Nach "als ob, als wenn etc" - Indikativ, Konjunktiv I oder Konjunktiv II?

Begonnen von yunus_delikaya, 2005-12-29, 11:56:27

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yunus_delikaya

Da ich ein sehr großer Harry-Potter-Fan bin und auch die Bücher lese, ist mir aufgefallen (oder doch lieber: fiel mir auf , helft mir bitte da weiter. Ich kenne den eigentlichen Unterschied zwischen Präteritum und Perfekt immer noch nicht.) , dass im Buch regelmäßig nach dem  als ob als wenn etc der Konjunktiv II steht. Doch in einem anderen steht nach  als ob,als wenn der Konjunktiv I.
Und doch höre ich immer in der Umgangssprache nach dem als ob den Indikativ. Wieso werden immer verschieden Modi verwendet?
Yunus

VerbOrg

Vielleicht ist es eine Frage, wie real einem der Vergleich vorkommt. Zur Unterscheidung der beiden Konjunktive schrieb Wolf Schneider:
ZitatWir haben zwei Konjunktive: er komme und er käme. Der erste bedeutet, dass er kommt (indirekte Rede), der zweite, dass er nicht kommt (Irrealis): Er käme ja gern, wenn nicht leider...
Der Unterscheidung Schneiders kann ich mich hier nicht so ganz anschließen. Man verwendet den Irrealis ja nicht nur dann, wenn etwas nicht eintritt, sondern vielfach auch dann, wenn der Eintritt eines Ereignisses einfach noch nicht klar ist, weil er von weiteren Faktoren abhängt; oder wenn der Konjunktiv I als solcher nicht erkennbar wäre - dann sogar in der indirekten Rede (ich hätte statt ich habe).

Für den Konjunktiv bei Vergleichen kann ich wieder auf canoo.net verweisen, wo nach den angesprochenen vergleichenden Konjunktionen in den meisten Fällen der Konj. II steht, seltener der Konj. I...

Es scheint, als ob die Unterscheidung der beiden Konjunktive in der deustchen Sprache gar nicht so einfach sei.

yunus_delikaya

Es ist mir nur aufgefallen : Sie haben den Konjuntiv nach als ob verwendet (siehe letzten Satz) . Bedeutet der Konjunktiv I mehr für Sie als der KII?

VerbOrg

Im letzten Satz verwandte ich ganz bewusst den Konjunktiv I und nicht den Konjunktiv II.
Hätte ich hier geschrieben: "Als ob es gar nicht so einfach wäre", käme mir es mir  als Tugschluss vor, dass es schwierig ist, zwischen Konj. I und Konj. II zu unterscheiden.
Da empfände ich den Konjunktiv II als klassischen Irrealis, also Konjunktiv der Unwahrscheinlichkeit. (Die sagen immer, das ist schwierig, dabei ist es doch ein Kinderspiel!)

Als lockere Regel könnte man vielleicht formulieren:
Wenn die Sache, mit der du etwas vergleichst, eher bildhaft ist, solltest du den Konjunktiv II nehmen.

Eine weitere nicht unwesentliche Unterscheidung ist die, dass es sich bei Konjunktiv I um den Konjunktiv der Gegenwart und beim Konjunktiv II um den Konjunktiv der Vergangenheit handelt.

Wenn du also über Vergangenes erzählst, dann stellt sich die Frage nach dem Konjunktiv I nicht.

In vielen Fällen klingt der Konjunktiv I überdies ziemlich hölzern und künstlich. Wahrscheinlich wird er deshalb fast nur noch in der indirekten Rede benutzt.

Bitte, bitte, lassen wir doch das förmliche Sie.

Kilian

In einer Fernsehdoku hor ich: Sie machten weiter, als ob nichts geschehen sei.

Das ist mindestens deswegen falsch, weil da eindeutig etwas geschehen war.

Wenn aber nichts geschehen war, könnte man dann sagen: Es sah aus, als ob nichts geschehen sei.?

Da bin ich mir nicht so sicher.

VerbOrg

Bei der indirekten Rede hast du ja an sich auch Formulierungen wie:

"Er sagte, er habe..."

Da ist also ein Konjunktiv I in der Schilderung eines vergangenen Geschehens.

Andererseits fände ich den Satz: "Es sah aus, als ob nichts geschehen sei." schon inhaltlich bedenklich. Denn ein solches sagt man ja nicht, wenn tazächlich nichts vorgefallen ist. Das wäre nicht erwähnenswert.

Es sei denn, jemand kommt nach Hause in der Erwartung, zwischenzeitlich habe sich etwas Bahnbrechendes ereignet, und stellt dann fest, dass anscheinend doch noch alles beim Alten ist.

Allerdings suggeriert schon der Satzanfang "Es sah aus", dass nur scheinbar nichts passiert war.

Ezilopp

Zitat von: Kilian in 2005-12-29, 13:04:15
In einer Fernsehdoku hor ich: Sie machten weiter, als ob nichts geschehen sei.

Das ist mindestens deswegen falsch, weil da eindeutig etwas geschehen war.

Wenn aber nichts geschehen war, könnte man dann sagen: Es sah aus, als ob nichts geschehen sei.

Da bin ich mir nicht so sicher.
Ich süge, dass das sowohl grammatikalisch als auch sachlich falsch sei.
Denn der Konjunktiv Perfekt "als ob nichts geschehen sei" (mit dem Konjunktiv I verwandt) steht hier nicht für indirekte Rede, sondern für etwas Irreales. Dazu vermittelt er mir, in Beziehung zum Präteritum des Hauptsatzes gesetzt, den Eindruck der Nachzeitigkeit, was keinen Sinn macht.
Deswegen wäre hier der Konjunktiv Plusquamperfekt "als ob nichts geschehen wäre"(mit dem Konjunktiv II verwandt) angemessen.
Wenn man das ganze in die Realität transportöre, sähe ich da zwei Möglichkeiten:
1) Etwas ist geschehen. Sie machen (trotzdem) weiter. (Gegenwart)
2) Etwas war geschehen. Sie machten (trotzdem) weiter. (Vergangenheit)

Kilian

Zitat von: VerbOrg in 2005-12-29, 15:36:34Es sei denn, jemand kommt nach Hause in der Erwartung, zwischenzeitlich habe sich etwas Bahnbrechendes ereignet, und stellt dann fest, dass anscheinend doch noch alles beim Alten ist.

Ja, genau so einen Fall meine ich .

ZitatAllerdings suggeriert schon der Satzanfang "Es sah aus", dass nur scheinbar nichts passiert war.

Nö, wieso? Der bloße Anschein lässt doch alle Möglichkeiten offen - wie auch in der Gegenwart: "Es sieht aus, als ob wir heute nicht mehr zur Ruhe kommen werden."

VerbOrg

Ich stieß beim Stöbern in den Kulturfäden vorhin zwar nicht auf das, was ich suchte, allerdings auf einen Faden, der diesem hier sehr ähnlich scheint.
Ich entschied daher, ihn durch einen Knupf hier mal anzuknüpfen.