Textanalyse

Begonnen von Wortklauber, 2013-09-20, 09:00:02

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Wortklauber

Ein wenig Wortklauberei:
Folgenden Bericht las ich in einer Zeitschrift (Satznummern von mir eingefügt):

(1) In einem aktuellen Fall reichte ein Steuerpflichtiger eine Spendenbescheinigung für das Jahr 2004 ein, die im Jahr 2008 ausgestellt wurde. (2) Das Finanzamt lehnte eine Änderung des Feststellungsbescheids mit der Begründung ab, dass eine nachträglich erteilte Bescheinigung kein rückwirkendes Ereignis darstelle. (3) Das Finanzgericht Münster wies die daraufhin erfolgte Klage des Steuerpflichtigen mit Urteil vom 18. Juli 2013 ab (Az.: 13 K 4515/10 F). (4) Eine Spendenbescheinigung könne keine nachträglich bekannt gewordene Tatsache darstellen, da sie bei Erlass des Feststellungsbescheids noch gar nicht vorhanden gewesen sei. (5) Ein solches rückwirkendes Ereignis sei jedoch für die Änderung eines Bescheids nach der Abgabenordnung ausdrücklich ausgeschlossen. (6) Dem stehe auch das europarechtliche Effektivitätsgebot nicht entgegen. (7) Ein Verstoß gegen das Europarecht läge nur dann vor, wenn eine nationale Regelung rückwirkend und ohne Einräumung einer Übergangsregelung die Durchsetzung europarechtlich geschützter Werte verwehre. (8) Hier handele es sich um einen reinen Inlandssachverhalt.

Ich versuchte das zu verstehen. Ein Schlüsselbegriff ist in diesem Text anscheinend das "Ereignis". Da in (5) eine Spendenbescheinigung als "solches rückwirkendes Ereignis" bezeichnet wird, ist eine Spendenbescheinigung ein "rückwirkendes Ereignis", was auch immer das sei. Nach (2) stellt eine Spendenbescheinigung aber kein rückwirkendes Ereignis dar. Daraus kann man schließen, dass es ein Unterschied ist, ob eine Bescheinigung ein Ereignis sei oder eines darstelle. Das leuchtet mir ein. Eine Bescheinigung stellt den Sachverhalt dar, der bescheinigt wird. Also ist das, was diese Bescheinigung darstellt, die Spende selbst, die jedenfalls ein Ereignis ist. Da die Spendenbescheinigung aber kein rückwirkendes Ereignis darstellt, ist die Spende zwar ein Ereignis, aber kein rückwirkendes Ereignis. Das leuchtet auch ein. Unterschieden werden muss also zwischen zwei Ereignissen, die wir hier als Ereignis1 und Ereignis2 bezeichnen mögen.
Ereignis1 = Spende
Ereignis2 = Bescheinigung
Während Ereignis1 nicht rückwirkt, tut dies Ereignis2.
Es kann nun behauptet werden, dass Ereignisse in jedem Fall auch Tatsachen seien. Aus den Ausführungen des Satzes (4) lässt sich indirekt entnehmen, dass eine "nachträglich bekannt gewordene Tatsache" ein Ereignis sei, dass zwar vor Erlass des Feststellungsbescheids stattgefunden hat, aber zu eben diesem Zeitpunkt dem Steuererklärenden nicht bekannt war. Nun lässt sich der obige Text nicht interpretieren, wenn man annimmt, dass Ereignis1 eine "nachträglich bekannt gewordene Tatsache" ist, denn sonst müsste die nachträgliche Anmeldung dieser Spende, für die Ereignis2 ja nur ein Nachweis ist, zu einer nachträglichen Steuerminderung führen. Das lässt sich nachvollziehen, wenn man annimmt, dass jemandem, der etwas spendet, die Tatsache dieser Spende auch bekannt sein müsse. Nur kann man aber umgekehrt von einem Steuerpflichtigen sicher nicht verlangen, dass ihm in jedem Fall bekannt sei, ob eine Spende steuerlich absetzbar ist oder nicht. Das ist ihm in diesem Fall erst durch Ereignis2 bekannt geworden. Daraus, dass in diesem Fall keine "nachträglich bekannt gewordene Tatsache" geltend gemacht werden kann, aber die steuerliche Absetzbarkeit erst nachträglich bekannt geworden ist, kann man schließen, dass es sich bei der steuerlichen Absetzbarkeit nicht um eine Tatsache handelt. Auch das leuchtet ein. Die steuerliche Absetzbarkeit ist keine Tatsache, sondern beruht auf einer willkürlichen Einschätzung der Steuerbehörde.
Alles in allem lesen wir hier also eine vollkommen logische Argumentation in unserem Rechtsstaat. Was folgt daraus aber für unser Handeln, um zu verhindern, dass wir eine steuerlich absetzbare Zahlung nicht absetzen können? Offensichtlich hätte der Steuerpflichtige die Spende in seiner Steuererklärung angeben müssen, obwohl er dafür weder einen Nachweis hatte noch wusste, ob sie absetzbar ist. Daraus folgt unsere Handlungsmaxime: Alle Zahlungen, die wir getätigt haben, auf der Steuererklärung ohne Begründung angeben, unabhängig davon, ob wir dafür irgend einen Nachweis haben. Gegen jeden Steuerbescheid, bei dem diese Zahlungen nicht anerkannt werden, Widerspruch einlegen mit dem Hinweis darauf, dass uns künftig noch Umstände bekannt werden könnten, durch die wir diese Zahlungen nachweisen und steuerrechtlich geltend machen können. Oder gibt es eine andere Möglichkeit, ungerechte Behandlung zu verhindern?

Beiseweh muss man sich auf der Zunge zergehen lassen, dass hier deutlich festgestellt wird, dass für Inlandssachverhalte ein Effektivitätsgebot nicht gelte.

katakura

#1
::) ... mein buchtipp dazu:

Toleranz ist vor allem die Erkenntnis, dass es keinen Sinn hat, sich aufzuregen. (Helmut Qualtinger)

Wortklauber

Optimal :D
Mein Beitrag war ja durchaus als Bettlektüre gemienen. Dass er sich auch zum Vorlesen für Kinder beim Zubettgehen eignet, war mir noch nicht aufgefallen, aber die steuerliche Absetzbarkeit von Spenden ist sicherlich etwas, was auch die Kleinen zu lebhaften Träumen animiert.

katakura

Zitat von: Wortklauber in 2013-09-21, 21:08:11
Mein Beitrag war ja durchaus als Bettlektüre gemienen.

... geschrieben um 9:00 früh? ... etwa, damit man sofort nach dem aufwachen gleich wieder einschläft? :D
Toleranz ist vor allem die Erkenntnis, dass es keinen Sinn hat, sich aufzuregen. (Helmut Qualtinger)

Wortklauber

"Es wird nichts so früh gelesen, wie es geschrieben wird", wie das alte Sprichwort besagt, o Katakura!

katakura

... tja, dagegen lässt sich schwerlich was einwenden ...
Toleranz ist vor allem die Erkenntnis, dass es keinen Sinn hat, sich aufzuregen. (Helmut Qualtinger)

Berthold

#6
Zitat von: katakura in 2013-09-23, 09:57:48
(...) was einwenden ...

Hingegen ist "einwänden" der Beginn des Einstieges von Bergsteigern in eine Felswand.
Etwa jener Augenblick, da ein Concraxulant Herrn Trenkern sug: "Olsa, Luis, pockch mR's!"

katakura

#7
Zitat von: Berthold in 2013-09-24, 10:06:18
Hingegen ist "einwänden" der Beginn des Einstieges von Bergsteigern in eine Felswand.

... nicht ausschlielß, denn einwänden meint auch

a) das umgeben von etwas mit wänden ... bleistiftsweise memüsse man bei der winterfestmuch von denkmälern nicht von einhausen, sondern vielmehr von einwänden reden ... auch der heute aus der mode gekommene brauch des einmauerns von unzüchtigen mönchen, wilden spessarträubern und anderem unliebsamen gelichter ward einst mit dem verb einwänden beschrieben ...

b) den bezug bzw. das einrichten eines hauses / einer wohnung ... bleistiftsatz: wir haben die wohnung im vorigen monat gekoffen und werden uns ab kommender woche darin einwänden ... diese bedut ist natchlur eng verwandt mit jener von a)
Toleranz ist vor allem die Erkenntnis, dass es keinen Sinn hat, sich aufzuregen. (Helmut Qualtinger)

Berthold

#8
Zu a) Diese Salopp- und Schönfärbevariante von "einmäuern" gilt nachtlur.
Auch ohne "Der Name der Rose" wärst Du da sicher draufgekommen. (Ich hatte nicht daran gedacht.)

Die "Eiger Mordwand", bei der mein Verb aufkam, ist echt nur etwas für Bergst-Eiger - eben ein böser Superlativ der Berge. 
Auch Heinrich Harrer (-> Brad Pit, "Die weiße Spinne", Tibet, SS, CIA) war bei der Erstquar dabei. Mit Genalgten!
Da saß ich einst, als Student, im "Café Jonasreindl" und es int'ressor sich auch der Alte für ein Pflanzenbüchl, das ich durchblartt. "Gestatten Sie, Harrer mein Name, ich hab heute an der Uni einen Vortrag ..."
Aber das ist dann keine Textanneliese mehr. 

katakura

#9
Zitat von: Berthold in 2013-09-24, 14:21:43
Zu a) Diese Salopp- und Schönfärbevariante von "einmäuern" gilt nachtlur.
Auch ohne "Der Name der Rose" wärst Du da sicher draufgekommen. (Ich hatte nicht daran gedacht.)

... daran hatte ich ja nun gar nicht gedacht und musste zunächst überlegen, wer denn überhaupt von eco eingewandet wird ... es ist freichl der abbo von fossanova, der "stirbt, weil ihm die luft benommen" (um einen halben busch-vers zu zitieren) ...

... indes dachte ich eher an das wirlchk handwerlke einmauern stein für stein, wie es poe im "fass amontillado" beschreibt (wie hübsch, dass ein "montrésor" einen "fortunato" einwändet, nicht wahr?), bzw. wie es die filmklamotte "das spukschloss im spessart" eingangs zeigt (allwo am ende des einwändens nur noch eins mit der hand durch ein löcherl in der neuen wand nach draußen wank - schaut ihr hier ab 2:08, insbesondere aber bei 2:51) ...

... wenn ich jetzt nur noch damit aufwarten und abschweifen kekünne, dass mir einst im caféhaus die pulverige piroschka begnang! ... aber nein, nix dergleichen :( ...
Toleranz ist vor allem die Erkenntnis, dass es keinen Sinn hat, sich aufzuregen. (Helmut Qualtinger)

Berthold

#10
Beim "faß amontillado" mag ich nicht nachlesen. Das ist irgendwas Grausliches.
Aber geht's dort nicht um einfässeln?
Irgendwas Abschwiffiges gibt's dazu (namchl zu "Faß"*), glaub ich, auch in Andreas Okopenkos legendärem Büchl "Warnung vor Ypsilon". Einem Werk, das mein Vater selig als Kritiker bitter verriß, während ich es sehr gern habe.
Titelgeschichte:
http://www.oesterreich-am-wort.at/treffer/atom/017828B7-0C1-0056B-00000BEC-01772EE2/   

*Siehe "Alchworabi - die Letzte Tinktur"

Schmierfink

Nach der Relativitätstheorie ist es übrigens nur eine Frage des Standpunktes des Betrachters, ob die Wand eingeschmiert oder die Schmiere eingewändet wird.

katakura

#12
Zitat von: Berthold in 2013-09-24, 16:03:50
Beim "faß amontillado" mag ich nicht nachlesen. Das ist irgendwas Grausliches.
Aber geht's dort nicht um einfässeln?

... naaa, nix mit einfässeln (verwandt mit einpökeln?) oder gar ausfässeln ... das fass amontillado dient nur als vorwand, um den unglulcken fortunato in den keller zu locken, und iert nicht tatsalch exist ... und so grauls wie manch andere aus poens feder ist diese erzuhl nun nicht ...

... indes nimmt es mich doch sehr wunder, dass des bertls belesenheit offensilcht vor poe halt gemuchen hat ... ts ts ts ...
Toleranz ist vor allem die Erkenntnis, dass es keinen Sinn hat, sich aufzuregen. (Helmut Qualtinger)

Berthold

#13
Zitat von: katakura in 2013-09-24, 16:41:47
... indes nimmt es mich doch sehr wunder, dass des bertls belesenheit offensilcht vor poe halt gemuchen hat ... ts ts ts ...

Na, das miech sie nicht. Aber jenes Vergessen - chwomulg pharmakaverstorken ...
Nicht einmal an ,,Nemo me impune lacessit" erarnn ich mich mehr. <- Bloß schnöde Gugeley!

Was es indes heißt, Okopenkos "Warnung vor Ypsilon" besser memorohren zu haben als Poe, darfst Du Dir selber deuten oder gar zerdeuteln.

katakura

#14
Zitat von: Berthold in 2013-09-24, 16:58:32
Okopenkos "Warnung vor Ypsilon" ...

... beim drüberlesen ward bei mir (aus aktüllem anlass die letzte und auch vorletzte hessenwahl im hinterkopf habend) daraus:

Warnung vor Ypsilanti :D

... womit wir endgültig foll daneben liegen, was das ursprunlge thema dieses fadens angeht ... aber das war ja auch zum gähnen ... obwohl: die längst vergessene ypsilanti entlockt den meisten sicher nicht einmal mehr das ... sic transit ...
Toleranz ist vor allem die Erkenntnis, dass es keinen Sinn hat, sich aufzuregen. (Helmut Qualtinger)