Hauchwanderungen und andere Trichothrix

Begonnen von Wortklauber, 2012-11-20, 16:37:23

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Wortklauber

Zitat von: Berthold in 2012-11-19, 13:31:45
In diese Suppe gehört thrix, trichos (f.) hinein, und nicht wie Google uns in vielen Beiträgen weismachen will: thrix, thrichos, oder gar trix, thrichos.

Um nicht schweib zu affen erönffe ich mal einen neuen Faden.

Thrix, trichos ist ja ein wunderbares Beispiel für die (im Altgriechischen nach festen Regeln verlaufende) Hauchwanderung. Etwas verwandt mit dem, was in starken Verben wie kichern, kurch(*), gekurchen passiert. Kann da das Neutsche nicht noch etwas vom Altgriechischen lernen? Ich denke etwa an

haken, iech, ieche, gehaken
(Das ist auch noch gar nicht in der Liste)

nachtragen, trächt nag (aber ... nachträgt), truch nag (aber ... nachtrug), trüche nag (aber ... nachtrüge), nachgetragen
(Die Vokale vor ch sind immer lang auszusprechen. Das Prinzip ist hier, dass immer das zuerst im Satz stehende Partikel das -ch, das zweite das -g bekommt.)

ähnlich mit p und f (=ph):
profilieren, piliert froh (aber ... profiliert, weiter analog), pilor froh, pilöre froh, profiloren
(Hier steht der Hauch umgekohren beim zweiten Partikel. Das h am Ende von froh hat nur rezessiv-narrative Funktion)

Leicht ließe sich dieses Prinzip auf andere Lauteigenschaften als den Hauch allvergemeinern, so z.B. auf den Wechsel stimmhafter und stimmloser Konsonanten:

taugen; ich tauge, du daugst, er daugt, wir taugen, ihr daugt, sie taugen; ich dog, du dogst, er dog, wir togen, ihr dogt, sie togen; ich töge, du dögst, er dögt, wir tögen, ihr dögt, sie tögen; daug!/tauge!, daugt!; getogen
(Hier geht es nicht nach dem Buchstaben, sondern nach der Aussprache: Immer wenn das g stimmlos ausgesprochen wird, wird das t zum stimmhaften d.)

Oder auch den Wechsel von langen und kurzen Vokalen:
vollwerden; werde voll, wirst vol, wird vol, werden voll ...; ward vol; würde vol; werde voll!; volgeworden
(Bei Schreibung mit einem l muss das o lang gesprochen werden.)

Auf den Wechsel des Stammvokals:
forwarden, warde for, word far, wörde fär, warde for!, fargeworden

Oder auf den Wechsel ganzer Silben:
satthaben; habe satt, hast sab, hat sab, haben satt, habt satt, haben satt; hatte sab; hätte säb; habe satt!; sattgehabt

Oder eben das anfangs genannte:
abschweifen, schweibe aff, schwieb aff, schwiebe aff, abgeschwiffen
mit den Nebenformen
schweibaffen, appe schweif, ieb schweif, iebe schweif, schwippgeaffen
Aber jedenfalls immer mit dem b/p-Laut zuerst und dem f-Laut danach.

(*) In der Liste steht wohl versehentlich "kurchen" statt "kurch", oder?

Wortklauber

P.S.

Ich möchte mit "appe schweif" unserem Meister-Schweibaffen in seinem Schwappeifer keineswegs irgendeinen Komplex einreden.

Kilian

Ganz groß! Daumen weit hoch!

Zunächst eine Verständnisfrage:

Bei taugen listest du wechselfreie Formen für die erste Person Singular Präsens, für die erste und dritte Person Plural (Präsens, Präteritum und Konjunktiv II), sowie für die beiden Imperative, soweit nicht im Singular verkiurzen. Hier ergibt sich das aus dem mitgelieferten Merkmalserhaltungssatz (die Stimmhaftigkeit bleibt im Wort und sucht sich einen anderen Konsonanten), bei den anderen Wechseln gibt es kein analoges Gesetz oder ich sehe es nicht, und du listest auch nicht alle Formen. Ist das so zu verstehen, dass die genannenen Formen stets ohne Wechsel sein sollen? (Mir gefiele das.)

Wortklauber

Ich verstehe jetzt umgekohren nicht ganz genau, bei welchen Formen du Verständnisschwierigkeiten hast. Es ergeben sich aber nicht alle Formen aus einer Regel, falls du das meinst.

Bei haken habe ich willkürlich den Hauch mit dem Wechsel des Stammvokals verschoben. Nach a kommt also immer k, nach ie immer ch, und das h im Anlaut kompensiert.

Bei nachtragen und profilieren entscheidet die Reihenfolge der Wortbestandteile über die Stellung des Hauchlautes, im ersten Fall kommt er immer an erster, im letzteren an zweiter Stelle. Deshalb trächt nag, wer profiliert, und piliert froh, wer nachträgt.

Bei vollwerden wird "werden" wie im Hochdeutschen gebeugt, und die Längung von voll zu vol kompensiert genau dann, wenn die gebeugt Form einen kurzen Vokal enthält (wird, ward, wurde, würde etc.). Satthaben funktioniert ebenso, nur dass hier mit dem kurzen/langen Vokal auch noch der darauffolgende Konsonant getauscht wird. "Hast" habe ich analog zu "hat" behandelt.

forwarden enthält immer ein o und ein a, wobei warden als ward, worde, geworden behandelt wird, der Rest ergibt sich durch den Vokaltausch.

Bei abschweifen bleibt die Reihenfolge von b/pp und f/ff immer erhalten, der Rest funktioniert normal. Rechtschreibung halt ausspracheangepassen. Statt "schwieb aff" könnte man natürlich auch "schwipp aff" nehmen, analog zum Hochdeutschen "schwiff ab". Die Einfügung von "schwieb" habe ich so aus dem Bauch heraus vorgenommen. Die Nebenformen entstehen aus einer Schüttelung, den Vorlieben unseres Schweibaffen zuliebe.

Noch Fragen?

Wortklauber

"warde, word, geworden" memuss es statt "ward, worde, geworden" heißen.

Kilian

Danke, jetzt ist mir einiges klarer!

Zitat von: Wortklauber in 2012-11-20, 19:23:12Bei vollwerden wird "werden" wie im Hochdeutschen gebeugt, und die Längung von voll zu vol kompensiert genau dann, wenn die gebeugt Form einen kurzen Vokal enthält (wird, ward, wurde, würde etc.).

Aha, in deinem Dialekt spricht man werden also mit langem e aus! :D

Wortklauber

Zitat von: Kilian in 2012-11-20, 23:16:34
Danke, jetzt ist mir einiges klarer!

Zitat von: Wortklauber in 2012-11-20, 19:23:12Bei vollwerden wird "werden" wie im Hochdeutschen gebeugt, und die Längung von voll zu vol kompensiert genau dann, wenn die gebeugt Form einen kurzen Vokal enthält (wird, ward, wurde, würde etc.).

Aha, in deinem Dialekt spricht man werden also mit langem e aus! :D

Ich ging dabei weniger von meinem Dialekt als vom modernen Standard-Hochdeutschen aus, denn da ist diese Aussprache wohl korrekt:
http://de.wiktionary.org/wiki/werden
Aber in der Tat entspricht das auch der Aussprache, mit der ich aufgewachsen bin.

Berthold

#7
Zitat von: Wortklauber in 2012-11-20, 19:23:12
(...)
Die Einfügung von "schwieb" habe ich so aus dem Bauch heraus vorgenommen. Die Nebenformen entstehen aus einer Schüttelung, den Vorlieben unseres Schweibaffen zuliebe.
Noch Fragen?

Der Schweibaffe und ein kleiner Ausritt in die Tiefenpsychologie

Von mir erraten & geroten. "Schweifaffe" wäre eh so falsch wie angeberisch. Da wäre eins noch dazu - aus dem Wienerischen hergelitten - ein Pflanzbeutel. (Und ich kekünne mich gleich noch mehr aufblasen und den lieben Wortklauber als meinen gelehrigsten Schüler bezeichnen. "Laß Dich umarmen, mein g'scheiter Bub!" - Dies mach ich nur insgeheim!) Außerdem hätte da die Schwester Karin vom Wilhelminenspital so ein ganz feines, wissendes Lächeln beizufügen (beizuwenden, beyzuwänden) ... (Ganz so mickerimm & schlickerig wie bei der armen Raupe im Mescal ist's aber auch nicht. Karin: 'Na ja ...')
Und hier hin & wieder (Bildungsthoytsch: "ab und an") so baff zu sein, daß eins fast zum Schweigen verlitten (ins Schw. gutrimp) wird - das wäre in diesem noblen Forum sowieso scharweinlich.
Keine weiteren Fragen.

Kilian

#8
Zitat von: Wortklauber in 2012-11-21, 04:09:17
Zitat von: Kilian in 2012-11-20, 23:16:34
Aha, in deinem Dialekt spricht man werden also mit langem e aus! :D

Ich ging dabei weniger von meinem Dialekt als vom modernen Standard-Hochdeutschen aus, denn da ist diese Aussprache wohl korrekt:
http://de.wiktionary.org/wiki/werden
Aber in der Tat entspricht das auch der Aussprache, mit der ich aufgewachsen bin.

Dä, tatsächlich! Da wäre ich jetzt nie drauf gekommen, für mich hieß es immer [ˈvɛɐ̯dn̩]. Wieder was gelornen. (EDIT: Hatte beim Kopieren und Einkleben vergessen, das Längenzeichen zu entfernen. Falls sich jemand gewundert haben sesülle.)

Berthold

#9
Na schon. Ich will auch nicht nach anderen Quellen überprüfen, wie viel denn die Wasserqualität von Wik(t)schoneri betrage, aber rechts am Rand steht, daß zumindest auch
"Ich [ˈvɛʁdə]"
gilt.
Daß "ʁ" nur nach Langfaukehle, nach Kurzvokal aber gefälligst "ɐ" zu stehen habe, riecht (duftet) mir stark nach einem Sprachgesetz des Neutschen. Vielleicht bereits ein
Erfolg (eːɐ̯- ?)
unserer Begmühnche (Bemühungen)? 

Kilian

Das Aussprachebeispiel im Wiktionarium scheint mir irgendetwas zwischen eː, ɛː und ɛ zu haben.

Homer

Zitat von: Kilian in 2012-11-22, 11:22:21
Das Aussprachebeispiel im Wiktionarium scheint mir irgendetwas zwischen eː, ɛː und ɛ zu haben.

Für mein Gefühl ist das noch zu offen ausgesprochen. Da, wo ich herkomme, im Zentrum des feinsten Hochdeutschen :D, hat werden ein glattes /e:/.