Sprachliche Geschlechtergerechtigkeit

Begonnen von Homer, 2015-05-03, 11:07:15

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Homer

[EDIT Kilian 2015-03-04: Thema getielen und Titel geornden.]

Zitat von: VerBot in 2015-05-02, 23:57:09
Kilian hält dagegen, dass psycholinguistische Studien konsistent belegen, dass das Maskulinum heutzutage nicht geschlechtsneutral verstanden wird, unabhängig davon, wo es sprachgeschichtlich herkommt.

... wogegen sich wiederum allerhand sagen ließe (vor allem gegen die Vorstellung, dieses Argument sei, selbst wenn es stimmt, irgendwie relevant für die Frage der sprachlichen "Geschlechtergerechtigkeit") ...


Kilian

Zitat von: Homer in 2015-05-03, 11:07:15
Zitat von: VerBot in 2015-05-02, 23:57:09
Kilian hält dagegen, dass psycholinguistische Studien konsistent belegen, dass das Maskulinum heutzutage nicht geschlechtsneutral verstanden wird, unabhängig davon, wo es sprachgeschichtlich herkommt.

... wogegen sich wiederum allerhand sagen ließe (vor allem gegen die Vorstellung, dieses Argument sei, selbst wenn es stimmt, irgendwie relevant für die Frage der sprachlichen "Geschlechtergerechtigkeit") ...

Dass es stimmt, scheint ja nun belegen. Dass es relevant ist, scheint mir auch offensichtlich: Wenn wir durch den Gebrauch generischer Maskulina ständig in den Hörerinnen und Hörern die Vorstellung erzeugen, es gehe nur um Männer, z.B. wenn wir über die ,,Entwickler" in einem Softwareunternehmen reden, trägt das sicher nicht dazu bei, dass Entwicklerinnen sich in so einem Unternehmen willkommen fühlen und von anderen als genau so dazugehörig akzeptiert werden wie Männer.

Wortklaux

Dann lass doch mal Worten Taten folgen und führe wenigstens in deinem Machtbereich geschlechtsneutrale Wörter (Administrax, Zenx, Gax für Administrator, Zensor, Gast) ein. Dann kekünne man einmal sehen, ob es nach kurzer Zeit hier von den weiblichen Mitglix wimmelt, die bisher hier abgeschrocken wurden.

(P.S. habe gerade versucht, eine geschlechtsneutrale Antwort auf die Spamschutzfrage zu geben, aber das System ist offensilcht diskriminierend eingestollen und akzeptiert nur weibliche Chronometer.

Homer

#3
Das wäre jetzt eine sehr lange Diskussion. Ich wundere mich nur sehr darüber, in welchem Ausmaß es den Psycho-Leuten gelungen ist, die Debatte mit einem Argument zu usurpieren, das allenfalls von sehr untergeordneter Bedeutung ist. Was haben sie bewiesen? Dass der Genusgebrauch bei Personen eine nicht unbeträchtliche Korrespondenz zum Sexus aufweist? "Der Mann, die Frau": Donnerwetter, darauf wäre ich nicht gekommen! Haben sie damit auch widerlegt, dass Genus und Sexus zwei klar distinkte Kategorien sind, die es in der Diskussion sauber zu trennen gilt? Natürlich nicht. Einer der häufigsten Denkfehler in der Wissenschaft ist es zu glauben, wenn eine Korrelation zwischen zwei Kategorien aufgezeigt wurde, die Kategorien in eins fallen lassen zu können. Was lehrt uns die frappierend pauschale Feststellung, das generische Maskulinum lasse in der Tendenz ein wenig mehr an Männer als an beide Geschlechter denken, über sein Diskriminierungspotenzial? Rein gar nichts, solange man nicht sorgfältig differenziert.

Und damit sind wir überhaupt erst am Anfangspunkt aller weiteren Überlegungen und nicht, wie diese Leute suggerieren wollen, schon bei einem Ergebnis. Dann fangen wir mal an mit den Einzelheiten und sprechen über die asymmetrischen Grade von geschlechtlicher Markiertheit, die Maskulinum und Femininum aufweisen (das Maskulinum ist, eben aus historischen Gründen, im Mittel schwächer geschlechtlich markiert als das Femininum, weshalb das Pendant zu stark markiertem "Studentinnen" "männliche Studenten" ist); über die Graustufen dieser Markiertheit innerhalb des Maskulinums; über die unterschiedliche Markiertheit von Singular (stärker) und Plural (schwächer, schon morphologisch bedingt); darüber, dass das Sprachsystem, die langue, allein gar nicht diskriminieren kann, sondern Sprecher braucht, die es tun; über das Gricesche Kooperationsprinzip, nach dem es keine gute Idee ist, dem anderen in einer rationalen Kommunikation ohne gute Gründe zu unterstellen, er wolle diskriminieren; dann über die zahllosen Fälle, in denen das generische Maskulinum offenkundig zugleich konkurrenzlos praktisch und im Diskriminierungssinne völlig unschädlich ist. Z.B. formulierst Du m.E. unnötigerweise "Hörerinnen und Hörer", da die männliche Markierung in "Hörer" schwach genug ist, um in einer Kommunikation unter Gutwilligen keine Missverständnisse zu erzeugen. Es wäre unter normalen Bedingungen ein destruktives Kommunikationsverhalten, hier wider besseres Wissen monieren zu wollen, Frauen seien nicht mitgenannt. Die dominanten Merkmale sind – jedenfalls in Deinem Satz – semantisch "hören", davon nomen agentis, davon Plural. Und ob Frauen mitgenannt sein sollen oder nicht, entscheidet nicht die langue oder Leute, die glauben, ihre Regeln bestimmen zu können, sondern der Sprecher.

Bei Deinem Beispiel "Entwickler" in einem Softwareunternehmen kommt es nun sehr darauf an, in welchem Zusammenhang das generische Maskulinum angewendet wird. Ist es in der Stellenausschreibung, dann ist es offenkundig entscheidend wichtig zu betonen, dass auch Entwicklerinnen eingestellt werden. Hier sind wir in einem Bereich, der sehr sexus-empfindlich ist. Formuliere ich dagegen den Satz "die besten meiner Entwickler sind Frauen", dann ist das generische Maskulinum erstens enorm praktisch und zweitens völlig frei von jedem Verdacht der Diskriminierung, die zu unterstellen schon der Sinn des Satzes verbietet. Dazwischen gibt es sicher jede Menge Graustufen, bei denen je nach Beteiligten und Zusammenhang im Griceschen Sinne das Gelingen der Kommunikation durch die Wahl des generischen Maskulinums entweder in Gefahr geraten könnte oder nicht. Das wird in der parole praktisch ausgehandelt, dazu brauche ich keine pauschale Holzhammervorschrift. (Ich als Verwender des generischen Maskulinums dort, wo "Mann" schwach markiert ist, bin übrigens noch nie in meinem Leben auch nur einmal in ein genusbedingtes kommunikatives Missverständnis geraten. Das zeigt mir, wie künstlich die Debatte ist.)

Dass über die Frage "Diskriminierung oder nicht" in jedem Einzelfall befunden werden muss und das Sprachsystem darüber nicht entscheiden kann, mag folgendes Beispiel verdeutlichen: Einer meiner akademischen Lehrer bezeichnete Schwarze konsequent als "Neger". War das rassistisch? In seinem Fall sicher nicht, denn er verwendete das Wort in Sätzen, in denen er mit den wärmsten Worten über die "Neger" sprach. Er war jahrelang in Afrika gewesen, hatte die Leute sehr eindeutig liebgewonnen und war Vorsitzender eines deutsch-afrikanischen Freundschaftsvereins.

Mein Plädoyer wäre also, als Sprecher wie als Hörer aufmerksam zu sein erstens gegenüber den in den einzelnen Wörtern liegenden verschiedenen Graden geschlechtlicher Markiertheit ("Feuerwehrmänner" ist potentiell stark, "Griechen" schwach männlich markiert) und zweitens der Wirkung, die diese Grade von Markiertheit in jeder einzelnen Äußerung im Zusammenhang entfalten. Dann kann man auch von Fall zu Fall ohne Diskriminierungsverdacht die Möglichkeiten nutzen, die das generische Maskulinum bietet, um bestimmte Sachverhalte eleganter, praktischer und kürzer zu formulieren. Eine Notwendigkeit, die ganze Straßenverkehrsordnung umzuschreiben, um lauter eindeutig sehr schwach oder überhaupt nicht männlich markierte Maskulina durch angeblich "geschlechtergerechtere" Formen zu ersetzen, kann ich nicht erkennen. Der (im Grunde für verständige Leser überflüssige) Hinweis, wo nicht ausdrücklich anders vermerkt, seien immer alle Geschlechter gemeint, hätte völlig genügt. Im übrigen: Frauen, die sich durch die alte Fassung der StVO tatsächlich persönlich (und nicht nur rollengemäß als Spielerinnen im Rahmen des feministischen Diskurses) diskriminiert fühlten, haben offenbar Probleme gesellschaftlicher oder persönlicher Art, die nicht durch Sprachbasteleien zu beheben sind. Es gehört nicht zu den Aufgaben von Sprache als System, gesellschaftliche Verhältnisse genau abzubilden oder ihrer Veränderung gar vorzuarbeiten. Auch die Naivität, mit der die Sapir-Whorf-Hypothese dafür ins Feld geführt wird, dass Sprache die Welt – hier: gesellschaftliche Verhältnisse – "abbilde" und ein bestimmter Genusgebrauch daher "sexistisch" sei (Kurzschluss Genus = Sexus, s.o.), ist erschreckend. Wenn Sprachwissenschaft so einfach wäre, wie sich das die "feministische Linguistik" vorstellt ...

Jetzt ist der Irrealis in meinem ersten Satz ad absurdum geführt. Na ja.

Kilian

Ich will überhaupt niemandem Vorschriften machen und orte natürlich auch ein kooperatives Sprachverstehen befürw, das generische Maskulina erkennt und richtig interpretiert. Und obwohl ich mich tendenziell bemühe, sie zu vermeiden, kommt es durchaus vor, dass ich generische Maskulina verwende (und generische Feminina).

Ich denke angesichts der genannten psycholinguistischen Ergebnisse aber, dass die Verwendung generischer Maskulina keine optimale Wahl ist, wenn es darum geht, 1) sich möglichst klar auszudrücken und 2) (gerade als Mann) gegenüber Frauen höflich zu sein, denn Frauen erlegt die Ambiguität des Maskulinums eine höhere Bürde auf: Sie sind diejenigen, die ständig die kognitive Mehrleistung bringen müssen, sich zu fragen, ob sie selbst mitgemienen sind (hierzu ein guter Text von Antje Schrupp).

Muss man als Sprecherin selbst wissen, was einer wichtiger ist: die Vorteile des generischen Maskulinums (welche waren das noch mal?) oder die genannten beiden Punkte.

Kilian

Zitat von: Wortklaux in 2015-05-03, 13:54:55Dann lass doch mal Worten Taten folgen und führe wenigstens in deinem Machtbereich geschlechtsneutrale Wörter (Administrax, Zenx, Gax für Administrator, Zensor, Gast) ein.

Ich hog schon lange den Plan, die hier im Forum vergebenen Ränge bei als weiblich registrorenen Mitgliedern einmal zu verweiblichen, was auch der schönen Endung -trix mehr zu tun gibt. Die Forumssoftware unterstützt das leider nicht, wohl mit aufgrund ihrer englischsprachigen Herkunft, deswegen memuss ich etwas hacken. Ist jetzt geschehen.

ZitatDann kekünne man einmal sehen, ob es nach kurzer Zeit hier von den weiblichen Mitglix wimmelt, die bisher hier abgeschrocken wurden.

Es mag auch noch andere Faktoren geben, die diese Veranstaltung hier zu so einem sausage fest machen.

Homer

#6
Zitat von: Kilian in 2015-05-05, 10:47:34
Ich will überhaupt niemandem Vorschriften machen und orte natürlich auch ein kooperatives Sprachverstehen befürw, das generische Maskulina erkennt und richtig interpretiert. Und obwohl ich mich tendenziell bemühe, sie zu vermeiden, kommt es durchaus vor, dass ich generische Maskulina verwende (und generische Feminina).

Ich denke angesichts der genannten psycholinguistischen Ergebnisse aber, dass die Verwendung generischer Maskulina keine optimale Wahl ist, wenn es darum geht, 1) sich möglichst klar auszudrücken und 2) (gerade als Mann) gegenüber Frauen höflich zu sein, denn Frauen erlegt die Ambiguität des Maskulinums eine höhere Bürde auf: Sie sind diejenigen, die ständig die kognitive Mehrleistung bringen müssen, sich zu fragen, ob sie selbst mitgemienen sind (hierzu ein guter Text von Antje Schrupp).

Mir liegt es ebenso fern, jemandem Vorschriften zu machen, und ich fühle mich auch nicht gedrängt, den Verwendern der "geschlechtergerechten" Formen belehrende Vorträge zu halten. Ich verstehe sie ja.

Ich glaube nur nicht, dass dieser Gebrauch bedeutet, sich möglichst klar auszudrücken, im Gegenteil. Nehmen wir den Satz "Die Römerinnen und Römer sprachen Latein". Hier wird durch die Doppelform ein Geschlechtsmarker gesetzt, von dem ich als Hörer mich frage, was er referentiell zu dem auszusprechenden Sachverhalt beiträgt. Denn es geht im Normalfall inhaltlich nur um eine Korrelation zwischen Volkszugehörigkeit und Sprache. Niemand würde vermuten, die Geschlechter in Rom hätten unterschiedliche Sprachen gesprochen. Die Aussage gerät nach meinem Gefühl in eine Schieflage, weil sie Aufmerksamkeit auf einen ganz unwesentlichen Punkt lenkt. (Immer angenommen, es kommt dem Sprecher nicht doch darauf an, genau dies zu betonen, wofür die möglichen Kontexte aber selten sein dürften.)

Aber ich glaube, für einen solchen Gebrauch ist Dein zweiter Punkt viel interessanter, obwohl ich auch hier etwas anders gewichten würde. Es geht m.E. weniger um Höflichkeit als um eine partielle Verschiebung der Aussageintention von der referentiellen auf eine emotive Ebene (wie Jakobson sagen würde): Wer hier "Römerinnen und Römer" sagt, setzt einen Ich-Marker, der ihn als zustimmenden Teilnehmer am Diskurs um die "geschlechtergerechten" Formen ausweisen soll. Ob man es dann sekundär als Höflichkeit oder etwas anderes auffassen soll, wenn das Signal aufleuchtet "Seht her, ich bin auch der Meinung, dass man so sprechen sollte!", mag wiederum von den Kommunikationsteilnehmern und vom Kontext abhängen. Die von Dir zitierte kognitive Mehrleistung ist, je nach männlicher Markiertheit des maskulinen Ausdrucks und nach Kontext (s.o.), unterschiedlich. Mein Plädoyer war nur, hier sensibel zu sein und Geschlechtsmarkierungen nicht als Einheitssauce über alles zu gießen. Im obigen "Römer"-Beispiel würde die vermeintliche Höflichkeit durch die genannte falsche Markierung nach meinem Gefühl zu teuer erkauft (es sei denn, es ist mir wichtiger, meine Ablehnung des generischen Maskulinums kundzutun als über Römer zu sprechen). Das ist ein klassischer Fall für die Nützlichkeit eines generischen Maskulinums, dessen Vorzüge hier Kürze und Klarheit sind.

P.S.: Dass ich den Text von Antje Schrupp nicht gut finde, sondern geradezu bestürzend undifferenziert, kannst Du Dir sicher denken. Welche zerebralen Vorgänge mögen dazu geführt haben, dass sie sich unter "Menschen" nur Männer vorstellt? Muss ich künftig statt "Der Mensch ist dem Menschen ein Wolf" (homo homini lupus) sagen: "Die Frau und der Mann sind der Frau und dem Mann eine Wölfin und ein Wolf"? Aber ich wollte ja eigentlich nicht polemisch werden.

Zitat von: Kilian in 2015-05-05, 10:47:34Muss man als Sprecherin selbst wissen, was einer wichtiger ist: die Vorteile des generischen Maskulinums (welche waren das noch mal?) oder die genannten beiden Punkte.

Zu den Vorteilen verweise ich nur noch einmal auf mein Beispiel "Die besten meiner Entwickler sind Frauen". Es wäre im Sinne der Pointierung dieser Aussage kontraproduktiv – abgesehen davon auch überflüssig lang und umständlich –, die positive Aussage über das Geschlecht in einem zu Beginn des Satzes erst einmal geschlechtsneutralen Zusammenhang durch frühzeitige Setzung des Geschlechtsmarkers zu verderben. Das ist eine Frage der rhetorischen Ponderierung des Satzes. Ich bin ein großer Freund von solchen stilistischen Details, die für mich einen großen Teil der Freude am Umgang mit Sprache ausmachen, und würde ungern auf ein solches Mittel verzichten, solange ich damit nicht anderweitig Verwirrung oder Unmut hervorrufe. Weitere Vorteile des generischen Maskulinums sind in der Diskussion in Hülle und Fülle im Umlauf, die brauche ich, glaube ich, nicht weiter anzuführen. Dass es Möglichkeiten geben muss, geschlechtsneutral zu formulieren, d.h. ganz ohne Geschlechtsmarker, ist m.E. evident. Die Setzung eines starken weiblichen Geschlechtsmarkers neben eine normalerweise als schwach männlich markiert aufzufassende maskuline Form ist ganz sicher nicht das, was ich unter geschlechtsneutral verstehen würde.

Die Höflichkeit, Frauen den kognitiven Aufwand zu ersparen, wenn sie sich fragen sollten, ob sie mitgemeint sind, bin ich von Fall zu Fall aufzubringen gern bereit und tue das auch. Eben nur nicht pauschal und ohne dass ein solcher kognitiver Aufwand überhaupt zu erkennen wäre (wie im "Römer"-Beispiel). Gutwillige Kommunikation kann ich ja, bei allem Bestreben höflich zu sein, auch von Frauen erwarten.

Kilian

Zitat von: Homer in 2015-05-05, 15:03:50Ich glaube nur nicht, dass dieser Gebrauch bedeutet, sich möglichst klar auszudrücken, im Gegenteil. Nehmen wir den Satz "Die Römerinnen und Römer sprachen Latein". Hier wird durch die Doppelform ein Geschlechtsmarker gesetzt, von dem ich als Hörer mich frage, was er referentiell zu dem auszusprechenden Sachverhalt beiträgt. Denn es geht im Normalfall inhaltlich nur um eine Korrelation zwischen Volkszugehörigkeit und Sprache. Niemand würde vermuten, die Geschlechter in Rom hätten unterschiedliche Sprachen gesprochen. Die Aussage gerät nach meinem Gefühl in eine Schieflage, weil sie Aufmerksamkeit auf einen ganz unwesentlichen Punkt lenkt. (Immer angenommen, es kommt dem Sprecher nicht doch darauf an, genau dies zu betonen, wofür die möglichen Kontexte aber selten sein dürften.)

Aber ich glaube, für einen solchen Gebrauch ist Dein zweiter Punkt viel interessanter, obwohl ich auch hier etwas anders gewichten würde. Es geht m.E. weniger um Höflichkeit als um eine partielle Verschiebung der Aussageintention von der referentiellen auf eine emotive Ebene (wie Jakobson sagen würde): Wer hier "Römerinnen und Römer" sagt, setzt einen Ich-Marker, der ihn als zustimmenden Teilnehmer am Diskurs um die "geschlechtergerechten" Formen ausweisen soll. Ob man es dann sekundär als Höflichkeit oder etwas anderes auffassen soll, wenn das Signal aufleuchtet "Seht her, ich bin auch der Meinung, dass man so sprechen sollte!", mag wiederum von den Kommunikationsteilnehmern und vom Kontext abhängen. Die von Dir zitierte kognitive Mehrleistung ist, je nach männlicher Markiertheit des maskulinen Ausdrucks und nach Kontext (s.o.), unterschiedlich. Mein Plädoyer war nur, hier sensibel zu sein und Geschlechtsmarkierungen nicht als Einheitssauce über alles zu gießen. Im obigen "Römer"-Beispiel würde die vermeintliche Höflichkeit durch die genannte falsche Markierung nach meinem Gefühl zu teuer erkauft (es sei denn, es ist mir wichtiger, meine Ablehnung des generischen Maskulinums kundzutun als über Römer zu sprechen). Das ist ein klassischer Fall für die Nützlichkeit eines generischen Maskulinums, dessen Vorzüge hier Kürze und Klarheit sind.

Gute Punkte. Zum Glück bilden die möglichen Alternativen zum durchgängigen Gebrauch des generischen Maskulinums in allen schwach markierten Fällen (wo immer man da die Grenze ziehen mag) ja in der Tat keine Einheitssauce, sondern sind sehr vielfältig. Eine Lösung, die mir besonders gut gefällt, ist die von Kristin Kopf.

Homer

Charme hat das, obwohl ich nicht sicher bin, ob es wirklich eine Lösung für den Alltag ist. Denn, wie gesagt, Geschlechterneutralität wird gerade nicht durch Doppelsetzung, Gegensetzung des Femininums oder das auffällige Zufallsprinzip – zumindest ein witziger Gedanke – erzeugt, sondern durch schwächstmögliche Erwähnung des Merkmals "Geschlecht" überhaupt. Der gewaltige Unterschied zwischen gleichberechtigter Erwähnung des Geschlechts und gar keiner Erwähnung wird seltsamerweise von den Verfechtern der "geschlechtergerechten" Formen nie reflektiert, dabei brauchen wir von Fall zu Fall mal das eine und mal das andere. Das hinzugesetzte Femininum annulliert ja die männliche Markierung des Maskulinums nicht, sondern verstärkt das Merkmal "Geschlecht" insgesamt. Das wird ebensowenig diskutiert wie die sehr variable männliche Markiertheit von Maskulina (von fast unmarkiert bis stark markiert) im Unterschied zur ziemlich konstant hohen weiblichen Markiertheit von femininen Personenbezeichnungen, was jegliche Lösungen, die auf Symmetrie setzen, deutlich erschwert. Und mich stört die Pauschalität in der konstant wiederholten Aussage, dass bei Maskulina "Mann" immer mitgedacht werde, als ob es keine entscheidenden Abstufungen gäbe.

Es ist natürlich misslich, dass es im Deutschen separate geschlechtlich unmarkierte Personenbezeichnungen nicht (oder kaum) gibt. Dummerweise kann man sie aber genau deshalb auch nicht erschaffen (wobei ohnehin fraglich ist, ob künstliche Eingriffsversuche in die langue generell eine gute Idee sind, da Sprachwandel sich nur in der parole vollziehen kann). Denn jede Neuschöpfung würde paradoxerweise über ihr Merkmal "geschlechtlich unmarkiert", der ihr einziger Daseinsgrund wäre, sofort wieder in unerwünschter Weise auf das Merkmal "Geschlecht" hinweisen, wenn auch im Modus der Negation. Es hilft nichts, wir müssen abwarten, welche Wege sich der ja erkennbare Bedarf nach geschlechtsneutralen Formen aus dem Material heraus, das wir haben, auf zwanglose Weise bahnt. Änderungen des Sprachbewusstseins brauchen eben Zeit, und Geduld ist nicht jedermanns Sache. Einstweilen ist das sensibel verwendete generische Maskulinum schwach markierter Wörter m.E. die immer noch beste Annäherung an geschlechtliche Unmarkiertheit.

Für mich ist der Vorschlag von Kristin Kopf ein Sprachexperiment, das zum Nachdenken anregt, nicht mehr – aber eines, auf das ich mich spielerisch einlassen könnte, gerade wegen der ein wenig absurden Effekte, die es erzeugt. Für alltagstauglich hält sie es wohl (hoffentlich) selbst nicht.

Wortklaux

Die ,,männliche Markierung" von Begriffen wie ,,Student" wird durch die konsequente Vermeidung des generischen Maskulinums zweifellos verstärkt. Diesem Trend der Sprache kann man sich als Einzelperson wohl nicht durch die Behauptung des Gegenteils entziehen. Insofern bedeutet es heute eben schon etwas anderes, wenn von ,,Studenten" gesprochen wird, als es es vor 30 Jahren bedeutet hat. Es liegen eben 30 Jahre dazwischen, wo systematisch von ,,Studierenden" oder ,,Studenten und Studentinnen" gesprochen und geschrieben wurde.

Der Versuch, diesem Trend durch Stolperwörter entgegenzutreten (,,Ein Kassierer im Supermarkt wurde wegen Unterschlagung eines Pfandbons entlassen. Er war bei den Kunden beliebt und wurde von vielen Kunden geduzt und mit seinem Vornamen ,,Sabine" angesprochen." ,,Wenn ein Kindergärtner seine Tage hat ...") ist mindestens lustig, dürfte den Trend aber genausowenig aufhalten wie die ,,Lösung" von Kristin Kopf eine wirkliche Alternative anbietet, zumal man, um sie konsequent im Alltag anzuwenden, immer erst eine Münze werfen müsste, ehe man ein Wort ausspricht.

Im übrigen ist der Sprachgebrauch aber wohl nur ein kleines Rädchen in der Maschine, die unsere Gender-Vorstellungen prägt. Bei ,,Mathematikprofessoren" oder ,,Bankräubern" schalten wir mit größerer Wahrscheinlichkeit auf die Vorstellung von männlichen Personen als bei ,,Museumsbesuchern" oder ,,Supermarktkunden", und das liegt eben nicht an der Sprache. Ebenso denke ich, dass wenige Leute bei einer ,,Persönlichkeit mit Durchsetzungsvermögen" automatisch eine Frau vor sich sehen, nur weil das Wort ,,Persönlichkeit" ein Femininum ist. Es wäre auch sehr unökonomisch, immer die weniger wahrscheinliche Variante mit der gleichen Intensität mitzudenken, solange die Wahrscheinlichkeiten in der Realität unverändert bleiben. Ist es etwa diskriminierend, sich unter einem ,,Grundschüler der ersten Klasse" ein sechsjähriges Kind vorzustellen, obwohl es bekannte Fälle gibt, in denen Achtzigjährige die erste Grundschulklasse besucht haben?

Insofern denke ich, dass jedem sein Sprachgebrauch unbenommen bleiben soll, aber wenn Homer sein generisches Maskulinum verwendet, darf er sich eben nicht darüber beschweren, wenn manche Leute ihn missverstehen, denn es ist heute durchaus absehbar, dass solche Missverständnisse auftreten. Die Methode, dem Missverständnis durch eine Fußnote bei der Erstbenutzung entgegenzutreten, ist auch OK, nur liest halt nicht jeder jede Fußnote.

Homer

#10
Zitat von: Wortklaux in 2015-05-06, 12:29:59
Die ,,männliche Markierung" von Begriffen wie ,,Student" wird durch die konsequente Vermeidung des generischen Maskulinums zweifellos verstärkt. Diesem Trend der Sprache kann man sich als Einzelperson wohl nicht durch die Behauptung des Gegenteils entziehen. Insofern bedeutet es heute eben schon etwas anderes, wenn von ,,Studenten" gesprochen wird, als es es vor 30 Jahren bedeutet hat. Es liegen eben 30 Jahre dazwischen, wo systematisch von ,,Studierenden" oder ,,Studenten und Studentinnen" gesprochen und geschrieben wurde.

Das ist ein interessanter Aspekt. Die metalinguistische Debatte selbst, mit welch (m.E.) unzureichend differenzierenden Argumenten auch immer sie geführt wird, beginnt vielleicht tatsächlich nach und nach auf das Sprachempfinden selbst durchzuschlagen, auch wenn ich den Prozess bei weitem noch nicht für so fortgeschritten halte wie Du. Die überwältigende Mehrheit selbst der Frauen, die ich kenne, käme nie auf die Idee, die "geschlechtergerechten" Formen zu benutzen, und sehr viele von ihnen äußern sich dezidiert ablehnend. Aber das mag mit dem vergleichsweise stark ausgebildeten Sprachgefühl zu tun haben, das die Frauen in dem Umfeld haben, in dem ich am meisten verkehre, und das ihnen sagt, dass das Verschwinden von geschlechtsunmarkierten Formen einen vorläufig nicht kompensierbaren Verlust an Ausdrucksmöglichkeiten des Deutschen mit sich brächte.

Zitat von: Wortklaux in 2015-05-06, 12:29:59Im übrigen ist der Sprachgebrauch aber wohl nur ein kleines Rädchen in der Maschine, die unsere Gender-Vorstellungen prägt. Bei ,,Mathematikprofessoren" oder ,,Bankräubern" schalten wir mit größerer Wahrscheinlichkeit auf die Vorstellung von männlichen Personen als bei ,,Museumsbesuchern" oder ,,Supermarktkunden", und das liegt eben nicht an der Sprache. Ebenso denke ich, dass wenige Leute bei einer ,,Persönlichkeit mit Durchsetzungsvermögen" automatisch eine Frau vor sich sehen, nur weil das Wort ,,Persönlichkeit" ein Femininum ist. Es wäre auch sehr unökonomisch, immer die weniger wahrscheinliche Variante mit der gleichen Intensität mitzudenken, solange die Wahrscheinlichkeiten in der Realität unverändert bleiben. Ist es etwa diskriminierend, sich unter einem ,,Grundschüler der ersten Klasse" ein sechsjähriges Kind vorzustellen, obwohl es bekannte Fälle gibt, in denen Achtzigjährige die erste Grundschulklasse besucht haben?

Ich stimme zu. Darüber hinaus würde ich zuspitzend vermuten, dass die Sprachdebatte als Nebenschauplatz des Gleichberechtigungskampfes deshalb so unverdient viel Beachtung findet, weil hier vermeintlich die leichteren Erfolge zu erzielen sind, die zudem nicht viel kosten. Meine These ist, dass nach dem generischen Maskulinum kein Hahn krähen würde, wenn es in den Bereichen, wo Gleichberechtigung tatsächlich wichtig wäre, zügiger voranginge. Sprache transportiert auch sonst jede Menge historisches Gut mit sich, das an längst überwundene frühere Verhältnisse erinnert, ohne dass es irgendwen stört. Weh tut Sprache nur dort, wo die mit ihr korrespondierende Realität noch wehtut.

Zitat von: Wortklaux in 2015-05-06, 12:29:59Insofern denke ich, dass jedem sein Sprachgebrauch unbenommen bleiben soll, aber wenn Homer sein generisches Maskulinum verwendet, darf er sich eben nicht darüber beschweren, wenn manche Leute ihn missverstehen, denn es ist heute durchaus absehbar, dass solche Missverständnisse auftreten. Die Methode, dem Missverständnis durch eine Fußnote bei der Erstbenutzung entgegenzutreten, ist auch OK, nur liest halt nicht jeder jede Fußnote.

Ich kann nicht ausschließen, dass sich hin und wieder einmal jemand heimlich über mich ärgert, weil ich die "geschlechtergerechten" Formen nur da verwende, wo ich auch von Geschlecht sprechen will. Gesagt hat es mir noch niemand. Was ich aber sicher weiß, ist, dass ich noch nie regelrecht missverstanden wurde. Die Möglichkeit solcher Missverständnisse wird in der Debatte ohnehin weit überschätzt. Wenn man einmal nachdenkt, ist es schwer, Beispiele zu nennen, bei denen in einem konkreten Kontext unter Bedingungen einer kooperativen Kommunikation tatsächlich ein Missverständnis möglich ist. Dass sich die Missverständnis-Grenze sehr langsam verschieben könnte (s.o.), halte ich dennoch für möglich. Daran werde ich mich auch, nicht schneller als nötig allerdings, anpassen, wenn ich das feststellen sollte, schließlich steht das Verstanden-Werden auf dem Spiel. Aber vorläufig geht es m.E. viel eher um die Markierung des Diskurses selbst als um Probleme der Verständlichkeit.

Ich komme mir übrigens anbiedernd vor, wenn mir doch einmal "Studierende" herausrutscht – eine Generationenfrage? Männliche wie weibliche "Studierende" haben aber nach meiner Erfahrung überhaupt kein Problem damit, wenn ich von "Studenten" spreche. Aber vielleicht verzeihen sie mir altem Sack auch nur meine Schrulle.

Kilian

Zitat von: Homer in 2015-05-06, 20:48:38Ich komme mir übrigens anbiedernd vor, wenn mir doch einmal "Studierende" herausrutscht – eine Generationenfrage?

Kann gut sein. Meinem Eindruck nach hat Studierende u.a. dank entsprechenden Policys in den letzten Jahren einen derartigen Boom erfahren, dass es mittlerweile allmählich weitgehend als normal empfunden wird und sogar schon weit stärker lexikalisoren ist als entsprechende Partizipialkonstruktionen. Ein ulkiges Beispiel: https://twitter.com/skeptikantin/status/586222425513316352

Homer

Hier wird wieder – leider völlig unkritisch – über eine der immer wieder gleich aufgebauten Studien mit den immer wieder gleichen Beispielwortgruppen (hier: Berufsbezeichnungen) und den immer wieder von neuem fehlenden entscheidenden Differenzierungen berichtet, und es werden wieder dieselben erwartbaren, sträflich pauschalisierenden Schlüsse daraus gezogen. Das ist offenbar der traurige Stand der "Forschung" zu diesem Thema, die nicht wirklich etwas ermitteln will, sondern es a priori auf eine allgemeine Verdammung des generischen Maskulinums anlegt. Schade, ich glaube, manches von dem, was wir hier andiskutiert haben, könnte den Blick schärfen.

Wortklaux

In dieser Art Diskussionen gilt eben der altbekannte Satz: Es ist schon alles gesagt, nur noch nicht von jedem.

Kilian

#14
Zitat von: Homer in 2015-06-09, 23:35:19
Hier wird wieder – leider völlig unkritisch – über eine der immer wieder gleich aufgebauten Studien

Inwiefern immer wieder gleich aufgebaut?

Zitatund den immer wieder von neuem fehlenden entscheidenden Differenzierungen

Welche für das Thema der Studie relevanten Differenzierungen fehlen hier? Fehlen sie in der Studie oder in dem Bericht darüber?

Zitates werden wieder dieselben erwartbaren, sträflich pauschalisierenden Schlüsse daraus gezogen

Welche Schlüsse genau meinst du, und inwiefern sind sie sträflich pauschalisierend?

ZitatDas ist offenbar der traurige Stand der "Forschung" zu diesem Thema, die nicht wirklich etwas ermitteln will, sondern es a priori auf eine allgemeine Verdammung des generischen Maskulinums anlegt.

Ich habe weder in der DGPS-Pressemitteilung noch in dem Sprachlog-Artikel eine allgemeine Verdammung des generischen Maskulinums gesehen. Worauf beziehst du dich?