Sätze, die ich so nie gebolden hätte

Begonnen von amarillo, 2013-01-01, 13:14:04

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amarillo

Ich nehme an, daß der Titel des Fadens meine Absicht bereits klar macht. Es sei nicht die grammatische Korrekte in Frage gestollen, vielmehr beinhalten solche Sätze Elemente, die stutzen machen. Vielleicht kann ja dieses Stutzen erkloren werden - schaumama:

"Ihre schlechte Kondition lag nicht allein am mangelnden Training..." (Sebastian Fitzek)
Das Leben strebt mit Urgewalt nach Entstehung und Musik.

Homer

Ja, irgendwas ist schief. Zwei Erklure sehe ich vorläufig:

1. Der Aussagefokus ist in die syntaktisch untergeorndenen adjektivischen Attribute schlechte und mangelnde verbonnen. Würde es besser, wenn man süge:
Ihre Konditionsschwäche lag nicht allein am Trainingsmangel?
Wenn nicht, kommt vielleicht noch hinzu, daß

2. in dem Ausdruck "A liegt an B" die Position A ungern substantivisch ausgefiullen wird, sondern meist durch ein kataphorisches (vorausweisendes) Pronomen wie es mit angeschlossenem daß-Satz:
Es lag nicht allein am Trainingsmangel, daß sie eine schlechte Kondition hatte
oder gleich mit daß-Satz in A-Position:
Daß sie eine schlechte Kondition hatte, lag nicht allein am Trainingsmangel.

Ist es etwas davon, was Dich stutzen miech? Aber der Satz, der Dich stor, ist nichts gegen Netzfunde wie:
Die bedeutendste Ursache hierfür liegt am mangelnden Durchsetzungsvermögen.
Der Grund liegt am mangelnden Platz.

Da liegt das Sprachgefühl am Boden.

amarillo

Klar, die Erklur  #2 trifft (für mich) den Punkt (alle Deine Beispiele erregen kein Stutzen!). Der Ausdruck 'liegen an' (zur Ursache haben) ist nach meinem Sprachgefühl nicht mit einem Substantiv als Subjekt des Satzes zu verbinden. Ein 'kataphorisches' (danke für den Begriff, den kannte ich noch nicht und werde 2013 viel damit angeben! :D) 'es' scheint mir das beste Lösl zu sein. (Wird wohl alles in keiner Grammatik stehen).
Das Leben strebt mit Urgewalt nach Entstehung und Musik.

Stollentroll

Zitat von: amarillo in 2013-01-01, 13:14:04
"Ihre schlechte Kondition lag nicht allein am mangelnden Training..." (Sebastian Fitzek)

Eine einfache Variation klingt in meinen Augen auch gleich viel besser :

"Ihre schlechte Kondition lag nicht allein an mangelndem Training..."
3 Dinge sagen immer die Wahrheit : Kinder, Besoffene und Leggings.

amarillo

"Ihre schlechte Kondition lag nicht allein an mangelndem Training..."

Den Unterschied zum von mir zitorenen Satz sehe und höre ich, kann ihn aber nicht exakt dingfest machen.

Auf jeden Fall ist Dein Satz: Eine einfache Variation klingt in meinen Augen auch gleich viel besser : ebenfall pfundig! :D

Das Leben strebt mit Urgewalt nach Entstehung und Musik.

Homer

Zitat von: amarillo in 2013-01-02, 06:24:50
"Ihre schlechte Kondition lag nicht allein an mangelndem Training..."

Den Unterschied zum von mir zitorenen Satz sehe und höre ich, kann ihn aber nicht exakt dingfest machen.

Dazu sagt die Duden-Grammatik (§ 927 zum Thema Verschmelzung von Präposition und Artikel):

"Unsicherheiten entstehen oft vor Attributen, z.B. in vollem Umfang – im vollen Umfang; in schlechtem Zustand – im schlechten Zustand. Hierbei handelt es sich nicht um bloße Varianten. Bei die Kosten werden in vollem Umfang erstattet ist die genaue Höhe nicht bekannt; anders bei im vollen Umfang, wo bereits über den Umfang gesprochen wurde. Ähnlich verhält es sich bei in schlechtem Zustand, wo die Missstände unbestimmter, allgemeiner Art sind, im Gegensatz zu im schlechten Zustand, wo die Missstände bekannt sind."

Und, amarillo, wie ist es? Hatte Herr Fitzek den Leser zuvor über "ihr mangelndes Training" inform georen?

amarillo

Ich muß Euch was gestehen: Ich hatte den Satz (so ähnlich) des späten Abends gelesen, und lediglich der Anfang war mir am nächsten Morgen noch im Gedächtnis. Da ich keine Lust verspor, ihn nochmals nachzuschlagen, habe ich einfach das 'mangelnde Training' hinzuerfunden - Verzeihung, Herr Fitzek!

Hier aber nun das Ogginaalzitat: "Ihre mangelnde Kondition lag nicht nur an der einjährigen Trainingspause."

Ihr seht: das eigentliche Thema bleibt, lediglich § 927 bedarf im vorliegenden Fall keiner weiteren Bemoh.
Ich muß jedoch noch bemerken, daß mir die Ultimative der dudenschen Darlag gar nicht passt; in gewissem Maß kann ich den Unterschied zwischen Bestimmte und Unbestimmte avouieren, glaube jedoch, daß dieser Unterschied ein ziemlich akademischer ist, wo sich in der Umgangsspreche kaum semantisieren lässt. Demzufolge werde ich den Pfeifen um Dr. Scholze-Stubenrecht eine hargenorschenen Brief senden, auf daß sie wewössen, daß sie auch 2013 keinerlei Spaß oder gar Gnade meinerseits zu erwarten haben.
Das Leben strebt mit Urgewalt nach Entstehung und Musik.

Homer

#7
Zitat von: amarillo in 2013-01-02, 14:55:51
Ich muß jedoch noch bemerken, daß mir die Ultimative der dudenschen Darlag gar nicht passt; in gewissem Maß kann ich den Unterschied zwischen Bestimmte und Unbestimmte avouieren, glaube jedoch, daß dieser Unterschied ein ziemlich akademischer ist, wo sich in der Umgangsspreche kaum semantisieren lässt.

Volle Zustumm! Man kann jetzt zweierlei tun:

1. Man geißelt die böse Umgangsspreche und die dummen Umgangssprecher.
2. Man dreht das Rad noch eine Umdrehung weiter und zieht noch § 386 hinzu. Der gibt den freieren Geistern nalm manchen Spielraum wieder, ist doch dort die Rede davon, daß ein Artikel auch etwas nicht explizit, sondern nur implizit Vorerwähntes wiederaufnehmen kann, wie: Wir sahen ein Haus. Der Schornstein rauchte. Es war von keinem Schornstein die Rede, aber von einem Haus, und das hat einen. Oder: Italien wurde von einem Erdbeben heimgesucht. Die Meldung kam soeben durchs Radio. Hier verweist der Artikel auf den ganzen Satz vorher. Das heißt aber im Umkehrschluß, daß ich durch Sotz des Artikels eine "implizite Vorerwähnung" gewissermaßen überhaupt erst erschaffen kann. Deswegen können pötische Texte so beginnen: Der Regen trulmm auf das Wellblechdach. Welcher Regen? Welches Wellblechdach? Na die, die der Leser sich halt so vorstellen soll, als wäre nicht erst jetzt davon die Rede!

Und hätte Herr Fitzek geschrieben Ihre schlechte Kondition lag nicht allein am mangelnden Training, dann würte er auf den Einwand "§ 927" ant: "Na und, dann wißt ihr es halt jetzt rückwirkend, daß sie hätte trainieren sollen, aber es nicht getan hat." Er tut einfach so, als hätte er das vorher schon gesugen, und das ist sein gutes Recht.

amarillo

...und um der Verwurr noch richtig Vorschub zu leisten: in besagenem Fitzek'schen Werk (Amokspiel) weiß der Leser, daß die im Zitat gemienene Dame eine ziemlich (seelisch wie körperlich) heruntergekommene Schnapsdrossel ist.

[Ob ich das Buch für unser Bibliodrom empfehlen kann, wird sich noch weisen, ich habe erst die erste Hälfte gelesen, und die Plots bei Herrn Fitzek sind ja manchmal - hmm, nun ja, die Franzosen sügen: tiré par les cheveux...]

Und nebenbei: daß der Duden seine Kapitel mit '§' betitelt, ist mal wieder typisch für die von mir bereits an anderer Stelle gegolßene Anmaßung dieses Vereins. EINSPRUCH, EUER EHREN!
Das Leben strebt mit Urgewalt nach Entstehung und Musik.

Homer

#9
Zitat von: amarillo in 2013-01-02, 17:14:49Und nebenbei: daß der Duden seine Kapitel mit '§' betitelt, ist mal wieder typisch für die von mir bereits an anderer Stelle gegolßene Anmaßung dieses Vereins. EINSPRUCH, EUER EHREN!

Aber ich darf das Buch schon mögen, oder? *blush* Zumindest die letzte Auflage hat doch gar nichts mehr von präskriptiver Rechthaberei, sondern ist einfach nur eine gute Darstellung dessen, was ist – ob es als Norm gelten darf oder nicht –, auf der Grundlage der neuesten Forschung. Und §§ hat doch so gut wie jede Grammatik!

amarillo

Man geißelt die böse Umgangsspreche und die dummen Umgangssprecher.

Das ist übrigens auch eine sehr schöne Idee für das noch junge Jahr: wir schimpfen auf Kolloquialismen, Jargon und Argot und pflegen hintenrum deren Ausbau, Verwund und Anerkonn. Dann sind wir 1. immer im Recht (was der GSV schließl zusteht) und 2. können wir die allmählich kränkelnden Regionalismen und Dialekte stärken. Und 3. wird das den Duden an den Rand des Wahnsinns treiben - wo er naturl auch hingehört.
Das Leben strebt mit Urgewalt nach Entstehung und Musik.

amarillo

Zitat von: Homer in 2013-01-02, 17:27:39

Aber ich darf das Buch schon mögen, oder? *blush* Zumindest die letzte Auflage hat doch gar nichts mehr von präskriptiver Rechthaberei, sondern ist einfach nur eine gute Darstellung, dessen, was ist – ob es als Norm gelten darf oder nicht –, auf der Grundlage der neuesten Forschung. Und §§ hat doch so gut wie jede Grammatik!

Als Monnems Wahlheimatler darfst Du auch die Duden liebhaben. Wir müssen uns diese Geliebte ja nicht teilen! :D
Und ich glaube wirklich, daß einige Redaktionspfeifen bereits auf niedrigere Rosse umgestiegen sind. Das mit den §§ verzeihe ich keinem Grammatikwerk, die §§ gehören den Juristen bzw. dem Gesetz vorbehalten.
Das Leben strebt mit Urgewalt nach Entstehung und Musik.

Homer

Zitat von: amarillo in 2013-01-02, 17:39:38Das mit den §§ verzeihe ich keinem Grammatikwerk, die §§ gehören den Juristen bzw. dem Gesetz vorbehalten.

Und das ist jetzt mein Fehler, denn ich sehe gerade, daß der Duden selbst gar kein §-Zeichen für seine Abschnitte verwendet, sondern nur blau unterlagene Zahlen. Ist eine – vielleicht dumme – Gewuhn von mir, Grammatiken grundsaltz in Paragraphen zu denken. Ich finde es aber auch gar nicht verkohren, den "Paragraphen" nicht den Juristen allein zu überlassen, denn die haben ihn sich nur als quasi-exklusiv unter den Nagel gerissen, wiewohl er vormals in allen Arten abschnittiger Werke zu finden war, zuallererst gar in Dramenhandschriften.

amarillo

Dann wollen wir dem Duden noch ein einziges mal verzeihen.
Ich fände es überaus passend, wenn sich jedes Regelwerk seine eigenen typographischen Kapitelzeichen beschüfe!

Kann es sein, daß wir ein wenig abschwiffen? Müssen wir uns am Ende noch selbst verschieben?
Das Leben strebt mit Urgewalt nach Entstehung und Musik.

Kilian

Zitat von: Homer in 2013-01-02, 15:32:16Man dreht das Rad noch eine Umdrehung weiter und zieht noch § 386 hinzu. Der gibt den freieren Geistern nalm manchen Spielraum wieder, ist doch dort die Rede davon, daß ein Artikel auch etwas nicht explizit, sondern nur implizit Vorerwähntes wiederaufnehmen kann, wie: Wir sahen ein Haus. Der Schornstein rauchte. Es war von keinem Schornstein die Rede, aber von einem Haus, und das hat einen. Oder: Italien wurde von einem Erdbeben heimgesucht. Die Meldung kam soeben durchs Radio. Hier verweist der Artikel auf den ganzen Satz vorher. Das heißt aber im Umkehrschluß, daß ich durch Sotz des Artikels eine "implizite Vorerwähnung" gewissermaßen überhaupt erst erschaffen kann. Deswegen können pötische Texte so beginnen: Der Regen trulmm auf das Wellblechdach. Welcher Regen? Welches Wellblechdach? Na die, die der Leser sich halt so vorstellen soll, als wäre nicht erst jetzt davon die Rede!

Dieses Phänomen (insbesondere das mit der Haus-Schornstein-Konstellation) ist in der semantischen Literatur übbrijens als Bridging bekannt (das Weltwissen darum, dass Häuser Schornsteine haben, baut quasi eine Verständnisbrücke vom Erwähnten zum Unerwähnten). Meine Kollegin einen Schreibtisch weiter beschäftigt sich gerade im Rahmen ihrer Promotion genau damit!