englische haut das einigermaßen hin mit ein-zwei-dreiwertig, weil es kaum je ein direktes Objekt ohne Subjekt und kaum je ein indirektes Objekt ohne direktes Objekt gibt - in Sprachen mit einem reicheren Kasussystem beginnt die Metapher zu bröseln.

AmelieZapf

#10
Hallo Scheff,

Zitat von: Kilian in 2009-10-26, 11:07:13
in Sprachen mit einem reicheren Kasussystem beginnt die Metapher zu bröseln.

Na, doch auch schon vorher: Mr. Miller gave the dog to Ms. Smith ist etwas völlig anderes als Ms. Smith gave the dog to Mr. Miller. Man kekünne auch noch weiter drehen: The dog gave Mr. Miller to Ms. Smith, die gerade einen Ehemann sooch, den ihr Hund ihr mit dem sprichworlten hulnden Spürsinn umgehend zufohr oder Mr. Miller gave Ms. Smith to the dog, weil das Vieh Hunger hatte und Mr. Miller kein Geld, Hundefutter zu kaufen usw. usf.

Grüße,

Amy
Religion heute:
Ex oriente deus,
ex machina lux.

Kilian

Zitat von: AmelieZapf in 2009-10-26, 14:52:55
Zitat von: Kilian in 2009-10-26, 11:07:13
in Sprachen mit einem reicheren Kasussystem beginnt die Metapher zu bröseln.

Na, doch auch schon vorher: Mr. Miller gave the dog to Ms. Smith ist etwas völlig anderes als Ms. Smith gave the dog to Mr. Miller.

Ja schon, aber in beiden Fällen ist give ein dreistelliges Verb, und weil wir uns im Englischen befinden, können wir uns auch fast sicher sein, welche es sind: Subjekt, direktes Objekt und indirektes Objekt (wenn wir eine to-Präpositionalphrase als eine Form von indirektem Objekt durchgehen lassen).

Aber stimmt schon, auch im Englischen geht das nicht immer: das Verb talk zum Beispiel hat oft ein indirektes Objekt (talk to somebody), aber nur in seltenen Spezialfällen ein direktes (talk sense/business/... to somebody). Und die mannigfaltigen präpositionalen Ergänzungen von Verben bleiben im 1-2-3-Schema auch völlig unberyxichtigt. Auch im Englischen ist also eine Unterteilung von Verben in einstellige, zweistellige und dreistellige keine adäquate Beschreibung ihrer Valenz.

Wenn es in der Schule um Grammatik ging, hat mich das immer latent gestört: man bekam irgendein simples Schema vorgesetzt, das auf die einfachsten Beispiele passte, aber nichts erklärte und wenig flexibel war. Dieses Stören hat mich dann für Linguistik motivoren. Auch da muss man die Erfahrung machen, dass letztlich jedes noch so ausgetüfelte Schema irgendwann durch Gegenbeispiele gesprengt wird, aber man hört wenigstens nicht schon nach dem ersten Schritt auf nachzudenken.

Berthold

#12
Zitat von: Kilian in 2009-10-26, 16:30:09

Wenn es in der Schule um Grammatik ging, hat mich das immer latent gestört: man bekam irgendein simples Schema vorgesetzt, das auf die einfachsten Beispiele passte, aber nichts erklärte und wenig flexibel war. Dieses Stören hat mich dann für Linguistik motivoren. Auch da muss man die Erfahrung machen, dass letztlich jedes noch so ausgetüfelte Schema irgendwann durch Gegenbeispiele gesprengt wird, aber man hört wenigstens nicht schon nach dem ersten Schritt auf nachzudenken.


Gelegentlich folge ich dem Satz eines bekannten österreichischen Fußballtrainers:
"Wenn ihr schon nicht Fußball spielen könnt, dann tretet wenigstens hinein!!"
Wandelt sich hier ab in: "Wenn du schon nix G'scheites herschreiben kannst, dann brauchst du kein Tausendsassa zu sein, oft genügt auch ein Dutzendsassa."

So geb ich hier ein Beispiel aus dem - ins Hochtheutsche übertrancken - Chinesischen. Dort sollen ja Subjekt und direktes Objekt haupstsächlich an der Satzstellung zu erkennen sein:
'Li schlagen Wu' vs. 'Wu schlagen Li'.

'Mann essen Huhn' vs. 'Huhn essen Mann'. - - - Aber, was geschieht hier? Kein 'vs.'! Beide Sätze bedeuten das gleiche, von der Wortstellung unabhängig. Beides heißt 'Der/Ein Mann ißt das/ein Huhn' - auch ohne ausgaudriancke Leideform. (Mit 'Bauer tadeln Fürst' ist {oder war} es sicher genauso.)
Solcherlei ergibt sich einfach aus dem Sinn.
Falls aber ein Huhn warchlk einmal einen Mann 'aufpäke', kekünne das nicht in einem dürftigen Satz wie 'Huhn essen Mann' mitguntiel werden. Memüsse dann irgendwie & mindestens so heißen: 'Böse de Zauberer de verwandeln le in Wolf de Huhn fressen arm de Mann'.

de = Attridigsbums-Partikel
le = Partikel für Vergangenes
 

Kilian

Haha! :D Übrigens, zum hienieden beginnenden Wintersemester habe ich einen Chinesischkurs begonnen. Bin gespannt, was mich da noch so erwartet.

Berthold

Zitat von: Kilian in 2009-10-27, 14:55:34
Haha! :D Übrigens, zum hienieden beginnenden Wintersemester habe ich einen Chinesischkurs begonnen. Bin gespannt, was mich da noch so erwartet.

Jössasnaa(n)! Da darf ich dann ja auch nix Chinesisches mehr herschreiben.
Fehlt nur noch, daß Du einen Zuckmückenkurs machst. Aber, bitte, wenn, dann einen der meinen!