gestärkt bekommen?

Begonnen von Wortbert, 2010-08-09, 19:17:35

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Wortbert

Hallo Netzgemeinde!

Öfters lese ich und korrigiere dann ein falsches (?) "bekommen". Z. B. "Wir haben gesagt bekommen ..." korrigiere ich zu "Uns wurde gesagt ...". Diese Verwendung von "bekommen" habe ich aber nun auch einmal in den "Tagesthemen" gehört und in einem ehemaligen deutschen Nachrichtenmagazin gelesen. Ist dies vielleicht doch richtig und schön - habe ich es nur nicht bemerkt?

Homer

#1
Die Duden-Grammatik (§ 317) findet das ganz normal bei allen Verben, die mit einem Dativ der Person und einem Akkusativ der Sache stehen und im weiteren Sinne "zuwenden" bedeuten, also z.B. (jemandem etwas) bieten, schenken, schreiben. Wenn man etwa von dem Satz "Martha schenkt mir ein Buch" ein Passiv bilden will, gibt es zwei Möglichkeiten:
1. Ich mache das Akkusativ-Objekt zum Subjekt, also: "Mir wird von Martha ein Buch geschenkt", oder
2. Ich möchte lieber den personalen Dativ zum Subjekt machen. Dann geht das nur so: "Ich bekomme (erhalte / kriege [ugs.]) von Martha ein Buch geschenkt". Der Duden nennt das "Adressatenpassiv". "Wir haben gesagt bekommen" = "Uns ist gesagt worden" folgt dem gleichen Muster, klingt aber irgendwie plump, wenn auch für mein Gefühl korrekt. Heikler wird es wohl, wenn kein Akkusativ-Objekt da ist, sondern nur ein Dativ: "Martha schreibt mir" → ? "Ich bekomme von Martha geschrieben". Noch schlimmer klingt die Umwandlung, wenn das Verb keines des "Zuwendens" mehr ist (wo "bekommen" semantisch besonders verträglich ist):
? "Ich bekomme gedroht."
? "Ich bekomme nachgestellt."
? "Der Gott bekam gehuldigt."
? "Ich bekomme gekündigt."
? "Ich bekomme geglaubt."
Letzteres geht auch mit Akkusativ-Objekt nicht: ? "Er bekam die Geschichte geglaubt."
Endgültig skurril wird's dann bei ? "Er bekam 100 Euro gestohlen."
Und zuviel Zuwendung ist auch nicht gut: Bei "geben" wird es pleonastisch (? "Ich bekomme ein Buch gegeben").

Am wenigsten verdächtig klingen offenbar all diejenigen Wendungen, bei denen zu "bekommen" auch ein stammgleiches Substantiv gestellt werden könnte: "Ich bekomme geschenkt" - "Ich bekomme ein Geschenk", "Ich bekomme bescheinigt" - "Ich bekomme eine Bescheinigung" usw.

Ach ja, und was ist mit "gestärkt bekommen"? Mit dem Akkusativ "den Rücken" klingt das mindestens nicht ganz schlimm: "Ich bekomme von Martha den Rücken gestärkt". Elegant ist trotzdem was anderes, klar.

Aber genug! Sonst bekommt mein Schicksal von mir nicht entgangen und ich bekomme von den gestrengen Forums-Zensoren noch zu schreiben verboten!

Wortbert

Danke für die ausführliche Antwort! Den Adressatenpassiv kannte ich begrifflich noch nicht. Die Verwendung empfand ich auch als plump bzw. ugs., daher korrigierte ich es immer in (wissenschaftlichen) Texten. Aber möglicherweise gibt es Ausnahmen, die den Adressatenpassiv auch in Texten mit gehobenem Niveau zulassen. Ich muss wohl mehr auf den Einzelfall achten.

Das "gestärkt bekommen" war eher als Scherz gedacht. Mit dem Rücken geht es wohl, bei den Verben wird es schwierig. :-) Auf letztere spielte ich an.

Passivdenker

Das passt zwar nur indirekt in diesen Faden, aber mir begang heute im Museum ein handgeschriebener Vertrag aus dem 17. (wenn ich mich recht erinnere) Jahrhundert, dessen Text mit "Wir werden berichtet, dass..." begann, in der offensichtlichen Bedeutung von "Und wird berichtet, dass...".
Eigentlich erscheint mir diese Verwendung auch logisch, denn derjenige, der an uns die Worte richtet, wenn er uns berichtet, berichtet uns ebenso wie uns derjenige beschießt, der auf uns die Pfeile richtet, wenn er uns beschießt. Und im letzten Fall sagen wir ja auch "wir werden beschossen", und nicht "uns wird beschossen".
Der Form "wir bekommen berichtet" kann natürlich auch die Form "wir bekommen beschossen" an die Seite gestollen werden.

Kilian

Zum Adressaten- bzw. Rezipientenpassiv hatten wir auch hier schon mal einen Diskuss: Gleiche Chancen für Dativ-Objekte!

VerbOrg

Zitat von: Homer in 2010-08-09, 20:18:36
Endgültig skurril wird's dann bei ? "Er bekam 100 Euro gestohlen."
Tja, was der Diebstahls-Lehrling schon alles kann.
Die Profis bekommen sogar ganze Banken ausgeraubt.