Kette Attribut Nomen

Begonnen von Kilian, 2013-11-18, 01:47:56

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Kilian

Die deutschen Nominalkomposita und ihre endlose Fortsetzbarkeit ziehen viel Furcht und Spott auf sich... weniger bekannt ist, dass man, um eine Nomen mit einem Nomen zu modifizeren, letzteres, statt es als Kompositumsglied voranzustellen, auch als Attribut nachstellen kann. Zum Beispiel in dieser einen kultigen Filmszene: "Der Angriff Steiner ist nicht erfolgt." Ich parodiere das gern: "Die Mitnahme Turnbeutel ist nicht erfolgt" oder "Mit der Abholung Fahrrad wird das alles in Ordnung kommen." Wirklich großer Beliebtheit erfreuen sich diese nominalen Attribute aber im Niederländischen. So bekam ich jüngst einen Brief mit dem Betreff Verzoek bevestiging afspraak vervanging CV-ketel, was man wohl ganz elegant mit Gasthermenersetzungsterminbestätigungsbitte übersetzen könnte.

Wortklauber

Das klingt allerdings sehr poetisch. Da werde ich mal schleunigst einen Brief Liebe an meine Allerliebste Herz schreiben, in dem ich meinen Schmerz Seele beflenne, der mich aufgrund ihrer Wesenheit Ab täglich ergreift.

Berthold

Zitat von: Wortklauber in 2013-11-18, 06:40:16
Das klingt allerdings sehr poetisch. Da werde ich mal schleunigst einen Brief Liebe an meine Allerliebste Herz schreiben, in dem ich meinen Schmerz Seele beflenne, der mich aufgrund ihrer Wesenheit Ab täglich ergreift.

Puh, daß das (bei allen Beispielen) geht, könnt Ihr mir/kannst Du mir aber schwerlich einreden. Oder geht's Euch wie bei "Des Kaisers neue Kleider" drum, daß jemand sagt: "Na, das geht aber nun nicht, das ist sprachliche Nackerpatzlerei!"
Ich memüesse auch nachschlagen oder zumindest nachdenken, warum "LiebeSbrief" - nicht "Liebebrief", warum (Kurzform?) "Herzallerliebste" - nicht "Herzensallerliebste" und warum "SeeleNschmerz" - und nicht "Seeleschmerz" - ?

Kilian

Zitat von: Berthold in 2013-11-18, 17:22:19
Zitat von: Wortklauber in 2013-11-18, 06:40:16
Das klingt allerdings sehr poetisch. Da werde ich mal schleunigst einen Brief Liebe an meine Allerliebste Herz schreiben, in dem ich meinen Schmerz Seele beflenne, der mich aufgrund ihrer Wesenheit Ab täglich ergreift.

Puh, daß das (bei allen Beispielen) geht, könnt Ihr mir/kannst Du mir aber schwerlich einreden.

Guter Punkt; mir scheint diese Art Attribut ziemlich auf offiziöse Kontexte beschronken und zudem blockoren zu sein (also sehr komisch zu klingen), wenn es ein etablorenes Kompositum als Alternative gibt. Dann wirkt die analytische Form wie das Herunterbeten einer Wörterbuchdefinition.

amarillo

Verständlichmachung Fadeninhalt gelungen!

Für mich klingen diese Konstrukte recht preußisch/militärisch - und deshalb auch ein wenig lustig.

Verabschiedung Kameraden erfulgen! *salutiert - so gut es halt geht*
Das Leben strebt mit Urgewalt nach Entstehung und Musik.

Berthold

#5
Offiziös?

Passende Beispiele gehören wohl zu Gefäß (auch kleines Behältnis, Löffel) + Getränk, z.T. auch Gefäß (Löffel, Gabel) + Speise:
Tasse Tee, Häferl Kaffee, Stamperl Schnaps, Löffel Honig, Teller Gulyas, Sack Mehl ...
Oder is dat wat and'ret? Ging da nur ein Genitiv verloren?

Kilian

Zitat von: Berthold in 2013-11-18, 18:08:55
Passende Beispiele gehören wohl zu Gefäß (auch kleines Behältnis, Löffel) + Getränk, z.T. auch Gefäß (Löffel, Gabel) + Speise:
Tasse Tee, Häferl Kaffee, Stamperl Schnaps, Löffel Honig, Teller Gulyas, Sack Mehl ...
Oder is dat wat and'ret? Ging da nur ein Genitiv verloren?

Das führt canoonet als "Partitive Apposition". Mir erscheint komisch, diese Determinierer-Zählwort-Nomen-Konstruktion als Apposition zu führen. Enger verwandt sehe ich sie in der Tat mit den Nomengruppen modifizierenden Nomengruppen, zu denen ich auch das Thema dieses Fadens zühle, welches canoonet leider aber gar nicht zu erwähnen scheint. Man kekünne sie als einen Spezialfall der N.m.N. führen, zumal sie sowohl im Nominativ als auch im Genitiv auftreten können.

Wortklauber

Gibt es nicht vielleicht einen fließenden Übergang von Titeln über die Apposition von Namen zur Apposition von Spezifikationen, etwa so:

Herr Mayer
Professor Müller
Oberbürgermeister Schulz (als Titel)
der Oberbürgermeister Schulz (mit dem Namen ...)
der Obdachlose Heinz
die Stadt Mainz
die Akte Mahler (d.h. nicht mit dem Namen, aber mit dem Titel Mahler)
das Projekt Neubau des Rathauses (d.h. das unter dem Stichwort "Neubau des Rathauses" bekannte Projekt)
die Reparatur Dachrinne (also eigentlich die Reparatur, die unter dem Titel Dachrinne im Auftragsbuch steht)

Der Ausdruck "die Mitnahme Turnbeutel ist erfolgt" weckt daher die Assoziation, dass hier der mahnende Einwortsatz "Turnbeutel" als Titel einer Handlung fungiert und in der Checkliste der täglichen Verrichtungen abgehakt wird.

Kilian

All diese lassen sich sicherlich sinnvoll als Appositionen führen, aber inwiefern Übergang? Welche Eigenschaft verändert sich fließend?

Wortklauber

Bei den ersten drei Begriffen steigt das Gewicht des Titels graduell an, denn der Titel "Herr" setzt die Person "Mayer" bestenfalls gegen eine "Frau Mayer" ab, ist aber je nach Zusammenhang ein reines Höflichkeitswort; "Professor" gibt dem "Müller" schon eine viel genauere Bestimmung; und "Oberbürgermeister" gibt es in den meisten Kontexten nur einen, so dass hier (wie in der nächsten Zeile passiert) der Name auch entfallen oder nur noch als Zusatzinformation gegeben werden kann.

Im nächsten Schritt springt das Hauptwort auf den zweiten Begriff, so dass dem Hauptwort nun nicht mehr ein Titel vorgesetzt, sondern ein Name nachgesetzt ist:
Oberbürgermeister Schulz war anwesend. Hauptinformation: Herr Schulz war anwesend. Zusatzinformation: Er ist Oberbürgermeister.
Der Oberbürgermeister Schulz war anwesend. Hauptinformation: Der Oberbürgermeister war anwesend. Zusatzinformation: Er heißt Schulz.

Dann ändert sich die Funktion der Apposition, ob sie nämlich der/ein Name für das Bezeichnete ist (und somit allein für das Bezeichnete stehen kann) oder nur ein Titel:
Der Obdachlose Heinz schläft unter der Brücke, d.h. Heinz schläft unter der Brücke.
Die Stadt Mainz muss sparen, d.h. Mainz muss sparen. (Kann man gerade noch sagen, aber es ist ja doch eher "die Stadt(-Verwaltung)" als Mainz selber.)
Die Akte Mahler enthält viele Überraschungen, d.h. nicht Mahler enthält viele Überraschungen.

In den letzten beiden Fällen ist schließlich eine Objektbeziehung vorhanden, die durch eine gewöhnliche Zusammensetzung besser ausgedrückt wird (Neubauprojekt, Dachrinnenreparatur), was man im Fall der Akte Mahler nicht mit derselben Überzeugungskraft behaupten kann.

Fließend ist der Übergang deshalb, weil die Frage, wie groß die Spezifik eines Titels ist, welcher der beiden Begriffe das Hauptwort und welches die Apposition ist, oder was man als Namen und was als Titel auffasst, oft von verschiedenen Sprachbenutzern oder Rezipienten bzw. in verschiedenen Zusammenhängen unterschiedlich aufgefasst werden kann, aber von Fall zu Fall eben mehr oder weniger gut.

Berthold

#10
Zitat von: Wortklauber in 2013-11-19, 07:36:15
Bei den ersten drei Begriffen steigt das Gewicht des Titels graduell an, denn der Titel "Herr" setzt die Person "Mayer" bestenfalls gegen eine "Frau Mayer" ab, ist aber je nach Zusammenhang ein reines Höflichkeitswort; "Professor" gibt dem "Müller" schon eine viel genauere Bestimmung; und "Oberbürgermeister" gibt es in den meisten Kontexten nur einen, so dass hier (wie in der nächsten Zeile passiert) der Name auch entfallen oder nur noch als Zusatzinformation gegeben werden kann.
(...)

Nun ja, ich dächte, daß jenes Nasenloch in Österreich, wo nahezu jedeR Herr Professor, Frau Professor, Herr Hofrat oder sowas ist, ein gwan anders läuft.

"Dort traten auf: Herr Kammerschauspieler Prof. Dr. Sepp Bratlfett und schließlich Kurt Berger."
Dann wird in den meisten Fällen Kurt Berger weit bekannter und ruhmvoller sein als S. Br. Eben "der Berger".
Denn KammerschauspielerInnen und ProfesssorInnen gibt's hierlands genug, aber nur einen Kurt Berger.