Terzinen - nebst einem Invektivlein wider das Haiku

Begonnen von Berthold, 2011-09-26, 18:12:57

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Berthold

Da habe ich mir einmal, mit viel Mühe, Terzinen erarbeitet. Die haben zwar nix Starquerbiges, ich möchte sie aber doch wieder einmal niederschreiben, statt immer nur das eine, korrekturlackbestrichene Blatt Naturpapiers zu haben.

Viel leichter hätte ich es ja mit einem Haiku gehabt, und ich verstehe nicht, warum die Japaner damit gar so angeben. Eines jener großen Werke, von Issa (der mir ebenso verzeihen möge, wie der Basho mit dem langen und der Buson mit dem kurzen o), liest sich, ohne Diakritika, im Japanischen so:
Tsuki mireba
namida ni kudaku
chichi no tama

(Das waren acht Wörter. Wahrhaft großurgt verknampp, oder?)
So ähnlich sind alle Haikus. Werden auch noch in jenem Gekrakel, das die Japaner mit chinesischer Kalligraphie verwechseln, hinguschrimp, meist mit abendländischer(!) Pinselhaltung.
Ich schriebe da:
zähl fünf sieben fünf
plag dich nicht mit terzinen
bastle ein haiku

(Das waren zwölf Wörter. Und denkt ja nicht: 'Auf das kommt's doch gar nicht an.')

Nebenbemark (aus einer eMail):
Versteht mich, bitte, nicht falsch! Die chinesische Lyrik - etwa der Tangzeit - schätze ich weit, weit höher ein. Li Bais 'Jing4 ye4 si1' ('Gedanken in ruhiger Nacht') gehört für mich zu den größten Gedichten überhaupt, bis hin zum unglaublichen, siebenfachen(!!) Bild des Mondes und zum sechsfachen Gleichklang der Endsilbe '-ang' bei nur (mit dem Titel) 23, recht gewöhnlichen, Schriftzeichen. Das hat echt etwas von einer Beschwörung. Allein dieses Gedichtes wegen sollte man sich schon aufs Chinesische einlassen! Ein bisserl wenigstens. - Ich tu's. Gestern hat mir die Frau Lin Yuan-Yang ('Mandarinente Hain', im China-Beisel) das Gedicht vorgelesen, mit dem Hinweis, daß es in China jedes Schulkind lernt.
In einem sehr schönen Büch'l über Li-Bai- und Du-Fu-Gedichte (Herausgeber: Arthur Cooper, Penguin Classics, 1973) steht über den ersteren. "..., so that he hardly seemed of earthly origin at all; his verses seemed to originate in something other than human consciousness, yet speak directly and simply to the human mind."
Das unterschreibe ich - in aller Bescheidenheit.


Doch nun endlich zu den

BREITENFURTER TERZINEN (B. J., Februar / März 1988)
(Der Ulrike H. nachgewomden; gewomden auch der Emsi W., die ich gegenwargt sowieso fast überall dazuschreibe und dem Karsten Fleischer, weil der solche Zustände kennt)

Die Jämberey beginne:

"Ein Tee natur, der Herr!" - Ich war erst neulich
in Breitenfurt, im Gasthaus "Grüner Baum".
In Liesing leben? Mir wär's unerfreulich;

doch sich in jenen Vorort fügen? Kaum!
Wo gibt es Ragwurzwiesen, Riemenzungen?
Der Siedlersinn gibt Wildwuchs keinen Raum.

Nichts Neues? Jeder Vers zerdacht, zersungen?
Da hilft kein Stelzen im Terzinenschritt,
denn Ungeformtes ist emporgedrungen.

An den Zivildienst denk ich vorerst. Tritt
dem Tod entgegen, Siechenpfleger - stießen
sie mich in aussichtslosen Kampf! Es schnitt

die Schere, als wir müd' den Saal verließen
und Windeln und Verband gewechselt waren.
Ein frommer Wunsch: Die Gnade zu genießen,

Freund Heins Gefiedel folgend, sanft zu fahren.
Nichts Sanftes schwang in ihren Atemzügen.
Voll Scheu berührte sie an Silberhaaren

der Pfleger - Freund. Der haßt nun solche Lügen:
Berechnung treibe zum Zivildienst an,
beherzt sei der Soldat. Ach, euch betrügen

die Offiziere. Scheiß der Kormoran
den Stichlern in die Augen! - Hurtig weiter
in meiner Rückschau: Ich verließ die Bahn

des glatten Daseins. Sollte man nicht heiter
die Rolle nehmen aus des Rektors Hand?
Da fehlten Sprossen auf der Lebensleiter ...

Ich fiel. In Todesängsten starrend, fand
ich mich im Stahlbett. Die Provinzklapsmühle
ist zwar bestückt mit Zauberflaschen, Brand

der Seele, dich zu löschen. Aber Kühle
kehrte erst ein, als ich mich - knapp - empfahl:
Adieu, du Mutterstadt, Neurosenschwüle!

Nun lockt das Wunschbild: Farbenfroh, statt fahl!
Ich darf auf manchen Liederabend hoffen,
auf Schriften, nicht nur für ein Fachjournal.

Zuckmückenforscher bin ich, an den schroffen
Kontrast zu meinen Künsten hab' ich mich
noch nicht gewöhnt, doch bleibt mein Leben offen.

Erst Larmoyanz, dann Dünkel? Fragst du dich,
was dies Gedicht bezweckt? Ich sprach von Zwängen,
von Depression, vom Tode - einen Strich

macht Sophokles mir durch die Verse; mich bedrängen
die Worte: "Nichts ist ungeheurer als
der Mensch." Die Hoffnung bleibt mir, dich beengen

nicht Brauch und Richtschnur, Fülle schwände, falls
die frühe Leidenschaft, vielleicht das Langen
nach Halt, dich täuschten. Trotz des Klagenschwalls,

trotz fremder Pfeiflein, Göpelwerken, - schwangen
sich Wünsche nicht empor, für die der Mond
im Wassermann, der Lerchenflug, dein Prangen

im Sportlerstolz, dem Fechtkunst innewohnt,
Symbole sind? Ich kann wohl nie erfragen,
was mich, uneingestanden - unbelohnt -

bei jenem Gschnas zu dir zog. Warum plagen
mich derlei Projektionen? Wie verrückt,
"Entflieh' mit mir, und sei mein Weib*" zu sagen!

Terzinen, wären sie auch wohlgeglückt,
verscheucht ein Fingerschnips wie Sperlingsscharen.
- Der Beutel herben Tees war ausgedrückt,

- und ohne Gleichmut bin ich weggefahren.


*Zitat: "Tragödie": Heinrich Heine / Robert Schumann Op. 64. Nr.o 3

   

Kilian


Berthold

Danke, danke, lieber Kilian! Mit knapp 32 Jahren - da war's ja fast noch ein Jugendwerk.