Memento mori

Begonnen von MrMagoo, 2005-09-03, 00:47:17

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Bertl

Zitat von: amarillo in 2005-11-03, 16:33:13
edles Bertl
Lieber amarillo!
Noch etwas zu Umgangssprache, Dialekt und zum sächlichen Bertl. Ich hab schon gelesen - und mich damals drüber geworndten, es gibt DAS Göttinger Gänseliesl. Offenbar ganz normal gemienen. DAS! - Wirklich erstaunlich!
- Im Wiener Raum hieße es jedoch weder DAS Bertl (Ferdl, Seppl...) noch DAS Li(e)s(e)l (Gretl...). Das wäre zumindest sehr ungewöhnlich. Steckt immer DER oder DIE dahinter. (Nebenher: Ein Satz wie "Karl geht essen", statt "Der Karl geht essen", käme mir hierorts in einem Gespräch schon etwas fremd und abgehoben vor.)
Verstiffest Du Dich auf ein, je nachdem, kosendes, ironisches, väterliches, leicht verächtliches oder wie immer gemienenes DAS (hinter dem Bertl), dann wäre Berterl oder gar (wohl als Art Vokativ) Berterle nötig, auf daß es für das hiesige Empfinden halbwegs richtig "rüberkäme".  

amarillo

Somit, edler Bertl, bitte ich abermals um Verzieh.
In Nordgermanien(vornehmlich im Rheinland) ist es durchaus üblich (allerdings hier besonders für Mädchen und jüngere bis ältere Damen) "das" als gängigen Artikel zu verwenden. Immer bedeutet dies aber eine besondere Wertschätzung und verbale Liebkosung.

"Das Marianne sieht heute mal wieder ganz entzückend aus."

Ich glaube diese Artikelvertusch kommt von einem gedachten "chen" im Anhang an den Namen, ganz sicgher bin ich mir in diesem Punkt aber nicht. Laß uns den Administrator fragen, der müßte es als Düsseldorfer kennen.
Das Leben strebt mit Urgewalt nach Entstehung und Musik.

Günter Gans

@ Bertln & amarillen:

So sehet, o Freunde, wie schnell ein Missverstah entstünde, beflissäge man sich der Mehrdut im Hingetoppenen – bald nähm' wohl einer was krumm, was doch in Wurlk gerade gemienen war. Deshalb gehört alles gans genau präzisoren, quod erat usw.
Gehen Sie immer in den Wald zur Paarung? (Loriot)

Kilian

So lasst uns denn eine Sprache entwickeln, die bar jeder Zweidaut und Ambiguitas ist, die sagenhafte Allsprache, die Interlingua. Steht gleich nach dem Stein der Weisen auf der Projektliste. ;D

"Dat Ilse" usw. - ja, kenn ich aus Düsseldorf gut. Das mit dem gedachten -chen klingt auch überzeugend.

Bertl

Lieber amarillo! Lieber Kilian!
Das Deutsche (Hochdeutsche) hat, im Vergleich zu vielen anderen Sprachen (z.B. Italienisch(!), Griechisch, Tschechisch... ...), überhaupt nur wenige Koseendungen (-chen, -lein) und, außer vielleicht in Fremdwörtern oder denen nachgebolden (z.B. Poetaster, Schmutzianer), schon gar keine solchen Partikelchen - wie sie das Italienische zu Hauf besitzt - die uns von einem Substantiv andere Gefühlseindrücke geben (groß und grob, klein und böse...).
Über ein eng verwandtes Thema - nämlich, warum es mir notwendig erscheint, Moost(h)ierchen, statt bloß Moostier zu sagen - habe ich einmal einen kleinen Aufsatz verfassen, den ich dem Kilian ettetschen werde. Für dieses Essaydscherl habe ich auch ein paar Endungen aus einer italienischen (z.T. auch aus einer [neu]griechischen) Grammatik abgeschrieben.
Ich halte es für möglich, daß bei den vielen Namensanhängseln im Wiener Raum (z.B. eben Berti, Bertl, Berterl, Berterle, Ber'l, Bertsch, im NW-Waldviertel dann auch Bertei...) z.T. auch das Tschechische eingewurken hat. So irgendwie von der Atmosphäre her halt; bei "Bertsch" vielleicht sogar tatsächlich. "Bertiko" nennt mich bisweilen die Jana im "Café Hummel".
Mag ferner sein, daß das postdentale -l von Bertl, Ferdl oder das postpalatale oder postgutturale -l von Michl oder Muckl hierorts deswegen nicht sonderlich als kosend (oder versächlichend) empfunden werden, weil sie halt eher schiache, von Fremden ("Zuagraasdn") übrigens nicht leicht nachzuahmende l-Allophone sind: z.B. Dswiangnaüla(d)l (=Zwirn-, Garnknäuelchen) oder auch nur Dsiagl (=Ziegel). Das Wort "Geflügel", von einem Wiener Wirten "vom Grund" vermeintlich "nach der Schrift" ausgesprochen (nach dem f kommt da noch so ein seltsam dickes l dazu, bei dem sich die Zunge womöglich asymmetrisch - unilateral - einrollt), erscheint mir ein besonders häßliches Wort zu sein - das mich eher zum Fischessen veranlaßt. Denn am Fisch - oder "Fiisch" - kann man zumindest sprachlich wenig verhauen.  

amarillo

#65
So ist das wohl, wäre vielleicht ein interessantes Forschungsgebiet, warum das Hochdeutsche nicht auch solch schöne Suffixe hervorgebracht hat.

Ein Phänomen, das mir beiläufig auffiel, ist die Anhung von -oid(e) an Lehnwörter zur Kennzinch einer nicht wirklichen Kongruenz. Mein Hausarzt (Allgemeinmediziner) nennt alle Vertreter anderer medizinischer Fachrichtungen "Kollegoiden".
Bei rein deutschen Wortstämmen ginge das nur vermittels einer Brechstange "Bäckeroide" etc. klingt einfach nicht (meine ich).

Von so fein differenzierenden Suffixen wie die romanischen Sprachen sie haben, sind wir leider weit entfornen; es sei denn, die GSV nähme sich dieses Themas an und öre Vergleichbares produz...

Wie wäre es, liebe Kollegen?
Das Leben strebt mit Urgewalt nach Entstehung und Musik.

Kilian

Was war noch mal ein Polaroid? So ein Landstrich knapp außerhalb des Polarkreises, oder? ;D

Was mir fürs Deutsche einfiele, wäre ein eingeschobenes -s-. Das ist zwar an sich recht fantasielos, bringt aber ganz lustige Wörter hervor: Bäckser, Tulpse, Regenwettser.

caru

Zitat von: Kilian in 2005-11-07, 16:25:12
Was war noch mal ein Polaroid? So ein Landstrich knapp außerhalb des Polarkreises, oder? ;D
vielleicht auch eine gegend, wo es so kalt ist wie am pol, obwohl er weit weg ist. *schudder*

(\___/)
(>´x´<)
('.')__('.')

Nijntje - de echte nederlandse konijn

VerbOrg

So was wie die polaroiden Hochgebirgsgipfel?

caru

oder wien letzten februar.
(\___/)
(>´x´<)
('.')__('.')

Nijntje - de echte nederlandse konijn

versucher

Diminutive, ein schönes Thema. Ist euch aufgefallen, dass wir es geschaffen haben, unverkleinerbare deustche Wörter zu minimieren, ohne dass sie grausam klingen? Früher ging es partout nicht, von einem Erklärungchen zu sprechen, aber ein Erklürchen (von Erklur!) ist doch süß! Usw.!

Bertl

Zitat von: versucher in 2005-11-08, 20:20:04
Diminutive, ein schönes Thema. Ist euch aufgefallen, dass wir es geschaffen haben, unverkleinerbare deustche Wörter zu minimieren, ohne dass sie grausam klingen? Früher ging es partout nicht, von einem Erklärungchen zu sprechen, aber ein Erklürchen (von Erklur!) ist doch süß! Usw.!
Stimmt ja auch wirklich, o carissime temptator. Das ginge jetzt eleganter.
Etwas aber muß auch einmal kurz angedooten werden. Endungen wie -igkeit, -lichkeit, -heit, -schaft (Sogar gegen die geht's!), -barkeit, -ung, -igung mögen umständlich sein und etwas maschinell angewandt werden; klingen tun sie aber recht markant und nicht übel (besser noch als Elektr-izität oder Infall-ibilität), sie haben z.T. ziemlich volle Vokale. Indem solche Endungen besietigen werden, folgt man, glaube ich, ein wenig einer Tendenz, die bei den angelsächsischen Wörtern des Englischen viel konsequenter betrieben ward. Nämlich einer Reduktion von Wörtern von hinten weg. Weg mit den volleren vokalischen Endungen des Althochdeutschen (statt dessen e / (e) / [{e}]...), weg mit den plumpen Endsilben. Sparsamer - schneller. Ziel: Der Einsilbler ("Stark" statt "Stärkung" und so halt.) - Wörter wie "langsam" sind nicht häufig. Doch was wäre der Frühling ohne -ling? "It's such a beautiful word", sug mir einmal ein kanadischer Professor auf einer Busfahrt von Iraklion nach Festos.
- Vorne, in der Nähe der Betonung, da ist man gleich etwas heikler. Ich erarnn mich noch, daß da jemand einmal eines meiner Gedichte "ohne Begirst" las. -erung: ohne nachzudenken weg! Aber bei "be-" - das ja nur ein lausiges e hat - da hätten wir sofort über bedeutungsstiftend und so zu diskutieren begonnen!
Ich glaube, daß das Deutsche (und stärker noch das - angelsächsische - Englische) auch deswegen wenig Diminutivformen hat, weil es wegen der Anfangsbetonung immer den Drang gibt, Endungen "vokalisch zu entlasten" oder überhaupt einzusparen. Romanische Sprachen, deren Betonungen (grob gesprochen) stärker aufs Wortende (die zweidrei letzten Silben) geruchten sind, haben auch mehr modifizierende Endungen. Die Diminutivendungen des (z.B.) Italienischen sind noch dazu betont - was -chen, -lein, -(d)l(e), -ei, -i im Deutschen und seinen Dialekten nicht sind.
Ein nicht so häufig genannter Vorteil von Fremdwörtern erscheint mir auch darin zu liegen, daß die Betonungen oft auf andere Stellen fallen als in deutschen Wörtern, somit die rhythmische Mannigfalt erhohen wird - abgesehen von phonetischen und "buchstäbischen" (x, y) Erweiterungen (Nein, ich schreibe jetzt nicht Erwiert(t)en!)
 

amarillo

Du hast wohl recht, edler Bertl, klangvoller werden unsere Schöpfungen nicht, aber andererseits behält unsere Sprache so doch ihren germanischen Charakter. Um das Klangbild entscheidend zu bereichern müßte man Anleihe in anderen Sprachfamilien betreiben - ich denke an die Romania, weil uns diese kulturell und geographisch noch am nächsten liegt.

Dennoch halte ich diesen Versuch für zum Scheitern verurteilt, da das gegenseitige Befruchten dieser Familien eher einer Geschlechtsumwandlung gleichkäme denn einem sanften Schminken, wie wir es hier bislang betrieben.

Ich sehe das ganz fatalistisch: wenn es denn schon so ist, wie Du sagst, daß unsere Sprache einem starken Trend zu (anglo-amerikanisch inspirorener) Einsilbigkeit unterliegt - soll sie doch in Gottes Namen. Diese Entwicklungsrichtung scheint mir so elementar, daß ich ihr die Stirn zu bieten dieselbe nicht haben werde.

Ich wiederhole mich allerdings gerne: Schönklang geht anders, edlerissimo Bertl (Bartolo)!
Das Leben strebt mit Urgewalt nach Entstehung und Musik.

Kilian

Zitat von: Bertl in 2005-11-07, 11:19:11Über ein eng verwandtes Thema - nämlich, warum es mir notwendig erscheint, Moost(h)ierchen, statt bloß Moostier zu sagen - habe ich einmal einen kleinen Aufsatz verfassen, den ich dem Kilian ettetschen werde. Für dieses Essaydscherl habe ich auch ein paar Endungen aus einer italienischen (z.T. auch aus einer [neu]griechischen) Grammatik abgeschrieben.

Ich somm, ich somm! Aber man hat ja viel zu tun. Bertl, du hast doch nichts dagegen, wenn ich den Palmkater zur gefälligen Lektüre auch anderer online stelle? :)

Bertl

Dann lass es halt stehen, lieber Kilian! Thank you! Die liebe Frau Doktor, an die's damals als privater Brief ging, ist ja namentlich nicht genannt. Zumal war's die schwächere Meinung, die sich damals eben NICHT durchsotz (der Katalog heißt, knallhart, "MOOSTIERE" [/...]); und die unterlegene Meinung wird unsereins doch wohl vertreten dürfen - noch dazu wohlbegriunden und vielleicht nicht ganz ohne Scharm.
N.B.: Stärker oder schwächer, offiziell heißen die Tierchen immer noch Moostierchen. Bummfest.
Klammer auf
Eine Begründung für die "Moostiere" war übrigens, daß diese, [z.B.] tausendfach wiederhulen, Platz zu sparen hülfen [nach der Formel: Seitenzahl minus -chen x 1000 plus -e x 1000]. - Was, sogar deutlicher, auch für unseren "Stark", statt der "Stärkung", gölte.
Klammer zu